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Das Schwert in der Republik
ОглавлениеRom war keineswegs immun gegen die internen Spannungen, unter denen viele Stadtstaaten zu leiden hatten. Sein Aufstieg belastete die innere Ordnung sogar noch stärker, als dies in andereren Gesellschaften der Fall war. Es ist ein Wunder, dass diese Ordnung erst so lange nach der Vereinigung Italiens implodierte. Es gelang Rom, ernste gewalttätige Auseinandersetzungen innenpolitischer Art oder gar Bürgerkriege bis in das späte 2. Jahrhundert zu vermeiden, in dem dann die Republik – von der Last des Imperiums entstellt – auseinanderfiel und schließlich durch eine Monarchie ersetzt wurde. Wie konnte der innere Frieden so lange aufrecht erhalten werden? Die Suche nach der Antwort wird dadurch begünstigt, dass die Geschichte der römischen Siegernation in ungewöhnlichem Detail dokumentiert wurde.
Ideologisch war Rom immer viel weniger egalitär als griechische Staaten wie Athen. Doch trotz ihrer ausgeprägten Hierarchien war die römische Gesellschaft nicht von blind ergebenem Gehorsam gekennzeichnet. Die einfachen Bürger ertrugen die Dominanz der großen senatorischen Familien eher widerwillig und verliehen manchmal ihrem Unwillen lauten Ausdruck. Sie hatten sich an die Rollenverteilung gewöhnt, erwarteten aber auch, dass die Aristokraten ihren traditionellen Verpflichtungen nachkamen, sei es als zivile Magistrate auf dem Forum oder als Kommandanten im Feld. Ehrerbietung hatte ihren Platz, doch die Bürger kannten auch ihre Rechte. Die internen Spannungen und die Prozesse des Verhandelns zwischen den Klassen manifestieren sich in der Rolle der Volkstribunen und in den Anstrengungen der Oberschicht, sich bei der Masse einzuschmeicheln oder sie zu unterdrücken. Diese Situation war wiederum das Ergebnis von Krisen im Frühstadium des römischen Staates.
Machtkämpfe in der Oberschicht führten zur Vertreibung der Könige und zur Errichtung einer Republik. Die anschließende Monopolisierung der Ämter und militärischen Befehlshaberstellen durch einen geschlossenen Kreis alteingesessener Patrizierfamilien und die Arroganz der Aristokraten verursachten weitere Krisen, die als ‚Ständekampf‘ in die Geschichte eingingen. Dies war kein einfacher Konflikt zwischen dem Adel und der Volksmasse; denn zu den ‚Plebejern‘ gehörten auch reiche und mächtige Familien aus dem Senatorenstand, die sich durch die Exklusivität der patrizischen Clans benachteiligt fühlten, weil diese das Sakralleben und damit alle kriegerischen Angelegenheiten für sich beanspruchten. Nur die Patrizier waren befugt, vor einer Schlacht die Auspizien durchzuführen, durch die man sich die Billigung der Götter sicherte. Mit solchen Privilegien dominierten sie die Gemeinschaft. Die daraus entstehenden Spannungen stellten die Republik vor eine Zerreißprobe. Die dramatischsten Ereignisse standen häufig im Zusammenhang mit der Aufstellung von Heeren und der Durchführung von Kriegszügen. So waren die mehrfachen ‚Auszüge der plebs‘ während und nach dem 5. Jahrhundert, bei denen die einfachen Bürger sich auf den Heiligen Berg außerhalb Roms zurückzogen, Generalstreiks oder Massenmeutereien, bei denen die plebs den Militärdienst verweigerte, um dem Patriziat Zugeständnisse abzuringen. Diese Aktionen führten zur Einrichtung des Volkstribunats, eines wichtigen Zivilamtes zum Schutz der plebs. Während ihrer Amtszeit waren die Tribunen sakrosankt.52 Bei solchen Gelegenheiten setzte die plebs den politischen Hebel an, den ihnen ihre entscheidende militärische Rolle in die Hand gab, und widersetzten sich den Versuchen der patrizischen Befehlshaber, sie durch das Ausrufen des Kriegsnotstandes dazu zu zwingen, einen Eid auf den militärischen Gehorsam zu schwören, auf dessen Nichteinhaltung die Todesstrafe stand.53 358 v. Chr. waren die Soldaten so aufgebracht, dass sie ihren Befehlshaber ermordeten.54
In diesem Kampf hatte keine der beiden Parteien die Tugend für sich gepachtet. Die ‚wölfische‘ Seite der römischen Soldaten war bereits voll entwickelt. 342 v. Chr. heckten sie im Winterlager im verbündeten Capua den Plan aus, die reiche Stadt in ihre Gewalt zu bringen. Als der Kommandeur ihre Pläne durchkreuzte und die Verschwörer entließ, rotteten sie sich zu einem illegalen Heer zusammen und brachen angeblich zum Marsch gegen Rom auf. Ihre Ziele und der weitere Verlauf der Ereignisse liegen im Dunkeln. Livius berichtet, die Gefahr für Rom sei so groß gewesen, dass man einen dictator ernannte und ein Heer zusammenstellte, um die Marodeure abzuwehren. Allerdings räumt er ein, dass es verschiedene Versionen dieser Episode gab. Die Krise wurde auf jeden Fall ohne Bürgerkrieg abgewendet.55
In der früheren Republik waren die Römer als Soldaten ebenso politisch aktiv wie als Bürger in der Toga. Militärisch organisiert, stellten sie bereits eine potentielle Bedrohung für den Staat dar. Den Patriziern war natürlich sehr daran gelegen, die Kontrolle über die Soldaten zu behalten, und die Römer hatten generell ein Interesse daran, das Schwert aus der Politik herauszuhalten. Allerdings ergab sich die Frage, wie dies zu bewerkstelligen sei, wenn es mit dem Anwachsen von Roms Reichtum und Macht um immer höhere Einsätze ging.
Die wechselseitige Furcht spielte vor allem bei den Aristokraten eine wichtige Rolle bei der Mäßigung ihres Verhaltens. Die plebs war in der Lage, eine Verbannung durchzusetzen, machte auch einige Male davon Gebrauch und griff, wie gesehen, gelegentlich zum Mittel des Attentats. Die Aristokraten hielten sich auch gegenseitig im Zaum. Der Übergang zwischen dem dynamischen Streben nach Ruhm und Ehre in der konkurrenzbetonten Arena des Dienstes für das Vaterland und dem Aufbau einer Übermacht durch einen Einzelnen, die als Gefährdung des status quo empfunden wurde, war fließend, vor allem, wenn Demagogie im Spiel war. Solchen Menschen drohte die Verbannung (wie im Fall des Scipio Africanus) oder in späterer Zeit der Tod durch ein Attentat beziehungsweise eine mehr oder weniger legale Hinrichtung, wie man am Schicksal der Gracchen, Catilinas and schließlich Caesars ablesen kann, dessen Ermordung die Republik zum Einsturz brachte.
Die Römer betrachteten bewaffnete Gewalt als etwas Ansteckendes oder so, wie wir im Westen die Kernkraft einschätzen: bei vernünftigem Umgang als eine Quelle möglichen Nutzens (allerdings am besten aus sicherer Entfernung), aber auch als potentiell tödliche interne Gefahr. In der späteren Republik setzte man zunehmend Gesetze ein, um vis, illegale und exzessive Gewalt, und vor allem vis publica, kollektive Gewalt, die mit bewaffnetem Aufruhr gleichgesetzt wurde, zu bekämpfen.56 Diese Maßnahmen sollten allzu ehrgeizige Aristokraten, bewaffnete Banden oder den noch schlimmeren Fall, eine Kombination beider, in die Schranken weisen. Dabei war es seit der Frühzeit eine zentrale Funktion von Religion und Ritual gewesen, das Schwert von der Stadt fern zu halten. Die Römer erachteten bewaffnete Gewalt als eine so gefährliche Bedrohung für Staat und Gesellschaft, dass sie ihre Stadt mit außergewöhnlich elaborierten Systemen göttlich gestützter Sanktionen, Rituale und Tabus abschotteten.
Ebenso wie die Passion für das Schwert ein fester Bestandteil der Ideologie der römischen Männer und ihres Staates war, war die Furcht vor dessen Missbrauch in der symbolischen, sakralen und rituellen Topographie der Stadt verankert. Die Römer teilten die Welt in zwei Domänen auf, die signifikanterweise als domi und militiae bezeichnet werden. Domi – von domus, Haus, Haushalt – war die heimische Welt der Römer, der Familien, der Zivilgemeinschaft und des friedlichen internen Miteinanders. Militiae war das Reich der bewaffneten Gemeinschaft, die äußeren Feinden gegenüberstand. Bemerkenswerterweise war die Grenze zwischen den Domänen des Schwertes und der Zivilgemeinschaft nicht nur konzeptionell, sondern physisch durch eine rituelle Einfriedung markiert: das sogenannte pomerium, einen Streifen Land, der ungefähr entlang der Linie der Stadtmauer verlief und gelegentlich mit dem Anwachsen der Stadt und ihres Territoriums verlegt wurde.57 Das pomerium hatte nicht nur Bedeutung bei kriegerischen Auseinandersetzungen, es schuf auch einen sakrosankten Raum, in dem keine Form bewaffneter Gewalt zulässig war, insbesondere keine internen Privatfehden.
Die rituelle und praktische Bedeutung des pomerium in der Zeit der Republik kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Es markierte nicht nur eine Tabuzone für das Schwert, sondern fungierte auch als symbolische Grenze zwischen der städtischen Welt und der jenseits davon befindlichen Welt der Landwirtschaft beziehungsweise Wildnis, zwischen ‚uns‘ (sc. Römern) und den Fremdlingen, und auch zwischen den Lebenden und den Toten, die außerhalb des pomerium begraben werden mussten. Gewalt unterhalb der Tötungsschwelle war auch innerhalb der Stadt nicht verboten. Untergebene durften geprügelt werden, doch das Töten von Sklaven und Exekutionen wurden außerhalb der Grenze durchgeführt. Henker und Metzger durften nicht in der Stadt wohnen. Doch ein Großteil ihrer Bedeutung bezog sich speziell auf den Krieg und andere Formen der kollektiven Gewalt, die im wörtlichen Sinne nach draußen, außerhalb des Gebiets der Zivilgemeinschaft, verlegt wurden.
Versammlungen des Senats, in denen über einen Krieg debattiert wurde, oder Empfänge von Gesandten ausländischer Mächte, mit denen kein Vertrag existierte (und die damit automatisch als Feinde eingestuft wurden), fanden jenseits des pomerium im Tempel der Bellona, der Göttin der Kampfeswut, statt.58 Ein Fetialis (Mitglied des speziellen Kollegs von Priestern, die sich mit Angelegenheiten der Diplomatie, des Krieges und des Friedens beschäftigten) erklärte den Krieg, indem er sich der Grenze des Feindeslandes näherte, eine rituelle Verwünschung äußerte und zeremoniell einen Speer in das feindliche Territorium schleuderte. Als die Grenzen sich immer weiter von Rom entfernten, war dies nicht mehr praktikabel. Deshalb wurde die rituelle Vorschrift dadurch erfüllt, dass man den Speer in ein Areal außerhalb des pomerium schleuderte, das aus sakralen Gründen zum Feindesland erklärt worden war.
Auch die militärische Ausbildung und die Appelle der Soldaten fanden außerhalb Roms statt, auf dem Campus Martius, dem Marsfeld. Es war römischen Soldaten untersagt, bewaffnet das pomerium zu überschreiten, es sei denn für den Spezialfall eines von den Göttern sanktionierten formalen Triumphzuges, und selbst dann nur durch ein spezielles Tor. Feldherren übernahmen den Oberbefehl oder legten ihn nieder, indem sie das pomerium überquerten und dabei die Zivilkleidung mit der militärischen vertauschten und umgekehrt. Wenn ein amtierender General die Stadt betrat, erlosch damit automatisch seine oberste Befehlsgewalt (imperium). Daraus ergaben sich bis zum Ende der Republik praktische und politische Folgen. 60 v. Chr. musste sich Caesar deshalb zwischen einem Triumphzug und der Wahl zum Konsul entscheiden. Für den Triumphzug hätte er sich als amtierender General bis zum Tag der Prozession außerhalb der Stadt aufhalten müssen. Die Überschreitung des pomerium hätte ihn seinen Oberbefehl gekostet und damit den Triumphzug. (Er entschied sich für das Konsulat und spekulierte auf spätere Triumphzüge.)
Um den Einfluss militärischer Gewalt auf die politischen Institutionen zu verhindern, verbannte man sie auf die andere Seite des pomerium, mit Blickrichtung nach außen. Dennoch war das Schwert als konkretes Objekt nicht aus der Stadt ausgeschlossen. Bis der Staat – in der Spätzeit der Republik – dazu überging, sie selbst auszugeben, waren Waffen das persönliche Eigentum der Bürger und wurden zu Hause aufbewahrt, das heißt, sie müssen das pomerium überquert haben. Der Staat regulierte den kriegerischen Waffengebrauch durch spezielle sakrale Festakte, bei denen Waffen und Trompeten gereinigt wurden. Im März, dem Monat des Kriegsgottes und der Eröffnung der Kriegssaison, wurden sie auf diese Weise für den Kriegsdienst freigegeben und im Oktober, dem Ende der Saison, ‚stillgelegt‘.59