Читать книгу Umweltschutz oder Klimawahn? - Shimona Löwenstein - Страница 8
1.4. Langsame Vergiftung für eigenes Geld: die Nahrungsmittelindustrie
ОглавлениеDie nicht nur von Frankreich erzwungene Weigerung der EU, die desaströse Agrarpolitik nicht mehr fortzusetzen, wird auch mit der vermeintlichen „Qualität der einheimischen Produkte“ begründet. Dies ist allerdings nicht nur aufgrund der allgemeinen Standardisierung nach EU-Normen (von den Herstellungsverfahren für Käse, dem jeweiligen Schadstoffgehalt für Obst und Gemüse bis hin zum inzwischen wieder abgeschafften „Krümmungsgrad der Gurken“) erreichten vollkommenen Geschmacklosigkeit der Nahrungsmittel eine von der Wahrheit weit entfernte Behauptung.
Die landwirtschaftliche Massenproduktion bringt nicht nur geschmacklose, sondern auch mit Nitraten, Nitriten und sonstigen schädlichen Überresten angereicherte Pflanzen auf den Markt, die man vorsichtig ausgedrückt als „Qualitätsverluste der Nahrungsmittel“ bezeichnet. Fleischprodukte enthalten – trotz Verboten – manchmal Wachstumshormone oder auch Antibiotika, die den Tieren prophylaktisch verabreicht werden, Streßhormone und natürlich all die Schadstoffe, die die Tiere als Futter zu sich nehmen. Die Schadstoffbelastung der Nahrungsmittel sowohl bei Obst und Gemüse als auch bei Fleischprodukten ist bekannt und legal. Nur ihre Menge wird durch Grenzwerte geregelt. Obst und Gemüse, das man üblicherweise in Supermärkten oder Gemüseläden kauft, enthält regelmäßig Pestizide, zum Teil weit über die zugelassenen Grenzwerte hinaus. [56] Doch statt strengere Kontrollen einzuführen, wurden in den letzten Jahren die Höchstwerte für Pflanzenschutzgifte auf Drängen der Lobby im Gegenteil erhöht, manchmal um ein Mehrfaches des ursprünglich angesetzten Grenzwertes. [57]
Mit dieser Praxis scheinen sich wohl selbst die nahrungsbewußten Umweltschützer abgefunden zu haben. Protestiert wird fast ausschließlich nur gegen den Anbau genmanipulierter Nahrungsmittel, und zwar mit panikmachender Stimmung bis hin zur Zerstörung von Feldern der entsprechenden Landwirte. Inwiefern genmanipulierte Nahrungsmittel Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben können, ist zwar noch nicht ausreichend untersucht worden, [58] es herrscht aber bei dem aggressiven Kampf gegen diese ein Mißverhältnis gegenüber der konventionellen Landwirtschaft, deren Folgen bereits bekannt sind, die aber ohne weiteres geduldet und massiv subventioniert wird. Damit bezahlt die Bevölkerung sozusagen selbst ihre eigene langsame Vergiftung.
Diese Vergiftung erschöpft sich noch lange nicht durch die von den Landwirten gelieferten fragwürdigen „Qualitätsprodukte“. Die verschiedenen Lebensmittelskandale in den letzten Jahren beschränkten sich auch nicht auf Fleischprodukte; sie betrafen alle Mitbeteiligten: Landwirte, Nahrungsmittelproduzenten, Lieferanten, die Verpackungsindustrie bis hin zum Einzelhandel. Kurz nach BSE folgte beispielsweise der Skandal um ein Pflanzengift im Weizenfutter, das sogar von ökologischen Betrieben benutzt wurde. [59] Mal ist es durch Verpackungsbestandteile kontaminierte Milch, mal Olivenöl mit hoher Schadstoffkonzentration, mal das Zusammenwirken von plastikbeschichteten Fischkonserven mit dem darin enthaltenen Öl, das bestimmte Schadstoffe entstehen läßt. Für den Verbraucher gibt es so gut wie keinen Ausweg, wenn man die überteuerten Bioläden oder Reformhäuser nicht berücksichtigt – sofern man diesen trauen kann. Die verschiedenen Bio- oder Ökozeichen und Siegel garantieren weder eine bäuerliche Produktion noch artgerechte Tierhaltung, sondern nur vielleicht ein Weniger an Pestiziden oder chemischen Zusätzen. Selbst das endlich durchgesetzte einheitliche Biozeichen, für das sich die grüne Verbraucherministerin gegen heftigen Widerstand der Lebensmittelproduzenten eingesetzt hatte, bedeutet keine hundertprozentige Bioproduktion.
Die Lebensmittelskandale seien nur die Spitze des Eisbergs, erklärte der Lebensmittelspezialist Udo Pollmer. Der springende Punkt sei nach seiner Meinung der Handel, der die Hersteller zwingt, zu möglichst billigen Preisen zu produzieren und somit jede Art von Abfall zu verwerten, die dem Verbraucher als wertvolle Ware dargeboten wird. Das Lebensmittelrecht führt dabei in die Irre, da es zum Beispiel alle möglichen Abfallprodukte, die er nie kaufen würde, für Fleisch erklärt und allerlei Zusatzstoffe, vor allem Aromen (im Extremfall sogar die Verwendung von asiatischen Menschenhaaren in Brötchen) nicht als Zutaten deklarieren läßt. [60] Die Vielfalt der chemischen Belastung von Lebensmitteln kommt eigentlich erst durch die unzähligen Zusätze zustande, von Konservierungsstoffen, Verdickungsmitteln, Emulgatoren bis zu diversen Farbstoffen, Säureregulatoren, Aromen und Geschmacksverstärkern, welche die Lebensmittelindustrie ihren Produkten beimischt, von denen die meisten völlig überflüssig und in der insgesamt eingenommenen Menge und gegenseitigen Wirkung gesundheitsgefährdend, ja lebensbedrohlich sind. [61] Das trifft ebenso für die in hohen Mengen und Konzentrationen eingenommenen Nahrungsergänzungsmittel, vor allem künstliche Vitaminpräparate, die die Menschen in gutem Glauben zu sich nehmen, etwas Gutes für ihre Gesundheit zu tun, obwohl sie diese in Wirklichkeit schädlich, ja lebensbedrohlich für sie auswirken können. [62] Außerdem werden zwar die meisten Zusätze (außer denjenigen, die bereits in einer allgemeinen Bezeichnung mitenthalten sind) auf der Verpackung deklariert, über die Herkunft des Produkts darf jedoch der Konsument nach deutschem Recht ohne weiteres nichts erfahren. Die deutsche Lebensmittelindustrie weigerte sich auch, die EU-Verordnung in bezug auf transparente Kennzeichnung und Bewertung zu übernehmen. [63] Es bleibt allerdings fraglich, ob beispielsweise die Kennzeichnung durch eine Art „Ampel“ nicht eher irreführend ist, indem damit nicht etwa die tatsächliche Belastung durch chemische Zusätze, sondern vor allem der Fett-, Salz- oder Zuckergehalt, der von „Fachleuten“ für „ungesund“ erklärt wurde, deklariert wird. [64] Der Aufruf zum Boykott von Produkten ist nichtsdestoweniger untersagt und wird strafrechtlich verfolgt. Das bedeutet im Klartext, daß nicht Verbraucherschutz, sondern Produzentenschutz gesellschaftliche Priorität genießt.
Aus denselben vermeintlich „wirtschaftlichen“ Gründen versuchte die deutsche Regierung auch Änderungen (d.h. eine Entschärfung) der EU-Verordnung für Chemikalien [65] durchzusetzen. Die alte EU-Chemikalienverordnung war zwar mit vielen Problemen verbunden. Insbesondere die Langsamkeit der Prüfverfahren und die Ungleichbehandlung von Neu- und Altstoffen wurden beklagt. Diese sollte durch ein neues einheitliches System ersetzt werden, die das Verfahren beschleunigen und die Risikobewertung vereinheitlichen sollte. Soweit schien die Neufassung in bezug auf Beschleunigung und Kostenfrage vernünftig. Was allerdings bei der Beurteilung des „Weißbuchs“ nicht in betracht gezogen wurde, war die Bedenklichkeit der darin ebenfalls enthaltenen Verlagerung der Verantwortung für die Prüfungen und die Risikobewertung von Behörden auf die Unternehmen selbst. Da die Chemie- und Pharmaindustrie ein natürliches Interesse daran hat, ihre eigenen Produkte für unbedenklich zu erklären, bedeutet dies, den Bock zum Gärtner zu machen, wodurch Mißbrauch geradezu vorprogrammiert wird. (So ließ beispielsweise die Firma Bayer sogar Pestizide an Menschen testen, um den Sicherheitsfaktor auszulassen und damit die zulässigen Grenzwerte zu erhöhen.) [66] Diese bereits im Zusammenhang mit den Prüfverfahren für Medikamente erwähnte Entwicklung der Delegierung der Verantwortung auf die Unternehmen, ist einer der heutigen Trends in der Umweltpolitik und im Umweltrecht, auf den weiter unten noch eingegangen wird. Für die Chemikalienverordnung war das Ergebnis ein „Kompromiß“, der aber von den Umwelt- und Verbraucherschützern als ein „Kniefall vor der Chemikalienindustrie“ bezeichnet wurde, da die Fünfjahresfrist bei Zulassungen wegfiel und die meisten Substanzen gar nicht mehr getestet werden müssen. Damit verschwindet für die Industrie jeder Anreiz für Neuerungen. [67]
Ein weiteres Risiko kommt auf den Verbraucher schließlich noch am Ende der Lieferkette, beim Verkauf, zu. Immer mehr Skandale mit vergifteten oder verdorbenen Nahrungsmitteln tauchten in den letzten Jahrzehnten auf. Der Skandal vor zehn Jahren um sog. „Gammelfleisch“, d.h. verdorbenes und mit Wasser angereichertes Fleisch, war kein Einzelfall, sondern betraf eine große Anzahl von Betrieben. Auch über Umettiketierung des Verfallsdatums in Supermärkten als geläufige Praxis wurde berichtet, bis man schließlich zugeben mußte, daß die Kontrollen mangelhaft sind. [68] Schon beim BSE-Skandal haben Fachleute vor mangelnden Qualitätsstandards und nicht akkreditierten Labors gewarnt, die Warnungen wurden aber in den Ministerien überhört. Kurze Zeit später gedachte schon der Verband der Fleischwirtschaft (natürlich ohne Wissen der Verbraucher) BSE-Tests bei Jungtieren abzuschaffen, weil diese natürlich zusätzliche Kosten verursachen. [69] Für mehr Kontrollen fehlt es aber den Ländern an finanziellen Mitteln. [70]
Das alles war schlimm genug für die ahnungslosen Verbraucher. Am meisten empört waren aber die Menschen über die Äußerungen von Minister Seehofer, der Verbraucher trage die Mitschuld an den Skandalen, indem er sich nach dem Preis der Produkte, nach dem Motto „Geiz ist geil“, orientiere. Solche Aussagen werden als bloßer Hohn einer hochbezahlten Prominenz empfunden, während die Geringverdiener nach allen Preissteigerungen zugunsten diverser Lobbys, einschließlich der Lebensmittelproduzenten, nicht mehr wissen, woran sie noch sparen können, außer an den Dingen des täglichen Bedarfs. [71] Der Staat aber, der für den Schutz der Verbraucher zuständig ist, verschiebt die Verantwortung für sein Versagen typischerweise wieder an den Verbraucher selbst.