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NORDAMERIKA ZUM ERSTEN

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Der (nord-)amerikanische Traum

Im Alter von 20 hatte ich mehrere Optionen, wie es weitergehen konnte. Nach den drei Jahren beim HC Davos unter Arno Del Curto hätte ich einfach dort bleiben können. Er hatte viele junge, ehrgeizige Spieler zu einer erfolgreichen Equipe geformt und es machte Spass, Teil davon zu sein. Zudem lagen Angebote vom HC Lugano, vom SC Bern und von den Rapperswil-Jona Lakers auf dem Tisch. Doch ich wollte mehr, wollte unbedingt weiterkommen. Ich entschied mich dazu, in der Saison 1999/2000 mein Glück in Nordamerika zu versuchen.

Zum Jahreswechsel hatte ich an der U20-WM teilgenommen, die in der Schweiz ausgetragen wurde. Dank passabler Leistungen konnten wir uns in der A-Gruppe, also in der Welt-Elite, halten. Ich hatte eine beachtliche Weltmeisterschaft gespielt und war sogar ins All-Star-Team gewählt worden. Die Auszeichnung freute mich und machte mich ein wenig stolz, bedeutete aber nicht allzu viel, da die Wahl von Medienvertretern und nicht von Trainern, Funktionären oder Spielern getroffen wurde. Im Stillen hatte ich gehofft, ein NHL-Klub würde auf mich aufmerksam werden und mich im Sommer draften. Doch dem war nicht so. Meinen Traum aufzugeben, kam trotzdem nicht infrage. Zusammen mit meinen Managern Doug Honegger und Pat Brisson organisierten wir einen Wechsel nach Nordamerika. Die Utah Grizzlies, ein Team in der IHL (International Hockey League), bekundeten ihr Interesse an mir. In dieser Liga, die sich wie die grosse Schwester NHL über die USA und Kanada erstreckte, tummelten sich viele, die für die NHL zu alt oder nicht mehr gut genug waren. Ich wollte sie als Sprungbrett nutzen und um Erfahrungen zu sammeln. Ich unterschrieb einen Vertrag, der mir weder Renommee noch viel Geld brachte. Er bedeutete aber eine Chance.

Der Abschied von meiner Familie fiel mir extrem schwer. Sie brachte mich an den Flughafen Zürich Kloten und es war das erste Mal, dass wir uns länger trennen sollten. Zuerst fing meine Mutter an zu weinen, dann mein Vater, dann meine Schwester. Alle wollten ihre Tränen verstecken und «flüchteten» in eine andere Richtung, sodass ich mit meinem Gepäck und meinen Gefühlen allein dastand. «Hey, ihr könnt in der Heimat bleiben, aber ich muss allein in ein fremdes Land gehen, ohne zu wissen, was mich erwartet», rief ich ihnen zu. Dieser Tag im September 1999 markierte das letzte Mal, dass wir alle zusammen an den Flughafen fuhren, um einen von uns gemeinsam zu verabschieden. Zeitlebens trennten wir uns sehr ungern. Die ersten drei Stunden im Flieger waren enorm hart für mich. Ich trug eine schwarze Sonnenbrille, die meine roten, nassen Augen versteckte. Schon jetzt vermisste ich meine Familie und mir wurde in dem Moment so richtig bewusst, dass ich mich auf ein grosses Abenteuer eingelassen hatte. Beim Zwischenstopp in Cincinnati hatte ich nicht die richtigen Papiere dabei und musste am Flughafen in die Immigration, die berüchtigte Halle der Einwanderungsbehörde. Ich konnte nicht wirklich gut Englisch, schlug mich aber passabel durch, sodass ich die Zuständigen überzeugte, den Weiterflug erwischte und pünktlich ankam.

Am Flughafen in Salt Lake City erwartete mich niemand. Kein Mensch hatte sich die Mühe gemacht, mich abzuholen! Ich konnte es kaum glauben, doch nach zwei Stunden vergeblichen Wartens rief ich meinen Manager an. Doug Honegger ist halb Schweizer, halb Kanadier und war selbst Eishockeyprofi gewesen. In der Schweiz hatte er unter anderem beim HC Ambrì-Piotta, HC Lugano, HC Fribourg-Gottéron und beim HC Davos gespielt. 1996 beendete er seine Karriere aufgrund von Knieproblemen und kümmerte sich fortan als Spielervermittler/Manager auch um Schweizer Talente. Als gebürtiger Kanadier kannte er die nordamerikanische Liga. Er riet mir, in den Unterlagen nachzuschauen, ob sich darin Angaben zum Hotel fänden, und mir ein Taxi zu nehmen. Darin stand jedoch lediglich der Name einer Hotelkette und ich werweisste mit dem Taxi-Chauffeur, welche Dependance am nächsten zum Eishockeystadion lag. Dorthin brachte er mich. Das Hotel hatte eine altmodische Rezeption mit Schlüsselkasten. Darin lag eine Nachricht für mich, dass ich mich in vier Tagen im Eishockeystadion zum ersten Training einfinden sollte. In vier Tagen! Was sollte ich bloss bis dahin machen? Damals gab es ja noch nicht die heutigen Kommunikationsmittel, weder Handy noch Internet, über die man mit der Familie sprechen oder für Unterhaltung sorgen konnte. So versuchte ich, mich in der Stadt zu orientieren, denn Zeit hatte ich ja en masse.


Der Einsatz für die Utah Grizzlies in der IHL


Die Schweizer Medien berichten über…


… die Reise des Mark Streit

Dann endlich war der Tag gekommen, an dem ich das tun durfte, weswegen ich hergekommen war: Ich durfte aufs Eis. Mit meinen 21 Jahren war ich mit Abstand der Jüngste in der Mannschaft, der Zweitjüngste brachte es auf 26 Jahre. Im Training konnte ich meiner Ansicht nach mithalten, doch als sich vor dem ersten Meisterschaftswochenende die Mannschaft für das Auswärtsspiel gegen die Long Beach Ice Dogs parat machte, kam der Trainer Bob Bourne zu mir und meinte: «Du brauchst deine Sachen nicht zu packen, du spielst nicht und wirst demnach auch nicht mitkommen.» Zur sportlichen Enttäuschung kam die Frage, was ich am Wochenende in einer Stadt, in der ich nichts und niemanden kannte, anfangen sollte. Ein Ausländer bei einem Schweizer Verein kriegt alles organisiert. Mir hatte man in Salt Lake City ein paar Business Cards mit Kontakten des Klubs in die Hand gedrückt, mit denen ich eine Wohnung mietete und ein kleines Auto kaufte. Dass ich in kurzer Zeit das Notwendige beisammenhatte, machte mich zuversichtlicher. Ich ging in einen Outdoor-Laden und erwarb eine Angelrute und Köder. Dann verbrachte ich das Wochenende in der Park City Gegend draussen in der Natur an einem See beim Fischen. Ich fing zwei Forellen, die ich mir am Abend zu Hause zum Znacht briet.

Als die Mannschaft aus Long Beach zurückkam, bereiteten wir uns auf das Rückspiel zu Hause am kommenden Wochenende vor. Doch auch da sollte ich nicht zum Einsatz kommen. Nach dem Aufwärmen gab mir der Trainer zu verstehen, dass er nicht auf mich setzte. Ich zog mich in der Garderobe um und schaute mir den Match von den Zuschauerrängen aus an. Was für ein Chaos sich dem Publikum bot! Die Spieler gingen wahllos aufeinander los, eine Schlägerei ergab die nächste, bis die Polizei aufs Eis rückte, um die Prügelnden zu trennen und zur Raison zu bringen. Selbst die Coaches waren kaum zurückzuhalten. «Wo bin ich hier bloss gelandet?!», fragte ich mich. Wir hatten einen Native American im Team, der besonders hart austeilte. Als ich in die Garderobe kam, war der voll tätowierte Mann gerade mit dem Duschen fertig. Als er hörte, dass das Gemenge draussen weiterging, lief er nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet zurück zur Bank, um weiter mitzumischen. So ein Schauspiel hatte ich noch nie erlebt.


Immer eine grosse Stütze: Mark mit seinen Eltern Silvia und Hansjürg Streit


Der Kontakt zur Familie gab dem Berner auch in der Ferne Halt


E-Mail-Korrespondenz zwischen Vater und Sohn


Sie besprachen Alltägliches und Wesentliches

Meine erste Chance erhielt ich nach zwei Monaten ohne Ernstkampf in Winnipeg gegen die Manitoba Moose. Wir gewannen und ich konnte trotz fehlender Praxis einen entscheidenden Pass geben. Zurück im Hotel gab mir Bob Bourne zu verstehen, dass er zufrieden sei. «You played well. Good for you», lautete sein Kommentar. Doch eine Woche danach rief mich Doug Honegger an. Der Klub wollte mich in ein Conditioning schicken, das heisst einige Zeit lang in eine tiefere Liga versetzen. Man hatte sich entschieden, mich an einen Klub in der East Coast Hockey League (ECHL) zu verleihen, an die Tallahassee Tiger Sharks. Dort sollte ich zwei Wochen bleiben und Spielpraxis sammeln. Als ich frühmorgens vor dem Abflug von meinem Apartment ins Stadion fuhr, um meine Ausrüstung zu holen, fand ich diese vor der Garderobe in einem Müllsack vor. Ich war den Verantwortlichen nicht einmal eine Sporttasche wert. Was für eine Geringschätzung. Doch ich liess mich nicht unterkriegen und blickte nach vorne. Denn es gab auch berührende Momente. Mit einem Kollegen, der als Stürmer spielte und der durch seine körperbetonten Fights eher ein Mann fürs Grobe war, hatte ich einige Male zu Abend gegessen. Wir beide waren oft überzählig und teilten somit das gleiche Schicksal. Er hatte eine Frau und ein kleines Kind und schickte seinen Gehaltsscheck immer sofort nach Hause. Einmal bat er mich um 20 Dollar, die ich ihm gern gab. Als er erfuhr, dass er in eine tiefere Liga geschickt wurde, legte er mir 20 Dollar auf meinen Platz. Das hätte ich nie erwartet, geschweige denn gewollt. Doch es zeigte mir den tollen Charakter dieses Menschen und die Härte unseres Metiers.

Was mich wohl in Tallahassee erwarten würde? Bei meiner Ankunft nach zwölf Stunden Reisezeit mit zweimal Umsteigen an den Flughäfen wusste zumindest die Klubsekretärin der Tallahassee Tiger Sharks Bescheid, was mit mir passieren sollte. Sprich: Es ging direkt los. Ich kam im Stadion an, als die Kameraden in der Garderobe schon halb angezogen waren. Ich hatte niemanden, der mir half, machte schnell mit der Ausrüstung und schon ging es aufs Eis für den ersten Match. Danach hätte ich mich gern im Hotel etwas ausgeruht. Doch nach einem Stück Pizza (man hatte zur Verpflegung 20 Pizzen in die Garderobe liefern lassen, an denen sich jeder bedienen konnte), stiegen wir in den Bus und fuhren zu einem Samstag-, Sonntag-Auswärtstrip bei den nächsten Gegnern.


Im Trikot der Springfield Falcons (AHL)


Auch für das niederklassige Team…


… gibt der Sportsmann alles

Zur East Coast Hockey League gehörten hauptsächlich ein paar Teams in Florida, Jacksonville, Alabama, Mobile, die Küste hoch bis Trenton, die am nördlichsten gelegene Stadt der Liga. Nach dem Auswärtsmatch gegen die Trenton Titans traten wir in unserem mit Kajüten ausgestatteten Schlafbus die 18 Stunden dauernde Rückfahrt an. Mitten in der Nacht rief der Chauffeur durch den Bus: «Hey! Ich mag nicht 18 Stunden durchfahren. Ich bin müde und kann nicht mehr. Ist jemand in der Lage, einen Bus zu lenken?» Der Ersatzgoalie meldete sich, er sei auch schon Bus gefahren. Also setzte er sich hinters Steuer, während sich der Chauffeur aufs Ohr legte. Ich habe für den Rest der Strecke kein Auge mehr zugetan.

Auch das Training in diesem ECHL-Team lief eher unprofessionell ab. Einmal fiel die Eismaschine aus und wir konnten eine Woche nicht aufs Eis. Das Niveau war eher tief. Und die Bezahlung mies. Ich erhielt alle zwei Wochen 900 US-Dollar und durfte gratis in einem der Spielerapartments wohnen. Der Verein hatte alle im gleichen Gebäudekomplex untergebracht, jeweils zwei Spieler teilten sich ein Apartment. Wenn einer der Kollegen gewusst hätte, dass ich mir in der Schweiz schon einen Namen gemacht hatte und für gutes Geld unter sehr guten Umständen leben, trainieren und spielen hätte können, hätten sie mich für wahnsinnig erklärt. Aber ich wollte bleiben, diese Erfahrung unbedingt machen und es bis in die NHL schaffen. Denn ich wusste: Die Verdienste aus Europa zählen in Nordamerika nichts. Und ich wollte vor allem mir selbst beweisen, dass ein Schweizer nicht zu weich ist für die härteste und beste Liga der Welt.

Trotzdem brauchte ich einen Break. Ich rief Arno Del Curto, meinen Trainer in der U20 und beim HC Davos, an und schilderte ihm die Lage, in der Hoffnung, für ihn am Spengler Cup spielen zu dürfen. Er schätzte mich sehr und meinte: «Klar, komm jederzeit, du hast einen Platz in der Mannschaft.» Am 24. Dezember 1999 flog ich nach Zürich und fuhr direkt von Kloten nach Davos. Meine Leistung am Spengler Cup überzeugte und auch sonst hatte ich eine tolle Zeit in der Schweiz. Es war immerhin das Jahrhundert-Silvester und ich feierte das neue Millennium gebührend mit meinen Freunden und meiner Familie.

Aufgrund meiner Leistung war das AHL-Team Springfield Falcons auf mich aufmerksam geworden. Der Trainer Dave Farrish hatte selbst einmal in der Schweiz als Verteidiger beim HC Davos gespielt und eine Affinität zu Schweizern. Er wusste, dass wir gute Leute haben. Die Springfield Falcons hatten mich schon während meiner Stippvisite bei den Tallahassee Tiger Sharks für ein Wochenende eingeladen, um mich näher anzuschauen. Als ich nach Tallahassee in Florida gegangen war, hatte ich meine Sachen in Salt Lake City gelassen und nur die Sommerkleidung mitgenommen, genauer gesagt einen Anzug und zwei Hemden. Im tief winterlichen Springfield fror ich mir ohne eine Jacke den Arsch ab, denn im Endeffekt wurden aus den geplanten zwei Tagen zwei Wochen. Ohne Frage zwei interessante Wochen: Keiner der Verteidiger hatte Freude an neuer Konkurrenz. Einmal wurde ich im Training absichtlich abgeschossen. Während eines Spiels bekam ich 60 Minuten lang keinen einzigen Pass von meinem Verteidigungskollegen Sean McCann. (Als mich Jahre später der Sportchef von Kloten anrief, weil sie überlegten, McCann zu verpflichten, tat ich ehrlich meine Meinung kund und gab eine entsprechend negative Empfehlung ab.) Die American Hockey League (AHL) zählt zu den sogenannten Minor Leagues (wie auch die IHL [International Hockey League] und die ECHL [vormals East Coast Hockey League]). Die Distanzen zwischen den Stadien werden mit dem Bus zurückgelegt. Oft steigt man nach einem Match todmüde in den Bus, um zur nächsten Spielstätte zu reisen. Eigentlich sind das nicht wirklich ideale Voraussetzungen, um Topleistungen zu erbringen. Trotzdem ist die AHL nach der NHL die zweithöchste Liga in Nordamerika. Sie hat den Ruf, als Talentschmiede für die NHL zu dienen. Also ging ich nach Neujahr nach Springfield. In Florida interessiert sich kein Schwein für Eishockey. In Springfield, der drittgrössten Stadt im Bundesstaat Massachusetts, war das Niveau doch um einiges höher.


Kraft tanken in der Natur in der Umgebung von Salt Lake City


Beim Angeln kann er abschalten

Das Team hatte Anschluss an die Arizona Coyotes aus der NHL. In der AHL versuchten tatsächlich unzählige junge Spieler, den Sprung in die NHL zu schaffen. Ins Jahr 2000 startete ich demnach mit der zweiten Saisonhälfte in Springfield. Meine Wohnung in Salt Lake City löste ich auf, ein Kollege verkaufte mein Auto wenig gewinnbringend zur Hälfte des Preises, den ich bezahlt hatte, und schickte mir meine Sachen in einem Karton nach. Ich blieb bis zum Saisonende – damals eher untypisch für einen Schweizer, denn wir standen im Ruf, beim geringsten Widerstand die Segel zu streichen und zurück in die Heimat zu kehren, wo wir es einfacher und bequemer hatten. In der Tat kam ich bei den Springfield Falcons auf 43 gespielte Matches in der regulären Saison, in denen ich drei Tore erzielte und zwölf Assists gab. Insgesamt brachte ich es auf 15 Punkte. Hinzu kamen fünf Spiele in den Play-offs, für die wir uns qualifiziert hatten.

In Summe betrachtet entpuppte sich das ganze Jahr als das Beste, was mir für meine Karriere passieren konnte. Schon während des Jahrs trudelten die Offerten der Schweizer Klubs ein, doch ich wollte auf keinen Fall vorzeitig abbrechen und zurückfliegen.

Mark Streit

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