Читать книгу Verdammt. Verliebt. - der Nr.1 amazon Bestseller über eine Liebe, die nicht sein kann, aber sein muss, weil sie von anderen beschloßen wurde - Simona Dobrescu - Страница 7
ОглавлениеKapitel 1
Ein Moment absoluter Ruhe folgte.
Verwundert sah ich mich um, doch das Bild vor meinen Augen veränderte sich nicht. Unbarmherzig schien eine unmöglich große, sengende Sonne auf ein ebenso unmöglich riesiges, brachliegendes Feld. Durchzogen von vielen rechteckigen Steinen, die wahllos angeordnet und von dunkler Erde verkrustet halb zerfallen gen Himmel strebten, erstreckte es sich in die Weite und wirkte dabei trotzdem leer. Die Hitze wurde von dem rissigen Boden zurückgeworfen, schnitt mir ins Gesicht und projizierte flackernde Bilder von zusammengepferchten Kreaturen, die knöcherne Hände nach mir ausstreckten, in mein Bewusstsein. Ihre schmerzverzerrten Gesichter hingen wie wild im Wind tanzende Pusteblumen am Horizont und verzogen sich zu hässlichen, flehenden Fratzen, waren aber ausreichend weit weg, dass ich mir einredete, sie entsprängen meiner Einbildung. Und das mussten sie auch.
Denn es sollte eigentlich Nacht sein.
Und ich bei meinen Gästen.
Vorsichtig wandte ich mich etwas nach rechts, langsam, ohne zu blinzeln – aus Angst, die Welt um mich herum würde sich erneut verändern, wenn ich sie nur einen Moment aus den Augen ließe. Wie sich herausstellte, war meine Sorge unbegründet – auch ohne mein Zutun stand ich plötzlich inmitten eines wunderschönen, gleißenden Sonnenaufgangs.
Gefangen zwischen fasziniert und überwältigt versuchte ich mein Verlangen nach Logik zu unterdrücken, atmete bewusst gleichmäßiger und kämpfte gegen meine aufsteigende Panik. Schnell blinzelte ich über meine linke Schulter zurück in die Mittagssonne, die die Haut an meinem Arm verbrannte, und starrte anschließend auf mein rechtes Bein, an dem lange Schatten sich allmählich, vom Morgenlicht verdrängt, zurückzuziehen begannen. Mein Blick folgte ihnen, bis das schöne rote Licht sie verschlang, ein unbeschreiblicher Farbton, aber nüchtern und stechend. Sie vergingen über verschlafenen Holzruinen und wanderten weiter zu den letzten Spuren feinen Reifs, auf ihre Westseite, wo auf den Fassaden noch die dunkle Nacht regierte. Ein unkontrolliertes Frösteln zwang mich dazu, meinen Blick von dem verlassenen Ort abzuwenden.
Sieh dich weiter um, dachte ich, wo bist du?
Ich drehte mich im Uhrzeigersinn – hinein in eine mondlose Nacht, die Dunkelheit so intensiv und starr, so erdrückend. Doch auch so lebendig, dass ich eine leichte Bewegung ausmachte, verborgen im Schwarz. Meine Pupillen gewöhnten sich gerade an das fehlende Licht, als vor mir kleine Tupfer schimmernd aufleuchteten, von denen ich zuerst annahm, sie tanzten auf meiner Netzhaut. Dann erkannte ich die sattgrünen Waldwipfel, die wie Hunderte von Weihnachtsbäumen an Heiligabend erstrahlten, und wusste, es passierte wirklich. Aus dem höchsten Geäst erhob sich soeben ein funkelnder Kolibri, stieg steil in den Himmel empor und stürzte wie ein Stein herunter, fing sich und tauchte hinab in das Dickicht, kam daraus hervor, einem Delfin gleich, der die Fluten teilt. Fasziniert beobachtete ich ihn, bis er mich in seinem Spiel entdeckte und zielsicher auf mich zuflog, dicht über meinem staunenden Gesicht kreiste, tönte und zufrieden wirkte. Schließlich landete er auf meinem ausgestreckten Arm. Erst da merkte ich, dass ich ihn ihm einladend hingehalten hatte.
Ich wollte ihn fragen, was für ein seltsamer Ort das war, doch ehe ich ihn auch nur berühren konnte, schlug der kleine Kerl, dessen Gefieder aus reinstem Tau und hellem Mondlicht bestand, auch schon wild mit den Flügeln und verabschiedete sich, pendelte sich auf einen strikten Kurs ein, bis er schließlich nur noch ein schwarzer Punkt vor dem riesigen Sonnenball war und darin verschwand. Wehmütig folgten meine Augen ihm, während sich meine Beine weiterdrehten, bis ich wieder an meinem Ausgangspunkt angelangte und mir schmerzlich bewusst wurde, dass hier nichts stimmte.
Die Farben waren intensiver, jedes Blatt grüner, jeder Stein grauer. Die Luft schien durchzogen von Gerüchen, niemals rein oder klar, die Sonne greller, künstliches Licht matter, der Himmel näher. Ich stand ratlos da, beobachtend und alarmbereit.
Fast erleichtert bemerkte ich meinen Kolibri in der Ferne umdrehen und lächelte in freudiger Erwartung, doch ein seltsamer Schatten legte sich auf halbem Weg über ihn und ließ mein Lächeln zu einer steinernen Maske gefrieren. Eine Sekunde lang spürte ich die plötzliche Einsamkeit mit voller Wucht auf mich einwirken, ein Gefühl derart mächtig, dass es mich zu ersticken drohte, während aus dem schillernden Vogel ein langer, dürrer Stab wurde.
Nein, kein Stab, korrigierte ich in Gedanken. Es wirkt wie …
Ein Zeigefinger?
Gebildet aus sich bewegenden Mündern, toten Augen und Gliedern zeigte er anklagend auf mich, kam mir nah und näher, bis ich ihn berühren konnte. Seine bleichen, rauen Lippen erzählten flüsternd von dem Albtraum, in den ich mich gerade verirrt hatte.
„Armes, schönes Kind … ganz alleine … wird den Verstand verlieren … das arme, schöne Kind.“
Die Stimme war ein Verbund mehrerer Klagen, die zusammen einen Trauergesang bildeten, bizarr, melodisch, eine unsichtbare Tonleiter streichend. Modriger Gestank ging von dem abstrusen Gebilde aus und zwang mich dazu, durch den Mund zu atmen. Es wiederholte seine Worte mehrfach, mal klagend, mal amüsiert, jedoch ohne weiter an mich heranzutreten oder zu sich zu locken, eine Einladung, die ich zweifellos befolgt hätte, auch wenn sich jede Vernunft in mir bei der Vorstellung sträubte.
Ich versuchte meine Beine zu bewegen, aber unsichtbare Fäden hielten mich an Ort und Stelle. „Lauf, schönes Kind … der Sonne entgegen“, forderten mich Dutzende Lippen in unterschiedlichen Sprachen auf und schnitten die eisernen Schnüre damit plötzlich durch. Der Finger löste sich vorbeiziehenden Rauchschwaden gleich auf, bis nichts von ihm übrig blieb außer dem Geruch. Einen Wimpernschlag später setzten herzzerreißende Schreie ein – und ich lief in die vorgegebene Richtung los, die trockene Hitze verätzte meine Haut, versengte meine Sohlen, entzog mir das Leben, wie sie die Landschaft vor mir einst in totes Feld verwandelt hatte.
Doch nicht das trieb mich an, sondern das Crescendo Tausender ängstlicher Rufe, welches die starre Luft erfüllte und sie vergiftete.
Warte.
Abrupt hielte ich inne, meine Umgebung hatte sich in den letzten Sekunden erneut verändert.
Was, wenn das eine Falle ist?
Kieselsteine spickten neuerdings das Feld vor mir, ein starker Rauch zog in unregelmäßigen dichten Wirbeln darüber, stets gen Zentrum, das sich direkt vor mir befand. Abwesend fuhr ich mir mit der Hand an meinen pochenden Kopf, hinab in den Nacken, kratzte mich nachdenklich. Augenblicklich durchfuhr mich gellender Schmerz und ich schrie erschrocken auf, zog sie zurück, bemerkte meine blutverschmierten Finger.
„Du träumst“, sagte ich nun laut, um es real zu machen, ignorierte dabei die Wärme auf meiner Haut, die sich echt anfühlte, zwang mich, den Blick von dem satten Rot abzuwenden und stattdessen hochzusehen. Die weinerlichen Fratzen schwebten schwach am nun violetten Himmel, das Feld vibrierte weiter eisern in der Glut der Sonne, mein Körper vertrocknete, meine Lippen waren spröde und platzten auf. Ich versuchte, meine sich im Kreis drehenden Gedanken besser zu sortieren, als ein ohrenbetäubendes Poltern in der Ferne mich aufschrecken ließ und sämtliche Wehrufe verbannte. An dem mir nächsten, am Waldstück angrenzenden Horizont griffen elegant graue, schwarze und silberne Wolken ineinander, um sich zu verschlingen. Sie hüllten mich bald in eine schwarze Dämmerung, die, nachdem sie mich fest umschlossen hatte, meinem Körper langsam Wärme entzog.
Der Tag fühlte sich schlagartig gefährlicher an.
Bewege dich! Halte dich warm.
Über mir leuchteten erste Blitze, indes ich einen Schritt auf den erstbesten Quader zu machte, behutsam den groben, heißen Boden unter mir betrat.
Heiß?
Ich betrachtete den Untergrund genauer und schluckte. Millionen kleine Lichter glühten unter meinen blanken Sohlen – ein Meer goldener Funken, wie Kohle auf dem Grill, brutzelnd, zischend – schlängelten sich durch die trockene Erde. Im vergeblichen Versuch, nicht draufzutreten, stürmte ich los, den Stimmen nach und in Richtung Sonne, der einzig markanten Stelle am Horizont. Ich fürchtete alsbald, im Kreis zu laufen, hatte genug Filme gesehen, in denen Menschen stundenlang in Wüsten umherirrten, um am Ausgangspunkt zu landen. Doch selbst damit konnte ich mich eher abfinden, denn tatenlos irgendwo im Nirgendwo herumzustehen und auf Gott-weiß-was zu warten. Oder darüber nachzudenken, worauf ich gerade lief. Warum ich hier war. Was hier war.
Nach endlosen Minuten wandelte sich der Untergrund neuerlich und ich trat versehentlich auf etwas Kantiges, hielt an und hob es auf. Das handgroße, graue Ding wurde an einer Stelle dunkel, sobald der erste Tropfen eines apokalyptisch anmutenden Wolkenbruches über mir einsetzte und auf dessen Oberfläche traf, mein Vorhaben im wahrsten Sinne des Wortes wegspülte. Der starke Regen stank nach bissiger Fäulnis und brannte wie kleine Nadelstiche, nahm mich komplett ein, bis ich darüber vergaß, dem Gegenstand eine Bedeutung zuzuordnen – oder dass ich mich eben erst noch nach Abkühlung gesehnt hatte. Gehetzt betrachtete ich mein Umfeld, doch wohin das Auge reichte, war das in Nachtfarben getauchte Brachland verlassen und Unterschlupf-technisch unbrauchbar. Komplett durchnässt fiel die Entscheidung spontan und ich lief in Richtung des dichten Waldes.
Zehn Meter.
Dreissig.
Umpf.
Ein dumpfer Schlag presste mir die sämtliche Luft aus der Lunge - gleich darauf wurde mir schwarz vor Augen. Ich spürte, wie ich rückwärts taumelte und meine Beine mir den Dienst versagten, mir der Boden unter den Füßen brutal weggerissen wurde. Noch im Fallen schaffte ich es, meine Hände auszustrecken um den Aufprall etwas abzumildern. Vor mir schwebten viele aufgeregte Glühwürmchen.
Verständnislos schüttelte ich den Kopf, fing mich wieder und studierte die Gegend.
Nichts.
Unweit vor mir ein Meer aus Fichten. Meine Augen scannten komplett rings um und fanden Luft und Stille. Sorgsam rappelte ich mich auf, glättete fahrig das an meinem Körper klebende goldene Paillettenkleid und war dankbar für die Ablenkung, da mir der Stein in meiner anderen Hand einfiel. Ich holte tief Luft und betrachtete das verwobene Symbol auf dem handgroßen Brocken.
Ein mittelgroßes schwarzes, verblassendes „R“.
Einem Impuls folgend riss ich den Arm hinter meinen Kopf und warf.
Eine Sekunde später zerfiel der Stein zu feinstem Staub und löste ein leises Summen aus – die bis an den Himmel reichende, statische Barriere entlud sich flimmernd und sprühte erneut feine Funken, die wie winzige Sternenlichter anmuteten.
Währenddessen zog der Sturm, schneller, doch lautlos vorüber und die Sonne trocknete mich bereits. Ich wich von dem unsichtbaren Zaun zurück und fand mich neben einem von Moos bewachsenen Quader wieder, der eben noch woanders gewesen sein musste. Mein Herz setzte aus:
„oseanne“.
R-oseanne.
Darunter: 12. 1953 – 10. 1988.
Unfähig wegzusehen kroch eine beklemmende Gewissheit durch meine Adern, kurz bevor ein leises Geräusch sich in mein Bewusstsein schrie. Der Boden erbebte unter wuchtigen Schritten, kleine Staubwirbel flogen um etwas Großes auf und die zahlreichen kläglichen Schreie, die der Sturm und meine Gedanken erfolgreich verdrängt hatten, verstummten. Stoßweise und schwer atmend, als wäre der Weg unsagbar beschwerlich, näherte sich mir ein Ungetüm von vorn. Mit einer solchen Geschwindigkeit, dass die Gestalt an den Rändern verschwamm. Einen Augenblick später zwinkerte ich – und es stand eine Armlänge vor mir. Beim Anblick seiner roten, von geplatzten Äderchen durchzogenen Augen wollte ich weg, doch der weiche Boden war matschig und ich rutschte aus.
Auf alles gefasst wanderte mein Blick schnell nach unten, suchte nach nassem Sand oder Gras, fuhr wieder hoch und forschte nach etwas Vertrautem bei dem Ankömmling. Ich verstand, unterdrückte ein lautes Schluchzen, stützte mich mithilfe einer zerfallenen Kreuzstatue auf und lief um mein Leben.
Mein Blick klebte an dem sich erneut verdüsternden Himmel, an den vielen identischen Steinen, an dem in weiter Ferne lodernden Horizont, an diesem und jenem – nur nicht an dem mit Blut durchtränkten Boden unter meinen Füßen, der jedes Mal, wenn sie auftraten, ein schmatzendes Geräusch machte, während er die ständig näher kommenden bedrohlichen Schritte meines Verfolgers praktisch verschluckte.
Einzig das Schnaufen zeugte von seiner Präsenz. Mir wurde heiß und kalt zugleich, nachdem sich plötzlich ein weiteres Röcheln, das sich mit dem ersten vermischte, hinzugesellte und von einer zweiten, riesigen, hundeähnlichen Kreatur kündete. Auch diese war, mit einem schnellen Schulterblick deutlich erkennbar, aufgedunsen und atmete abgehackter, rasselnder, hatte aber trotzdem scheinbar keine Mühe, mit uns Schritt zu halten. Die Ankunft eines Konkurrenten verschärfte hörbar die stummen Bedingungen der Jagd. Die Tiere stachelten sich gegenseitig an, als Erster zu ihrer Beute aufzuschließen, und schaukelten ihre Leistung damit weiter hoch. Ich rannte durch braune Pfützen und schlingerte auf etwas Haarigem, fing mich aber und verbot mir, auch nur flüchtig auf den Boden zu schauen. Stattdessen konzentrierte ich mich auf das Ausweichen vor den teilweise abgesunkenen Gräbern und deren Grabsteinen. Weil es viel zu lange ruhig blieb und nur noch meine stoßweise Atmung zu hören war, ahnte ich, ihr Angriff stand unmittelbar bevor. Aus dem linken Augenwinkel erfasste ich, wie der Schmächtigere von ihnen zu einem eleganten, stromlinienförmigen Sprung ansetzte. Das Tier war groß genug, dass seine Klaue mich am Hals erwischte, bevor ich überhaupt verstand, dass es sich nach mir streckte. Ich hätte hinfallen können, aber das bedeutete, dass sie mich umzingelt hätten. Mir war klar, sollte ich erst einmal stürzen, würde ich vermutlich nie wieder aufstehen. Meine Ohren klingelten, meine Wunde pochte und meine Fersen brannten, aber ich biss die Zähne zusammen und nutzte das letzte Adrenalin, um mein Tempo zu beschleunigen. Der Zweite setzte an und sprang. Ich schlug einen Haken und duckte mich unter ihm weg, genau in dem Augenblick, da er in der Luft schwebend seine schwarzen Krallen ausfuhr, eine Bewegung, die die andere Kreatur anscheinend vorhersah. Mit weit aufgerissenem Maul und einem triumphierenden Brummen wartete er auf mich, die Pfoten bereits breitbeinig in den klebrigen Boden verankert, und schnappte fletschend nach meinem nackten Hals. Momente bangen Wartens verflogen und das Tier ging jaulend zu Boden.
Keuchend ließ ich das rostige Kruzifix, das ich von Roseannes Grab mitgenommen hatte, aus meiner verkrampften Hand fallen und starrte auf die feine rote Schliere, die sich allmählich am Hals des Tieres bildete. Ein einzelner Tropfen bahnte sich an der erbsengroßen Austrittsstelle mühsam den Weg über sein verkrustetes Fell. Verwirrt stierte der riesige Hund auf den Spritzer, der auf seine Pfote fiel, und stieß mit der Nase danach. Nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt beobachtete ich das Monstrum, robbte dabei leise rückwärts, fort von seinen Fängen, beobachtete, wie er sich mit der Zunge über die Lefzen leckte, und versuchte, nicht auf die fleischfarbenen Reste zu achten, die sich zwischen seinen Zähnen befanden.
Erst jetzt bemerkte ich die vielen Schrammen auf meinen Knien, die vor Kurzem noch nicht da gewesen waren, und verstand. Mein Kleid war recht kurz. Angespannt presste ich die Oberschenkel fest zusammen, bewegte mich weiter und runzelte entnervt die Stirn. Zwei Monsterhunde waren hinter mir her und drohten mich zu zerfleischen – und ich dachte
an Etikette.
Danke, Mom.
Wie ein Pfeil schoss der Kopf des verwundeten Ungeheuers unvorbereitet hoch in meine Richtung und durchkreuzte meine Gedanken.
„Lauf!“, hallte es tausendfach vom sich abermals verdüsternden Himmel und innerhalb eines Herzschlags gehorchte ich, sprang auf und war abermals auf den Beinen. Das Echo meiner Schritte klang in meinen Ohren, und bildete den Rhythmus, nach dem ich weiterrannte, auf einen Punkt in der Ferne, auf Rettung, auf Hoffnung zu. Ich dachte an gar nichts. Ich lief einfach, durch die Gerüche einer unwirklichen Welt und ihrer Bewohner. Über jedes Hindernis, was sich mir in den Weg stellte hinfort, konzentrierte mich auf meine Familie. Freunde.
Ich ärgerte mich über Abby, dass sie mir das Kleid aufgedrängt hatte, und war ihr gleichzeitig dankbar dafür, da es mich beim Laufen nicht einengte. Fast hätte ich laut losgelacht. Hatte man stets triviale Gedanken, wenn einem der sichere Tod bevorstand?
Hinter mir waren die Hunde wieder zu hören.
Lauter. Wütender.
Ich versuchte mir vorzustellen, es wären kleine, verspielte Vierbeiner, Terrier vielleicht. Doch der Anblick ihrer narbenübersäten Gesichter, der tiefschwarzen Augen und riesigen, mit Schmutz und Staub verklebten Pranken verfolgte mich genauso gewiss, wie sie es taten. An ihre imposante Körpergröße wollte ich gar nicht erst denken, auch wenn mir Peaches, mein Pony aus Kindertagen, ungewollt in den Sinn kam.
Gellende Schreie, eindringlich und unnatürlich, durchzogen die sonst tiefe Stille, die nur von dem regelmäßigen Saugton meiner Füße belebt wurde. Dann erklang ein stattliches Donnern weit über mir und nunmehr wenige, eindringliche Hilferufe brandeten auf. Gleichzeitig mit dem Blitz, der in der Ferne einschlug, fielen hinter dem roten Horizont ungezählte Feuerbälle von herzzerreißender Schönheit auf die Erde, genau dort, wo der Vollmond jetzt auf den Nachthimmel traf. Jedes Mal wenn einer aufprallte, prasselte eine Funkenfontäne gen Firmament und bildete neue kleine Sterne, die erloschen, bevor der nächste Komet aufschlug, oder aufstiegen und sich zu der Sonne gesellten. Es war ein fulminantes, nie endendes Feuerwerk. Was verstörte, waren die daran gekoppelten Todesschreie, die sie zu bedingen schienen.
„Tod.“
Die Stimme war ein Flüstern, eine Warnung an mich, die ich allmählich begriff. Dieser Ort war davon durchdrungen, brodelte spürbar vor Leid.
Das Geräusch donnernder Pranken trieb mich nunmehr wie Trommelschläge an, zugleich sich feine, dunkle Asche von den Gräbern erhob und plötzlich links und rechts meterhoch säulenartig aus dem Boden emporstieg. Eingesperrt in der einen Sekunde, fühlte ich mich in der nächsten beschützt. Nein, entschied ich, das ist kein Käfig: Die Säulen wiesen mir den Weg. Leiteten mich wie ein weiter Korridor.
Es war schwer, die beklemmenden Gefühle abzulegen, die die vielen Eindrücke in mir auslösten, doch ich schüttelte trotzdem den Kopf. Was jetzt zählte, war, dass ich hier lebend herauskam.
Hechelnd winselten die Hunde hinter mir, angespornt von ihren Blutdurst, indes meine aufgerissenen, brennenden Fußsohlen langsam taub wurden.
Um ohne Vorwarnung anzufangen zu prickeln.
Mit dem Schlimmsten rechnend streifte mein hektischer Blick zu dem weichen, sattgrünen Rasen, der in starkem Kontrast zum dämmernden Himmel voller silberner Kometen stand. Die Aschesäulen fielen langsam in sich zusammen, enthüllten eine Landschaft, die abermals sprachlos machte. Das schrecklich zerklüftete, lava- und blutdurchtränkte Feld war in eine von Felsen umringte Wiese übergegangen, an deren weitem Ende ein hübscher Garten auszumachen war, idyllisch in warme, satte Sommernachmittags-Farben getaucht. Mit seinen wippenden bunten Blütenköpfen übte er eine magische Wirkung auf meine Laufrichtung aus. Das sanfte Wogen eines nahen Wassers drang an mein Ohr. Zugleich schlossen die Biester endgültig auf und bildeten eine parallele Linie zu meinem vergleichsweise unscheinbaren Körper. Etwas an der Art, wie ihre Muskeln sich beim Rennen anspannten und ihre leblosen Augen mich fixierten, kündete von ihrer Entschlossenheit und ließ mich ungeahnte Kraftreserven freisetzen. Gehetzt stolperte ich über akkurat gekürzte Grashalme, während mich die Hunde in die Zange nahmen und sich der Geruch ihres nach Verwesung riechenden Fells so tief in meine Nase brannte, dass ich überzeugt war, ihn nie wieder abstreifen zu können.
Es war sinnlos weiterzurennen. Sie hatte mich und das wussten sie.
Speichel tropfte aus ihren Mäulern, die Gier nach Tod zeigte sich in ihren abgründigen Pupillen und verbannte damit die Freude an der Jagd, als sie sich einen letzten zufriedenen Blick zuwarfen, Millimeter um Millimeter näher kommend. Meine Lunge war am Bersten, mein ganzer Körper unumstößlich an seine Grenzen angelangt. Mühevoll hielt ich mich davon ab zu stolpern und zu fallen, den Blick auf den Garten geheftet, auf die liebliche Musik zulaufend, die in der Luft tanzte und deren Ursprung ich wohl nicht mehr erfahren würde.
Und plötzlich war ich es leid und blieb abrupt stehen.
Mit leisem Jaulen drehten sich die monströsen Kreaturen nach mir um und machten geradewegs kehrt, einen wissenden Ausdruck auf ihren abstoßenden Fratzen. Ihr schwarzes Fell, ihr mächtiger Körperbau, ihre von Grausamkeit durchtränkten Augen waren einander gleich, es hätte ein und dasselbe Tier sein können, wären nicht ihre von Narben durchzogenen Gesichter. Das hinzugekommene Scheusal hatte zwei Narben. Der andere, dem auf einmal anscheinend kampflos der Vortritt gelassen wurde, jetzt da er vor mir anhielt, legte den Kopf schief und ließ sein von wulstigen Gewebe grausam entstelltes Gesicht auf Höhe des meinen herunter. Sein rechtes Auge blutunterlaufen, seine Nase zerfetzt, verliehen die dicken und dünnen Wundmale ihm etwas Abstraktes. Sein Fell strömte jenen ekelerregenden, süßlichen Gestank aus, der vom Leben an diesem trostlosen Ort stammen musste und mich zwang, den Kopf abzuwenden.
Genussvoll schnappte er nach mir. Und erwischte mich nicht.
Überrascht blickte ich an mir hinab. Kein Biss.
Er setzte erneut an und wiederholte sein Spiel.
Weil ich zusammenzuckte, stieß er ein bedrohliches Knurren aus und stellte sich auf die Hinterbeine, um mit seiner Größe Überlegenheit zu demonstrieren. Schaudernd wich ich zurück und er schlug mit seiner Pranke nach meinem Kopf, den ich gerade noch rechtzeitig einzuziehen vermochte. Er begann das Manöver von vorn, fauchte und genoss seine sadistische Macht.
Der zweite Hund gesellte sich hinzu, aufgekratzt von der Verfolgung, und wollte mit seiner linken Pranke meinen Kleidersaum greifen. Im letzten Moment sprang ich vor ihr weg und er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, warf seinem Gefährten einen höhnischen Blick zu.
Dann begannen sie gleichzeitig, mich zu umkreisen wie zwei Geier das Aas.
„Hey!“, meine Stimme war lauter, denn ich es für möglich gehalten hätte. Zorn kroch in mir hoch. Sie genossen es, mich zu zermürben?
Hektisch drehte ich mich in alle vier Richtungen und fixierte sie, wie sie mich. „Ich sagte hey!“
Unbeirrt machten sie mit ihrem Zirkel weiter.
„Haut ab!“, schrie ich sie an. „Kusch!“
Sie schnaubten.
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. „Lasst mich in Ruhe!“
Vorsichtig ging ich in die Knie und tastete ohne sie aus den Augen zu lassen, suchte nach irgendetwas, aber meine Finger fanden lediglich Erde. Sei’s drum. Wenn ich schon sterben musste, dann nicht ohne vorher gekämpft zu haben.
Sie zogen den Radius enger.
„So ist’s fein, kommt nur her, ihr zwei Monster“, änderte ich meine Taktik und lächelte. Die vorbeihuschende Verwirrung auf ihren Gesichtern entging mir nicht. „Hierher, kommt schon, Hundchen, hierher … fein…“
Mein grimmiger Ausdruck bestärkte meine Hände in ihrer Provokation, die nun wild vor der Miene des Größeren herumfuchtelten. „Du bist dir ziemlich sicher, habe ich Recht? Glaubst, gewonnen zu haben?“
Demonstrativ gelassen fuhr ich mir mit der Zunge über die Oberlippe und tastete zugleich weiter die Erdoberfläche ab. Sein Schwanz stellte sich auf, neugierig, gespannt, von meinem Verhalten irritiert, eine Regung, die sein Begleiter registrierte und ihn veranlasste innezuhalten. Spannung kehrte zurück in seinen Körper. Ein einziges Raunen entwich aus dem Maul meines Gegners und meine Knie wurden sofort weich. Unabhängig von meiner gespielten Tapferkeit, drehte mir die betäubende Aura seiner Nähe den Magen um und ich betete kurz, dass es klappen möge, riss die Hände ruckartig hoch und schleuderte ihm den Dreck mit voller Wucht in die Augen. Das zweite Monster stellte sich mir in den Weg. Ich trat nach ihm und erwischte ihn am Vorderbein. Er hob es überrascht hoch, wich aber nicht zurück. Das verschaffte mir gerade genug Zeit, um nachzutreten und ihn unterm Kinn zu erwischen. Und guter Gott, ich legte jedes bisschen Kraft in diesen einen Tritt. Verdutzt strauchelte er und in derselben Sekunde rannte ich los, rannte im Takt meines galoppierenden Herzens – oder war es mein hämmernder Kopf? Rannte, bis ich plötzlich eine neue Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm, die mir durch Mark und Bein fuhr.
Hinter den schwarzen Felsen, versteckt in einer lichtlosen, um ihn schwebenden Hülle, erschien langsam ein zweiköpfiges Scheusal. Mit erhobenen Häuptern hielt es schnurstracks auf mich zu, mit jedem seiner bedächtigen Schritte schien es das Leben aus seiner armen Umgebung zu absorbieren. Schatten entstanden um es, türmten sich auf und fielen in sich zusammen, und wo einst brauner, aufgeschütteter Boden war, hinterließ es eine Schneise verbrannter Erde. Es war schnell, kein Vergleich zu meiner Geschwindigkeit und je näher es kam, desto klarer zeichneten sich seine Konturen gegen den Himmel als die eines großen Reiters ab. Mit einem von Unwillen und innerem Zwiespalt gezeichneten Blick machte der erste, größere Hund, der fast wieder zu mir aufgeschlossen hatte und sichtbar grimmig nach mir biss, einen Schritt zurück, knurrte und gebärdetet sich wild. Wenige Meter vor dem zweiten hielt er an. Das Schattenwesen zog an ihnen vorbei.
Unbewusst fing ich verzweifelt an zu beschleunigen. Tageszeiten wechselten sich nun sekündlich um mich herum ab, während es zu meiner Linken schneite und vor mir heller Sonnenschein den Weg sprenkelte, tummelten sich hinter mir bedrohliche Regenwolken. Wenn diese zwei Albtraumgestalten Respekt vor dem Was-das-auch-sein-mochte hatten, wollte ich den Reiter gar nicht erst kennenlernen, um den Grund dafür zu erfahren.
Mein Herz schlug schnell in meiner Brust, hart genug, dass es wehtat, meine Lunge brannte und Tränen stachen mir in den Augen.
Wozu überhaupt wegrennen, fragte eine Stimme in meinem Kopf.
„Mimi?“
Mit einem Gefühl, als würde sämtliche Luft aus meinem Körper entweichen, traf mich die vertraute Stimme derart unvorbereitet, dass ich aufschluchzte. Einen Arm nach vorn ausstreckend, in die Richtung, aus der mein Name erklungen war, brüllte ich „Hier!“, doch kein Ton entrang sich meinen Lippen. Die erlösenden Worte steckten mir im Hals, fanden den Weg nicht zu meinem Mund.
Stattdessen wurden die galoppierenden Schritte unaufhaltsam lauter, Metallklappern vermischte sich mit einem undefinierbaren, säuselnden Ton, der sich nach einem Lachen anhörte und kaum meiner Fantasie entsprungen wäre. Kalt und herzlos schallte er von den Felswänden, überdeckte die Musik, in die sich Gesang gemischt hatte, himmlischer, wohltuender Gesang, reflektiert von den Blütenköpfen, dem Plätschern, dem Garten vor mir. Wenige Meter trennten mich davon.
Wenn ich noch ein bisschen durchhielte, wäre ich –
Etwas Kaltes streifte mein Ohr und kam in einem eleganten Bogen vor mir zum Stehen. Irritiert blinzelte ich hoch und entdeckte zwei belustigte Augen, die Spott und Erhabenheit dunkel färbten. Auf einem majestätischen weißen Pferd, in einem verzierten metallenem Sattel, thronte eine mächtige, kantige Männergestalt, die locker einem gotischen Gemälde entsprungen sein konnte, Bogen in der rechten Hand, die linke am Zügel, eine seinen Kopf einrahmende Krone funkelte schwach.
Still wie eine Statue starrte er mich an, bis meine Hände nervös am Saum meines Outfits herumfummelten. Schließlich, als wäre es das Normalste der Welt, hob er den linken Arm und führte ihn nach hinten zu seinem Rücken, zog einen spitzen Pfeil hervor und setzte ihn elegant am Bogen an, dabei brach nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde seine Konzentration ab. Seine Aufmerksamkeit galt ungetrübt meiner Person. Meine Beine gaben weder unter mir nach noch wollten sie sich bewegen, dafür brach mir der Schweiß aus, ob von der körperlichen Anstrengung des Laufens oder vor Todesangst, ich wusste es nicht und schluckte schwer. Obwohl ich vor Furcht kaum noch imstande war zu denken, hielt ich seinem Blick stand und starrte ebenso verbissen zurück. Sobald er nickte, fiel mir hinter seinem Kopf zum ersten Mal die tief hängende Wolkendecke auf, genau da, wo eben noch hellster Sonnenschein gewesen war. Einer Intuition folgend hob ich sachte und beschwichtigend die Hände und deutete mit dem Kinn nach rechts. Großzügig gewährte er mir den letzten Wunsch und in dem Augenblick, in dem ich die drei grob überschlagenen Schritte seitwärts mache, traf der helle, die Wolken durchbrechende Sonnenstrahl auf die goldenen Pailletten meines Kleides und verwandelten den Mann und seine Rüstung in eine funkelnde, gleißend helle Discokugel.
In einer abgehackten Geste hob er leicht verspätet die Hand vor dem blendenden Licht. Ich kroch auf Händen und Knien weg, dankbar für meine Sportlichkeit, heftete meinen Blick auf den Garteneingang und lief zum ohrenbetäubenden Anschwellen der wunderschönen Musik ohne anzuhalten hindurch, drückte mich in eine Reihe von nach Zitrus und Honig duftenden Büschen, die meterhoch das Anwesen zierten. Zum Rhythmus meines Herzens sang die helle Frauenstimme in vollendeter Harmonie ihr Lied, und obwohl es eine Sprache war, die ich nicht verstand, fühlte ich, dass es von Liebe, von den Emotionen, die Menschen vereint und entzweit, handelte, und war verführt, mich davontreiben zu lassen. Ein zorniges Wiehern riss mich jäh aus meinem Luftschloss und schleuderte mich zurück in die Realität. Augenblicklich presste ich mich noch tiefer ins weiche Blattwerk, griff nach meinen Beinen, die derart laut zitterten, dass ich fürchtete, entdeckt zu werden, und zwang mich dazu, die Luft anzuhalten. Nach dem langen Laufen kam mir der Stillstand wie im Zeitraffer vor. Ich lauschte nach dem rhythmischen Poltern der Huftritte auf dem Boden.
Der Reiter bewegte sich beinahe stockend, kam in meine Richtung und verharrte unmittelbar vor meinem Versteck in einer unnatürlichen Haltung. Halb im Sattel sitzend, halb stehend, schloss er die Augen und konzentrierte sich auf etwas jenseits meines Fassungsvermögens. Ich biss mir auf die Zunge, schmeckte Eisen und zählte rückwärts. Dachte an jede Farbe, die es gab, rezitierte stumm jedes Kinderlied, das ich gelernt hatte.
Eine Ewigkeit später ging ein Ruck durch seinen Körper, er schaute genau in mein Gesicht –
und ritt fort. Die Hufschläge verklangen und aus meiner Angst erwuchs Furcht, Furcht vor dem Ungewissen, vor der Antwort auf die Frage, was passierte. Eingesperrt in das kratzende Gefängnis von Geäst und verloren in einem Land, von dem ich nicht wusste, wie ich jemals wieder nach Hause finden sollte, befand ich mich verzweifelt auf der Suche nach Trost.
Da erblickte ich ihn zum ersten Mal.
Im hellsten Mondlicht stand ein Wesen jenseits von mir und den wärmenden Sonnenstrahlen, an Klippen, die an meinen Garten grenzten, der, wie ich jetzt erst bemerkte, von schmalen Gängen aus Grün durchwoben wurde und sich in die Unendlichkeit erstreckte. Grau, einsam, von der Wärme verlassen war er in eine Landschaft eingelassen, die im ständigen Wandel war, sich erschuf und zerstörte und innerhalb dieses Prozesses schön und wild, aber auch karg und verdorrt wirkte. In der Ferne erklang das mir nun schon vertraute Geschrei von Männern und Frauen mannigfach, aber doch unterschiedlich und weit weg. Wildes Gebell mischte sich dazu, ein Donnern und schon herrschte neue Stille. Das wiederholte sich, während ich bereits zielstrebig auf die Gestalt auf den Klippen zuhielt. Es hätte der personifizierte Untergang sein können, das war mir bewusst. Ein Dämon, ein weiteres Monster, das mich umbringen wollte, und doch – ich musste unbedingt bei ihm sein.
Ich kenne dich, schwirrte es wild in meinem Kopf herum, bloß woher?
Aus der Nähe betrachtet konnte ich unter der dunklen Kutte eine stattliche Figur ausmachen und folgte ihr ohne zu zögern hinab in eine Höhle, über glatt polierte Steinböden, unerklärlich angezogen seinem breiten Rücken folgend, dessen Haltung von der Bürde zeugte, die erkennbar schwer auf ihm lastete, auch wenn die Person sich entschieden hatte, sie aufrecht zu tragen. Melodische Schritte trugen seine imposante Gestalt voller Anmut, und obwohl er nicht in Eile zu sein schien, wurde er stetig schneller und war abrupt verschwunden, ehe ich ihn auch nur annähernd einzuholen vermocht hatte. Mit ihm entwich die Wärme und Kälte flutete den leeren unterirdischen Raum, der die Größe eines Fußballfeldes hatte. Ich stand allein im Schein des von Fackeln produzierten Lichtes in dieser feuchten Festung.
Stirnrunzelnd drehte ich mich suchend um.
„Niemand wird einfach vom Erdboden verschluckt“, hörte ich in mir die tröstenden Worte meiner Tante und spürte, an einer Wand nach Geheimtüren entlangtastend, leider zu spät, dass sich meine Nackenhaare aufgerichtet hatten. Eine eisige Brise kitzelte meinen Rücken und noch während ich mich umdrehte, stürzte die narbenübersäte Bestie, vor der mich der Reiter mit seinem Auftauchen bewahrt hatte, mit einem eleganten Satz vorwärts, geradewegs auf meinen Kopf zu, seine Augen durchbohrten meine, die vor Schreck geweitet zurückstarrten. Adern platzten darin auf und tauchten die Pupillen in rote Meere, Verwesung kroch mir in die Nase und betäubte jeden Sinn. Ich dachte an meine Eltern und schlug mir die Hände vors Gesicht.
Als er mich fast erreicht hatte, umklammerte etwas mit festem Griff mein Handgelenk und stieß mich gegen die Wand, sodass mir die Luft wegblieb.
Wenn du dich nicht wehrst, ist es schneller vorbei.
Die Momente verstrichen, in denen ich mit noch größeren Schmerzen rechnete, doch nichts geschah. Vorsichtig öffnete ich ein Auge und schielte durch gespreizte Finger auf den Hund, der genau wie ich wie vom Blitz getroffen lauernd dastand, unruhig den Kopf schüttelte und dessen langer, verfilzter Schwanz wie eine Peitsche um sich schlug. Jemand war zwischen uns getreten und stand nun, beide Arme seitlich von sich gestreckt, dem Tier im Weg.