Читать книгу Weil sie eine schlechte Mutter ist ... - Sheila Catz - Страница 12
Оглавление1. Generation:
Anna sprach mit der Oberin und dem Beichtvater
Anna saß zusammengesunken da, die Augen auf den Boden gerichtet, als erwartete sie ein Urteil. Und wahrscheinlich ist es eins, fuhr es ihr durch den Kopf. Der Doktor hat mich so merkwürdig angeschaut, auch seine Schwesternhelferin, so bedeutungsvoll. Und die Novizenmeisterin hatte da noch strenger gewirkt als sonst.
»Anna wir haben jetzt die Untersuchungsergebnisse vom Krankenhaus, von den Aufnahmen, die der Doktor dort eingereicht hat.«
Es entstand eine Pause, sie hörte Stuhlrücken auf dem Steinboden, es war sehr kalt im Besprechungsraum, trotz der Sommertemperaturen draußen.
Jetzt kam die Stimme der Oberin, tonlos mit schleppender Stimme.
»Anna du hast eine ernste Erkrankung. Du kannst nicht im Kloster bleiben, diese Krankheit ist sehr ansteckend.«
Durch das offene Fenster drang das Klappern einer Grasschere. Annas Kopf war plötzlich ganz leer, sie konnte sich kaum rühren, es war, als würde sie sich unter Wasser bewegen. Ein erstickender Hustenanfall schüttelte sie, sie bekam kaum Luft.
Als sie sprechen wollte, merkte sie, dass sie nur unter Mühen ihre Stimme unter Kontrolle hatte. »Was habe ich denn?«
»Tuberkulose. Genauer gesagt, Lungentuberkulose. Wie lange schon, weiß man nicht. Du musst das Kloster sofort verlassen, du darfst auch ab jetzt nicht mehr in die Küche.«
»Wo soll ich denn hin?«
Sie schrie es fast, mit hoher Diskantstimme.
»Anna, wir haben Krieg wie du weißt. Es wird nicht leicht werden, dich gut unterzubringen.«
Anna hatte natürlich die Rationierungen miterlebt, auch das Kloster blieb davon nicht verschont. Die Reisebeschränkungen hatten sie bisher kaum interessiert, sie hatte ja hier im Kloster ihren Platz. Hier gab es auch eine kleine Abteilung für verwundete Soldaten, die wurden nach der ersten Versorgung gesund gepflegt. Aber von diesen Gebäudeteilen hielt sich Anna fern, sie wollte die Amputierten und die Blinden gar nicht sehen, die jagten ihr Angst ein. Einmal hatte sie ein Blinder angesprochen, er bat sie, zum Verwundeten Trakt geführt zu werden. Anna tat es, aber mit wachsender Panik, sie wollte keinen fremden Mann berühren.
Die Stimme der Oberin klang jetzt ganz sachlich:
»Wir sorgen für dich. Du fährst noch heute Abend mit dem Nachtzug in die Schweiz, du weißt doch, wir haben da ein Ordenshaus, ziemlich hoch gelegen auf 1200 Metern. Dort kommst du in die Obhut eines Arztes, er wird dich behandeln, du wirst wahrscheinlich gesund werden, du bist doch noch so jung.«
Und wenn nicht, wenn nicht? Die Gedankenmühle drehte in ihrem Kopf. Ich habe mich versündigt, warum würde ich wohl sonst so bestraft werden. Keiner in meiner Familie hat so etwas, alle sind sie gesund. Ich bin doch erst 20, soll ich jetzt schon sterben?
Jetzt drang die Stimme der Oberin zu ihr durch.
»Anna, du musst dein Schicksal, diese Prüfung, in Demut annehmen. Wir werden deiner Familie einen Brief schreiben.«
Der Beichtvater blickte ihr jetzt direkt ins Gesicht, er wollte ihre Aufmerksamkeit haben.
»Anna, du kannst heute noch beichten, bevor du fährst. Du hast bestimmt nachher noch Fragen.«
Fragen dachte Anna, ich brauche Trost, ich brauche Mitgefühl, wer kann mich hier verstehen?
Sie ging in die Kirche, setzte sich schwerfällig in die Bank. Du musst knien, sagte ihre innere Stimme, der Herr Jesus hat am Kreuz gelitten unter Schmerzen, was ist da schon eine TBC?
Warum werde gerade ich damit gestraft? Du bist zu stolz, zu ungestüm, ordne dich endlich unter. Und wenn ich sterben muss? Wir müssen alle sterben, früher oder später, dann kommst du vielleicht ins Paradies. Anna waren solche Selbstgespräche vertraut, aber gerade heute empfand sie die vertrauten Sätze ohne Inhalt, ohne Gefühl, wie eine gemurmelte Anweisung.
Das ist alles so ungerecht, ich habe doch nichts verbrochen. Und wo habe ich mich angesteckt, da müssen doch noch mehr krank sein, zu Hause hatte das niemand.
Dann wurde ihr inneres Klagen durch praktische Gedanken unterbrochen. Du musst jetzt packen, ach verabschieden kann ich mich von den anderen auch nicht, kein Körperkontakt.
Sie hatte schon jetzt Sehnsucht nach diesem Ort und war noch gar nicht abgereist.
Plötzlich fehlte ihr die Mutter, die hatte sie schon monatelang nicht mehr gesehen, ganz nach der Ordensregel. Dabei war ihre Mutter eher eine wortkarge Person, lachte nicht oft, es gab auch keine Berührungen. Würde ich, wenn ich Kinder hätte, auch so hart sein?
Sie zwickte sich schmerzhaft in den Oberschenkel. Lass diese Gedanken, - Kinder, das ist ja die Höhe, du bist Ordensfrau und jetzt so ansteckend, dass keiner dir die Hand geben will. Anna dachte an ihre vier Schwestern, alle waren sie in Stellung, waren versorgt, anscheinend waren sie mit ihrem Leben zufrieden, die älteste hatte schon einen Verlobten.
Nur ich, ich wollte mein Leben Gott weihen, was wird jetzt aus mir?
Im katholischen Jungfrauenverein, im dem sie früher Mitglied war, wurde oft über diese Themen gesprochen. Sich rein zu halten z.B. oder wie man ehrbar einen Mann findet. Es gab da auch viele religiöse Veranstaltungen, die Anna sehr gefallen hatten.
Zuhause wurde das ständige Besuchen von Veranstaltungen eher mit Skepsis gesehen.
Das Urteil des Vaters: Reine Zeitverschwendung, arbeite lieber.
Ihre Mutter war zurückhaltender, betrachtete aber die Frömmigkeit von Anna als vorübergehend. Für alle war der Entschluss von Anna, ins Kloster zu gehen, keine große Überraschung.
Sie hatte dann in dieser Zeit des Noviziats viele Träume, die sie verstörten. Sich Jesus als Braut zu weihen, auf den Erlöser zu warten, sich ihm hingeben, alles ihm zu opfern, all das waren Träume, aus denen sie bestürzt aufwachte. Sie nahm ihr Verlangen in ihrem Geschlecht wahr, ohne genau zu wissen, was da vor sich ging. Einmal hatte sie in der Beichte dies angesprochen, wurde aber sofort unterbrochen mit der Mahnung, dem Satan kein Eingangstor zu bieten.
Ich muss wohl schlecht und sündig sein und jetzt habe ich die Quittung.
Das machte Anna immer unzufriedener und barscher.
Sie hasste das Lachen der anderen, ihre fröhliche Unbeschwertheit, das Singen der Kirchenlieder bei der Arbeit. Das ist doch ein Sakrileg, Kirchenlieder bei der Arbeit zu singen, so dachte sie oft.
Zuhause bei ihren Schwestern war sie mit deren Unbeschwertheit ganz schlecht zurechtgekommen. Immerzu hatten die zu lachen und zu gickeln, sich kleine Geheimnisse erzählt aus den Gasthöfen, in denen sie arbeiteten.
»Ach Anna, davon verstehst du nichts, du bist dafür viel zu fromm. Wir können dir nichts erzählen, du gibst das doch gleich an die Mutter weiter.“
Anna hörte noch mit halbem Ohr beim Einschlafen, wie die Ältere der anderen Schwester erzählte, dass sie im Fremdenzimmer einen vollständig nackten Mann gesehen hatte.
Sie hätte erschrocken die Tür zugeschlagen und wäre vor dem Gelächter des Mannes über die Treppe geflohen.
»Ja und dann?«
»Na, ich habe es der Köchin erzählt und die meinte, ich soll mich nicht so anstellen, das wäre nicht der letzte nackte Mann, den ich sehen würde.«
Das unterdrückte Kichern und die ausführliche Beschreibung der Genitalien hörte Anna schon nicht mehr, sie schlief tief und fest.
Und so schlich sich in Annas Herz erst tiefe Abneigung und dann Abscheu vor Fröhlichkeit ein. Hat nicht unser Herr Jesus gelitten, wie kann ich da lachen und leichtsinnig sein?