Читать книгу Ein Hauch von Nemesis - S.F. Chartula - Страница 9

Fahrt ins Ungewisse

Оглавление

Langsam öffnete ich meine Augen und sah alles nur verschwommen, wie durch eine riesige Milchglasscheibe, doch allmählich gewann meine Umgebung an Kontur. Im Gegenzug spürte ich nun aber meinen Kopf, der lautstark auf sich aufmerksam machte. Irgendetwas schlug dauernd gegen meinen Kopf, was meine Schmerzen auch nicht wesentlich nahm. Es brauchte eine ganze Weile, bis ich mir meiner Situation bewusst geworden war: ich kauerte auf dem Rücksitz eines Autos und mein Kopf schlug wegen der schlechten Straßenverhältnisse beständig gegen die Scheibe. Ich wollte mich in eine bequeme Position bringen, da merkte ich, dass ich gefesselt war, meine Hände waren auf meinen Rücken gebunden. Mühsam richtete ich mich notdürftig auf und langsam kamen die Erinnerungen zurück; der komische Besuch dieser beiden unterschiedlichen Männer, die wirre Reden, um mich zum Mitgehen zu bewegen und schließlich, wie sie mich betäubt hatten.

„Er kommt zu sich“, raunte es von vorn.

„Das wurde aber auch Zeit, hab Dir doch gesagt, Du sollst nicht so viel von dem Zeug nehmen, irgendwann bringst Du noch jemand um.“ Das war eindeutig die Stimme des Südländers, selbst als er mit seinem Partner sprach, konnte er seinen Singsang nicht ablegen. Er drehte sich nach hinten und lächelte mich an. „Es tut mir leid, Herr Reburas, dass Sie jetzt wegen uns einige Unannehmlichkeiten haben, doch leider war es uns nicht erlaubt, unverrichteter Dinge abzuziehen.“

Benommen schaute ich nach vorn zu den Stimmen, die mich irgendwie in ihr Gespräch einbeziehen wollten, ohne dass ich recht dessen Sinn verstand. Ich möchte auf das Gesagte, das ja irgendwie für mich bestimmt war, etwas entgegnen, doch kaum versuchte ich meine Gedanken zu sortieren und in eine einigermaßen sinnvolle Richtung zu lenken, merkte ich wie sich wieder die Finsternis über mich senkte und ich, trotz aller Kraft, die ich aufwendete, wieder wegdämmerte. Wie aus weiter Ferne und als ob er nicht zu mir gehören würde, spürte ich, wie mein Kopf gegen die Scheibe knallte.

Immer wieder wachte ich aus meiner ungewollten Müdigkeit auf, doch leider gelang es mir nicht, trotz aller Anstrengungen, lange bei Bewusstsein zu bleiben. Zumindest nicht lange genug, um mich auch nur einigermaßen zu orientieren oder zu sehen, wohin wir fuhren. So sehr ich auch meine gesamte Willensanstrengung aufbrachte, gelang es mir nicht, die anhaltende Müdigkeit zu bekämpfen. Ich fiel also noch bestimmt zweimal in diese besondere Form des ungesunden Schlafs, bevor es mir endlich gelang, mich wach zu halten. Wobei wach nur sehr vage meinen Zustand umschrieb: Ich war zwar nun bei Bewusstsein, doch fühlte ich mich dermaßen umnebelt, dass es mir schwer fiel, die Augen lange genug offen zu halten, um erkennen zu können, wo wir uns befanden und wohin wir unterwegs waren. Ich nahm immer nur irgendwelche Landschaftsfetzen wahr, als ich apathisch aus dem Fenster starrte. Auch habe ich es aufgegeben, etwas an meiner Sitzposition zu ändern, da mich sowohl die Fesseln daran hinderten, mich in eine einigermaßen bequeme Position zu bringen, als auch dies eine zu große Anstrengung bedeutet hätte. Ich war ja gerade dazu im Stande nicht ständig wegzudämmern.

Geradezu verwunderlich war, dass ich dieser Situation, so neu und furchteinflößend sie eigentlich hätte sein sollen, doch mit einem gewissen Gleichmut gegenüber stand. Es schien mich gar nicht zu kümmern, was mit mir passierte oder warum eben dies geschah. Nun, es war sicherlich die Nachwirkung des Chloroforms oder weiß Gott, was mir die Kerle noch eingeflößt hatten. Andererseits war ich auch nicht in der Lage, sonderlich intensiv darüber nachzudenken.

Erst als der Wagen sich verlangsamte und in ein altes Fabrikgelände einbog, schienen auch wieder die Lebensgeister zurück zu kommen. Mit einem Schlag wurde mir meine derzeitige Lage bewusst und ich begann auch wieder klarer im Kopf zu werden. In einer anderen Situation hätte man das Gebäude beinahe als schön empfunden. Es war keine dieser neueren, betonklotzförmigen architektonischen Meisterleistungen, sondern noch ein älteres, man wollte beinahe sagen, liebevoller geplantes Bauwerk. Zwar konnten die roten Backsteine nicht über die klobige Trutzigkeit hinweg täuschen, doch wurde diese reine Zweckmäßigkeit immer wieder durch Türmchen oder angedeutete Zinnen durchbrochen. Auf eine sehr subtile Art, war dieser Bau schön zu nennen und auch durchaus dazu angetan, irgendwann einmal in Wohnraum umgewandelt zu werden. Ich blickte mich um und erkannte noch weitere Backsteinbauten, die jedoch im Vergleich zu dem Hauptgebäude von erstaunlich zurückhaltender Architektur waren. Vermutlich handelte es sich bei ihnen um ehemalige Bürogebäude oder Arbeiterwohnungen. Alles machte einen verlassenen, aber sehr gepflegten, Eindruck. Erst auf den zweiten Blick fiel mir auf, dass dieses Areal, so ganz untypisch für Industriegebäude, gänzlich abgelegen mitten in der Landschaft stand. Es gab weder eine Schienenanbindung noch lag es an einer größeren Straße. Im Gegenteil, man musste auf einem recht kleinen Sträßchen erst einige Kilometer zurücklegen, bevor man wieder an die Hauptstraße kam.

„Hilfst Du unserem Gast bitte beim Aussteigen“, meldete sich wieder die Singsang-Stimme Carlettos, die mir nicht nur langsam auf die Nerven ging, sondern auch zunehmend Kopfschmerzen verursachte. „Und sei dieses Mal bitte nicht so grob.“

Johannson brummte etwas. So langsam bezweifelte ich, dass sich sein aktiver Wortschatz auf mehr als 20 Worte belief, wobei das wohl schon eine recht optimistische Schätzung war.

Johannson stieg also aus und knallte seine Tür mit einem solchen Schwung zu, der meinen Kopfschmerzen nicht gerade zuträglich war. Als er um das Auto herumgestapft war, riss er meine Tür auf. Trotz Carlettos Ankündigung war ich nicht darauf gefasst und da ich immer noch halbwegs an der Tür lehnte, fiel ich seitlich aus dem Auto heraus, durch die gefesselten Hände nicht fähig, mich irgendwie abzufangen. Doch was Johannson an Kommunikationsfähigkeit fehlte, machte er an Reaktionsgeschwindigkeit wieder wett. So fing er mich mit einem Griff an den Kragen auf, packte mich unter den Armen und zog mich so äußerst unsanft aus dem Wagen und stellte mich mit einer fließenden Bewegung auf die Beine. Wenn das nicht grob war, dann wollte ich ihn nicht erleben, wenn er sich mal keine Mühe gab.

„Wenn Sie mir bitte folgen würden. Und verzeihen Sie nochmals bitte die Unannehmlichkeiten.“ Carletto war inzwischen auch ausgestiegen und wandte sich direkt an mich. Kurzfristig war ich in der Versuchung, ihm eine böse Entgegnung ins Gesicht zu schleudern. Doch die Vernunft in mir siegte, ich schluckte sie herunter und nickte stattdessen nur.

„Na, dann wollen wir mal.“ Irrte ich mich oder hatte sich mit diesem Satz eben Johannsons Vokabular verdoppelt? Vielleicht schätzte ich ihn gänzlich falsch ein und er war ein rethorisch geschulter Demagoge. Doch diese Überlegungen machte er gleich wieder zunichte, indem er mir einen ordentlichen Klaps auf die Schulter gab. Dies veranlasste mich ein paar schnelle Schritte nach vorne zu machen, um nicht auf der Nase zu landen.

Nach einem tadelnden Blick in Johannsons Richtung machte sich Carletto auf, die Führung unseres ungleichen Triumvirats zu übernehmen. Da mir das Vorrecht zuteil wurde, in der Mitte zu gehen, rechnete ich mit weiteren Attacken von meinem Hintermann, die jedoch überraschenderweise ausblieben.

Die paar Meter, die wir brauchten, um das Fabrikgebäude zu erreichen, genügten, um mir in den grausamsten Farben auszumalen, was mit mir passieren sollte. Eine Lösegeldforderung habe ich von vorne herein ausgeschlossen, da weder ich noch irgendwelche Freunde oder Verwandte relativ wohlhabend waren. Auch war ich nicht im Besitz irgendwelcher geheimer Formeln zur Erschaffung von geklonten Soldaten, thermonuklearen Geheimwaffen oder sonstiger Erfindungen, die die Weltherrschaft sichern würden. Zumindest war ich nicht wissentlich im Besitz solcher Formeln. Was käme sonst noch in Betracht? Vielleicht ein Kannibale, der mit mir speisen wollte? Auch von solchen Fällen hatte man schon gehört. Oder wollte ein Serientäter mit mir seiner Philosophie Ausdruck verleihen und mich in gewisser Weise als Collage für die Verderbtheit der Menschen drapieren? Aber würde er in einem solchen Fall Personal beschäftigen? Foltervideos für wohlhabende Investoren wäre ja beinahe noch der realistischste Grund für meine Anwesenheit. Es war nicht so, dass ich Angst vor dem Tod oder dem Sterben hatte. Oftmals ersehnte ich ihn sogar. In letzter Zeit zwar etwas seltener, aber immer noch. Aber ich wollte bestimmt nicht auf einem abgelegenen Fabrikgebäude zur höheren Freude irgendeines Menschen, dessen Geist noch kränker war als der meine, mein Leben beendet wissen. Ein bisschen mehr Selbstbestimmung wäre schon schön gewesen. Während ich mich also auf die Folterinstrumente, die hinter den Türen des vor mir liegenden Gebäudes auf mich warteten, vorbereitete und mir überlegte, wie ein möglicher Fluchtversuch aussehen könnte, durchschritten meine zwei Begleiter mit mir im Schlepptau die Eingangstüren, die überraschend luxuriös gestaltet waren. Auf alles war ich vorbereitet, aber nicht auf das, was mich nun erwartete...

Ein Hauch von Nemesis

Подняться наверх