Читать книгу Die Schüler der Zeit - Sidney Michalski - Страница 5
ОглавлениеZweites Kapitel
Missionen
Das hatten sie sich so nicht vorgestellt. Es hätte so einfach sein sollen. Es war alles ordentlich geplant und alle Eventualitäten waren bedacht – so hatten sie auf jeden Fall geglaubt.
Um nicht aufzufallen, waren sie verkleidet und unter falschem Namen gereist. Zunächst zu Fuß, dann mit dem Pferdewagen. Der Besitzer des Wagens hatte sie für ein paar Münzen mitgenommen und keine Fragen gestellt. Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden mitnahm, der Geheimnisse hatte und keine Lust dazu, sich zu unterhalten. Bei diesen beiden Fahrgästen war es genauso. Sie hatten ihm nur wortkarg das Geld gegeben und sich dann ganz hinten in einer Ecke des Wagens niedergelassen. Sie wollten nicht, dass man mit ihnen sprach, das war klar.
Die Fahrt war unauffällig verlaufen und nach einigen Stunden waren Pan und Flora in der nächsten größeren Stadt angekommen. Diese Stadt war auch ihr Ziel. Hier hatten sie eine Mission.
Es war nicht die erste – vor dieser gab es schon etliche Missionen. Diese war auch nicht besonders. Es war etwas, das sie machen mussten, da nur sie es konnten. Es war nichts, was die Geschichte der Welt verändern würde, das hatten sie nämlich aufgegeben.
Bei der letzten Mission, die eine große Reparatur der Zeit – wie Pan es damals nannte – zum Ziel hatte, war alles schief gegangen, was schief gehen konnte. Danach hatten sie sich geschworen, nie wieder große Änderungen vorzunehmen. Auch bei der einen oder anderen kleineren Anpassung von Ereignissen in der Zeit hatte es schon mal Probleme gegeben. Keine Großen, zum Glück. Da sie aber sehr vorsichtig waren und alles immer gut durchdachten, war bisher am Ende stets alles glatt gelaufen.
Heute schien das anders zu sein. Dieses Mal lief alles schief – also nach der problemlosen Reise auf jeden Fall.
Man hatte sie geschnappt. Weil man sie nicht kannte und ihnen nicht traute, hatte man sie in den Kerker gesteckt, obwohl sie noch Kinder waren. Ganz alleine in eine Zelle.
Die war dafür aber für damalige Verhältnisse fast komfortabel. Es gab Stroh auf dem Lehmboden, ein Loch in der Mauer mit einem Gitter davor und eine Schale für den Fall, dass man einmal musste. In anderen Gefängnissen sah es da viel schlimmer aus. In denen gab es nicht einmal ein Fenster in der Wand.
Ein Glück für Pan und Flora, dass sie in so einem neuen und modernen Gefängnis gelandet waren.
An einem Sonntag, vier Jahre vor der verunglückten Mission, hatten die beiden Geschwister schon einmal eine Reise in dieselbe Stadt unternommen. Wenn jemand sie beobachtet hätte, wäre er sicherlich verwundert gewesen. Flora und Pan kamen in der Stadt an und gingen schnurstracks zu der Baustelle, auf der gerade das neueste und modernste Gefängnis gebaut wurde. Dort suchten sie nach einem bestimmten Punkt.
»Hier ist es, glaube ich«, rief Flora. »So ganz genau habe ich es leider nicht beschrieben, aber ich denke, hier ist es richtig.«
Sie vergruben einen Gegenstand im weichen Lehmboden. Danach waren sie zurück nach Hause gefahren, als sei nichts geschehen.
Vier Jahre später gruben Pan und Flora im selben Lehmboden.
»Hier muss es doch sein oder wo hast du sie versteckt, Flordelis?«, fragte Pan leicht genervt, während er eine weitere Hand voll Lehm beiseite warf.
Sie mussten sich beeilen. Die Wärter machten ihre Runden und wenn sie sehen würden, was die beiden machten, wären sie sicherlich nicht besonders erfreut. Und wenn ein Wärter zu der Zeit nicht erfreut war, dann konnte das ganz schlimm enden für einen Gefangenen. Es war also Eile geboten.
Flora sagte nichts. Ja, sie war es gewesen, die den Gegenstand dort vergraben hatte. Aber, dass Pan ihr deshalb nun Vorwürfe machte, fand sie gemein.
Beide gruben lautlos und mit schlechter Laune weiter. Das war einfach nicht ihr Tag.
Die Mission konnten sie wohl vergessen. Dass jetzt noch alles wie geplant klappen würde, war unwahrscheinlich. Alles hing davon ab, wann sie aus diesem Loch herauskommen würden.
In diesem Moment rief Flora: »Hier, ich hab’s!«. Sie zog ein Paket aus dem Boden. Eine in ein dickes Tuch gewickelte Säge.
Die Säge sah anders aus als die Sägen, die es sonst zu der Zeit gab. Schärfer und einfach besser. Sie hatten sie bei einem windigen Schmied für viel Geld herstellen lassen und er musste ihnen versprechen, sofort wieder zu vergessen, wie er es gemacht hatte.
Pan riss ihr die Säge aus den Händen, rief »Na endlich!« und begann sofort an den Eisenstangen des Fensters zu sägen. Die Stangen waren von minderer Qualität und so hatten sie nach kurzer Zeit, auch wegen der ungewöhnlich guten Säge, die Stangen durchtrennt und konnten ins Freie klettern. Auf der anderen Seite befand sich ein reißender Fluss und da die Wächter des Gefängnisses dachten, dass niemand lebend den Fluss durchqueren könnte, waren dort keine Wachen postiert.
Flora warf die Säge in den Fluss und sprang hinterher.
Pan blickte noch einmal in den Kerker zurück, um sich zu vergewissern, dass sie auch nichts liegen gelassen hatten, und sprang dann ebenfalls. Nach wenigen Minuten waren sie am anderen Ufer angekommen und kletterten – vollkommen durchnässt – aus dem Fluss. Ihnen war nichts passiert.
Der normalerweise reißende Strom hatte für kurze Zeit innegehalten und war ganz ruhig geworden, um – nachdem die beiden Geschwister aus dem Wasser geklettert waren – mit noch wilderem Getöse wieder loszustürmen. Dies bemerkten die beiden nicht, sie waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Mission wieder aufzunehmen. Wie spät es inzwischen war, wussten sie nicht.
»Hätten wir doch nur eine Armbanduhr dabei«, dachte Pan, sagte aber nichts, um nicht schon wieder Ärger mit Flora zu bekommen. Sie konnte es nicht leiden, wenn er von Dingen sprach, die es noch lange nicht gab und die sie von Erzählungen aus der Zukunft kannten. Er fand das cool – auch so ein Begriff aus der Zukunft – und er fühlte sich besonders, dass er wusste, was eine Armbanduhr sein würde. Eigentlich sollte er das nicht brauchen, um sich besonders zu fühlen, denn Flora und Pan waren auch so besonders.
Flora lief schneller. Sie wollte die Mission jetzt hinter sich bringen, um dann diese unfreundliche Stadt schnell wieder zu verlassen. Wie jemand freiwillig in einer Stadt wohnen konnte, war ihr ein Rätsel. Überhaupt fand sie die ganze Mission total blöd. Es war Pan gewesen, der sie losgeschickt hatte, nur damit sie beide jemandem begegneten – und das bloß für einen Namen. Sie konnte nicht verstehen, was das sollte. Es gab nun wirklich größere Probleme, als das, was sie hier zu verhindern versuchten. Aber sie machte mit. So war es nun einmal. Manchmal war nur ihr eine Mission wichtig und manchmal eben nur Pan. Und dann machte der andere eben mit, ohne zu meckern. Oder eben mit nur ein bisschen Gemecker, wie bei diesem Mal.
Als sie an der Stelle ankamen, zu der sie unterwegs waren, schlug die Uhr des Kirchturms viermal. Sie waren beide erleichtert darüber, dass es noch nicht zu spät war und sie die Mission noch schaffen konnten. Es war noch Zeit. Sie mussten erst um kurz nach fünf an der Stelle sein, die Pan beschrieben hatte. Also nicht dieser Pan, sondern der andere, der Armbanduhren trug und sie immer auf Missionen schickte. Beide verschnauften erst einmal und warteten, bis es Zeit war.
Um kurz nach fünf machte sich Pan auf den Weg.
Flora wartete. Sie wollte nicht mitmachen, zu sehr ging ihr das Ganze gegen den Strich.
Pan schlenderte wie zufällig – was angesichts seiner noch auffallend nassen Kleidung etwas schwierig war – um eine Ecke.
Dort traf er einen Mann, der Pan erblickte, sich erschrocken umdrehte und in die andere Richtung ging.
»Geschafft!«, dachte Pan erfreut und kehrte zu Flora zurück.
»Alles ist bombig gelaufen«, sagte er gut gelaunt.
»Der ist wirklich umgekehrt, als er dich gesehen hat?«, fragte Flora ungläubig. »Du bist ein Kind, er ein erwachsener Mann!«
»Was für ein Feigling!« Das letzte, das mit dem Feigling, dachte sie aber nur. Sie hätte zwar gerne noch ein bisschen gegen die Mission gestichelt, aber zu sehr ärgern wollte sie Pan auch nicht. Denn ihr Pan konnte ja für die Spinnereien des anderen Pans nichts. Zumindest jetzt noch nicht.
»Nun aber schnell zurück nach Hause, damit wir in trockene Sachen kommen«, sagte Flora. »Wir wollen uns ja nicht erkälten.«
Beide grinsten.