Читать книгу Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot - Sibylle Berg - Страница 12
VERA geht ins Büro
ОглавлениеIch gehe ins Büro. Wie jeden Morgen. Ein kurzer Weg. Ein kleines Stück durch so eine städtische Grünanlage. Wo ich mir denke, jeden Morgen, es müßte richtig lässig sein, nicht ins Büro gehen zu müssen. Mich hinzusetzen. Unter einen Baum und ein Buch auspacken. Lesen, aber eher gucken, wie die anderen ins Büro gehen. Dann, wenn alle gegangen sind, aufstehen und irgendwo ganz anderes hinlaufen. Kaffee trinken und rauchen und vielleicht einfach nur warten, bis die anderen aus dem Büro kommen, in Richtung Abend. Dann denen die Kippe vor die Füße werfen. Ich weiß nicht, wer mein Leben eingerichtet hat. Vielleicht ist es beschissen, weil ich so früh ein Kind gekriegt habe. Vielleicht ist es aber auch nur beschissen, weil Leben beschissen ist. Und jetzt muß ich ins Büro. Mir ist nicht klar, wozu das gut ist. Das einzige, worauf ich mich freue, ist diese Idee, die mich dort erwartet. Die geht so, die Idee … Also, da kommt der Chef ganz aufgeregt ins Büro, weil er total wichtigen Besuch kriegt. Einen Multimillionär aus Brasilien. Wegen irgendwelcher Verträge. Und dann sagt der Chef: Ruhe meine Damen und frischen Kaffee, wenn ich bitten darf, Fräulein Vera. Ich dann rein ins Chefzimmer, mit dem Kaffee. Und da sehe ich diesen Mann. Der ist total schön. Wie Rutger Hauer sieht der aus. Ich habe keine Ahnung, ob Brasilianer so aussehen können wie Rutger Hauer. Auf jeden Fall fange ich direkt an, mit dem Mann zu küssen. Mein Chef bekommt einen Herzanfall und stirbt. Ich fahre mit dem Mann im Fahrstuhl, und dort vereinigen wir uns das erstemal. Das ist so, wie es im richtigen Leben noch nie war. Naja, um es kurz zu machen, ich fahre dann mit ihm auf seine Hacienda. Und das kann man sich ja vorstellen, daß das eine Idee ist, die für eine lange Zeit reicht. Meistens bin ich ziemlich traurig, wenn ich aufhören muß zu träumen. Manchmal denk ich, es wäre total gut, an irgendwas glauben zu können. An eine politische Idee oder so. Aber heute glaubt kaum wer noch was. Alle Leute laufen bloß noch so rum und warten darauf, daß ihnen jemand eine Idee gibt. Da sind auch Ideen, aber so richtig fehlt denen die Notwendigkeit. Und darum warten alle. Die Menschen, die ich kenne, sind entweder esoterisch geworden oder familiär. Unglücklich sind sie alle. Ich geh ins Büro. Ich werde erst mal Kaffee trinken, und dann werde ich an den Mann denken, der alles ändert.