Читать книгу Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot - Sibylle Berg - Страница 10

NORA ist weggefahren

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Ich bin weggefahren. Ans Meer. In meinem Alter kann man alleine ans Meer fahren. Wenn ich zurückkomme, werde ich von zu Hause ausziehen. Vielleicht komme ich auch gar nicht zurück. Ich rede mit niemandem mehr. Zu Hause nicht und hier auch nicht. Ich habe einen Schlafsack. Es ist ziemlich kalt. Den ganzen Tag laufe ich, und abends lege ich mich in den Schlafsack. Ich rede mit niemandem.

Das Meer ist langweilig. Es bewegt sich nur. Das Geld ist fast alle. Ich brauche auch kaum Geld.

Ich esse nichts. Ab und zu esse ich Äpfel. Aber von denen wird mir inzwischen schlecht. Mir wird schlecht, wenn ich irgendwas Fremdes in mir habe. Vor ein paar Tagen bin ich mit einem Jungen mitgegangen, der hier wohnt. Wir waren in seinem Zimmer. Das war total staubig, und überall standen voll häßliche Pokale rum. Und dann hatte er ein Poster von so einer dicken Frau an der Wand. Pamela Anderson. Eigentlich hätte ich da schon wieder gehen sollen, wenn einer so dicke Frauen gut findet. Aber ich bin geblieben, weil er sich schon ausgezogen hat, und ich nicht wußte, wie ich sagen soll, daß ich doch besser gehe. Ich bin mitgegangen, weil ich dachte, es wäre ganz gut, in einem Bett zu schlafen, und weil ich sowieso keine Idee hatte, wo ich hingehen sollte. Weil es egal ist, wo ich hingehe. Der Junge hat mich nicht groß angefaßt. Wir haben nicht geredet. Ich weiß nicht, worüber ich mit einem Jungen so reden soll. Er hat es gemacht. Als er schlief, bin ich wieder weggegangen. Draußen war es noch ganz still. Ganz früh morgens in so einem kleinen Kaff am Meer. Ich dann so durch die leeren Straßen.

Ich laufe. Wenn ich mich nicht bewege, dann sitze ich da und muß nachdenken, und dann habe ich das Gefühl, ich kann die Gedanken nicht im Kopf festhalten. Wenn ich mich bewege, ist es O. K.

Aber ich muß schnell gehen. Wenn mich Leute ansehen, sehe ich weg.

Ich war in einem Tierheim. Ich wollte einen Hund haben. Einen kleinen Hund. Ich dachte mir, es wäre schön, wenn er neben mir herlaufen würde. Ich könnte abends ein Lagerfeuer machen und Mundharmonika spielen. Der Hund hätte seinen Kopf auf meinen Beinen und würde mir zuhören. Und dann würden wir zusammen in den Schlafsack gehen, und ich würde sein Herz schlagen hören.

Da war auch ein Hund. Er saß in einem Käfig. Er war ganz dünn. Wir haben uns in die Augen gesehen. Das war mein Hund.

Aber sie haben ihn mir nicht gegeben. Als ich weggegangen bin, hat der Hund gejault. Ich wollte so gerne weinen, wegen dem Hund. Das ging aber nicht.

Ich sitze am Meer. Es ist schon dunkel. Wenn ich viel laufe, werde ich noch dünner. Ich trinke abends immer Rotwein. Manchmal auch schon morgens. Dann ist mir nicht so kalt. Ich friere auch, wenn die Sonne scheint. Die scheint kaum. Es ist ja schon Herbst. Wenn ich Rotwein trinke, dann ist auch alles schön weich, und es macht total Sinn, daß ich weggefahren bin. Ich sehe mir die Wellen an, die in der Dunkelheit kommen. Sie kommen ganz klein und leise und dann werden sie groß und brüllen.

Möcht ich irgendwie auch. Aber ich trau mich das

nicht.

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

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