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Kapitel 6
Оглавление„Die Geschichte beginnt mir wirklich zu gefallen“, sagt Monika und Daniel gefiel sich in seiner Rolle. Lisa schaut verliebt aus der Wäsche, denn was keiner weiß, sie ist längst schon in Daniel verliebt. Nur auf diese Möglichkeit bei diesem Theaterstück mitzuspielen hat sie gewartet. Und manchmal schaut auch Daniel sie verliebt an.
Und dann liest Frau Hubert auch schon weiter.
Keine zehn Minuten später kam Leon zurück ins Wohnzimmer und brachte den frisch gekochten Bohnenkaffee mit, den er diesmal in eine Porzellankanne gefüllt hatte. Dazu stellte er eine Schüssel mit Keksen dazu. Dann holte er die Sahne aus dem Kühlschrank und stellte sie neben die Kanne. Er setzte sich zu Vivien auf das alte Ledersofa. Sie schaute instinktiv auf und vernahm den Geruch von frisch gebrühtem Kaffee, den sie offensichtlich mochte.
Sie bedankte sie sich bei Leon, für seine Gastfreundlichkeit, die nicht
selbstverständlich war, wo er doch jahrelang als Junggeselle ganz allein
lebte. Leon freute sich über dieses Lob und goss in die zwei vor ihm stehenden Tassen ein. Dann wartete er bis sie den letzten Satz las und das Papier weg legte. Gelegentlich nahm er seine Aufregung wahr, denn tatsächlich war die Situation für ihn selbst sehr ungewohnt. Aber das war noch nicht alles, denn je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, umso deutlicher nahm er zur Kenntnis, dass in seinem Bauch die Raupen, von denen er bis dahin noch nichts wusste, zu Kokons wurden und diese wiederum zu lebhaften Schmetterlingen heranwuchsen. Es war offensichtlich, dass zwischen ihnen Liebe wurde. So wie es ganz selten vorkommt. Denn ihr ging es ähnlich wie ihm. In diesem Moment schauten sie sich verliebt an. Wenn auch nur den Bruchteil einer Sekunde. Seinem Blick entzog sie sich kurz darauf. Sie hielt es plötzlich nicht für angemessen. Sie wollte ihm keine Hoffnungen machen, weil sie nicht hier bleiben wollte. Sie unterhielten sich über weitere gemeinsame Interessen und wie der Abend hereinbrach und sie bemerkten wie spät es inzwischen geworden war, räumte Leon den Tisch ab und trug das Geschirr in die Küche. Als er wiederkam, blätterte Vivien gerade in einem der Magazine, die Leon vorhin beim Aufräumen, auf dem Sofa liegen gelassen hatte. Er bediente inzwischen das Radio und suchte nach einem Sender, mit klassischer Musik. Das konnte in einem solchen Moment wie diesem nicht verkehrt sein. Doch statt der erhofften Musik, brachte man Nachrichten. Es wurde über den Überfall in der Bank berichtet und Vivien zuckte dabei zusammen. Sie horchte auf und man konnte erkennen, wie sie mit ihren Emotionen zu kämpfen hatte. Sie fühlte sich unwohl. Leon entschuldigte sich und schaltete auf einen anderen Sender um. Vivien hingegen versuchte sich nichts anmerken zu lassen und doch war sie plötzlich ruhig und in sich gekehrt. Leon versuchte unbewusst ein anderes Thema
anzuschneiden um sie abzulenken.
„Du kommst nicht von hier oder?“, fragte er dann Vivien. Er erhoffte sich dadurch mehr von ihr zu erfahren. Sorgfältig legte sie das Heft beiseite und ließ sich auf das Gespräch ein:
„Vor vielen Jahren als unsere Eltern bei einem Autounfall starben, war ich gerade achtzehn Jahre. Ich bin allein nach Irland gegangen, weil ich den Eindruck hatte, mich würde hier nichts mehr halten. Letztendlich war es ein Davonlaufen vor mir selbst. Das erkannte ich sehr spät. Gut, Irland hat mich schon immer fasziniert, davon mal abgesehen. Aber ich wusste, dass mein Bruder allein klar kommt. Er war der Ältere von uns beiden, hat früh geheiratet und war mit seinen beiden Jungen und seiner Frau sehr glücklich.“
Leon schaute sie voller Mitgefühl an und fragte vorsichtig nach:
„Du sagst er war glücklich, warum sprichst du in der Vergangenheitsform
von ihm?“
Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch sie wollte nicht, dass Leon sie so sah. Darum nahm sie ein Taschentuch zur Hand und erzählte weiter:
„Er kam gestern bei einem Banküberfall in der Stadt ums Leben, weil eine Angestellte nicht nach den Befehlen der Bankräuber gehorchte, nahmen sie meinen Bruder als Druckmittel und erschossen ihn brutal und grausam. Du hast vielleicht schon darüber gelesen?“
Leon nahm diese Geschichte emotionaler mit, als er zugab. Obwohl er sehr real von diesem Ereignis geträumt hatte, war es doch etwas anderes die Geschichte erzählt zu bekommen. Dass er davon geträumt hatte, behielt er weiterhin für sich. Später konnte er ihr immer noch von seiner Vision erzählen. So schützte er nicht nur sich selbst, sondern auch sie. Und doch war er sich unsicher, wo sie so ehrlich zu ihm war, ob er es ihr vielleicht doch sagen sollte. Doch irgendwas hielt ihn davon eindringlich ab. Er konnte nicht definieren was es war, doch es war besser so.
„Ich hab es heut morgen gelesen. Wirklich eine erschütternde Geschichte.
Es tut mir aufrichtig leid“, sagte Leon und Vivien bedankte sich dafür.
„Danke. Ich hoffe, der Fall klärt sich bald auf.“
Danach setzte sie ihre Erzählung fort:
„Er war mein großer Bruder und mein Vorbild. Als Kinder haben wir gern alles geteilt und waren immer unzertrennlich. Wir waren Zwillinge. So etwas war zwischen uns normal.“
Sie schweifte beim Erzählen gelegentlich in alte längst vergessen geglaubte Erinnerungen. Dabei erzählte sie soviel positives über ihren Bruder, dass man den Anschein bekam, dass er ein Mensch mit nur positiven Eigenschaften war und negatives gar nicht erst zum Vorschein gekommen wäre. Leon fehlten die Worte, da er diese Art von Geschwisterliebe nicht kannte. Er war ein Einzelkind. Seinen Eltern war es wohl vergönnt, ein weiteres Kind zu
bekommen. Tröstend sagte er zu Vivien:
„Wenn ich Dir irgendwie helfen kann, egal mit wie, lass es mich bitte wissen.
Ich möchte ein Freund für dich sein.“
Sie bemühte sich um ein Lächeln. Dankbar legte sie ihre Hand auf die
seine, die er ruhig neben sich liegen ließ.
„Dafür bin ich dir sehr dankbar, wir kennen uns noch nicht lange und doch
kommen mir diese zwei Stunden mit dir wie eine Ewigkeit vor. Zwischen uns ist es von Anfang an so vertraut.“
Leon war emotional berührt. So schön formuliert hätte er Viviens Reaktion nicht erwartet. Und so konnte er nur ergänzen:
„Das geht mir genauso und ich bin froh, dass es der Zufall es so wollte, dass wir uns kennen gelernt haben. Auch wenn der Hintergrund ein sehr trauriger ist.“