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Fragen (Tag 1)

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Als ich am nächsten Tag erwachte, benötigte ich erst einige Zeit, bis ich mir bewusst gemacht hatte, wo ich mich befand. Über das eigentliche Warum war ich immer noch im Unklaren, doch dieses sollte sich ja wohl die nächsten Tage klären. Diese Klärung erwartete ich schon mit Spannung, auch wenn ich nicht glaubte, dass dabei auch nur etwas annähernd Interessantes herauskam, das diesen Aufwand und die ganze Geheimnistuerei gerechtfertigt hätte. Nun der Tag würde es zeigen.

Um meinen gestern bekannt gegebenen Termin auch einzuhalten, stand ich auf und stellte mich erst einmal unter die Dusche. Es gibt doch nichts Belebenderes als eine heiße Dusche am Morgen, so dass ich komplett die Zeit vergaß. Ich merkte erst wie lang ich unter der Dusche stand, als sich bereits meine Haut zu runzeln begann. Doch da ich nicht wie sonst üblich so unter Zeitdruck stand, sah ich auch nicht ein, warum ich mich groß beeilen sollte.

Nachdem ich also meine Morgentoilette hinter mich gebracht und die für mich reservierte Kleidung, die sich als erstaunlich bequem erwies, angelegt hatte, begab ich mich nach unten. Am Fuße der Treppe wurde ich bereits von Nicole in Empfang genommen, die heute nicht in der einheitlichen Serviceuniform steckte, sondern einen knielangen Rock und eine dezente Satinbluse trug, beides natürlich in schwarz, ebenso ihre eleganten Schuhe, die einen leichten Absatz aufwiesen. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, was ihr deutlich besser stand, als die gestrige Duttfrisur.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen beim Frühstück Gesellschaft leiste?“ Es war weniger eine Frage als viel mehr eine Ankündigung.

„Nicht im Geringsten“, entgegnete ich ihr.

Sie hakte sich bei mir unter und führte mich so, ohne mich eigentlich offensichtlich zu führen, zum Speisesaal, der sich auf der anderen Seite des Foyers befand, also gegenüber von Lichterbraches Arbeitszimmer. Nun, die Bezeichnung Speisesaal war, wie alles in diesem Gebäude, leicht untertrieben. Es handelte sich um ein kleines aber exklusives Restaurant mit ungefähr sieben Tischen. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt, ebenso die Decke. Die Beleuchtung erfolgte durch viele kleine Halogenlämpchen, die der Decke so einen sternenhimmelmäßigen Charakter verliehen. Um eine Säule in der Mitte des Raumes (ich vermutete, dass sie keinerlei statischen Nutzen erfüllte, sondern lediglich dekorativen Charakter besaß) war ein reichhaltiges Frühstücksbuffet aufgebaut.

An einem der Tische saß bereits Lichterbrache, der sich lediglich einen Kaffee und ein Laugencroissant zum Frühstück gegönnt hatte. Als wir eintraten, nickte er mir freundlich zu, ohne sich zu erheben. Ich wollte mich gerade zu ihm an den Tisch setzen, als Nicole mich sanft, aber mit Nachdruck, zu einem anderen Tisch im hinteren Bereich des Raumes führte, an dem wir Platz nahmen.

Auf meinen fragenden Blick hin, lächelte sie nur verschmitzt. „Mit Siegfried werden Sie heute noch lange genug zu tun haben. Oder ist Ihnen meine Gegenwart so unangenehm, dass sie diese mit anderen teilen wollen.“

Nun, sie wusste einen mit nur einem Satz in Verlegenheit zu bringen. „Nein, natürlich nicht, es ist nur, dass...“ Ja was eigentlich?

„Ja?“ Sie sah mich fragend an, doch man merkte, dass sie eigentlich keine Antwort erwartete.

Als ich ihr so gegenüber saß, merkte ich, dass sie leicht geschminkt war und einen dezenten Duft verströmte, der mich an Patschuli erinnerte.

„Nun, es ist alles noch etwas ungewohnt für mich, verzeihen Sie.“

Sanft legte Sie ihre Hand auf meine. „Nichts wofür Sie sich entschuldigen müssen, aber es wird nicht lange dauern und Sie finden sich zurecht.“

„Nun, so lange bin ich ja auch nicht hier.“

Sie lächelte wissend, sagte aber nichts darauf. „Also, was wollen Sie zum Frühstück? Oder wollen Sie sich lieber vom Buffet inspirieren lassen?“

„Buffet klingt gut.“

Das Buffet ließ nun wirklich keine Wünsche offen. Von diversem Obst, über Marmelade, Honig, Obstsalate, herzhafte Aufstriche, Schinken, verschiedene Brötchensorten, Croissants, Müsli, Cornflakes bis hin zu einer Vielzahl frisch gepresster Säfte, gab es nichts, was ein hungriger Magen vermisst hätte.

Gewohnt durch meine Ernährung auf einiges zu achten, machte ich eine Vorauswahl.

Nicole stupste mich an. „Sie können ruhig alles bedenkenlos nehmen, hier werden sie keine tierischen Inhaltsstoffe finden. Wir pflegen uns den Gewohnheiten unserer Gäste anzupassen.“

Und tatsächlich, der Honig entpuppte sich als Ahornsirup, der Schinken hatte die Tofu-eigene Konsistenz und bei der Milch konnte man wählen zwischen Reis und Soja.

Ich entschied mich für ein Croissant mit Marmelade und etwas Obstsalat, dazu einen frisch gepressten Orangensaft und einen Schwarztee. Sie tat es mir gleich, verzichtete allerdings auf die Marmelade und wählte stattdessen einen Cappuccino.

„Sie duzen sich alle untereinander?“, wollte ich dann beim Frühstück wissen.

„Ja sicherlich, das sorgt für eine wesentlich angenehmere Arbeitsatmosphäre und ist nicht so steif wie die deutsche Korrektheit.“

Nun, da musste ich ihr zustimmen, doch fragte ich mich, wie die Hierarchie in dieser Institution wohl genau aussah. Gestern hatte es den Anschein, als sei sie nur vom Servicepersonal und heute schien sie einen ganz anderen Status zu haben. Nun, es wird wohl nicht die letzte Überraschung hier gewesen sein.

Wir unterhielten uns noch eine Zeit lang zwanglos über relativ unwichtige Dinge.

„Ich denke, ich sollte Sie jetzt zu Siegfried bringen.“

Lichterbrache erwartete mich bereits.

„Guten Morgen, Herr Reburas, ich hoffe, Sie waren mit Ihrer Begleitung zufrieden.“

„Doch, es war sehr angenehm.“

Er lächelte, als habe er keine andere Antwort erwartet. „Nun, dann lassen Sie uns mit der Arbeit beginnen.“ Er wies auf die lederne Sitzgruppe.

„Soll ich mich auf die Couch legen?“

„Oh nein, wir betreiben ja keine Psychoanalyse, aber ich denke, es ist bequemer, als wenn man den Schreibtisch zwischen uns hat.“

Als wir beide Platz genommen hatten, fing er unvermittelt an zu fragen. „Sie bezeichnen sich also als Misanthrop. Was führt Sie zu dieser Einschätzung der Menschen?“

„Ich vermute meine schwere Kindheit und das Gefühl des Nichtdazugehörens in der Jugend“, log ich, um mir noch ein bisschen Privatsphäre zu sichern.

Lichterbrache schüttelte tadelnd den Kopf. „Im Gegenteil, sie hatten eine sehr glückliche Kindheit und die Isolation in Ihrer Jugend war frei gewählt und nicht von außen übergestülpt. Wenn wir zusammenarbeiten sollen, erwarte ich 100% Ehrlichkeit, sonst bringt das alles nichts.“

Ich hätte es wissen müssen, warum fragte er überhaupt, wenn er eh schon alles im Voraus wusste. Aber ich versprach ihm meine Kooperation. „Ich denke dies war ein langer Prozess, der durch viele Enttäuschungen im Umgang mit anderen Menschen, vor allem in Krisensituationen, resultierte.“

„Sie sprechen da den Tod Ihrer Mutter an?“

„Nicht nur, aber dies war gewissermaßen das Ereignis, das vermutlich ausschlaggebend war.“

„Und das Verhalten Ihres Vaters in der Folgezeit?“

„Dies hat die Einschätzung weiter verfestigt.“ Woher wusste er das nur alles?

„Weshalb verachten Sie Ihre Mitmenschen?“

„Weil sie sich für die Krone der Schöpfung halten und täglich ihre ganze Umwelt ausbeuten und systematisch an deren Vernichtung arbeiten. Sie verursachen unendlich viel Leid sowohl in der eigenen Spezies als auch gegenüber ihren Mitgeschöpfen. Dies ist kein Verhalten, das man von einem vernunftbegabten Geschöpf erwartet. Darüber hinaus sind die Menschen noch ignorant und wollen nicht auf irgendwelche Fehler aufmerksam gemacht werden. Und wenn, dann sind sie zu bequem, um etwas zu ändern. Der Mensch ist so von sich überzeugt und eingenommen, dass er nicht sieht, dass sein Verhalten nicht nur seinen Untergang, sondern auch den Untergang des Planeten bedeutet.“

„Ist dies der Grund, warum Sie sich vegan ernähren?“

„Ich lebe vegan, weil ich dieses Leid, das der Mensch für ein paar Annehmlichkeiten billigend in Kauf nimmt, in der Form nicht länger mittragen will. Kein Ei, Milchprodukt oder Honig kann mir so gut schmecken, dass ich mich hierfür an dem ganzen Unrecht gegenüber anderen fühlenden Wesen beteilige. Außerdem ist die vegane Lebensweise eine Form des Widerstandes gegen ein Großteil des menschlichen Selbstverständnisses.“

„Somit ist Ihr Veganismus auch misanthrop geprägt?“

„Ja unbedingt.“

„Wenn es nur um die Tiere ging, dann wäre doch auch einfach eine vegetarische Lebensweise denkbar.“

„Nein, da man Fleischkonsum nicht unabhängig von Milch- und Ei-Wirtschaft betrachten kann. Ein Verzicht auf Fleisch verringert das Leid kein bisschen, es verlagert dieses nur, da man seinen Fleischverzicht meist mit einem Mehrkonsum an Milchprodukten, vor allem an Käse, kompensiert. Die meisten Menschen machen sich nicht einmal bewusst, unter was für Bedingungen die Tiere gehalten werden, ihnen geht es nur darum, dass sich die Preise dafür nicht erhöhen.“

„Dann müssten Sie doch eigentlich die Produktion von Bio-Produkten und artgerechte Tierhaltung befürworten?“

„Meiner Ansicht nach verringern die Bio-Höfe nur den Grad der Ausbeutung, die Ausbeutung an sich bleibt bestehen. Und wie kann sich der Mensch anmaßen, was denn artgerecht ist, wenn er nicht mal mit seiner eigenen Art gerecht umgehen kann?“

„Was würden Sie tun, um diese Situation zu verbessern?“

„Sämtliche landwirtschaftliche Subventionen abschaffen und den Milchpreis auf drei Euro herauf setzen. Das Gleiche, was beim Benzinpreis gilt, gilt auch hier in verschärfter Form. Außerdem würde ich keine Nachzüchtungen mehr zulassen.“

„Wo finge dann bei Ihnen wirksamer Umweltschutz an?“

„Bei einer nachhaltigen Reduzierung der menschlichen Spezies.“

„Und die würde wie aussehen?“

„Ein Fortpflanzungsverbot für alle Menschen, unterstützt durch Sterilisationsprogramme.“

„Würden Sie dabei den Anfang machen, würden Sie sich selbst sterilisieren lassen?“

„Das habe ich bereits, meine Vasektomie liegt ein halbes Jahr zurück.“

„Wenn Sie einen solchen Hass auf die Menschheit empfinden, müssten sie sich dann nicht auch selbst hassen?“

„Nun, das tue ich, denn mittlerweile habe ich sehr große Anforderungen an meine Mitmenschen, die so gut wie nie erfüllt werden. Die gleichen Anforderungen lege ich auch an mich an und auch ich kann sie nicht immer erfüllen. Mein Leben ist genau so viel wert wie das eines jeden anderen Menschen auch, nämlich gar nichts.“

„Nun, das ist sehr interessant, ich freue mich schon auf unser Gespräch heute Nachmittag.“

Ich stutzte. „Sie fragen mich hier über Dinge aus, die Sie vermutlich ohnehin schon wissen und ich weiß bisher immer noch nicht, was sie mir eigentlich sagen wollen.“

„Es ist nicht ganz richtig, dass ich das alles schon wusste. Einiges war mir bekannt, aber nicht im Detail, anderes war mir auch neu. Und ich sagte Ihnen doch, dass wir erst ein paar Dinge über Sie erfahren wollen und in einem zweiten Schritt werden wir Ihnen alles offenbaren, was wir wissen. So war die Abmachung, die wir gestern getroffen haben.“

„Nun gut“, fügte ich mich.

Wir verabschiedeten uns und als ich den Raum verließ, wartete Nicole schon auf mich.

„Wollen wir?“, fragte sie und hakte sich bei mir ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

Das Mittagessen war vorzüglich und bei dem anschließenden Spaziergang durch den Park, der vom Parkplatz aus wirklich nicht zu sehen war, erfuhr ich einiges über die Geschichte von Nuda Veritas.

Die Stiftung wurde in den 50er Jahren von einem Industriellen namens Erich Hofer gegründet. Seine Ehe war kinderlos geblieben und nach dem frühen Tod seiner Frau zog er sich später 60-jährig aus dem Geschäftsleben zurück, verkaufte seinen sämtlichen Besitz bis auf eben das Firmengelände und gründete die Stiftung mit dem bezeichnenden Namen. Im Laufe der Jahre hatte die Stiftung ein beträchtliches Vermögen angesammelt, so dass das große Fabrikgebäude umgebaut werden konnte. Davor war sie in dem wesentlich unscheinbareren Backsteinhaus gegenüber untergebracht gewesen. Auch der Park wurde erst Mitte der 60er Jahre angelegt und seitdem ständig ausgebaut. Obwohl die Stiftung weltweit Mitarbeiter beschäftigte, gab es keine zweite Niederlassung. Hier liefen also alle Fäden zusammen. Dafür fand ich es überraschend ruhig. Nach dem Stiftungszweck gefragt, antwortete Nicole nur ausweichend. Sie habe sich die Erforschung des Metaphysischen auf die Fahne geschrieben. Irgendwie sah sich niemand im Stande, mir auch nur eine einigermaßen plausible Erklärung zu geben, um was es hier ging und was ich hier sollte. Sie merkte mir meine Unzufriedenheit wohl an, blieb stehen und sagte mir: „Gedulden Sie sich noch ein bisschen. Bald schon werden Sie mehr wissen und dann werden Sie unsere Vorsicht verstehen.“

Vorsicht? Warum mussten sie hier vorsichtig sein? Es gab etliche Stiftungen, Vereine und Institutionen, die sich mit eben solchen Dingen beschäftigten. Die größte, die mir einfiel, war die Anthroposophische Gesellschaft, aber auch die Freimaurer und Rosenkreuzer machten nicht so ein Aufhebens um ihre Arbeit. Entweder war hier etwas gehörig faul oder das Ganze war eine einzige Schmierenkomödie. Der dritte Grund fiel mir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal im Traum ein.

Der Nachmittag verlief nicht wesentlich anders als der Vormittag. Lichterbrache fragte hauptsächlich und ich gab ihm meine Antworten, mehr oder weniger detailliert. Ich habe es längst aufgegeben zu fragen, was denn dahinter steckte. Diesmal war mein Vater das Thema.

„Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrem Vater beschreiben?“

„Abgekühlt, ich habe seit 3 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt.“

„Möchten Sie den Kontakt wieder aufleben lassen?“

„Also von meiner Seite besteht da keine Veranlassung.“

„Wie würden Sie Ihre Gefühle ihn betreffend beschreiben?“

„Ich glaube Hass und Verachtung trifft es am besten. Obwohl er mir die meiste Zeit über gleichgültig ist, aber positive Gefühle hege ich keine für ihn.“

„Haben diese starken negativen Gefühle etwas mit dem Tod ihrer Mutter zu tun?“

„Ich habe den Eindruck, dass er sie zum Schluss vernachlässigt hat und die Zeit nach ihrem Tod war sicher nicht leicht, doch das war sie für Keinen in der Familie und da hat er sein wahres Gesicht gezeigt. Sich von allen abgewandt, mit Füßen getreten, ausgenutzt und weggeworfen.“

„Und wie standen Sie zu ihm als Ihre Mutter noch lebte?“

„Wir hatten nie ein sehr inniges Verhältnis zueinander, unsere Beziehung wurde immer besser je mehr Kilometer zwischen uns lagen.“

„Was wäre Ihr erster Gedanke, wenn Sie vom Tod Ihres Vaters erführen?“

„Wie ich um die Beerdigungskosten herum komme.“

„Sein Tod an sich würde Sie nicht berühren?“

„Nein, er ist mir inzwischen höchstens gleichgültig. Aufgrund der teilweise sehr starken negativen Gefühle wäre ich nicht sicher, ob mir sein Tod nicht auch Genugtuung verschaffen würde.“

So ging es eine Weile hin und her. Am Ende schien Lichterbrache deutlich zufrieden mit dem Ergebnis des Gesprächs zu sein. Bisher konnte ich in dem Ganzen noch keinen richtigen Sinn entdecken, vor allem wenn man bedachte, dass hier eigentlich metaphysische Forschungen durchgeführt wurden.

Erwartungsgemäß wartete Nicole wieder auf mich vor Lichterbraches Büro, um mich zum Abendessen zu begleiten. So langsam fing ich an, Ihre Gesellschaft zu genießen.

Ein Hauch von Nemesis

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