Читать книгу Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot - Sibylle Berg - Страница 4

VERA trinkt Kaffee

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Glückwunsch, sagt Vera. Das Wort steht in der leeren Küche. Fröstelt. Schaut sich die Küchenzeile an, das Wort, und verkriecht sich unter der Spüle. Stirbt daraufhin. Keiner ist da, um Vera zu gratulieren. Was soll mir auch wer gratulieren, und vor allem wozu? Denkt Vera. Wer bis 30 nicht versteht, worum es geht, wird es nicht mehr begreifen. Vera trinkt Kaffee. Sie guckt dabei ihre Beine an. Da sind blaue Adern drauf, die gestern da noch nicht waren. Seit ihrem 30. Geburtstag findet Vera andauernd Dinge an sich. Dinge, die zu einem Menschen gehören, der nicht mehr jung ist. Das Leben ist wie Auto fahren, seit Veras 30. Geburtstag. Eine Fahrt, so eine Straße lang, am Ende eine Mauer zu sehen, auf die das Auto auftreffen wird. Und links und rechts nur bekannte Gebiete. Das Auto fährt immer schneller, seit Vera 30 wurde. Warum anhalten. Geht nicht. Aussteigen, um zu laufen, warum? Vera guckt aus dem Fenster. Bekanntes Gebiet. Ein Hinterhof und ein toter Baum und dann Fahrräder in einem dämlichen Häuschen. Damit die nicht frieren.

Ich könnte was rausgehen und mir Kuchen holen, denkt Vera. Sie guckt aus dem Fenster und sieht sich über diesen Hinterhof gehen. Zum Bäcker, der dämlichen Frau im Bäckerladen freundlich guten Tag sagen. Obwohl sie der jeden Tag eigentlich lieber sagen würde, daß sie eine blöde Kuh ist. Die runde, selbstzufriedene Frau beim Bäcker. Die nachts bestimmt alleine in ihrem blöden Bett liegt und schwitzt. Weil sie so dick ist und nicht schlafen kann, weil sie einsam ist und weiß, daß sie es bleiben wird. Noch viele Jahre. Und die dann im Laden steht, poliert und sich fühlt, als wäre sie Gott, in dem, was sie für Unbescholtenheit hält, in dem, das Angst ist.

Vera sieht das so deutlich, wie sie da in dem Laden steht, daß ihr unbehaglich wird. Und sie kurz denkt, ob das so ist, wenn eines den Verstand verliert. In welche Richtung läuft Zeit eigentlich, überlegt Vera, und dann fällt ihr ein, daß diese Frage nicht neu ist, und daß schon mehrere Menschen verblödet sind, an dieser Frage. Da könnte sie auch gleich über das Universum nachdenken oder Dinge dieser Art, von denen keines wissen kann, ob es sie wirklich gibt. Und weil das ja blöd ist, über so was nachzudenken, geht Vera raus. Über den Hinterhof. Zum Bäcker. Grüßt freundlich, denkt alte Sau, und kauft sich Kuchen. Und an der Ecke noch ein paar Margeriten. Als Vera klein war, waren die Margeriten im Garten das einzige Schöne. Der Rest war ziemlich Scheiße. Aber die Margeriten waren schön. Vera war manchmal Margeritenarzt und mußte Operationen vollziehen. Ab und zu heirateten welche von den Blumen und so Sachen, und als Vera eines Morgens aufwachte, waren alle Margeriten weg. Ihre Mutter hatte sie umgegraben, in der Nacht. Vera weiß bis heute nicht warum, und sie guckt die Blumen an und fragt sich das. Sie geht hoch in die Wohnung, das darmige Treppenhaus, Geruch nach Bohnerwachs und nach Menschen, die nie ein großartiges Leben haben werden. Am Tisch, in der Küche sitzt sie dann und ißt den Kuchen auf. Sie guckt die Margeriten an. Guckt ihre Beine an. Und wußte schon unten auf der Straße, wie sie das machen würde. Jede Bewegung mit dem passenden Gefühl dazu. Herzlichen Glückwunsch, Vera, sagt Vera, und dann wird ihr schlecht, von dem Kuchen, und sie übergibt sich.

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

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