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Vorwort

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Der Ausgangspunkt für das vorliegende Buch liegt in Frankreich, im Tal der Aisne. 1980 nahm ich dort als Student an einer Ausgrabung teil, bei der wir auf Flusskiesterrassen gesetzte Gebäude germanischer Siedler ausgruben, die im 5. Jahrhundert n. Chr. Gallien der römischen Herrschaft entrissen. Diese Baureste waren vermengt mit Funden aus einer weniger weit zurückliegenden „germanischen Besetzung“; denn die Grabungsstätte war übersät von Granattrichtern und durchschnitten von Schützengräben der deutschen Front im Ersten Weltkrieg, die über einen langen Zeitraum in diesem Bereich verlief. Erst viele Jahre später fand ich durch einen gespenstischen Zufall heraus, dass es für mich auch eine sehr persönliche Verbindung mit dieser späten Phase der von Kriegen geprägten Geschichte des Aisnetals gab. Als Archäologiestudent hingegen war ich lediglich von der Tatsache fasziniert, dass unsere Grabung auf einem weit älteren Schlachtfeld stattfand.

An einem Morgen des Jahres 57 v. Chr. standen Julius Caesar und seine Legionen an einem Ort, der heute Mauchamp heißt, einer riesigen Armee belgisch-gallischer Krieger gegenüber, deren Ziel es war, die römischen Invasoren zu töten oder zu vertreiben.1 Caesar befestigte sein Lager und ließ Gräber ausheben, um sein zahlenmäßig weit unterlegenes Heer gegen Flankenangriffe zu sichern. So vorbereitet formierten sich die römischen Soldaten und stellten sich dem Angriff der Gallier. Die Schlacht an der Aisne war nur eine von einer ganzen Reihe großer Schlachten, welche die Eroberung Galliens prägten, und eine von hunderten, welche die Geschichte des Römischen Reiches durchziehen. Außer diesen im großen Maßstab geplanten Aktionen gab es tausende von kleineren Überfällen, Scharmützeln und Strafexpeditionen sowie Millionen weiterer Gelegenheiten, bei denen römische Soldaten im Krieg, als Besatzer, als verlängerter Arm des Rechtssystems oder auf eigene Rechnung Menschen töteten und verwundeten.

Die römische Armee übt immer noch Faszination aus. Ihre bemerkenswerte Organisation und ihr durchgängiger kriegerischer Erfolg waren in der westlichen antiken Welt beispiellos.2 Sie wird weitgehend als Prototyp der modernen westlichen Armeen betrachtet. Rom hat uns zudem eine ganze Reihe von historisch bedeutsamen Konzepten, Begriffen und Werten vererbt, darunter constitutio ‚Konstitution‘ (Verfassung) und res publica ‚Republik‘: Patriotismus leitet sich von patria ‚Vaterland‘ ab, Armee von armare ‚bewaffnen‘, Militär vom Adjektiv militaris ‚soldatisch‘, d.h. zum miles (Soldaten) gehörig. ‚Soldat‘, ein mittelalterlicher Begriff, geht auf den solidus zurück, eine römische Goldmünze, mit der man die milites entlohnte.3

Das Militär war jedoch nicht nur das Werkzeug für imperiale Eroberungsfeldzüge: Die Kriegsbeute befeuerte das Wirtschaftssystem des republikanischen Rom (vor allem ab dem 3. Jh. v. Chr.) und verschlang, als sich in der Kaiserzeit (nach 30 v. Chr.) die territoriale Expansion verlangsamte, den Löwenanteil der Steuereinnahmen und Ressourcen. Es war die größte Einzelorganisation der antiken westlichen Welt. In der Periode, auf die das vorliegende Buch hauptsächlich fokussiert ist, von Roms Aufstieg zur Weltmacht zwischen ca. 300 v. Chr. bis zu den Nachwehen des Zusammenbruchs des Weströmischen Reiches, leisteten etwa 10 Millionen Männer Wehrdienst in den Reihen dieser Armee. Selbstverständlich waren zahllose weitere Menschen mit dem Leben dieser Soldaten verwoben, sei es als Opfer von Krieg, Sklaverei und militärischer Besatzung, sei es auch nur als murrende Steuerzahler oder als Familienmitglieder, die für ihren Unterhalt auf den Sold angewiesen waren. Das Handeln der Soldaten, selbst ihre bloße Anwesenheit, hatte nicht nur tiefgehenden Einfluss auf Krieg und Politik, sondern auch auf die Gesellschaft und Wirtschaft des römischen Zeitalters. Auch wenn für die Soldaten glorreiche Siege auf dem Schlachtfeld im Vordergrund standen, reichten die tatsächlichen Auswirkungen des Militärwesens, ob gewalttätig oder anderer Art, weit über die Durchführung von Feldzügen und das Kriegswesen insgesamt hinaus.

Daher ist es wenig sinnvoll, die römischen Streitkräfte wie so häufig isoliert vom Rest der römischen Gesellschaft und der Schar ihrer Feinde zu betrachten: den Karthagern und Keltiberern, den Griechen und Makedonen, den keltischen Galliern, den Briten und Frühgermanen, den sarmatischen Nomaden, den Parthern und Sassaniden und nicht zuletzt den Juden des Altertums; denn wie bei modernen Streitkräften bildeten sich militärische Organisation, Ausrüstung und Praktiken durch die Interaktion mit spezifischen Feinden heraus und können nur richtig verstanden werden, wenn man sich auch mit diesen beschäftigt.

Will man die zutiefst kriegerische Komponente des römischen Zeitalters verstehen, ist es deshalb nötig, einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen, denn all diese Komponenten beeinflussten sich gegenseitig. Zum Beispiel würde kaum ein Historiker behaupten, dass Roms spektakulär schnelle Eroberung Galliens in den 50er Jahren v. Chr. ohne das einzigartige militärtaktische Genie Caesars in dieser Form gelungen wäre. Er müsste jedoch auch zugeben, dass Caesars militärisches Abenteuer durch das Klima eines gnadenlosen Ringens um Ruhm, Reichtum und Macht in der Endphase der römischen Republik ausgelöst wurde. In gleichem Maße wurde der Verlauf der Eroberung weitgehend vom Charakter und von den Reaktionen der gallischen Gruppierungen und deren Anführern bestimmt, mit denen Caesar sich verbündete oder die er bekämpfte. Außerdem könnte er nicht leugnen, dass – bei aller persönlichen Genialität – sein Triumph in Gallien nur denkbar war aufgrund der vorhandenen Ressourcen an Menschen und Kriegsmaterial und der militärischen Traditionen Roms. Dadurch stand ihm eine Armee zur Verfügung und die Mittel, sie zu unterhalten, eine gewaltige Streitmacht von furchterregenden Kämpfern, ausgestattet mit großer Kampfmoral, einzigartiger Erfahrung in der Kunst der Kriegsführung und einer hervorragenden Ausrüstung – vor allem dem gefürchteten, todbringenden Schwert. Dieser Kombination konnten die Gallier – trotz einer gewaltigen Zahl von Kämpfern und bei allem kriegerischen Mut – nichts Gleichwertiges entgegensetzen.

Unser Verständnis von Roms kriegerischem Aspekt wurde anfänglich vorwiegend aus den erhaltenen literarischen Texten der Antike gespeist. Diese konzentrieren sich jedoch größtenteils auf Offiziere und Heerführer; gewöhnliche Soldaten wurden in der Regel als anonyme Masse, ‚barbarische‘ Feinde als stereotypes „Schwertfutter“ abgehandelt. Moderne Historiker der Antike haben sich nicht immer sonderlich bemüht, die Beschränktheit dieser hierarchischen Perspektive antiker Autoren – häufig besseren Herren in komfortabler, grenzferner Umgebung – zu überwinden. Zweifellos haben das Studium von Inschriften römischer Soldaten und die archäologische Erforschung des imperialen Grenzsystems unser Verständnis des Militärwesens um wichtige Dimensionen erweitert. Dennoch wirkt ein Großteil der Ergebnisse dieser Arbeiten eigenartig keimfrei. Penibel werden organisatorische Details und Strukturen herausgearbeitet, während die brutale Lebensrealität antiker Soldaten nur selten thematisiert wird. Selbst das archäologische Studium der Waffen und Ausrüstung beschränkt sich häufig auf die typologische und chronologische Zuordnung der Objekte, ohne auf die Wirkungsweise einzugehen. Erst seit kurzem richten zumindest einige Althistoriker ihre Aufmerksamkeit auf den mechanischen Aspekt der Schlachten. Populärwissenschaftliche Abhandlungen beziehen ihr Material aus diesen akademischen Quellen und Forschungsergebnissen und vermitteln ein Bild des römischen Militärs, das sich in der Regel weiterhin aus hierarchisch strukturierten Darstellungen einer pseudo-modernen Streitmacht zusammensetzt.

Es besteht Bedarf an einem neuen, andersartigen Zugang zur res militaris, den militärischen Angelegenheiten. Statt der vertrauten Warte vom Gipfel der römischen Gesellschaft, dem Aussichtspunkt Scipios, Caesars, Trajans und ihrer aristokratischen Standesgenossen, liegt mein Schwerpunkt an der vordersten Front, im direkten Sinn des Wortes an der Schnittstelle der römischen Macht: auf den konkreten Gewalttaten der Soldaten, den Waffen, mit denen sie verübt wurden, und den Händen, die sie führten – auf den Soldaten und Kriegern, der Basis der militärischen Hierarchien. Meine Begründung ist einfach. Anders als bei den mechanisierten, anonymisierten, aus der Distanz verübten Massenabschlachtungen der modernen Kriegsführung wurde in der Antike militärische Gewalt per Hand ausgeübt, von Individuen, die mit Muskelkraft Waffen – vor allem das Schwert – gegen den Körper anderer Individuen einsetzten. Das Ergebnis von Schlachten, Feldzügen, Kriegen und imperialer Herrschaft war das kumulative Ergebnis unzähliger individueller Bluttaten. Im Mittelpunkt dieser Studie stehen Schwerter, Soldaten und deren Opfer, das heißt keine nebensächlichen Details. Dadurch entsteht ein Bild, das sich deutlich von dem vertrauten Bild der „römischen Armee im Krieg“ unterscheidet. Der Brennpunkt verschiebt sich von der internen Dynamik Roms – die in Abhandlungen zur res militaris häufig völlig losgelöst von weiteren Zusammenhängen besprochen wird – auf die Interaktion zwischen Römern und Nicht-Römern: auf das, was sich an den Grenzen zu anderen Gemeinwesen und zwischen Eroberern und Unterworfenen abspielte.

Die Konzentration auf das Schwert betont aufs Neue das Leid, das Blutvergießen und die Glorifizierung tödlicher Gewalt, die das innerste Wesen der res militaris verkörperten und welche die Römer selbst bei ihren Triumphzügen feierten4 und in quasidramatischer Form durch das ritualisierte Gemetzel in der Arena reproduzierten. Damit wird die direkte menschliche Erfahrung und etwas von dem Horror, der mit der Errichtung und Erhaltung des Imperiums verbunden ist, lebensnah dargeboten. Ein weiterer deutlicher Vorzug der Perspektive von unten nach oben gegenüber den konventionellen Darstellungsformen erwächst aus der Tatsache, dass sie viel repräsentativer für die Sichtweise der meisten Römer ist.

Ich skizziere aus diesem unkonventionellen Blickwinkel ein neues Bild der Geschichte Roms und des Schwertes mit dem Ziel, ein neues Gebiet zu erschließen und vertraute Themen mit neuen Augen zu betrachten und – soweit möglich – durch neue oder wenig bekannte Beispiele vorwiegend aus der Archäologie zu belegen. Bis auf die Römer haben nur wenige Gesellschaften aus dieser Zeit schriftliche Berichte hinterlassen; von den meisten stehen uns jedoch archäologische Zeugnisse zur Verfügung, die uns eine Vorstellung von Roms Gegnern, Verbündeten und Untertanen vermitteln, ihnen gewissermaßen eine Stimme geben und uns gestatten, ihren Einfluss auf die Geschichte Roms zu erforschen. Rom und das Schwert verknüpft eine Anzahl von Fäden meiner archäologischen Tätigkeit. Zum einen geht es darum, was materielle Hinterlassenschaften (vor allem tragbare Artefakte wie Schwerter, Sättel, Kleidung und Münzen, mit denen ich mich seit langem beschäftige) über unsere prähistorische und frühhistorische Vergangenheit aussagen können. Neben diesem Studium der antiken Kriegskultur interessiere ich mich auch seit vielen Jahren für das Wesen der Identität von Gruppen wie der ‚Römer‘, ‚Kelten‘, ‚Germanen‘ und ‚Parther‘. Bei der Bestimmung von Identitäten geht und ging es schon immer um ‚Insider‘ und ‚Außenseiter‘, um Grenzen und (mit grimmiger Häufigkeit) um gewalttätige Konflikte. Kultur und Gewalt sind eng miteinander verwoben und bringen die spezialisierten Artefakte hervor, die zur Kriegsführung verwendet werden und häufig identitätsstiftenden Charakter haben.

Die Vergangenheit lässt sich aber auch visuell darstellen. Viele antike Gegenstände und Örtlichkeiten lassen sich am besten durch Bilder vermitteln, wie ja auch ein hoher Anteil unserer Anhaltspunkte zur Vergangenheit von zeitgenössischen Darstellungen aus der Antike stammt. Die Illustrationen im vorliegenden Buch sind vorwiegend von mir selbst gefertigte Zeichnungen, Computergrafiken und Fotografien antiker Artefakte, bildlicher Darstellungen und Grabungsplätze. Sie liefern zusätzlich zum Text eine weitere Dimension der Information und Interpretation und – so hoffe ich – reichern das von mir angestrebte Verständnis und Gefühl für die Entwicklung der Lebensrealität in römischer Zeit an.

Das vorliegende Buch ist keine Monographie des römischen Schwertes und keine strukturelle Detailstudie des römischen Militärwesens. Aus Platzmangel kann der Inhalt kompetenter Studien zu diesem Thema hier nicht rekapituliert werden.5 Auch das zweite Standardthema der Bücher über die „römische Streitmacht“, die Festungen und Grenzsysteme, nimmt hier keinen breiten Raum ein.6 Gleiches gilt für Themen wie den Seekrieg (ein faszinierendes Gebiet, das jedoch fast immer sekundär und dem Krieg zu Lande nachgeordnet ist), das Führungswesen und den Geheimdienst, die in spezialisierten Veröffentlichungen zugänglich sind.7 Mein Bestreben ist es vielmehr aufzuzeigen, wie das Gesamtbild der Gesellschaft des römischen Zeitalters untrennbar verbunden ist mit dem Mikrokosmos von Menschen und den Artefakten, die sie im Alltagsleben, aber auch bei dramatischen Ereignissen einsetzten. Zudem hoffe ich dadurch dazu beizutragen, dass der militärische Aspekt wieder stärker in den zentralen Diskurs über die Antike einbezogen wird. Um den Anhang der Endnoten nicht ausufern zu lassen, habe ich diese auf antike Primärquellen, zusammenfassende Schlüsselwerke und eine Auswahl schwer auffindbarer und erst vor kurzem erschienener wissenschaftlicher Literatur beschränkt.

Allgemeine Werke über das „römische Heer“ werden häufig keimfrei präsentiert oder glorifizieren die martialische Seite der römischen Antike. Die vorliegende Studie will beides vermeiden und sich unverbrämt mit der gewalttätigen Wirklichkeit auseinandersetzen. Im höflichen Diskurs ist vielleicht insbesondere in Europa die Gewalt – wie die Sexualität im viktorianischen Zeitalter – zu einem Tabu-Thema geworden. Während die einen (vor allem junge Männer) nicht genug davon bekommen können, haben andere (vor allem Geisteswissenschaftler) gegen die Beschäftigung mit ihr große Vorbehalte und neigen dazu, eher den Motiven der Forschenden zu misstrauen als sich über den wissenschaftlichen Wert oder die Forschungsergebnisse entsprechender Arbeiten Gedanken zu machen. Die entscheidende Frage ist: Kann die Untersuchung der Gewalt mehr erreichen als zeitgenössischen Militärfantasten einen Kitzel zu vermitteln?

Von Standpunkt der Wissenschaft lässt sich eine derartige Studie problemlos rechtfertigen. Ihr Bereich ist die Gesamtheit menschlicher Erfahrung, und es lässt sich kaum bestreiten, dass Krieg und Waffengewalt eines der Hauptthemen der Menschheitsgeschichte darstellen. Der Wunsch, kriegerische Gewalt verstehen zu lernen, ist ebenso wenig ein Indiz für deren Billigung wie ein der Gerichtsmedizin unterstelltes Interesse, Mord hoffähig zu machen.

Dennoch sollte ich das Wie und Warum dieser Perspektive erklären, damit die Leser meine Vorstellungen und Schlussfolgerungen besser beurteilen können. Von Kindesbeinen von den Römern fasziniert, wurde ich Archäologe und spezialisierte mich darauf, antike Kämpfer, Römer und ihre Zeitgenossen, durch das Studium ihrer Waffen, ihrer Ausrüstung und der Spuren antiker Schlachten zu erforschen. Als ich 1980 schon als Spezialist für das römische Militärwesen zu Ausgrabungen in das Tal der Aisne reiste, war es jedoch nicht das nahe gelegene Schlachtfeld Caesars, das mich am tiefsten beeindruckte. Die Schlacht war einigermaßen bedeutungslos. Die Gallier griffen an, ohne etwas zu erreichen. Dann ging ihnen die Verpflegung aus und sie zerstreuten sich, um nicht zu verhungern. Caesar verfolgte sie und schlug kurz darauf an der Sambre eine weit entscheidendere Schlacht.8 Die klar sichtbaren Reste der deutschen Schützengräben, welche unser Grabungsgebiet durchschnitten, übten auf mich eine weit größere Faszination aus; denn mir war deutlich bewusst, dass mein Großvater väterlicherseits an der Westfront gedient hatte. Später fand ich heraus, dass dieser Kriegsdienst im Tal der Aisne seinen dramatischen Höhepunkt fand.

Als ich mich 1997 auf die Rückkehr an die Aisne vorbereitete, um etwa aus der Zeit Caesars stammende gallische Stätten zu vermessen, entdeckte ich zu meinem Erstaunen, dass ich bei meinem vorhergehenden Aufenthalt nur eine Gehstunde entfernt von dem Punkt gegraben hatte, an dem mein Großvater 1918 knapp dem Tod entronnen war. Die Front des Ersten Weltkriegs zog sich quer durch das Becken der Aisne, durch Orte, deren Namen sich in das Herz einer ganzen Generation von Franzosen einbrannten: den Chemin des Dames und das zerfetzte Dorf Craonne. Während der letzten deutschen Offensive im Frühling 1918 wurden englische Truppen unter französischem Kommando zur Stärkung der Aisne-Front dorthin geschickt, darunter das 1/8 Bataillon der Durham Light Infantry, zu der der Obergefreite Ernie James kurz zuvor versetzt worden war. Als vor dem Krieg von der Pike auf gelernter Soldat und einer der wenigen Überlebenden von „England’s verachtenswerter kleiner Armee“ (kolportiertes Zitat Kaiser Wilhelms II.), des britischen Expeditionskorps von 1914, fand er sich nun an der Front wieder, ein Stück östlich des verwüsteten Craonne. Am 27. Mai 1918 überlebte er mit viel Glück eines der heftigsten Artilleriebombardements des Krieges. Noch mehr Glück hatte er, als ihn ein deutscher Soldat während eines Schusswechsels nicht bajonettierte, als sein Regiment durch einen Flankenangriff überrascht wurde. Er wurde an seinem Helmriemen aus dem Schützengraben gezogen und als Kriegsgefangener abgeführt. In der Gefangenschaft überlebte er eine Operation ohne Narkose und entkam knapp dem Hungertod.

Aus seinen Erzählungen während meiner Kindheit blieben starke Eindrücke der janusköpfigen Natur von Krieg und Soldatentum zurück. Auf der einen Seite stand der glanzvolle Aspekt, der Zauber der Uniform, die glitzernden Waffen, der Kitzel der kriegerischen Musik und des Drills bei Paraden und Zapfenstreich. Bücher und Filme erzählen von Heldentaten und Opfermut, der Kameradschaft innerhalb der speziellen Gemeinschaft der Soldaten und dem Ethos der Kriegers. Doch das andere, grimmige Gesicht war ebenfalls ein immer präsenter Bestandteil der Erinnerungen meiner Familie: Leid, Tod, Zerstörung, Furcht, Grauen und Entbehrungen, wie sie, wenn auch in keimfreier Form, in der feierlichen Düsternis des nationalen Gedenktags zum Ausdruck kamen. Diese ersten Eindrücke hinterließen in mir ein Gefühl der Faszination für das Soldatentum, aber auch einen ausgeprägten Zwiespalt, vermutlich das am tiefsten verankerte Gefühl in diesem Buch.

Als mein Großvater starb, war ich ein Teenager in der Prägungsphase, und zwei weitere kriegerische Konflikte waren gerade voll entbrannt. In Vietnam zerstörten der ambivalente Charakter des Guerillakriegs und die Fernsehbilder von getöteten Frauen und Kindern alle noch verbliebenen naiven Illusionen von Gut und Böse oder makellosem Kriegsruhm. Die amerikanischen Soldaten hinterließen weniger den Eindruck von Helden als den von Opfern posttraumatischer Stresserkrankungen oder von Schlächtern, wie im Falle des Massakers von My Lai. Ihr Status als Hüter der Gesellschaft zerbrach 1970 mit den Schüssen auf die Studenten der Kent State University in Ohio ebenfalls in Scherben.

In Nordirland flammten die ‚Troubles‘ auf. Republikanische und loyalistische Terroristen, die paramilitärische Polizei und die britischen Truppen kämpften um die Oberhand. Das Prügeln, die Bombenexplosionen und die Schießereien brachten mir die Erkenntnis, dass die Grenzen miltärischen Handelns und des Krieges weit weniger klar waren, als es die Darstellungen der Weltkriege uns glauben machen wollten. Der Befreiungskrieg des einen war für den anderen ein Akt der verbrecherischen Gewalt. Zu guter Letzt schossen dann am ‚Blutigen Sonntag‘ britische Truppen auf britische Bürger. Wenn ich illegalerweise in meiner Heimatstadt Guildford ein Pub besuchte, sah ich, wie sich Soldaten aus der Garnisonsstadt Aldershot mit ortsansässigen jungen Männern und untereinander vor den Kneipen prügelten; „unsere Jungs“ konnten sowohl im Dienst als auch in ihrer Freizeit gefährlich sein. 1974 stattete die „Provisional IRA“ unserer Stadt einen Besuch ab und ließ in zwei Soldatenkneipen Bomben hochgehen, die aus den Trümmern des Horse and Groom Fleischfetzen bis an die Wand der Stadtbibliothek schleuderten. Der Krieg hatte uns erreicht. Für diese Greueltat sperrte man vier unschuldige Iren jahrelang ins Gefängnis. Der bewaffnete Konflikt hinterließ auch bei der Zivilgerichtsbarkeit seine Flecken.

Diese Erfahrungen und Eindrücke führten zu den Fragen, auf die ich in der Folge bei meinem Studium der Soldaten, der Krieger und des Krieges in der Antike Antworten suchte. Dabei neigte ich eher dazu, die Warte der Soldaten und ihrer Opfer einzunehmen, da ich die Einschränkung des Themas auf „Heer und Kriegsführung“ als unzulässig empfand: Das Tun und Treiben von Soldaten hat zu allen Zeiten weit über die offiziell militärische Sphäre hinaus gewirkt.

Rom und das Schwert

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