Читать книгу Ein Hauch von Nemesis - S.F. Chartula - Страница 5

Prolog

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Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen man schon am Morgen wusste, dass der Tag nichts wirklich Gutes für einen bereit hielt. Man wachte mit dieser unbestimmten Angst auf, die so unwirklich war, dass man sie nicht packen konnte, aber auch wieder zu wirklich, um sie gänzlich zu ignorieren. Man drehte sich nochmals um und grübelte im Halbschlaf (na was sollten da auch schon für stichhaltige Erkenntnisse herauskommen) darüber nach und wollte einfach versuchen, diese Angst zu packen. Oder man suchte nach einem Grund nicht aufstehen zu müssen, aber irgendwie lief beides ins Leere, weil irgendwann doch die vermeintliche Vernunft obsiegte und schon ein paar Minuten später versuchte man unter Aufbietung seiner gesamten Ratio diese unbestimmbaren Ängste fort zu wischen und trauerte lediglich nur noch dem warmen Bett nach, das verlassen hatte und für das die heiße Dusche irgendwie nie so recht einen gleichwertigen Ersatz darstellte, obwohl man es sich jeden Morgen aufs Neue einzureden versuchte. Man stellte sich also auch wieder an jenem Tag der Realität und bedachte dabei nicht, dass das viel beschworene Schicksal oftmals gar nicht so viele Mittel zur Verfügung hatte, einen zu warnen, oftmals stand ihm dafür eben nur eine kleine unbestimmte Angst zur Verfügung.

Aber ich besann mich eines Besseren, ließ die Nacht und ihre Träume und Alpträume im Schlafzimmer zurück (das immer noch eine starke Anziehungskraft ausübte, obwohl ich mich bereits für die kalte, harte, grausame, aber eben vor allem gefühlstote Wirklichkeit entschieden hatte). Es kam mir so vor, als ob die Dusche mit jedem Morgen kälter wurde, unwirtlicher und ungemütlicher, naja kalt duschen sollte ja den Kreislauf anregen. Ob das auch für nur gefühlte Kälte galt? Nun ja, ich wollte es mal annehmen und belog mich zu meinen Gunsten einmal mehr, schließlich tat man ja was für seine Gesundheit. Nach einem langen inneren Zwiegespräch, ob ich die Dusche wirklich verlassen sollte, entschloss ich mich doch dazu, nun vollends in die feindliche Welt hinaus zu treten. Beim Abtrocknen bemerkte ich, dass die Dusche doch gar nicht so kalt war, zumindest jetzt nicht mehr, wo man so den direkten Vergleich hatte. Aber jetzt nochmal sich Abbrausen wäre ja eigentlich Blödsinn, oder? Ich wog nochmals diese Option ab, aber abermals siegte der Verstand und ich kleidete mich vollends an.

So, jetzt konnte der Tag kommen. Ein kleiner Blick auf die Uhr bestätigte, dass er dies auch tat und zwar schneller als mir lieb war. Okay, also schnell Zähne putzen, rasieren, Schuhe anziehen. Frühstück musste leider ausfallen, aber ich hatte ja eh keinen Hunger. Wäre eh nicht gesund morgens zu viel zu essen; könnte auch abends gewesen sein. Ich wusste es nicht mehr so genau, aber man redete sich halt seine eigenen Verhaltensweisen schön und bald glaubte man sich auch seine eigenen Lügen, sie mussten dann nicht mal mehr sonderlich raffiniert sein. Es reichte, wenn sie bequem waren.

So, jetzt die Jacke geschnappt, die Tasche (die man in weiser Voraussicht bereits am Abend gepackt hatte, irgendwie durchschaute man seine Selbstbetrügereien dann doch) unter den Arm geklemmt und raus, um noch den Bus zu kriegen. Ein Blick auf die Uhr gab Sicherheit: man befand sich in der täglichen Routine, das heißt man war mal wieder viel zu spät dran und überlegte sich schon die ersten Ausreden, während man zu laufen anfing.

Ich bog gerade ums Eck, da machte das der Bus auch, doch leider aus der anderen Richtung, was hieß, dass noch gut 300 Meter zwischen uns lagen. Keine Unmöglichkeit diese Distanz zu überwinden und den Bus noch zu erwischen, allerdings nur unter der Prämisse, dass noch genügend Leute, die pünktlich waren, an der Haltestelle warteten. Taten sie auch. Ich erwischte also gerade noch mein Fortbewegungsmittel und ließ mich auf eine leere Sitzreihe fallen, warf meine Tasche neben mich und entleerte damit den ganzen Inhalt auf dem Sitz. Ach ja richtig, hatte gestern die Tasche ja offen gelassen, weil ich noch meine Verpflegung mitnehmen wollte, die nun noch wohlbehalten zu Hause im Kühlschrank lag. Naja ok, ich wollte eh abnehmen, ein bisschen zumindest. Und das entsprach ausnahmsweise einmal der Wahrheit, nur leider hielt dieser Vorsatz nicht lange genug an, um auch Wirkung zeigen zu können. Ich kannte mich: spätestens zum Mittag würde ich mir doch wieder etwas zu Essen holen und weil der Magen dann so knurrte, würde dies dann wieder üppiger ausfallen als ich eigentlich wollte. Eigentlich sollte ich mir jetzt schon eine Ausrede deswegen überlegen, also eine die auch Hand und Fuß hatte, nicht so eine schnell formulierte, die ich anfangs noch zehn Mal wiederholen musste, bis ich mir selbst ansatzweise Glauben schenkte. Aber nein, ich ging ja davon aus, dass ich heute eisern durchhielt, bis ich wieder zu Hause war. Ausgerechnet heute? Was unterschied denn heute von den letzten Tagen?

Meine Habseligkeiten befanden sich nun wieder im Innern meiner Tasche und ich kam kurz ins Sinnieren: In all dem Chaos hatten meine Tage doch etwas beruhigend Wiederkehrendes, man könnte fast eine gewisse Kontinuität darin entdecken. Ich sagte schon, dass ich mir manchmal die Tatsachen schön redete.

Da sich die Busfahrt noch etwas hinzog, beschloss ich, mich noch ein wenig meinem Mp3-Player zu widmen, nicht dass er besonders liebesbedürftig wäre, aber ich musste so ein teures Gerät ja auch nutzen, wenn ich schon meinte, ich bräuchte es unbedingt. Ja ich gestehe, dass ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn einen iPOD zugelegt hatte, der nach 2 Jahren allerdings auch schon wieder hoffnungslos veraltet war. Aber es gab ja wirklich Zeiten, wo man dachte, man könnte ohne einen Mp3-Player, der mindestens 120 GB Festplattenspeicher besaß, nicht mehr adäquat weiterleben, zumindest nicht ohne gehörige Einbußen der Lebensqualität hinnehmen zu müssen. 120 Gigabyte! Vor ein paar Jahren hatte ich nicht mal einen Computer, der so einen Speicher hatte. Und wann kam man schon mal in die Verlegenheit für drei Wochen nonstop Musik dabei haben zu müssen. Und im eigentlichen Sinne waren diese Geräte auch nicht dazu angetan, die Legalität von digitaler Musik zu fördern. Wer kaufte sich schon jeden Monat hundert Alben, um die immer mit sich herumschleppen zu können. Und ein Gerät, das nicht mal zu 5% voll gestopft war, war auch irgendwie eine Fehlinvestition. So auch bei mir: mittlerweile belegte meine gesamte Musik schon immerhin fast 40% des Speichers, man sieht die Anschaffung war notwendig und unumgänglich. Außerdem empfand ich den Gebrauch meines iPODs auch irgendwie ambivalent: Zum einen war es schon ein schickes Gerät von einer gewissen Qualität, andererseits störten aber auch die neidischen Blicke, wenn man es auspackte oder die unterstellte Überheblichkeit, dass man so ein Gerät nötig hatte. Man fühlte sich einfach snobistisch. Snobistisch kramte ich also das Gerät hervor und hörte so wenigstens noch die letzten paar Minuten ein bisschen Musik, als ob das allein schon der Garant für einen gelungenen Tag wäre. War es an den meisten Tagen ja eben gerade nicht, wobei ich nicht unbedingt glaubte, dass ausschließlich die Musik am Misslingen Schuld war. Obwohl. Diese Begründung könnte ich doch auch noch in mein Repertoire der Selbstbetrügereien aufnehmen, obwohl es selbst mich einige Anstrengungen kosten würde, mir das irgendwie plausibel einzureden. Aber vielleicht war auch einfach nur mein Player mit einem Fluch beladen, der sich bei jeder Benutzung mit aller Kraft auf den Hörenden übertrug? Hm, müsste man mal drüber nachdenken.

Allerdings wäre es auch etwas einfach, meinen derzeitigen Gefühlszustand, wobei derzeitig mal wieder eine sich stetig verändernde Variable war, mit so einfachen Erklärungen wie Fluch oder Schicksal einen Sinn geben zu wollen. Es wäre ein weiterer Versuch vor einer wirklichen und ernst gemeinten Konfrontation mit sich selbst erneut zu fliehen und sich nicht in aller Klarheit und vor allem mit der nötigen Konsequenz mit sich selbst auseinander setzen zu müssen.

Wie die letzten Töne in meinem Ohr verklungen waren, stieg sie wieder auf, diese unbestimmte Angst, die einen einmal mehr begleitete und die man schon fast vergessen zu haben glaubte. Ich bemühte mich nicht, sie zu definieren oder auch nur annähernd zu packen, ich wollte mich im Moment nicht mit ihr und damit gezwungenermaßen auch mit mir auseinandersetzen. Also drängte ich sie beiseite, was natürlich in keinster Weise eine angemessene Reaktion war, jedoch war es Routine und somit schon wieder ein kleiner Selbstbetrug: Ja, ich werde mich mit Dir in aller Ruhe befassen, wenn ich Zeit dafür fände, redete ich mir ein, wohl wissend, dass sich diese Zeit für eben diesen Zweck niemals einstellen würde, solange ich nicht selbst dafür Sorge trug, dass dem auch so war, was ich aber letztendlich doch nicht tun würde. Ich kannte mich.

Ob dieser Gedanken schüttelte ich meinen Kopf, wie um sie aus meinem Inneren zu vertreiben, etwas zu heftig; dies bewirkte zwar nicht, dass sich meine Gedanken wieder zurückzogen, dafür aber, dass ich einige ungläubige Blicke von den anderen Fahrgästen erhielt, die nun ihrerseits, aber weniger heftig, den Kopf schüttelten. Auch eine gewohnte, fast schon routinierte Situation.

Irgendwie schien sich sowieso das gesamte menschliche Leben auf einige Grundroutinen zurückführen zu lassen: Geburt, Schule, Ausbildung, Arbeit, Familie, Grundbesitz, Tod. Alles lief in genau festgelegten Bahnen ab, in denen der Einzelne relativ wenig bis keinen Gestaltungsspielraum hatte. Und jeder Ausbruch aus diesem festgelegten Muster wurde schon als absonderlich abgetan. Nur gut, dass niemand einen Blick in mein Inneres werfen würde, wie sollte mich je jemand verstehen, wenn ich dies die meiste Zeit selbst nicht tat.

Aber es war Zeit auszusteigen, also packte ich mein snobistisches Gerät wieder in meine Tasche, warf mir diese über die Schulter und verließ den Bus, um einmal mehr wieder eine Gedächtnisstütze der besonderen Art zu bekommen. Plötzlich wurde mir wieder bewusst, dass ich mir eigentlich schon längst einen dieser kleinen praktischen Taschenschirme zulegen wollte, die genau für solche Situationen wie die jetzige geschaffen wurden. Da half es nur, den Kragen etwas hoch zu schlagen und den Kopf einzuziehen. So schlimm war es ja nicht, es regnete ja noch nicht mal richtig, sagte ich mir. Doch kaum hatte ich den Satz in Gedanken ausgesprochen und als habe das Wetter nur auf diese Reaktion gewartet, um mir meinen Irrtum einmal mehr vor Augen zu führen, wurden die Tropfen dicker und sie schienen nun auch schneller auf mich herab zu fallen. Was blieb mir also, als den Schritt zu beschleunigen und nicht darauf zu achten, dass der Mantel sich langsam schwerer anfühlte und doch einiges seiner vorherigen Behaglichkeit verloren hatte. Wie zum Trotz, um mir selbst zu beweisen, dass ich mich auch von solch widrigen Umständen nicht unterkriegen ließ, reckte ich den Kopf etwas höher und schimpfte und fluchte auf den Großen Regenmacher da oben, forderte ihn weiter heraus und verlachte ihn dabei, als das Wetter nicht noch schlechter wurde. Wenn ich mich dann bei dem Gespräch mit Wesen ertappte, an die ich eigentlich nicht glaubte, wurde mir wieder einmal die ganze Irrsinnigkeit des Gesagten bewusst, die ich nicht einmal gutgläubig mit Selbstgesprächen entschuldigen konnte.

Nach unendlich langem Gemurmel und mantrahaften Verwünschungen sämtlicher lebenden oder schon verstorbenen und abgelösten überirdischen Wesenheiten oder deren Stellvertreter, kam ich endlich im Büro an. Deutlich durchnässt und mit zunehmender schlechter Laune, die sich seit Verlassen des Hauses nochmals deutlich gesteigert hatte, passierte ich die Pforte und reihte mich ein in die gesichtslose Phalanx mehr oder minder motivierter Bürohengste, die so von der Wichtigkeit Ihres Tuns überzeugt zu sein schienen, dass man beinahe glauben könnte, sie arbeiteten für eine höhere Sache als der bloßen Gewinnmaximierung eines Konzerns. Der Eifer und die Geschäftigkeit, die Dienstbeflissenheit und der bedingungslose Gehorsam ließen keinen Zweifel mehr daran, dass jenseits der Rente bereits das Paradies auf diese altgedienten Kämpen wartete, wenn nicht gar ein Plätzchen zur Rechten des Großen Regenmachers selbst.

Sei es drum, ich stieg tief hinab in die alltägliche Routine dieser Hallen, murmelte das obligatorische „Morgen“, wenn mir jemand über den Weg lief, begab mich ähnlich motiviert scheinend an meinen Arbeitsplatz und begann mit den mir übertragenen Aufgaben. Leider konnte ich Ihnen im Vergleich zu meinen Kollegen keinen höheren Sinn entnehmen, außer dass sie dazu beitrugen, magere Vorstandsgehälter aufzubessern. Nun, ich leistete meinen, wenn auch bescheidenen, Beitrag an der weiteren Ressourcenausnutzung unseres Planeten, während ich meine Kollegen über Umweltschutz schimpfen hörte und dass dies doch alles nichts brächte und nur Geldmacherei wäre. Ich schluckte eine böse Erwiderung hinunter und widmete mich erneut meiner Aufgabe, mich gleichwohl dafür hassend, täglich gegen meine innersten Überzeugungen zu handeln, nur damit ich am Monatsende meine Miete und sonstige Annehmlichkeiten einer modernen Industriegesellschaft aufzubringen im Stande war.

Ich versuchte weitestgehend die Gespräche meiner natürlich hochgeschätzten Kollegen auszublenden und mich nicht zu bissigen Bemerkungen hinreißen zu lassen, die ohne dass sie intellektuell im Großhirn des Gegenübers ankommen und verarbeitet wurden, sowieso gleich in ein ignorantes Nirwana entschwänden, begleitet von einem unverständigen Kopfschütteln.

Die Routine rettete mich über den Vormittag hinweg und ich wappnete mich für das nächste Ritual: die Mittagspause. Wieder tigerte ich durch die Gänge, hauchte jedem das erwartete und doch so sinnfreie „Mahlzeit“ entgegen und fragte mich, wer diese scheinbar unverzichtbare Verhaltensweise erfunden haben mochte.

Ich verzichtete jedenfalls darauf, dem Herdentrieb in die Mastabteilung der Kantine zu folgen, deren erklärtes Ziel es war, sämtliche Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie in kaum kaschierter Form einmal mehr den Stoffwechselprozessen zuzuführen und damit der Pharmaindustrie durch Verfettung, adipöse Tendenzen, Herzinfarkte und viele weiterer angenehmer Nebenerscheinungen der viel gelobten Zivilisation zuzuarbeiten. Die Entscheidung, diesen Genusstempel menschlicher Ernährungsabgründe zu meiden, fiel mir nicht schwer, da ich so wenigstens den einfältigen, stupiden, heuchlerischen, ignoranten, selbstherrlichen und beweihräuchernden Gesprächen für eine halbe Stunde entfliehen konnte.

Ich entschied mich für einen Spaziergang und bewusst gegen den Kauf eines wie auch immer gearteten Mittagessens, so dass ich zumindest den am Morgen gefassten und durch die vergessene Verpflegung erzwungenen Entschluss in die Tat umsetzte und wenigstens dem Kontostand meiner bereits vollzogenen kleineren und größeren Selbstbetrügereien ein kleines Haben auf dem sonst so übergroßen in dicken roten Zahlen geschriebenen Soll hinzufügte.

Während ich also den gewohnten Weg einschlug, den ich zu diesen Zeiten immer zu nehmen pflegte – nicht einmal hier wurde ich vor der ritualhaften Routine verschont – hing ich meinen Gedanken nach, die einmal mehr um die Absurdität menschlichen Zusammenlebens und vor allem -arbeitens kreisten. Wem würde es schaden, wenn sämtliche so viel gelobten und scheinbar unersetzlichen zivilisatorischen Einrichtungen und Errungenschaften von heute auf morgen verschwänden und sich die Menschheit – was ja ohnehin unvermeidbar war – wieder in die Steinzeit katapultieren würde. Nun gut, die ganze Fehlentwicklung humanoider Engstirnig- und Charakterlosigkeit würde sich wiederholen, allerdings auf einem relativ primitiven Niveau, so dass der Planet endlich die Möglichkeit bekäme, einmal tief durchzuatmen und sich wirkungsvollere Abwehrmechanismen gegen diesen menschlichen Müll einfallen zu lassen als die bisher bekannten. Während ich noch darüber nachdachte, wie hierfür eine hinreichend notwendige Initialzündung aussehen könnte und welcher weiterer Voraussetzungen diese bedürfte, war ich unbewusst schon wieder am Ausgangspunkt meiner Reise in den eigenen Abgrund angelangt, zwar nicht bereit, doch aber gezwungen mich wieder in die gedankenlose Masse, der an einem höheren Werke arbeitenden Vertreter meiner Spezies einzureihen. Wieder kämpfte ich mich durch die Massen, die immer noch in ihre sinnlosen Gespräche vertieft waren, so dass die angenehme Stille nun durch eine Vielzahl von wispernden oder sich gegenseitig übertönenden Stimmen, die natürlich alle noch schnell die unendlich wichtigen Erzeugnisse ihres einfältigen Lebens vor allen, die es hören wollten oder die einfach dazu gezwungen sind es mitanhören zu müssen, ausbreiteten und auf Entgegnungen einfach mit einem Anheben der Stimme reagierten, um noch möglichst viele nutzlose und völlig nichtige Details breit möglichst zu streuen, als ob hierdurch ihrem bedauernswerten Leben irgendein Sinn verliehen würde. Ich fügte mich den Erwartungen, die wohl in irgendeiner allgemein verbindlichen Übereinkunft in einer anderen Zeit getroffen wurden, indem ich hier und da ein verständiges Nicken – zumindest hoffte ich, dass es als solches gewertet wurde – einfließen ließ. Ich gehorchte damit einfach den Vorgaben, die der Souverän an seine Untergebenen stellte, ohne deren Sinn wirklich zu begreifen, mit anderen Worten: ich funktionierte.

Kaum hatte ich meinen Arbeitsplatz erreicht, klemmte ich mich hinter meinen PC und gab mich geschäftig, um den letzten Anflügen von Smalltalk und Selbstdarstellung meiner Kollegen zu entgehen. Die zweite Hälfte des Tages schien irgendwie immer gnädiger zu sein und jeden Tag aufs Neue ein Einsehen mit mir zu haben, jedenfalls schien sie wesentlich schneller zu verstreichen als der Vormittag es zu tun pflegte. Vielleicht lag es auch daran, dass die Menschen um mich herum mittlerweile ihr ganzes Pulver verschossen hatten und nichts mehr aus ihrem armseligen Leben zu berichten wussten. Ich vernahm zwar noch hier und da den verzweifelten Versuch lustig zu sein, doch Humor ließ sich leider nicht erzwingen und so nahte auch dieser Nachmittag unwiderruflich seinem Ende entgegen.

Und abermals schlug mir die so viel geliebte Routine entgegen, wenn meine geschätzten Kollegen, wie jeden Tag, Punkt vier Feierabend machten, sich noch mit einem scheinbar lockeren, aber in Wahrheit total überflüssigen und witzlosen Spruch in den Feierabend verabschiedeten.

Ich genoss diese seltenen Momente der Ruhe, in denen ich allein im Büro saß und von nichts weiter gestört wurde als vom Brummen des PC-Lüfters. Es hatte etwas Wohltuendes, auch wenn ich noch etwas weiter arbeitete, war dies doch wesentlich angenehmer als den Belanglosigkeiten der anderen zuhören zu müssen.

Nach einer guten halben Stunde konzentrierten Arbeitens entschloss auch ich, mich auf den Nachhauseweg zu machen. Bedächtig schaltete ich meinen Computer aus, packte meine Sachen zusammen und verließ das Büro, das Gebäude, das Gelände.

Ein seltsames Gefühl von Freiheit beschlich mich als ich den ersten Schritt außerhalb des Geländes setzte, so in etwa musste sich Geborenwerden anfühlen, nur eben dass mich keiner Kopfüber hielt und mir auf den Allerwertesten klopfte. Obgleich mir auch nach einem kräftigen, initialen Schrei zumute wäre, der alles aus dieser frühabendlichen Lethargie riss.

Wie jeden Abend merkte ich, dass die morgendliche Angst verflogen war, an Ihre Stelle war eine erst stille, dann immer lauter werdende Wut getreten; eine Wut, die alles menschliche mit einschloss und die zuweilen in gemäßigten, sehr wohltuenden Hass umschlug. Ich musste dieses verachtenswerte Gefühl der Verachtung wohl einigermaßen deutlich nach außen getragen haben, denn alle, die meinen Weg kreuzten, machten mir Platz, so dass ich ungestört und in Gedanken meinen Weg zur Bahn fand.

Aber meine morgendliche Glückssträhne schien immer noch nicht abgerissen zu sein, denn wie gewöhnlich verpasste ich die Bahn um gerade zwei Minuten. Ich fügte mich, setzte mir die Kopfhörer auf und wartete. Nach zehn unendlich langen Minuten bequemte sich die Bahn dann doch noch zu kommen. Beim Einsteigen konnte ich mein Glück kaum fassen: Es gab noch leere Plätze! Ich sicherte mir einen und stellte meine Tasche demonstrativ neben mich. Jedoch war mein Glück nur von kurzer Dauer: Bereits an der nächsten Station stieg der im wahrsten Sinne fleischgewordene Alptraum einer jeden Heimfahrt ein: ein unförmiges ungefähr 200 Kilo wiegendes Stück Mensch stieg ein und bewegte sich zielsicher auf mich zu. Es gab überall genug Platz, aber nein ausgerechnet mich hatte er zu seinem Sozius auserkoren. Mit wulstigen Fingern zeigte er auf meine Tasche und offenbarte ein marodes Grinsen, gefolgt von einem: „Darf ich?“ Ich sah kurz auf und blickte in ein noch schwabbeligeres Gesicht als es der restliche Körper schon war. Ohne eine Antwort nur abzuwarten setzte er sich neben mich, ich konnte gerade noch meine Tasche unter seinem wie mir schien alles zermalmenden Arsch wegziehen. Ein kurzer Blick aus den Augenwinkeln zu meinem Gegenüber genügte, um mich gleich wieder voller Ekel abzuwenden: Nicht nur, dass man hier das genaue Ebenbild von Jabba the Hutt neben sich hatte, sein Aussehen wurde auch noch von seinem Körpergeruch übertroffen. Mir stieg dieser beißende Geruch von halbtrockenem Schweiß und kaltem Rauch in die Nase, der mich unweigerlich in Regionen von Übelkeit und Ekel führte. Aber nicht genug, er wandte sich mir zu und raunte: „Heiß heute, was?“ dabei entblößte er einen dermaßen maroden Mund, der eine Altersvorsorge für jeden Zahnarzt gewesen wäre. Mit seinen Worten schlug mir ein Schwall aus schlechtem Atem, Bier und Knoblauch entgegen. Angewidert wandte ich mich ab, schaltete meine Musik lauter und versuchte erst gar nicht, das aufkommende Gefühl eines misanthropen Anfalles zu bekämpfen. Nach unendlicher langer Fahrt, waren wir endlich am Bahnhof angelangt, jetzt nur noch eine kurze Busfahrt und dann endlich Ruhe. Ich stieg in den Bus und sah, dass, sollte ich einen Sitzplatz wollen, ich diesen mit irgendjemand teilen müsste. Mein Bedarf an menschlicher Nähe war für heute mehr als gedeckt und ich entschloss mich zu stehen. Nach 10 Minuten und fünfmal angerempelt werden (schlaue Designer hatten extra diese Stangen im Bus angebracht an denen man sich festhalten konnte, doch leider schien diese einzigartige Erfindung noch nicht Einzug in die meisten Köpfe erhalten zu haben) verließ ich den Bus.

Zuhause angekommen, drehte ich erst einmal meine Musik auf, fuhr meinen Computer hoch und pflegte ein paar Onlinekontakte, die in ihrer Unverbindlichkeit fast schon irreal erschienen. Nun ich pflegte sie nicht wirklich, mehr lustlos schrieb ich ein paar Zeilen, in der Hoffnung irgendjemand provozieren zu können und mich zu streiten. Doch wenn ich es mir recht eingestand, hatte ich nicht einmal darauf rechte Lust. Andererseits sind diese Onlinebekanntschaften eine echte Alternative zu realen Menschen, immerhin hatten sie diesen Ignore-Button, den man im richtigen Leben oft schmerzlich vermisste.

In meiner ganzen Lustlosigkeit entschied ich mich dagegen, heute noch etwas zu essen, öffnete eine Flasche Wein und schaute an, was der Verdummungsapparat so bereit hielt, doch dieser machte seinem Namen wieder alle Ehre, also schaltete ich den Kasten aus, trank bedächtig im Dunkeln meinen Wein und entschloss mich, heute früh schlafen zu gehen.

Kaum lag ich im Bett, fiel ich auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Ein Hauch von Nemesis

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