Читать книгу Der Fluch der Dunkelgräfin - Simona Turini - Страница 13

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V

Der Text aus dem kleinen Tagebuch hing Sofia noch lange nach. Während des Abendmahls, das ihr Bewacher mit ihr einnahm und das in drückendem Schweigen vollzogen wurde, dachte sie darüber nach, inwiefern die Erzählung, die sie gelesen hatte, mit dem merkwürdigen Traum in ihrer Geburtstagsnacht zu tun haben mochte. Zu sehr ähnelten sich die Szenen, als dass es sich um einen Zufall handeln konnte!

An diesem Abend verzichtete sie auf ihr Bad. Der stumme Diener ihres Bewachers hatte sich umsonst damit geplagt, ihr warmes Wasser zu bereiten. Es war ihr einerlei, sollte der unheimliche Alte sich doch grämen. Sie begab sich früh zu Bett und freute sich fast, in den paar Stunden des Schlafes ihre Sorgen und jene neuen, verwirrenden Gedanken hinter sich zu lassen.

Sie schwebte über einem endlosen Grün.

Kurz wunderte sie sich, dass sie den saftigen Rasen unter ihren Füßen sehen, aber nicht spüren konnte, dann erkannte sie, dass sie wirklich und wahrhaftig schwebte.

Ihr Kleid umschmeichelte die nackten Beine, feine Seide liebkoste ihre Haut. Das Gefühl war schöner als alles, was sie je hatte spüren dürfen. Sie lächelte, ein Lächeln, das sich mit jedem Schritt, den sie machte, vertiefte.

Das Gras war von einem unwahrscheinlichen Grün, einem Grün jenseits dieser Welt. Das Blau des Himmels ebenso. Der Duft der Blumen, die Frische der Luft, der Gesang der Vögel – alles wirkte verstärkt und um ein Vielfaches wunderbarer, als sie es kannte.

Sie war glücklich und fühlte sich frei.

Ausgelassen warf sie den Kopf in den Nacken und lachte der Sonne entgegen, die warm ihre Wangen und Lippen streichelte. Die Arme ausgestreckt, das Gesicht gen Himmel gewandt, die Augen genüsslich geschlossen ließ sie sich treiben, schwebte eins mit sich und der Welt über die Ebene.

Dann ein Schatten. In Erwartung des Anblicks einer weißen Wolke, eines Gebildes wie aus Watte, öffnete sie die Lider. Statt des friedvollen Bildes gewahrte sie eine schwarze Gewitterwolke, die sich rasch ausbreitete. Undurchdringliches Dunkel schob sich über das Blau. Ihr wurde kalt.

Fröstelnd beobachtete sie, wie sich der Himmel zuzog, wie Blitze zuckten, erst in der Ferne, dann rasch näher kommend. Die Wiese, über der sie nach wie vor schwebte, wurde braun, dann grau, dann schwarz – wo eben noch Blumen zwischen Grashalmen geblüht hatten, warf nun ein Sumpf träge Blasen.

Der Duft wich ekelerregendem Gestank. Sie versteifte sich, wollte irgendwie fliehen und zurückkehren in das Paradies, oder zumindest in die vertraute Welt ihres Gefängnisses. Stattdessen landete sie unsanft auf ihrem Hintern, mitten in der nunmehr grauen, trostlosen Ebene. Schmerz übermannte sie und hüllte ihren Körper und ihren Geist ein.

Weinend blickte sie sich um, aber außer unendlich scheinendem Sumpf sah sie nichts. Nach einer Weile, die ihr drückend lang erschien, tauchte am Horizont eine Gestalt auf. Sie konnte den Schemen nur erkennen, weil er noch viel dunkler war als das umgebende Schwarz. Schnell wurde die Gestalt größer, näherte sich ihr raschen Schrittes, mit der Arroganz dessen, der alles sein Eigen nennen kann und dem nichts Furcht einjagt.

Es war der dunkle Herr. Grinsend kam er zu ihr, reichte ihr eine kalte Hand und zog sie an sich. Eng an sich gepresst drehte er sie mehrfach im Kreis, bis ihr schwindlig wurde und sie verzweifelt um Erlösung bettelte.

Er lachte nur, laut, dröhnend, falsch.

»Kind«, flüsterte er in ihr Ohr. »Kind, du verstehst nicht: Deine Gefangenschaft dient einem höheren Ziel. Niemand springt so mit mir um, niemand betrügt mich – niemand soll es wagen, dem Lichtbringer einen faden Kuhhandel anzubieten. Du wirst es lernen, Kind, du wirst einsehen, dass ich nicht anders handeln konnte. Der schale Geschmack der Niederlage, ich habe ihn in ewigen Triumph verwandelt!«

Damit ließ er sie los, sodass sie zu Boden stürzte, wo sie bewegungslos liegen blieb, Stunde um Stunde, ein gefühltes Leben lang.

Keuchend und schwitzend fuhr sie in ihrem Bett auf, wieder einmal. Ein neuerlicher Albtraum, ein neuerliches Mysterium, das zu durchdringen sie nicht vermochte. Durfte sie nun nicht einmal mehr in der Nacht ein wenig Frieden genießen?

Erschöpft sank sie zurück auf das Kissen, das feucht war von ihrem Schweiß, und zwang ihren Atem zur Ruhe.

Der Schlaf wollte nicht zu ihr zurückkehren, obwohl es draußen noch dunkel war. Der Mond spendete ein wenig bleiches Licht, das ihr Zimmer schwach erhellte.

Deine Gefangenschaft dient einem höheren Ziel, hatte der dunkle Herr im Traum gesagt. Was sollte das bedeuten? Gab dieser Traum ihr Hinweise, wollte er sie dazu bringen, den Grund für ihr Elend herauszufinden? Das erschien ihr lächerlich, immerhin lebte sie hier, fast seit sie denken konnte. Immer war da der Bewacher gewesen, irgendwann auch der Diener, und immer war sie allein gewesen, ohne Wissen um ihre Herkunft oder ihre Familie oder den Grund für ihr düsteres Schicksal.

Allein, dass ihre Art zu leben nicht normal war, das wusste sie. Und sie ahnte, dass ihr Leben einst ein anderes gewesen war; ihre wenigen Erinnerungen an eine Kindheit ohne Sorgen, so blass sie auch sein mochten, verrieten es ihr.

Aufgewühlt blickte sie zur Decke. Dann griff sie neben sich nach ihrem Rosenkranz und hielt ihn so fest in ihrer Faust, dass sich das kleine silberne Kreuz schmerzhaft in ihre Handfläche bohrte. Sie schloss die Augen, wollte die Anspannung loslassen, vermochte es aber nicht.

Schließlich zwang sie sich, die Finger von der Perlenkette zu lösen.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, begann sie ihr Gebet, wie sie es gelernt hatte. Nach dem Glaubensbekenntnis ging sie sofort zum Ave Maria über, denn die ständige Wiederholung, so hoffte sie, würde ihr Ruhe bringen.

Es misslang, auch nach der fünfzigsten Wiederholung kreisten ihre Gedanken nicht um den Allmächtigen, sondern um das merkwürdige Tagebuch und die Geheimnisse, die es enthielt. Seufzend ergab sie sich und stand auf, um weiter darin zu lesen. Den Rosenkranz legte sie zärtlich an seinen Platz neben ihrem Kissen zurück. Dann besann sie sich anders. Der Trost des Herrn mochte im Gebet ausgeblieben sein, doch auf seine Nähe wollte sie in ihrer Verwirrung nicht verzichten, also hängte sie sich das Schmuckstück um den Hals. Während sie die Kerzen am Lesepult entzündete, tastete sie immer wieder nach dem Kreuz.

»Am sechsten Geburtstag unseres Mädchens dann verzweifelte ich vollkommen«, begann dieser Abschnitt des Buches. »Wir waren hungrig und froren und den nächsten Winter, da war ich sicher, würden wir nicht überstehen.

Seit Tagen schon betete ich schier ununterbrochen, flehte den Herrn an, uns zu retten, uns erneut zu helfen und unser Leben wieder in gute Bahnen zu lenken. Bisher war nichts geschehen und ich fühlte mich dem Ende nah. Fast war ich versucht, es erneut an der verfluchten Wegkreuzung zu versuchen. Kaum kam mir dieser Gedanke, wies ich ihn erschrocken von mir.«

Dennoch, so erfuhr Sofia, konnte der Bauer dem Teufel nicht entrinnen. Der Unhold kam zum schäbigen Zuhause der Familie, um sein Pfand einzufordern: Das Kind, das der Bauer bei seiner Geburt hatte opfern wollen, nun aber um keinen Preis mehr hergeben mochte. Alles Bitten und Flehen und alle Angebote, den Bauern statt der Tochter mitzunehmen, fruchteten nicht.

Stattdessen drängte sich der dunkle Herr in die Hütte, stieß die entsetzte Mutter beiseite und ging zum Bett, in dem die Tochter friedlich schlief. Die Frau versuchte noch, den dunklen Herrn aufzuhalten, und hieb auf ihn ein. Sie war wie eine Furie, wie es eine Mutter, deren Wertvollstes in Gefahr gerät, wohl sein muss.

»Hätte sie sich nur zurückgehalten«, hatte der Bauer geschrieben. »Hätte sie nur eingesehen, dass meine Sünde unser Schicksal längst besiegelt hatte.

Ihr Ende kam lautlos, fast friedlich. Der dunkle Herr lächelte sie an, als sie versuchte, ihm das weinende Kind aus den Armen zu reißen. Dann hob er einen Arm. In seiner Hand blitzte mit einem Mal eine Klinge. Der Arm fuhr nieder und meine Frau fiel rücklings auf den groben Holzboden. Ihre Kehle war nun eine klaffende Wunde, ein langer Schnitt, der den Hals teilte und zu einem grausigen Lachen formte, bis das Blut in einem Schwall hervorbrach und den Eindruck zerstörte. Ihre Hände zuckten zu ihrem Kind, das sie nicht mehr erreichen konnte. Ihre Augen brachen und sie starb.

Der dunkle Herr betrachtete sie interessiert, dann stieg er einfach über ihren Leichnam hinweg und verschwand aus unserer Hütte.«

Der Fluch der Dunkelgräfin

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