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Morgarten in Radierungen um 1800

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Ruinen, Kapelle, Landschaft – wer stellte Bilder der «klassischen Stelle» Morgarten her und was zeigten diese Bilder? Die folgenden zwei Bilder sind heute als golden gerahmte Einzelblätter in Archiven und Bibliotheken sowie auf Online-Verkaufsportalen zu finden. Sie zierten im 19. und 20. Jahrhundert vermutlich bürgerliche Wohnzimmer. Hergestellt wurden diese Bilder aber um 1800 als Illustrationen von Publikumsliteratur über die Schweiz und als gut verkäufliche Einzelblätter, deren Käufer Ansässige und Reisende waren.

Heinrich August Ottokar Reichards Malerische Reise durch einen grossen Theil der Schweiz von 1805 ist mit 56 Kupferstichen illustriert, einer davon ist mit «Morgarten am Aegeri-See» betitelt.160 Heinrich Füssli zeichnete ein alleinstehendes Holzhaus an einer Seebucht und locker bewaldete Berghänge im Hintergrund. Am linken Bildrand ist ein Uferweg zu sehen. Reichards Variante lehnte sich nahe an die kolorierte Radierung des Basler Künstlers Achilles Benz an, die 1796 in Heinrich und Johann Heinrich Füsslis Merkwürdige Gegenden der Schweiz erschien.161 Die Radierung liefert die Sehanleitung für Morgarten mit: Der Bildbetrachter schaut einer am Boden sitzenden Frau und ihrem Begleiter mit Hut und Spazierstock, der Richtung See und Haus deutet, über die Schultern. Sie lenken den Blick auf die Sehenswürdigkeit, zeigen den touristischen Blick und fordern den Bildbetrachter auf, sich an ihre Stelle zu begeben.163 Zwei Männer spazieren, leicht vom Schilf verdeckt, rechts vom Haus dem Uferweg entlang. Die Zeichnung zeigt keine Bezüge zur Schlachtgeschichte. Der Ort Morgarten, den man spazierend besuchen sollte, ist ein sehenswürdiges ländliches Idyll.


Abb. 6: Der Kupferstich Morgarten, am Aegeri-See (1794) beruht auf einer nicht erhaltenen Zeichnung des Historienmalers (Johann) Heinrich Füssli und wurde von Heinrich Meyer radiert.


Abb. 7: Das Haus auf der kolorierten Radierung Morgarten au lac d’Ageri / Canton de Zug (1797) von Heinrich Füssli (Zeichner) und Achilles Benz (Radierer) entspricht laut Rolf E. Keller dem realen Haus Schranggen am Ägerisee.162 Beide Radierungen erschienen in Publikationen, die sich an eine touristische Käuferschaft richteten.


Abb. 8: Der Kupferstich des französischen Malers Nicolas Perignon erschien als Illustration im Buch Tableaux topographiques von Beat Fidel Anton Zurlauben von 1780.


Abb. 9: In der dreizeiligen Legende zu seiner Schlachtdarstellung von 1788 beschrieb Lorenz Ludwig Midart die «Bataille de Morgarten» als doppelten Sieg der drei Waldstätte über den Herzog Leopold «Duc d’Autriche». Dieser sei sowohl in Morgarten als auch bei Alpnach geschlagen worden, wobei er 1500 Männer verloren habe, während die Sieger – nur 1300 an der Zahl – 51 Tote zu beklagen gehabt hätten. Den Schlachtverlauf erzählt Midart nach Ägidius Tschudi, so erwähnt er 50 Steinwerfer an einer engen Wegstelle neben dem Ägerisee.

Auch auf einem Stich, den der französische Hofmaler Nicolas Perignon vor 1780 herstellte, erscheint Morgarten als ländliches Arkadien. Perignons Stich zeigt eine hügelige Voralpenlandschaft ohne Bezug zur Region – nicht einmal das Hauptmotiv von Morgarten, ein See, ist abgebildet. In der Bildlegende wird die Kapelle St. Jakob an der Schornen erwähnt, die aber nirgends zu sehen ist. Wiederum sitzen hingegen die Besucher mitten in der Landschaft und markieren über ihre Schultern die Ansicht. Am Horizont der idyllischen Landschaft ist die Alpenkette zu sehen.164

Schlachtfelder seien immer auch imaginierte Räume, die von Literatur, Kunst und anderen Medien «nicht mimetisch abgebildet, sondern konstruiert» werden, betonte der Historiker Bernd Hüppauf.165 Seit dem Mittelalter hat die europäische Malerei die Schlacht als Bildmotiv überhöht und das Schlachtfeld in ein «ästhetisches Gefilde», eine schöne Landschaft, eine «klassische Stelle» verwandelt.

Nicht das zeitgenössische Morgarten, sondern die Ereignisse von 1315 zeichnete der Künstler Lorenz Ludwig Midart (1733–1800). Midart war ursprünglich Advokat am Parlament von Metz, lebte ab 1772 als Sprachlehrer in Solothurn und war später Pagenhofmeister am Hof des Fürstbischofs von Basel im jurassischen Pruntrut. Ab den 1770er-Jahren stellte Midart in Solothurn Radierungen, Stadtveduten und Pläne her. Zwischen 1779–1788 fertigte er sechs Schlachtdarstellungen zur mittelalterlichen «Befreiungsgeschichte» der Schweiz an, darunter eine grossformatige kolorierte Radierung zur Schlacht am Morgarten, die als Einzelblatt verkauft wurde.166 Midarts Stich zeigt ein räumlich und zeitlich ausgedehntes Bild der Schlacht, eine Art Panoramaversion der Schlacht.167 Links im Bild rollen Männer Steine und Baumstämme auf die habsburgischen Ritter. Einige Ritter versuchen mit ihren Pferden durch den See zu fliehen, andere ertrinken im Wasser. Auf einer Wiese am See prallen zwei von Lanzen gekränzte Gruppen aufeinander, im Vordergrund finden Zweikämpfe statt. Im Hintergrund ist der Letziturm mit einem angebauten Tor gezeichnet, durch das eine Kolonne von Kämpfern mit Lanzen und zwei Fahnen strömt. Noch weiter im Hintergrund ist die Kapelle in der Schornen sichtbar. Herzog Leopold ist nicht eindeutig auszumachen, möglicherweise ist er einer der Reiter am Seeufer am linken Bildrand.

Diese bildnerischen Darstellungen von Morgarten um 1800 lassen sich mit dem Konzept des Pittoresken deuten. Dessen Idee wurde in den 1820er-Jahren formuliert, wobei die Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts eine grosse Rolle spielte.168 Laut James Buzard verlange das Pittoreske nicht eine Szene, die «wie» ein Gemälde aussehe, sondern eine harmonische Szene (oder einen Schauplatz) aus einem bestimmten Blickwinkel. Bei pittoresken Bildern werden Alltagshandlungen und die Bevölkerung weggelassen. Woher wusste Midart, wie er die Schlacht zeichnen sollte, damit sie als Schlacht am Morgarten erkannt wurde? Was waren mögliche Vorlagen?

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