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Einführung Schwerter und Soldaten Das Schwert, dem niemand entrinnt
ОглавлениеArma virumque cano, Troiae qui primus ab oris Italiam fato profugus Laviniaque venit litora, multum ille et terris iactatus et alto vi superum saevae memorem Iunonis ob iram, multa quoque et bello passus, dum conderet urbem inferretque deos Latio, genus unde Latinum Albanique patres atque altae moenia Romae.
Vergil, Aeneis 1.1–7
Waffen ertönt mein Gesang und den Mann, der vom Troergefild’ einst Kam, durch Schicksal verbannt, nach Italia und der Laviner Wogendem Strand. Viel hieß ihn in Land’ umirren und Meerflut Göttergewalt, weil dau’rte der Groll der erbitterten Juno; Viel auch litt er im Kampf, bis die Stadt er gründet’ und Trojas Götter nach Latium führte: woher der Latiner Geschlecht ward, Und albanische Väter, und du, hochragende Roma.1
Übersetzt von Johann Heinrich Voß
Dies sind die einleitenden Verse der Aeneis, der Erzählung von Aeneas, einem trojanischen Prinzen und Sohn der Venus, welcher durch seine Flucht aus dem brennenden Troja der Rache der Griechen entkam und sich mit göttlicher Fügung auf eine lange Irrfahrt begab, die an den Gestaden Italiens ihr Ende fand. Dort gründete er in Latium eine Dynastie, aus der in direkter Linie Romulus, der Gründer Roms, hervorging (Abb. 1). Das erste Wort von Roms imperialem Nationalepos ist arma: Waffen und Rüstung. Vergils grandioses Gedicht gipfelt wiederum in einem Duell, das durch einen todbringenden Schwertstoß entschieden wird. Das Schwert – im Lateinischen gewöhnlich mit dem Wort gladius bezeichnet, das man sich als die kurze Stoßwaffe der römischen Legionäre der frühen Kaiserzeit vorstellen muss – steht als archetypisches Symbol für Rom und fungiert als zentrale Metapher für Roms Macht.
Rom herrschte jahrhundertelang über Gebiete, die heute unter mehr als dreißig Nationalstaaten auf drei verschiedenen Kontinenten, welche das Mittelmeer umfassen, aufgeteilt sind. Zudem reichte sein direkter Einfluss weit über diese Gebiete hinaus in die Biskaya, die Nord- und Ostsee, das Schwarze und das Kaspische Meer, den Persischen Golf und den Sudan. Dieses Riesenreich wurde in erster Linie, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, mit dem Schwert aus der Welt „herausgeschnitten“.
1. Aeneas entkommt aus Troja und trägt dabei seinen greisen Vater Anchises und eine alte Statue der Athene, die für den zukünftigen Standort Rom bestimmt ist (Münzprägung Caesars, der seine Abstammung von Aeneas und dessen Mutter Venus herleitete).
Weil sich Westeuropäer noch immer häufig mit Rom identifizieren, wird dieser kriegerische Aspekt oft äußerst positiv bewertet oder, paradoxerweise, mit ebensoviel Engagement heruntergespielt. Viele populärwissenschaftliche und auch manche akademische Veröffentlichungen preisen das römische Militärwesen als das großartigste der westlichen Antike. Alexander der Große mag in einem kürzeren Zeitraum ein größeres Territorium erobert haben, aber die bewaffnete Macht Roms stellte sich als viel dauerhafter heraus – und seine Legionen, nicht Alexanders Phalanx (siehe S. 86ff.), werden häufig noch heute als Vorbild moderner Armeen betrachtet. Bei dieser Betrachtungsweise stellen sich die fast unbesiegbaren Legionen der „römischen Armee“ (gewisser maßen als stehender Begriff) als eine funkelnde ‚Kriegsmaschine‘ von nie dagewesener Effektivität dar. Nachdem sie den Mittelmeerraum und den Großteil Westeuropas in zugegebenermaßen äußerst blutigen Kriegen erobert hatten, verwandelte sich die militärische Dampfwalze in eine furchtlose Wachmannschaft, welche die entmilitarisierten Provinzen vor der Bedrohung durch Barbareneinfälle schützte.
Volkstümliche Literatur und das Fernsehen mögen sich geradezu lustvoll mit dem Wesen der römischen Kriegsführung beschäftigen, die gegenwärtige Forschungsliteratur setzt sich hingegen kaum direkt mit den Realitäten des Krieges auseinander. Die Greuel der Eroberungskampagnen werden oft mit hastiger Oberflächlichkeit (als Pflichtübung) abgewickelt, um schnell die angenehmeren Gefilde der Entwicklung der Provinzen und der „Romanisierung“ zu erreichen. Wenn die Sprache anschließend überhaupt auf das Militär kommt, wird häufig seine Leistung bei der Etablierung der pax Romana, des „römischen Friedens“, betont, der das Umfeld für die größte aller Errungenschaften schuf: eine Hochblüte der griechisch-römischen Stadtkultur in den Zivilprovinzen, auf die verschiedentlich bereits zu römischen Zeiten mit Stolz verwiesen wurde2 und in der Edward Gibbon den Zenit der römischen Geschichte sah, bevor der Abstieg und Untergang einsetzten.
Diese Vorstellung von Rom hat sich tief in das Bewusstsein der westlichen Welt eingegraben. Abgesehen von dem speziellen und schaurig faszinierenden Kontext der Gladiatorenkämpfe in der Arena wird mit dem Abschluss der Eroberung Gewalt jedweder Art als Faktor des Lebens in den Provinzen kaum einmal thematisiert. Der Schwerpunkt liegt auf der gemeinsamen Weiterentwicklung des Imperiums durch die Gründung von Städten, den Ausbau des Verkehrssystems und des internationalen Handels, angetrieben von der zunehmend einhelligen Akzeptanz der Werte und Statussymbole der graeco-romanischen Zivilisation durch die provinzielle Oberschicht.3 Unter der pax Romana, so ist die gängige Ansicht, war militärische Gewalt – abgesehen von gelegentlichen Revolten und Bürgerkriegen – an die Grenzen verbannt. In dieser Sicht der Dinge fungierte das Militär als Schutzschild gegen die Außenwelt und spielte in jeder Hinsicht eine Nebenrolle in der „wirklichen“ Geschichte der römischen Zivilisation. Andere hingegen – traditionell die Juden, die frühchristlichen Autoren, die Bevölkerung der (ehemals römischen) modernen arabischen Staaten und heutige Europäer, die sich lieber mit den sogenannten Barbaren identifizieren – nehmen gegenüber dem römischen Militär eine weitaus kritischere bis feindselige Position ein und sehen deren Taten eher als Übergriffe denn als Leistungen an.4 Aus diesem Blickwinkel stützt sich die ungestörte Integration der Mächtigen und Privilegierten auf die Furcht der Mehrheit vor den Legionen, auf Zwang und Gewalt, auf Unterdrückung oder Versklavung. Rom entwickelte sich zu einer Gesellschaft, die besessen davon war, den Rest der Welt zu unterwerfen. Seine Heere zerstörten Jerusalem und den Zweiten Tempel, schlachteten möglicherweise eine Million Juden ab,5 vertrieben anschließend (so wird behauptet) den Rest aus Judäa, das Hadrian in ‚Palaestina‘ umtaufte. Diese Taten wirken bis heute nach. Römische Soldaten kreuzigten Jesus, verhafteten und richteten frühchristliche Märtyrer und Heilige hin. Römische Truppen zerstörten den in einer Oase liegenden Stadtstaat Palmyra, in dem viele Syrer das Symbol einer blühenden, präislamischen arabischen Zivilisation sehen. Römische Armeen verwüsteten wiederholt das Gebiet des heutigen Irak, ohne es allerdings auf Dauer unterwerfen zu können. Am entgegengesetzten Ende des Römischen Reiches gibt man Rom die Schuld für die Zerstörung der „keltischen“6 Kultur in den meisten Gegenden Kontinentaleuropas und dem heutigen England.
Aus diesem Blickwinkel werden die römischen Truppen zu fremdländischen Eroberern, zu Unterdrückern und Besatzern, zu Zerstörern einheimischer Kulturen und manchmal zum Werkzeug des Völkermords. Die Betonung liegt viel stärker auf der blutigen Wirklichkeit der militärischen Macht und des Imperialismus: auf herzlosen ausländischen Soldaten, die auf den Straßen brennender Städte auf abscheulichste Weise wehrlose Zivilisten folterten und abschlachteten, wie dies – archäologisch nachgewiesen – die Soldaten des Pompeius in Valencia taten (siehe S. 99 und Abb. 32). Es fällt wahrlich nicht schwer, solche dumpf-brutalen ‚Unmenschen‘ als bloße Zahnräder einer seelenlosen Kriegsmaschinerie zu betrachten.
Auf das immer wieder auftauchende Bild der „römischen Kriegsmaschinerie“ werden wir später noch genauer eingehen. In der Tat machten die Römer und viele ihrer Zeitgenossen im Krieg von Maschinen Gebrauch, und selbst Automaten waren ihnen nicht fremd. Viele der militärischen Ausrüstungsgegenstände fungierten in der Antike zudem als Metaphern und Symbole. Von besonderer Bedeutung war dabei – damals wie heute – das Schwert.