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Ein guter Tag

Ich lag auf einer Bank im Stadtpark, als es zu dämmern begann. Die aufgehende Sonne malte warme Farben an den Horizont, doch aufziehende Wolken versprachen bereits, sie bald wieder zu verstecken. Immer wieder rollte mein Kopf zur Seite und ich verfiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich jedoch sogleich wieder erwachte. Kälte, Hunger und die harten Holzleisten in meinem Rücken erlaubten mir nicht mehr, obwohl mein erschöpfter Körper Erholung so dringend nötig hatte. Nein, so konnte es nicht bleiben. Vielleicht schaffte ich es, später noch einen Geldbeutel zu stehlen und mir doch ein Zimmer in einem Wirtshaus zu leisten, jetzt wo ich mich um das Wichtigste, warme Kleidung, gekümmert hatte. Und wenn es nur für eine Nacht war. Ich war so unglaublich müde und sehnte mich nach einem warmen Bett ... Mein Kopf fiel abermals zur Seite.

Als ich erwachte, war die Sonne fort. Graue Wolken hingen düster und schwer am Himmel über mir, der meine Laune zurückwarf wie ein Spiegel. Hoffentlich regnete es nicht auch noch.

Ich brachte mich in eine aufrechte Position und streckte stöhnend meine Arme. Meine Glieder waren ganz starr von der Kälte und schmerzten wegen meines unbequemen Betts. Ich war noch immer müde, doch der Hunger überwog. Ich stand auf und verließ den Park.

Auf den Straßen herrschte munteres Treiben. Ich stand gegen eine Mauer gelehnt und beobachtete meine Umgebung. Kutschen fuhren an mir vorüber und reiche Männer mit ausdruckslosen Gesichtern eilten über das Pflaster. Sie erfüllten mein ganzes Wesen mit abgrundtiefer Verachtung. Wussten sie denn nicht, dass sie alle gleich waren? Die gleichen langen grauen Mäntel, die gleichen starren, toten Augen und der gleiche monotone, zügige Schritt. War ihnen nicht bewusst, dass sie alle das gleiche langweilige Leben führten? Am Morgen hetzten sie durch die Straßen, um ihren Geschäften nachzugehen und abends wieder zu ihren auseinanderbrechenden Familien zurückzukehren, nur um den nächsten Tag nach genau demselben Muster zu begehen. Sie erschienen mir so armselig, dass ich beinahe Mitleid für sie empfand, wären sie nur nicht so verflucht reich gewesen.

Ich dachte an mein eigenes, auf so andere Art erbärmliches Leben. Aufwachen, Nahrungssuche, warm halten. Überleben. Mehr war es nicht. Das Leben eines Tieres. Wie war es doch großartig, ein Mensch zu sein! Was hatten sich meine Eltern nur dabei gedacht, mich in eine solche Welt zu setzen? Nun, zumindest waren sie ihr entkommen. Ich war geblieben, aber wofür?

Meine Augen verfolgten die grauen Mäntel, die an mir vorbeiliefen, besonders ihre Taschen, in die so leicht eine fremde Hand hineingreifen konnte. „Tut mir leid, Leana.“

Ich stieß mich von der Mauer ab und lief los.

Ich war noch nie in meinem Leben so schnell und so weit gelaufen. Ich hatte das Gefühl, die halbe Welt umrundet zu haben. Die kalte Winterluft schnitt mir mit jedem Atemzug in die Kehle, als wäre sie ein stumpfes Messer. In meiner zitternden Hand hielt ich einen kleinen Geldbeutel. Ich lehnte mich erschöpft gegen eine kahle Hauswand am Ende einer schmalen Gasse und sackte langsam in mich zusammen. Dieses Mal wäre ich beinahe geschnappt worden. Ein Stadtwächter war auf mich aufmerksam geworden. Zusammen mit dem Bestohlenen hatte er mich durch die halbe Stadt gejagt. Inständig hoffte ich, dass sie sich mein Gesicht nicht gemerkt hatten.

Ich schloss die Augen, bis sich mein Herzschlag normalisierte und ich wieder klar denken konnte. Meine Finger zogen die dünnen Schnüre des Beutels auseinander und ich lugte hinein. Leise fluchte ich. Drei Silber- und zwei Kupfermünzen fielen in meine geöffnete Hand. Steine und Kiesel. Eine magere Ausbeute. Hart stieß ich mit meinem Hinterkopf gegen das Gemäuer. Heute war nicht mein Tag. Zumindest fror ich nicht mehr. Doch ich war noch immer müde und hungrig. Es war an der Zeit, dies zu ändern.

Ja, ich weiß, ich hatte dem Trödler mein ganzes Hab und Gut im Gegenzug für den Mantel versprochen, in Wahrheit aber waren zwei Silbermünzen meiner ersten Ausbeute zufällig in meine Hosentasche gerutscht, bevor der alte Mann seine gierigen Finger um den Geldbeutel schließen konnte. Ich besaß also fünf Steine und zwei Kiesel. Aller guten Vorsätze zum Trotz fand ich mich zur Mittagsstunde in einem preiswerten Wirtshaus wieder, wo ich all mein Silber für eine Mahlzeit und ein winziges Zimmer im zweiten Stock ausgab. Ich hatte mir einfach nicht anders zu helfen gewusst. Mein Körper lechzte nach Nahrung und Schlaf und ich war mir nicht sicher, ob ich eine weitere Nacht ohne diese beiden Dinge unter freiem Himmel heil überstehen würde.

Also saß ich an einem kleinen Tisch in der Wirtsstube, vor mir eine dampfende Schüssel Kartoffelsuppe mit Wurst und einer Scheibe geröstetem Brot, daneben ein Krug mit dünnem Bier. Ich fühlte mich wie ein König. Dennoch zwang ich mich dazu, langsam zu essen, denn mein Magen schmerzte und ich wollte ihm nicht zu viel auf einmal zumuten. Die Wärme der Suppe in meinem Inneren fühlte sich himmlisch an und ich konnte nicht verhindern, dass sich ein zufriedenes Lächeln auf mein Gesicht stahl.

„Na, hat da jemand einen guten Tag?“, fragte eine angenehme Stimme neben mir. Diese gehörte zu einem lächelnden, blonden Mädchen, das mit einem Lappen einen der Tische nebenan abwischte. Sie war zu jung, um die Frau des alten, fülligen Wirtes zu sein, und auch um einiges zu schön. Sicher war sie seine Tochter.

Ich lächelte zurück. „Ja, jetzt schon.“

„Schmeckt denn die Suppe?“, erkundigte sie sich.

„Hast du sie denn gemacht?“

„Kommt darauf an, ob sie dir schmeckt.“ Sie zwinkerte mir zu. In diesem Moment bemerkte ihr Vater unsere kleine Unterhaltung und rief sie fort. In der Tat schmeckte die Suppe gleich noch besser, seit ich deren hübsche Köchin gesehen hatte.

Als ich aufgegessen hatte, schleppte ich mich die Treppen hinauf in den zweiten Stock, schloss mein Zimmer auf und hinter mir wieder zu, nur um mich völlig erschöpft ins Bett fallen zu lassen. Die Kissen drückten sich weich in mein Gesicht und die Decke schmiegte sich flauschig an mich, als ich sie über mich zog. „Was muss es doch für ein Glück sein, jeden Tag so einschlafen zu können“, dachte ich noch, dann war ich auch schon eingeschlafen.

Kalt ist die Welt

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