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Leibarzt von Kaisern und Königen: Andreas Vesalius

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Es war in Kollegenkreisen eine wahre Sensation, als sich die Nachricht über die damals bekannte Welt verbreitete, dass der Chirurg und Anatom Andreas Vesalius Kaiser Karl V. auf seinen weiten Reisen medizinisch betreuen sollte.

Man war darüber empört, dass ein Anatom und Chirurg diese bevorzugte Stelle bekleiden sollte, denn Mediziner war er in den Augen der Fachwelt beileibe keiner, obwohl Vesalius, der am Silvestertag des Jahres 1514 in Brüssel das Licht der Welt erblickt hatte, einen ausgezeichneten Ruf auf seinen Schaffensgebieten besaß und nach einem Studium in Paris schon mit 23 Jahren zum Professor in Padua für Chirurgie ernannt worden war. Aber der schwelende Dauerstreit, wer eigentlich einen kranken Patienten heilen durfte, brach nun durch bösartige Verleumdungen Vesalius gegenüber rundum aus.

Die Liebe zur Heilkunst in den damaligen Spielarten lag in der Familie, denn schon der Vater, der aus dem niederrheinischen Wesel stammte und sich daher Vesalius nannte, bekleidete die Stelle eines Leibapothekers am Kaiserhof in den Niederlanden. Hatte sich der Vater aber hauptsächlich mit der Heilwirkung der Pflanzen beschäftigt, so zog es den Sohn an den offenen menschlichen Körper, wo er nicht nur die Lage der Organe studierte, sondern auch die Möglichkeit, wie man einem kranken Menschen durch chirurgische Eingriffe helfen konnte. Jahrhundertelang war das Innere des Menschen für die Wissenschaft tabu, strenge Vorschriften der Kirche untersagten die Öffnung von Leichen, so dass Forscher und Wissenschaftler meist im Schatten der Nacht und unter beinah unmöglichen Bedingungen auf geheime Sektionen angewiesen waren, wollten sie ergründen, wie es im Körper des Menschen aussah. Erst Stauferkaiser Friedrich II. machte Schluss mit den unsinnigen Verboten und erlaubte das Sezieren von Leichen. Das war leichter gesagt als getan. Denn die größten Schwierigkeiten bestanden darin, geeignete Tote herbeizuschaffen, da die unverrückbare Vorstellung herrschte, dass der Mensch mit Leib und Seele im Jenseits auftauchen sollte. Nur die ohnedies zum Höllenfeuer verdammten Verbrecher waren ausgenommen, so dass Vesalius gezwungen war, des Nachts auf die Galgenberge zu pilgern, um mit eigener Hand die Gehängten abzuschneiden, die er dann sezieren wollte. Bei diesem schaurigen Unterfangen fiel ihm auch die Leiche des Verbrechers Jakob Karrer in die Hände, dessen Skelett er akribisch wieder zusammensetzte und das heute noch eine Rarität in der anatomischen Sammlung von Basel darstellt. Natürlich übten auch Friedhöfe mit ihren Knochenbergen eine magische Anziehungskraft auf den jungen Vesalius aus, der erstmals bei seinem Studium in Paris mit dem Seziermesser an toten Hunden und Katzen umzugehen lernte.

Nachdem er zu wissenschaftlichen Ehren in Padua gekommen war, begann er mit seinem Hauptwerk »Über den Bau des menschlichen Körpers«, ein Buch mit 639 Seiten, wobei der Maler und Holzschneider Johann Stephan von Calcar mit seinen künstlerischen Vorstellungen einen großen Einfluss auf Vesalius gehabt hatte, denn das Werk ist mit mehr als 200 Bildtafeln illustriert. Da er nach Abschluss seines Monumentalwerkes auch seinen Aufenthalt in Italien beendete, wurden die Druckstöcke mühevoll auf Maultieren über die Alpen nach Basel gebracht, wo das Buch 1543 erschien. Vesalius hatte Bahnbrechendes geleistet, er hatte nicht nur bewiesen, dass Galen, auf den die Fachwelt immer noch schwor, seine Erkenntnisse nur durch das Sezieren von Tieren gewonnen hatte, er hatte sich auch mit dem Aderlass, mit Gefäßerkrankungen und den Folgen des Geburtsvorganges beschäftigt, wozu er fünf weibliche Leichen wochenlang in seinen Zimmern aufbewahrte, um sie in Ruhe sezieren zu können. Vesalius war besessen von dem Gedanken, seine Kenntnisse zu erweitern, um heilen, helfen zu können.

Vesalius’ Ruf drang bis zu Kaiser Karl V., der ihn zu seinem Leibarzt ernannte. Der neue Medicus schien für viele hellseherische Fähigkeiten zu besitzen, denn er diagnostizierte dem Augsburger Patrizier Leonhard Welser, der nach einem Sturz vom Pferd an unerträglichen Schmerzen litt, eine Geschwulst, die er für eine Aussackung der Hauptschlagader hielt. In seinen Augen war Leonhard Welser rettungslos verloren und als dieser nach zwei Jahren verstarb, bestätigten die Chirurgen die Aussage von Vesalius.

Seine Tätigkeiten als kaiserlicher Medicus beschränkten sich nicht nur darauf, Karl V. zu begleiten, er wurde auch zu anderen Persönlichkeiten geschickt, um diesen seine ärztliche Kunst angedeihen zu lassen. Auf den Kriegsschauplätzen, wo Vesalius meist im Umfeld des Kaisers gesichtet wurde, hatte er natürlich reichlich Gelegenheit, sich als Chirurg zu betätigen, obwohl dies die kaiserlichen Begleiter eher mit scheelen Augen sahen. Aber man wusste, man hatte einen Mann vor sich, der von unaufhörlichem Forscherdrang beseelt war und auf dessen Rat man sich uneingeschränkt verlassen konnte, auch wenn er manches Mal geradezu unheimliche Dinge von sich gab. So hatte er dem Grafen von Beuren die Todesstunde beinah exakt vorhergesagt.

Der Kaiser, von gesundheitlichen Problemen gequält, vertraute fest auf die Kunst seines jungen Medicus, denn Vesalius war erst 30, als er seinen Vorgänger Cornelius Baersdorf ablöste. Von Anfang an gab der neue Arzt seinem kaiserlichen Herrn den Rat, seine Essgewohnheiten zu ändern, denn obwohl Karl ein Leben lang eine schlanke Gestalt besaß, bevorzugte er dicke Suppen, fettes Fleisch, üppige Eierspeisen sowie Dutzende von Austern, dazu trank er reichlich Bier schon von Jugend auf. Dass all dies zusammen mit seinem unsteten Lebenswandel zu frühen Leiden führen musste, zeigte ihm Vesalius nicht nur dann deutlich auf, wenn ein schwerer Gichtanfall den Kaiser plagte, so dass der Medicus versuchte, Linderung der Schmerzen mit der neu entdeckten Chynawurzel herbeizuführen. Mit der Zeit wurde der Medicus für den Kaiser so unverzichtbar, dass er im Jahre 1556, als er sich entschloss, die Krone in die Hände seines Bruders Ferdinand zu legen, Vesalius mit nach Spanien nahm, wohin sich Karl zurückzog. Wahrscheinlich hatte der Medicus schon früher Gelegenheit gehabt, den einzigen legitimen Sohn des Kaisers König Philipp II. kennenzulernen, der ihn nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1558 an seinen Hof nach Madrid berief.

Andreas Vesalius stand nicht nur bei den Habsburgern in großem Ansehen, er eilte auch an den Hof des französischen Königs, als bei einem Turnier anlässlich der Hochzeit der Königstochter ein junger schottischer Lord, der Graf von Montgomery, Heinrich II. von Valois mit der Lanze das Visier des silbernen Helms durchbrach. Die Lanze bohrte sich durch das Auge des Königs bis ins Gehirn, so dass Heinrich sofort das Bewusstsein verlor. Um den Fall studieren zu können und den König zu retten, ließ sich Vesalius vier zum Tode verurteilte Verbrecher geben, denen er ebenfalls eine Lanze ins Auge stechen ließ. Aber auch durch eventuelle Erkenntnisse dieses barbarischen Experiments war Heinrich II. nicht mehr zu retten.

Bessere Erfolge erzielte Vesalius am Hofe Philipps II. von Spanien, wo er dazu auserkoren wurde, den Schädel des Infanten Don Carlos zu öffnen, um Flüssigkeit daraus zu entfernen, nachdem der junge Mann über eine Treppe gestürzt war. Sehr zum Ärger der neidischen spanischen Kollegen glückte die schwierige Operation und der Zustand des Infanten besserte sich schlagartig.

Obwohl der gebürtige Niederländer ein Leben lang auf Grund seiner naturwissenschaftlichen Studien eher dem Diesseits zugetan war, entschloss er sich im Jahre 1564 – vielleicht beeinflusst von der streng katholischen Umgebung am Königshof in Madrid – zu einer Pilgerreise ins Heilige Land. In Venedig brach er auf, erreichte auch Jerusalem, wurde aber auf der Rückreise auf der Insel Zakynthos von einer Krankheit befallen, für die es auch für ihn keine Rettung gab. Der große Medicus, der von seinem Zeitgenossen Professor Gabriel Falloppio als der Fürst der Anatomen, als ein Naturwunder und als der »Göttliche« bezeichnet wurde, starb unbekannt in der Fremde.

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