Читать книгу Das Salzfass - Simon Sailer - Страница 3
ОглавлениеDer weiß nicht mal, was das ist. Er glaubt, es ist eine Dose, eine Zuckerdose vielleicht. Wie er es dreht. Er sucht den Stempel – da hat er ihn gefunden. Jetzt fühlt er sich als Experte. Ein Döschen aus Silber, und dieses blaue Glas, wie er mit dem Finger darüberfährt, als wäre er unsicher, ob es wirklich Glas ist. Es ist Glas, Kobaltglas. Und das weiße Pulver – er hält es für einen Zuckerrest.
Ich sehe genau, ob einer kaufen will. Wenn einer kaufen will, blickt er auf und sucht mich. Wenn nicht, hält er den Kopf gesenkt, aus Angst, in ein Gespräch verwickelt zu werden. Dieser hier schwankt noch. Einmal hat er aufgesehen, aber sich gleich wieder geduckt. Ich lasse ihn ein bisschen zappeln, er muss sich erst an den Gedanken gewöhnen, den Gegenstand zu besitzen. Darum kaufen nämlich meine Kunden. Sie wollen jemand sein, der ein einzigartiges Ding besitzt. Zum Beispiel jemand mit einem ganz besonderen Zuckerdöschen, einem, wie es nur höchst selten vorkommt, einem aus echtem Silber. Nur ist es keine Zuckerdose, aber selbst, wenn es eine wäre, stünde sie bei diesem hier bald nur in der Vitrine oder weit hinten im obersten Küchenschrank. Deshalb braucht er Zeit, um sich vorzustellen, wie es ist, mit dieser Dose zu leben. Wer besitzt so etwas?, fragt er sich. Und ob er so ein Jemand sein will.
Als nächstes wird er die Dose zurückstellen und die Unterlippe abschätzig herunterziehen. Dann wird er noch eine Runde drehen, vor dem Bild mit dem bloßfüßigen Mädchen stehen bleiben, das sich im Schatten unter einem Bauernhaus ausruht – alle halten davor zumindest einige Sekunden lang –, er wird mit den Fingern die moosfarbene Vase berühren, nicht ohne sich versichert zu haben, dass ich ihn nicht beobachte – dabei muss ich gar nicht hinsehen, alle wollen wissen, ob sie aus Glas oder Ton ist –, und am Ende wird er hier bei mir vorbeikommen und mir Grüß Gott sagen. Dann werde ich den Gruß im Sitzen erwidern und ihn, gerade wenn er wieder bei seiner Dose sein wird, ansprechen. Ich muss ihm ja sagen, womit er sich gerade anfreundet, dass es ein einzigartiges Stück ist.
Und da ist er schon bei dem Mädchen. Lange bleibt der stehen, sehr lange, das muss schon eine halbe Minute sein. Geht ganz nah heran. Er will zeigen, dass er etwas von Malerei versteht. Er begutachtet den Pinselstrich. Dabei sagt der ihm eigentlich nichts. Die Farbe ist dünn aufgetragen, man sieht das Gewebe der Leinwand durchscheinen. Aber was kümmert ihn das? Er wäre gerne jemand, den so etwas fasziniert. Deshalb kneift er die Augen zusammen, deshalb versenkt er sein Auge in das Auge des Mädchens. Jetzt geht er einen Schritt zurück, stolpert gegen die Teller. Wenn er etwas herunterwirft, darf er zahlen. Schade. Einmal habe ich einen gehabt, der hat sich die Hände um die Augen gelegt wie einen Operngucker, angeblich um die Farben besser zu sehen. Das macht dieser hier nicht. Was habe ich gesagt? Er berührt die Vase, jetzt riecht er hinein. Was soll ihm das sagen? Er hat nicht einmal geschaut, ob ich aufpasse. Es macht ihm nichts, dass ich ihn sehe, er will gesehen werden.