Читать книгу Treppe zum Licht - Silke May - Страница 8

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Solana wohnte nun schon seit ein paar Wochen bei Gor und Alwin. Sie verstanden sich prächtig und sie hatte in dieser Zeit sehr viel dazugelernt. Heute war ein besonderer Tag, Alwin wollte mit Solana ins Dorf hinuntergehen und für sie etwas zum Anziehen kaufen.

Solana war beeindruckt von den schönen Gebäuden im Dorf. Als sie das Geschäft betraten, staunte sie über die Menge von Kleidern, welche hier auf den Stangen hingen.

Die Verkäuferin begrüßte beide sehr freundlich und führte sie sofort zu einem Ständer mit der passenden Größe für Solana. Sie suchte sich etwas aus und probierte es.

Ihre Wangen glühten vor Aufregung und Freude angesichts der schönen Kleider, die sie bekommen sollte. Als die beiden das Geschäft verließen, gehörten der jungen Goma zwei große Tragetaschen voll mit Bekleidung, die Alwin für sie trug.

»Ich würde sagen, jetzt gehen wir noch Eis essen«, schlug Alwin vor. Solana sah ihn fragend an.

»Was ist Eis?«

»Das werde ich dir erklären, wenn wir da sind. Lass dich einfach überraschen.«

Sie betraten das Café am Platz und setzten sich auf die Terrasse. Alwin bestellte für jeden von ihnen einen Eisbecher mit Früchten und Sahne. Solana staunte über den schön verzierten Becher, den die Bedienung kurze Zeit später vor sie auf den Tisch stellte. Sie kostete sogleich von der Sahne.

»Mmmh ... schmeckt das aber fein!«

»Das ist nur die Sahne, probier erst mal das Eis.«

Solana nahm ein bisschen auf den Löffel und kostete es.

»Das ist ja richtig kalt! Aber sehr lecker.«

»Genau deshalb nennt man es auch Eis, denn …«, und dann erklärte ihr Alwin, woraus Eis bestand und wie es zubereitet wurde.

Solana war so begeistert, dass sie es regelrecht in sich hineinschaufelte. Alwin ermahnte sie, ein wenig langsamer zu essen, und Solana grinste ihn verlegen an.

»Ich verstehe gar nicht, warum man uns immer damit gedroht hat, dass wir außerhalb des Berges sterben würden? Es ist doch so herrlich hier draußen!«, rätselte sie nach einer Weile.

»Ich könnte mir vorstellen, dass eure Anführer Angst haben, die Gomas würden aussterben, wenn alle den Berg verließen«, vermutete Alwin.

»Warum denn aussterben?«

»Weil sich die Gomas mit den Menschen verschmelzen würden, dadurch gäbe es immer weniger von ihnen.«

»Ja, das wird es wohl sein«, pflichtete ihm Solana bei.


Auf dem Heimweg hatte Alwin seinen Arm um Solanas Taille gelegt. Bald ließen sie das Dorf hinter sich und gingen den Berg hinauf in Richtung Hof. Solana spürte die Wärme, die von seinem Arm ausstrahlte, und fühlte sich sehr wohl. Immer wieder sah sie Alwin an und immer wieder musste sie feststellen, dass er ihr sehr gefiel, obwohl er das pure Gegenteil von Janis war.

Sie befanden sich jetzt auf dem schmalen Bergweg und konnten von Weitem schon den Bauernhof sehen. Als sie sich näherten, sah Solana plötzlich einen Mann aus dem Haus treten, der nicht Gor war. Sie durchfuhr ein eisiger Schreck, als sie erkannte: Es war ihr Vater. Solana blieb schlagartig stehen.

»Mein Vater!«

»Wo?«

»Der Mann, der vor eurem Haus steht!«

»Wie kann das sein? Ich dachte, die Gomas verlassen normalerweise den Berg nicht?«

»Das dachte ich auch. Vielleicht sucht er mich?«, rätselte Solana.

Alwin schob sie hinter einen Busch.

»Warte hier, bis ich dich hole.«

Er lief weiter zum Bauernhof, während Solana von ihrem Versteck aus alles beobachtete. Der Weg war noch ein ganzes Stück lang, und als Alwin am Hof ankam, ging Sota bereits bergaufwärts davon. Alwin betrat die Stube. Sein Vater saß am Tisch und trank eine Tasse Tee.

»Wer war das?«

Gor setzte die Tasse ab und fragte: »Wen meinst du?«

Alwin sah seinen Vater fragend an.

»Natürlich den Mann, der gerade hier war, wen denn sonst?«

Gor stutzte und antwortete dann lapidar:

»Den kennst du nicht.«

»Das weiß ich auch, aber kennst du ihn?«, bohrte sein Sohn nach. Gor nickte knapp: »Ja.«

In Alwin stieg langsam die Ungeduld hoch.

»Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«, rief er ziemlich aufgebracht.

»Er heißt Sota und er ist …« Gor unterbrach sich abrupt und schwieg.

»Er ist …? Jetzt sag schon, mach es nicht so spannend!« Gor seufzte.

»Wo ist Solana?«

»Sie hat sich vor ihrem Vater versteckt.«

»Ich möchte mit euch beiden reden. Hol sie!«, bat Gor. Alwin machte auf dem Absatz kehrt.

»Okay!«

Eilig verließ er das Haus, denn er war überaus neugierig, was sein Vater ihnen berichten wollte. Schnell lief er den Berg hinunter und rief schon von Weitem:

»Solana komm, mein Vater will mit uns reden!«

Die junge Goma verspürte ein unangenehmes Gefühl. Sie befürchtete, dass sie nichts Gutes erfahren würde, und zögerte. Aber Alwin nahm sie an der Hand und zog sie mit sich.

Als sie die Stube betraten, stand bereits heiße Schokolade auf dem Tisch. Solana stellte die Tüten neben der Tür ab und nahm Platz.

»Hallo Solana, hast du was Schönes zum Anziehen gefunden?«, fragte Gor freundlich und sie bestätigte es.

»Jetzt erzähl schon!«, unterbrach ihn sein Sohn neugierig.

»Also gut, was ich euch erzählen werde, ist eine etwas längere Geschichte. Sie liegt auch schon sehr lang zurück. Der Mann, der gerade hier war, hat gezielt nach dir gefragt, Solana.

Er wollte wissen, ob ich dich gesehen habe, was ich natürlich verneint habe. Sota bat mich, oder besser gesagt, er befahl mir, dich hier festzuhalten und einzusperren, falls ich dich irgendwo entdecken würde.«

»Vater, woher kennst du Sota?«, wollte Alwin wissen. Gor winkte beruhigend ab.

»Dazu komme ich jetzt gleich, mein Sohn. Sota ist mein Bruder.« Solana gab einen kurzen Aufschrei von sich.

»Keine Angst, Solana, hier wird dir niemand etwas tun. Bei uns bist du in Sicherheit, ich gebe deine Anwesenheit nicht preis.« Dabei streichelte ihr Gor- väterlich über die Hand. Er dachte einen Moment nach, ehe er ruhig weitersprach:

»Ich selbst habe bis zu meinem zwanzigsten Geburtstag im Berg gelebt. Einen Tag vor meiner geplanten Verschmelzung mit Jule … flüchtete ich aus dem Berg. Ich liebte nämlich Jana, aber sie war noch zu jung für mich. Weil wir Männer bis zu unserem zwanzigsten Geburtstag verschmolzen werden müssen, kam nur Jule infrage. Also verließ ich kurzerhand den Berg, denn ich wollte lieber sterben, als mit der falschen Frau verschmolzen werden.

Als ich merkte, dass mir außerhalb des Berges gar nicht passierte, bereute ich, dass ich Jana nicht mitgenommen hatte.

Nach mehreren Monaten spürte Sota mich auf. Zuerst wollte er mich töten, doch dann brachte er es nicht fertig – oder vielmehr, er erkannte den Vorteil, den ich ihm bringen konnte. Seither versorge ich ihn und sein Volk mit Lebensmittel und Textilien. Normalerweise kommt er- oder ein anderer Goma, in den Vollmondnächten, aber gelegentlich auch am Tag, so wie heute.«

Alwin und Solana hatte es die Sprache verschlagen. Sie starrten Gor beide an, als er leise zu Solana sagte: »Wir sind aus einer Familie, na, was sagst du jetzt?«

»Mir fällt nicht viel dazu ein, außer dass es schön ist«, entgegnete sie schulterzuckend.

Alwin warf ihr einen enttäuschten Blick zu:

»Das sagst du doch nur, weil du nicht weißt, was es bedeutet.«

Gor sah ihn daraufhin verwundert an.

»Gibt es etwas, das ich vielleicht wissen sollte, mein Sohn?«

Doch Alwin schüttelte den Kopf und so erzählte Gor weiter, während er beide immer wieder abwechselnd ansah.

»An meinem dreißigsten Geburtstag im „schwarzen Ochsen“ habe ich Helen, deine Mutter, kennengelernt. Wir verliebten uns ineinander und es dauerte nicht lange, und du wurdest geboren, Alwin. So viel zu meiner Vergangenheit.«

Dann wandte sich Gor an Solana: »Bei uns wirst du immer sicher sein, aber außerhalb des Hofes musst du selbst auf dich aufpassen!«

»Glaubst du denn, dass Vater mich töten würde?«, fragte sie erschrocken. »Ich denke ja!« Fragend sah sie Gor an.

»Aber dich hat er nicht getötet!«

»Nein, aber von mir profitiert er ja auch. Er bezahlt mir nichts für die Ware, die ich ihm besorge. Zugegeben, hin und wieder bringt er mir ein paar schöne Bergkristalle mit, aber das kommt nicht sehr oft vor. Immerhin sind sie so groß, dass ich sie jedes Mal gut verkaufen kann.«

»Warum gibst du die Ware umsonst her? Wir sind doch auch nicht reich!«, warf Alwin ein.

»Aus alter Verbundenheit. Du darfst nicht vergessen, ich bin ein Goma.«

»Das stimmt«, sagte Alwin nachdenklich.

»Kannst du irgendwann wieder einmal in den Berg hineingehen?«

»Nein! Nie wieder! Nicht einmal in die Nähe, sonst würde man mich töten«, rief Gor vehement, »schließlich weiß nur Sota und sein eng vertrauter Wächter, dass sie von mir leben.« Dann stand er auf.

»Und jetzt muss ich in den Stall, denn es ist Zeit, die Ziegen zu melken.«

»Soll ich dir helfen?«, fragte Solana, aber Alwins Vater verneinte rasch und verließ die Stube. Der Junge selbst war immer noch leicht benommen von den Neuigkeiten. Er sah Solana schweigend an.

»Ich ziehe mir jetzt etwas von meinen neuen Kleidern an und dann gehen wir nach draußen«, verkündete sie. Stumm nickte Alwin. Solana verschwand mit den Tüten in ihrem Zimmer, und als sie wieder in die Stube kam, war sie mit einer Jeans und einem rosafarbenen T-Shirt bekleidet. Ihr Anblick riss ihn aus seiner lethargischen Haltung.

»Süß siehst du aus! Komm, wir gehen zum Smaragdsee, den kennst du noch gar nicht.« Er nahm aus der Obstschale zwei Äpfel und hielt sie Solana hin.

»Die beiden trägst du und ich nehme die Decke«, sagte er und klemmte sich eine zusammengerollte Decke unter den Arm. Er nahm Solana an der Hand, sie traten ins Freie und gingen kurz darauf den Schotterweg aufwärts.

»Unglaublich, dass du nicht gewusst hast, dass dein Vater aus dem Berg kommt«, sagte Solana plötzlich. Alwin zuckte die Achseln.

»Nein, es war mir bis heute nicht bekannt.«

»Findest du es schlimm, dass dein Vater ein Goma ist?«

»Nein, nicht unbedingt, aber …« Alwin sprach nicht weiter, er drückte nur ihre Hand etwas fester und sie gingen den restlichen Weg schweigend nebeneinander her.

Solana bewunderte die mächtigen Berggipfel und die noch in voller Blüte stehenden Bergwiesen. Alles wirkte so wunderschön und sie sog die mit Blütenduft geschwängerte Luft tief ein. Als ein kreischender Vogel über sie hinwegflog, zuckte Solana kurz zusammen. Alwin bemerkte es und legte seinen Arm um ihre Taille.

»Erschrocken?«, fragte er lachend.

»Ja, ein bisschen.« Solana legte ihren Arm ebenfalls um Alwins Taille und so spazierten sie bis zum See. Mit einem Mal tat sich vor ihnen die smaragdgrüne Wasserfläche auf, umrahmt von einer buschigen Tannengruppe.

»Ist das schön!«, schwärmte Solana.

»Das ist die schönste Gegend weit und breit, schau mal, wie klar das Wasser ist«, sagte Alwin.

»Kann man da reingehen, oder ist er sehr tief?«

»Der See ist ziemlich flach, er wird dir höchstens bis zum Bauch gehen, nicht weiter«, versicherte Alwin und konnte gar nicht so schnell schauen, wie Solana aus ihren Kleidern geschlüpft war und nackt ins Wasser lief. Als er ihren blassen, aber schön geformten Körper sah, verspürte er Lust, sie an sich zu ziehen und zu küssen. Alwin kämpfte mit seinen Gedanken.

»Komm rein!«, rief Solana aus dem Wasser.

»Brr, das ist mir viel zu kalt!«, gaukelte er ihr vor, denn er brauchte etwas Abstand von ihr. Erst musste er seine Gedanken wieder zur Vernunft bringen, damit seine lustvolle Erregung verschwand.

Solana planschte im Wasser herum. Sie sprang immer wieder hoch, sodass ihre Brüste wippten. Alwin konnte den Anblick fast nicht mehr ertragen, am liebsten wäre er über sie hergefallen, so sehr erregte sie ihn.

»Jetzt komm besser wieder raus, sonst verkühlst du dich noch!«

Er hielt die Decke in den Händen bereit, um Solana sofort in diese einzuhüllen. Lachend kam sie ans Ufer, während Alwin es vermied, sie anzusehen. Sofort schlang er den Stoff um ihren Körper und rieb sie trocken.

Ihr unbekümmertes Verhalten beeindruckte ihn sehr, sie war ungezwungen wie ein Kind. Alwin konnte nicht anders, plötzlich ergriff er mit beiden Händen ihre Schultern und zog sie an sich heran, dann nahm er sie in seine Arme und küsste sie auf die Stirn. Eng umschlungen standen sie eine Weile am Ufer. Solana hätte in diesen Moment am liebsten die Zeit angehalten, so wohl fühlte sie sich.

»Jetzt zieh dich wieder an, dann können wir uns noch ein bisschen hinsetzen.« Sofort ließ Solana die Decke nach unten gleiten und zog sich an. Alwin breitete unterdessen die Decke auf dem Gras aus, um sich zu beschäftigen, solange sie nackt war, dann ließ er sich auf den Boden sinken. Solana machte es ihm gleich, ihr nasses Haar hing ihr über die Schultern. Sie ergriff lächelnd den Apfel, den ihr Alwin entgegenhielt. Herzhaft biss sie hinein, wobei ihr Blick noch immer auf seinem Gesicht ruhte.

»Heute ist so ein wunderschöner Tag!«, begeisterte sie sich.

»Das hier wird mein Lieblingsplatz werden.«

»Wenn du möchtest, kommen wir öfter hierher«, schlug Alwin vor und Solana umarmte ihn blitzartig und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

»Ich möchte am liebsten jeden Tag hierherkommen!«

Angenehm überrumpelt von ihrem Wangenkuss, grinste er sie an.

»Von mir aus.«

Sie legten sich auf die Decke und schauten zum Himmel. Dann beobachteten sie verschiedene Wolkenformationen und jeder sagte, was er in ihnen sah.

Nach einer Weile legte Solana ihren Kopf an Alwins Schulter und blieb so liegen.

»Ich wünschte mir, dass die Zeit mit dir immer so schön wäre und nie vergehen würde«, flüsterte sie. Alwin nahm sie daraufhin fest in seine Arme und umklammerte sie.

Während er sie noch an sich gedrückt hielt, blies plötzlich ein stärkerer Wind über die Waldlichtung und den See.

»Ich denke, wir sollten jetzt besser gehen, der Wind kommt vom Westen und er bringt wahrscheinlich ein Gewitter«, gab er zu bedenken. Auf dem Heimweg gingen sie Arm in Arm. Plötzlich blieb Solana stehen und sah Alwin an.

»Es war ein schöner Nachmittag, vielen Dank dafür.«

Sie streckte sich und gab ihm einen Kuss auf den Mund. Unweigerlich hielt er sie fest und zog sie an sich. Als seine Lippen die ihren berührten, forderten sie einen langen Kuss. Solana spürte ein Kribbeln und eine wohlige Wärme, die sich in ihr ausbreitete. Während sie seinen Kuss mit Hingabe erwiderte, hatte sie das Gefühl zu schweben.

»Gehen wir jetzt öfter hier rauf?« Alwin strich Solana eine Strähne aus dem Gesicht.

»So oft du willst.«

Als sie beim Hof ankamen, zuckten bereits die ersten Blitze am Himmel und Sturmböen wirbelten den Sand auf. Schon schlugen vereinzelte Hagelkörner auf den Boden und ein paar davon erwischten die beiden, bevor sie sich ins Haus flüchten konnten.

Sie betraten die Küche, in der Gor an der Spüle stand. Er sah sie an und lachte.

»Jetzt hätte es euch bald richtig erwischt! Schaut nur, wie stark es plötzlich hagelt.« Er warf Alwin ein Handtuch zu.

»Das Mädel muss sich abtrocknen, sonst wird sie krank. Sie hat nicht die gleiche Immunabwehr wie wir beide.«

Alwin legte das Handtuch um Solanas Schultern und rubbelte fest ihren Rücken und ihre Arme trocken. Solana musste lachen, so lustig fand sie es. Nebenbei kitzelte sie Alwin, sodass sie in lautes Gelächter ausbrach.

Gor sah den beiden schmunzelnd zu und stellte heißen Tee und belegte Brote auf den Tisch.

»Zieht euch noch schnell was Trockenes an, dann können wir Abendessen«, sagte er. Alwin nahm Solana bei der Hand und zog sie ins obere Stockwerk.

»Beeilt euch aber, sonst wird der Tee kalt!«, hörten sie Gor ihnen noch nachrufen.

Als Solana wieder in die Küche zurückkam, saßen die beiden Männer schon am Tisch. Sie setzte sich zwischen Gor und Alwin und nahm sich ein belegtes Brot.

»Hat es dir gefallen?«, fragte Gor.

»Ja, es war herrlich!«

»Der Smaragdsee ist auch der schönste See in unserer Umgebung«, bemerkte er. Solana schwärmte während des gesamten Essens von der wunderbaren Natur. Gor bestätigte ihre Worte nickend und erzählte, dass auch er sich vom ersten Augenblick an in die Gegend verliebt hatte. Sein Gesicht wurde ernster, als er weitersprach: »Solana, morgen musst du dich in acht nehmen, denn es könnte sein, dass ein Goma unterwegs ist. Morgen ist Vollmond, also der Zeitpunkt, den sie meist wählen, um Ware abzuholen.«

»Warum gerade an Vollmond?«

»Wir mussten irgendeine Zeit ausmachen, damit ich weiß, wann ich die Ware bereithalten soll. Ich muss sie immer schon parat haben, denn länger als eine Nacht darf niemand draußen bleiben. Außerdem ist die Sicht dann recht gut.«

»In Ordnung, dann werde ich morgen besonders aufpassen«, versprach Solana.

Sie unterhielt sich noch lange mit Gor über die Gomas. Gor wollte alles wissen, ob und was sich seit damals geändert hatte und wer aus dem Berg noch lebte. Alwin staunte über das Leben der Gomas. Es kam ihm vor, als hörte er einem Märchen zu …


»Solana, komm zum Frühstück!«, rief Gor die Treppe hinauf.

Das Mädchen hatte gerade das Badezimmer verlassen und war sofort auf dem Weg nach unten. Als sie die Küche betrat, war der Tisch reichlich gedeckt. Sie setzte sich zu Gor an den Tisch und fing zu frühstücken an, nebenbei fragte sie:

»Wo ist Alwin, schläft er etwa noch?«

»Nein, der ist schon ins Dorf hinunter gelaufen, um ein paar Händler zu beliefern. Jetzt erzähl mal, wie geht es deiner Mutter? Ist sie immer noch so hübsch wie früher?«

»Ja, das ist sie sehr wohl und …«

Solana hielt inne, als augenblicklich schwere Schritte auf dem Terrassenboden zu hören waren, die sich dem Eingang näherten.

Die Tür wurde urplötzlich aufgerissen und Sota stand im Raum. Solana erstarrte beim Anblick ihres Vaters.

»Ich wusste es!«, rief er laut und drohend.

Er machte einen Satz auf Solana zu und zog sie vom Stuhl hoch. Seine Hände umklammerten ihre Schulter und er schüttelte sie heftig.

»Was ist nur in dich gefahren, dass du uns das antust? Weißt du überhaupt, was du damit bewirkt hast? Ich musste Janis zu meinem Nachfolger ernennen, hast du die leiseste Ahnung, was für eine Schande du damit über mich gebracht hast? Wenn du schon nicht an mich denkst, an deine verzweifelte Mutter hättest du wenigstens denken können!«

Gor stand auf und befreite Solana aus Sotas eisernen Griff.

»Lass es gut sein, mein Bruder«, wollte er einlenken, doch Sota brüllte:

»Misch dich nicht ein, sie ist mein Kind!«

»Solana, geh auf dein Zimmer«, sagte Gor daraufhin in ruhigem Ton.

»Und du, Sota, setz dich und lass uns miteinander reden. Komm, trink mit mir eine Tasse Tee, sie wird dir guttun.« Beruhigend schob er Sota zum Tisch und rückte ihm einen Stuhl zurecht. Als das Mädchen verschwunden war, fuhr er fort:

»Schau, Bruder, du musst Solana auch ein bisschen verstehen. Sie ist genauso wissbegierig wie ihr Vater und Frauen neigen nun mal dazu, ihr Unwissen in Neugier umzuwandeln. Du hättest es merken und ihr ein wenig entgegenkommen sollen. Du hättest ihr ja nicht gleich alles erzählen müssen. Wenn diese starke Windböe ihr nicht die Tür aus der Hand gerissen und sie zugeschlagen hätte, dann …«

Gor erzählte ihm alles, was er von Solana wusste, und langsam entspannte sich Sotas Gesicht. Die beiden Männer unterhielten sich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder. Nach und nach erzählten sie sich alles, was ihnen seit ihrer Trennung widerfahren war.


Solana stand unterdessen am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus. Sie war fürchterlich aufgeregt. Was würde nun aus ihr werden?

Ihr Vater wirkte krank auf sie, oder war es ihr nur durch das Tageslicht so vorgekommen? Wie lange sie so am Fenster gestanden hatte, wusste sie nicht, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Plötzlich wurde die Tür leise geöffnet und Alwin trat ein. Ohne etwas zu sagen, kam er auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Eng umschlungen standen die beiden am Fenster und sahen schweigend hinaus. Solana spürte, wie sie ruhiger wurde und ihre Angst schwand. Alwin gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er hob ihr Gesicht ein Stückchen an und sah ihr in die Augen.

»Keine Angst, dir wird nichts geschehen, dafür werde ich schon sorgen und mein Vater wird mir helfen. Außerdem wirst du bei uns bleiben, denn ich kann ohne dich nicht mehr leben.«

Langsam näherten sich seine Lippen den ihren und forderten einen Kuss. Solana spürte, wie er ihren Mund langsam öffnete und sie dann leidenschaftlich küsste. Vorsichtig hob Alwin Solana hoch und trug sie zum Bett, wo er sie sanft ablegte.

Er legte sich zu ihr, beugte sich über sie und küsste sie leidenschaftlich. Solana schwebte im Himmel der Glückseligkeit, während sie seine Küsse berauscht erwiderte.

»Solana kommst du bitte mal runter!«, holte sie da abrupt Gors Ruf in die Gegenwart zurück. Hastig befreite sie sich aus Alwins Armen und sprang förmlich aus dem Bett. Schnell fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar und zupfte ihr Shirt in Form, dann verließ sie das Zimmer.

Alwin folgte ihr mit Abstand. Ihr Vater saß am Tisch, aber als er sie eintreten sah, stand er auf und kam auf sie zu.

»Solana, ich habe entschieden, dass du hier bei Gor bleiben darfst! Aber eines sage ich dir: Lass dich nie von einem Wächter erwischen, denn sonst musst du sterben! Der Einzige, der dir nichts tun wird, ist Mos, denn er liebt dich wie ein Vater. Nur ihm kannst du vertrauen, hast du mich verstanden?«

»Ja, Vater.« Sota drückte seine Tochter kurz an sich, ging zu seinem Bruder und Alwin und reichte beiden die Hand zum Abschied. Er warf Solana noch einen längeren Blick zu und verließ dann das Haus.

Solana lief ihm ein Stück nach.

»Grüß meine Mutter!«, bat sie ihn, doch er steuerte, ohne sich umzudrehen auf die Scheune zu und kam nach kurzer Zeit mit zwei vollgepackten Säcken wieder heraus. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Hof. Solana sah ihm lange nach, auch noch, als er längst im Wald verschwunden war. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie konnte gerade noch ein tiefes Schluchzen unterdrücken. Da hörte sie die dunkle warme Stimme von Gor hinter sich.

»Du brauchst nicht weinen, er wird jetzt öfter kommen, damit er dich sehen kann.«

»Wirklich?«

»Ja, das hat er mir gesagt. Und auch, dass er es deiner Mutter schonend beibringen wird. Er möchte nur den richtigen Zeitpunkt abwarten«, sagte Gor. Jetzt huschte über Solanas Gesicht wieder ein kleines Lächeln.

»Vielleicht bringt er Mutter einmal mit?«

»Wer weiß? Jetzt komm, lass uns etwas essen.« Als sie in die Küche kamen, stand Alwin schon am Herd und briet Spiegeleier.

»Setzt euch, sie sind gleich fertig …

Treppe zum Licht

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