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KAPITEL 4 Die Welt erfassen

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»Jeder sucht nach einer Stellung, sucht nach seinem Vorteil, bewacht eifersüchtig und erkundet gleichzeitig zaghaft.«

Als es mit den Großmüttern weiterging, drängten und weiteten sie mich in vielerlei Hinsicht. Ich wusste jetzt, dass das Lichtnetz »wirklich« war, und wusste auch, dass die kleinen Dramen, die sich in meinem Leben abspielten, eher unbedeutend waren. Aber hin und wieder geriet ich in ein Drama, ohne es gleich zu bemerken, und wenn das geschah, musste ich mich wieder auf das besinnen, was »wirklich« war. Die Großmütter waren mein Kompass, und ich achtete sehr darauf, in welche Richtung ich ging.

Jahrelang habe ich kontinuierlich an Selbstermächtigung gearbeitet. Die Großmütter teilen ihre Botschaften und Lehren mit allen Interessierten und ließen mich auch das Buch schreiben. Dies und die Durchführung der monatlichen Treffen wurden zum Schwerpunkt meines Lebens. Ich führte meine psychotherapeutische Praxis fort, ebenso meine Malerei und Bildhauerei und mein Familienleben, aber ganz gleich, was ich tat, mein Herz war immer bei den Großmüttern. Und wegen meiner Verbundenheit mit ihnen ging meine therapeutische Arbeit tiefer – und meine Kunst ebenso.

Obwohl diese Phase meines Lebens spannend war, war ich doch einsam und frustriert. Es gab niemanden, der wirklich verstand, was ich erfuhr, also hatte ich niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Ich war auch überrascht von den vielen Schwierigkeiten, mit denen ich zu kämpfen hatte, als ich den Großmüttern folgte. Ich hatte angenommen, dass das Universum bei einer Botschaft, die so rein und mächtig wie die ihre ist, alles daransetzen würde, ihre Verbreitung zu fördern. Dies war jedoch nicht der Fall.

Ich konnte niemanden finden, der das Buch veröffentlichte, und an je mehr Agenten und Verleger ich mich wandte, desto mehr Ablehnungen bekam ich. Endlich stand ich vor der Herausforderung, entweder einen Weg zu finden, Selbstermächtigung selbst herauszubringen, oder es wegzutun und zu vergessen. Aber das konnte ich nicht.

Auch bekam ich es mit Eifersüchteleien zu tun. Einige Frauen begannen, meine Beweggründe in Frage zu stellen und das, was ich tat, zu kritisieren und zu sticheln, weil ich wegen dieser Arbeit »etwas Besonderes« war. Auch das überraschte mich. Ich hatte erwartet, dass alle, vor allem die Frauen, die Liebe in der Botschaft der Großmütter spüren und sich von selbst für sie öffnen würden – und für mich, ihren Boten. Stattdessen versuchten einige von ihnen, das Vertrauen zu untergraben: Ich war schockiert. Nachdem dies ein paar Mal passiert war, begann ich mich zu fragen, ob ich mit dieser Arbeit weitermachen sollte oder nicht. Und dann hatte ich einen Traum.

Darin stand ich allein vor unserem örtlichen Kino, in dem ich als Sprecherin auftreten sollte. Mehrere Männer sollten vor mir sprechen, und während ich wartete, hörte ich zu, wie sie lang und breit ihre Theorien darlegten und sehr darauf drängten, ihre Ideen und Produkte zu verkaufen – so sehr, dass die Leute nach und nach das Kino verließen. Ich hatte Broschüren mit der universellen Botschaft der Großmütter im Foyer ausgelegt, die jetzt eine weitere Gruppe von Männern kritisch beäugte – Pastoren, Rabbiner und muslimische Kleriker, alle in dunklen Anzügen. In dem Traum fühlte ich, wie mein Mut durch die Sohlen meiner Füße aus meinem Körper sickerte, und als ich mich vom Kino abwandte, um nach Hause zu gehen, sah ich den vertrauten heiligen Mann, jenen im orangefarbenen Gewand, der mich jahrelang in meinen Träumen unterrichtet hatte. Er stand allein neben dem Eingang zum Kino und schien mich eingehend zu betrachten. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich zu ihm und rang verzweifelt die Hände. »Das sind wichtige Männer, und sie erlauben nicht, dass ich spreche.«

Er sah mich streng an und antwortete: »Was wirst du tun? Losheulen?« Seine Worte erschreckten mich so, dass ich auf der Stelle erwachte. »Losheulen?« wiederholte ich. »Will ich das? – Nein«, sagte ich zu ihm und zu mir selbst, »das werde ich nicht.« Ich wusste nicht, wie ich den Mut finden sollte, die Arbeit der Großmütter fortzusetzen, aber ich war entschlossen, es zu tun.

Bald darauf begann Wolf – einer meiner Geisthelfer, die mir auf meinen Reisen in die Untere Welt erschienen waren – auch in meinen Träumen aufzutauchen. Manchmal sah ich ihn von Ferne und manchmal stand er einfach ruhig neben mir. Oft hat er mir Angst gemacht. Er war heftig und wild und manchmal schnappte er zu. Als er immer wiederkam, wurde mir klar, dass ich in die Welt der Tiergeister gehen musste, um herauszufinden, warum. Was wollte er?

Zur selben Zeit, als ich lernte, mit den Großmüttern zu arbeiten, begann auch die Arbeit mit den Tiergeisthelfern der »Unteren Welt«, wie die Schamanen sie nennen. Ich merkte bald, dass die Weisheit der Tiergeister ebenso wertvoll war wie die der Großmütter, obwohl sie anders geartet war. Auf meinen Streifzügen in die Welt der Tiergeister hatte ich Wolf nur ein- oder zweimal getroffen und immer nur, wenn ich in Begleitung von Bär war, meinem Haupttierlehrer. Aber jetzt schien es, als hätte ich mit Wolf allein zu tun. Als das klar wurde, beschloss ich, zu ihm zu reisen, um herauszufinden, was er wollte.

»Wolf, Wolf!« rief ich, als ich durch meine Öffnung in die Erde tauchte und hinabfiel, bis ich in das vertraute Gebiet der Unteren Welt gelangte. Da drängte ich mich durch dickes Laub und rief: »Wolf! Bitte komm.« Zuerst sah ich ihn nicht, spürte aber seinen warmen Atem. Überrascht wandte ich den Kopf, und da war er. »Wolf, ich kenne dich nicht besonders gut«, sagte ich, trat einen Schritt zurück und schaute ihm in sein kluges Gesicht, »aber du bist in meine Träume gekommen. Möchtest du etwas von mir?«

Wie ein verspielter Hund sprang er auf, legte seine Pfoten auf meine Schultern und sah mir in die Augen. »Bring es mir bei, Wolf«, sagte ich, »zeig mir, was du willst.« »Ich bin ein Lehrer«, sagte er, »vertrau mir.« Ich fing an, das dicke Fell an seinem Hals zu kraulen, und als er sich entspannte, kraulte ich seine Ohren. Dann, Pfoten und Arme umeinander, umarmten wir uns, den Kopf auf die Schulter des anderen gelegt. »Wolf!« lachte ich, als wir zu Boden fielen, uns umdrehten und in den Armen/Pfoten des anderen lagen. Es fühlte sich so natürlich an, so angeschmiegt bei ihm zu liegen, dass ich plötzlich das Gefühl hatte, ihn sehr gut zu kennen.

»Ich bin dein Beschützer«, sagte er. »Ruf mich.« Wie stark er ist, dachte ich, und wie geschmeidig. »Wolf«, sagte ich, als er mein Gesicht ableckte, »ich dachte, das könnte der Grund sein, warum du in meinen Träumen erschienen bist. Ich dachte, du wolltest vielleicht mit mir arbeiten. Als D. mich angriff«, sagte ich, »und du erschienst, dachte ich, du wärst vielleicht gekommen, um mich zu beschützen.« »Ja«, sagte er, »und es gibt noch andere. Du ziehst Eifersucht auf dich.«

Wir setzten uns auf, lehnten uns aneinander und blickten hinaus über eine Landschaft wie im Südwesten (der USA), und weil wir oben auf einer Hochebene saßen, konnten wir weit in die Ferne sehen. »Schau!« sagte er. Ich schaute, aber seine Augen waren schärfer als meine, und es dauerte eine Weile, bis ich sah, was er sofort gesehen hatte. In der Ferne rannten Tiere umher. Sie schienen überall zu sein. Ich beobachtete, wie die Rudel innehielten, als eine Einheit weiterliefen und dann wieder innehielten. »Rudel!« sagte ich, verblüfft von ihrer großen Zahl und der Art, wie sie sich fortbewegten: nie als Individuen, sondern immer als Einheit. Dann bemerkte ich, dass einige von ihnen aufrecht gingen und wohl keine Tiere waren. Waren es Menschen?

»Der Schleier zwischen dieser Wirklichkeit und der Alltagswirklichkeit wird für dich immer dünner«, sagte Wolf. »Deshalb sind deine Visionen nicht mehr so dramatisch wie früher. Du bist nicht mehr nur zeitweise im interdimensionalen Kontakt«, sagte er, »du bist die ganze Zeit verbunden.« Ich war mir nicht sicher, was er meinte, aber ich wollte so viel wie möglich von ihm lernen, also sagte ich: »Unterweise mich, Wolf, bring es mir bei!« »Ich bin Lehrer«, wiederholte er. »Pass auf.«

Die Rudel näherten sich einander, schnüffelten, umkreisten sich vorsichtig und schauten sich an. »So ist es nun mal«, sagte Wolf. »Jeder sucht nach einer Position, sucht nach seinem Vorteil, bewacht eifersüchtig und erkundet gleichzeitig zaghaft. Sie suchen die Zustimmung der anderen, aber sie vertrauen nicht.« Als ich das hörte, fragte ich mich, ob ich so war. Vielleicht war ich zu vertrauensselig. Vielleicht sollte ich wachsamer sein und mich besser schützen. War es das, was er mir zeigen wollte? »Nein«, knurrte er und beantwortete meine unausgesprochene Frage. »Kümmere dich nicht darum, dich selbst zu schützen. Ich werde das tun. Schau einfach zu.«

Er bewegte mich, vorzutreten, und dann, als er auf Höhe meiner linken Schulter war, ging er nicht einfach, sondern schritt stolz neben mir her. Bei diesen Bewegungen durchlief der vertraute Schauder des Wiedererkennens meinen Körper. »Wolf weiß, wie man beschützt und bewacht«, sagte ich, »hier kennt er sich aus, und er weiß, wie man wohlbehalten bleibt. Er wird auf mich aufpassen.« Mit strahlenden Augen und heraushängender Zunge lächelte Wolf sein Wolfslächeln. »Ich möchte, dass du dich auf mich verlässt«, sagte er. »Ohne mich ist es zu gefährlich für dich, aber mit mir wird sich alles regeln. Er hat mich geschickt«, sagte er und meinte den heiligen Mann. »Du sollst mich die ganze Zeit bei dir behalten.«

Er wies auf die sich langsam sammelnden Rudel in der Ferne, und als ich hinsah, wurde ich mir des Misstrauens bewusst, das sie beherrschte. »Dieses Misstrauen ist das, was wir auf der Erde ›die Suche nach der Nummer eins‹ nennen«, sagte ich. »Das ist hier so üblich, etwas, wonach viele sich richten.« »Aber du musst dich nicht danach richten«, antwortete Wolf. »Du kannst diese Art zu sein beobachten; es ist tatsächlich gut für dich, dir ihrer bewusst zu sein«, fügte er hinzu, »aber du musst sie nicht übernehmen.« »Danke, Wolf«, sagte ich voll Dankbarkeit für seine Bereitschaft, mein Beschützer zu sein. »Weil er diese Art zu leben so gut kennt, werde ich mit ihm an meiner Seite geschützt sein«, seufzte ich erleichtert.

»Gibt es noch mehr, was ich jetzt lernen soll?« fragte ich ihn. »Nein«, sagte er, machte daraufhin einen Luftsprung, rannte umher und raste hierhin und dorthin. Als er sich um sich selber drehte, seinen Schwanz jagte und Purzelbäume schlug, war er so hinreißend, so überaus lustig, dass ich vor Lachen brüllte. »Ich liebe dein Fell, Wolf«, sagte ich. »Ich liebe deinen kantigen Körper und dein füchsisches Gesicht. Allerdings viel größer als ein Fuchsgesicht«, korrigierte ich mich, »du hast einen tieferen und kraftvolleren Blick. – Oh«, rief ich aus, »jetzt weiß ich es: Ich identifiziere mich mit dir. Ich habe die gleiche Sehnsucht, die ich in deinem Gesicht sehe, Wolf. Du bist weise; du weißt, dass es im Leben mehr gibt, als man auf den ersten Blick sieht, und du willst dieses ›Mehr‹. Und mein Körper ist auch schmal, genau wie deiner.« »Wir passen zusammen«, sagte er.

Ich lehnte mich an ihn und ruhte mich aus. Wolf ist majestätisch; er ist auch bedrohlich, wenn es sein muss. Als er zum ersten Mal in meinen Träumen auftauchte, wusste er, wie er meine Aufmerksamkeit erregen konnte – er machte mir Angst. In beiden Träumen biss mich Wolf, im ersten war er es selbst, im zweiten Wolfswelpen; nicht fest, aber fest genug, um mich zu erschrecken und sicher zu sein, dass ich mich an das Gefühl erinnerte, wenn ich erwachte.

»Danke, dass du zu mir gekommen bist«, sagte ich. »Ich bin mir nicht immer bewusst, dass ich Schutz brauche. Es ist mir nicht so recht klar, und ich denke wohl auch nicht gerne darüber nach.« »Pass auf«, sagt er, und das war alles. Wieder spürte ich ihn hinter meiner linken Schulter, er stellte sich hinter mein Herz. Hier würde er auf mich aufpassen. »Aha«, dachte ich. »Ich sehe, wie es sein wird.« Er war jetzt so nah, dass wir fast verschmolzen, aber wann immer es nötig war, löste er sich ein wenig – gerade genug, um zu sehen und gesehen zu werden. »Danke, Wolf«, sagte ich. »Vielen Dank.«

Unsere Liebe ist unsere Macht

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