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Kapitel 1

Oakland, Kalifornien, USA, 2016

Es war kurz vor zehn Uhr als Detective Pierré Jones sich im Bett hin und her wälzte. Seine Gedanken kreisten ohne Unterlass um den heutigen Abend. Wenn er daran dachte, was er gelesen und gesehen hatte. Er konnte es kaum glauben. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Ja genau, das muss es sein. Immerhin war die verprügelte Person aufgrund ihrer Blessuren auf dem Foto schlecht zu erkennen gewesen. Aber da war etwas, was es ihm schwer machte, das Ganze zu glauben. Ihre braunen Augen und das goldene Medaillon um den Hals, welches er ihr geschenkt hatte. Genervt von seinem Hirn, das ihm nicht mal eine Nacht ruhigen Schlaf gönnte, schlug er die Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Der Vollmond schien durch das große Fenster ins Schlafzimmer. Dasselbe Mondlicht bahnte ihm den Weg durch das Wohnzimmer bis zur Küchenzeile. Aus einem der Schränke kramte er ein Glas hervor, füllte es mit Wasser und nippte an dem Glas, während sein Blick zum Wohnzimmertisch schweifte, auf dem sämtliche Recherchen seiner Arbeit lagen. Die, zwischen denen er auch dieses schreckliche Foto gefunden hatte.

Pierré trat auf den Balkon, um die Luft der milden Sommernacht zu genießen. Er musste sich unbedingt auf andere Gedanken bringen, bevor er noch verrückt wurde. Er stützte sich an der Brüstung ab und atmete tief durch. Sein Blick schweifte durch die leere, stille Gegend. Das Licht der Straßenlaternen glitzerte auf den Gehwegen. Es war, als würde die Welt jede Nacht für eine kurze Zeit angehalten werden, sodass er die Schönheit des Lebens erkennen konnte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen Parkbände mit dem Rücken zum Wald. Auf einer von ihnen saß eine weibliche Person, die still und regungslos ins Leere starrte. Etwas an dieser Person wirkte vertraut. Aufmerksam richtete er sich auf. Wollte sein Hirn ihm ein Streich spielen? Reichte es denn nicht, dass er keinen Schlaf fand? Warum sah er auch noch die Frau vor sich, die er nicht aus dem Kopf bekam? Er brauchte Gewissheit. Im Wohnzimmer ließ er hastig die Unterlagen vom Tisch verschwinden, streifte sich eine Jeans und ein Shirt über und rannte die Treppe hinunter.

Die Tür zur Straße quietschte. Während er den Schlüssel in die Hosentasche steckte, überquerte er die leere Straße und ging auf die Frau zu, die auf der Parkbank saß. Sie trug eine weite, lässig sitzende Jeans und einen dünnen, ausgeleierten Pullover, unter dessen Stoff sich trotzdem sanft ihre Kurven abzeichnete. Ihr Haar war dunkler und viel länger, als er es in Erinnerung hatte. Und irgendwie schien ihre Nasenform anders zu sein. Hatte sie sich einer Schönheits-OP unterzogen? Er hatte sie fast nicht erkannt. Sie blinzelte nicht einmal und schrak auch nicht zurück, als er sich neben sie setzte.

„Penny? Was tust du hier, mitten in der Nacht?“, fragte er und schaute seine Ex-Freundin an.

Die Brünette rührte sich nicht.

„Du bist der Einzige, der immer an mich geglaubt hat“, sagte sie irgendwann.

Er hatte Mühe, sie zu verstehen. Hörte bloß zu.

„Du bist der Einzige, der mich gemocht hat, so wie ich bin.“ Ein Windzug fegte umher und hinterließ eine Gänsehaut auf ihrer Haut.

„Du frierst“, sagte er und hielt ihr die Hand auf. „Komm mit nach oben.“

Deprimiert und todtraurig sah sie aus. Das Make-up und der Mascara, die sie sonst immer getragen hatte, waren verschwunden. Ohne ihre Hand in seine zu legen, stand sie auf und folgte Pierré.

***

„Hier, Pfefferminze.“ Er reichte Penny eine Tasse mit köstlich duftendem Tee. „So wie du ihn immer getrunken hast.“

„Mit Honig?“ Ein gequältes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, während sie auf der Couch im Wohnzimmer saß und die Tasse entgegennahm. Er nickte. „Danke“, hauchte sie und schaute wieder weg. Sein Herz klopfte wild in seiner Brust, während er unruhig durch das Wohnzimmer streifte. Wie oft hatte er sich gewünscht, sie wieder in seiner Nähe zu haben?

„Du wohnst also immer noch hier.“ Ihre Blicke schweiften durch das Wohnzimmer. Ihm wurde bewusst, wie karg es eingerichtet war. Lediglich ein Bilderrahmen hing an der weißen Wand. Eine Auszeichnung für seine dienstlichen Erfolge.

„Warum bist du hergekommen?“, fragte er.

„Ich“, begann sie zögernd. „Ich werde fortgehen. Ich muss alles hinter mir lassen. Ich wollte mich bloß von dir verabschieden.“ Sie sah zu Boden.

Sie wollte fortgehen? Seine Gedanken schweiften zu dem Foto in den Unterlagen. Wollte sie sich aufgeben? Angst kroch in seine Glieder. Pierré kniete sich vor sie. Er legte seinen Finger sanft an ihr Kinn und hob es an, bis sie ihm in die Augen sah.

„Ich kenne deine Vergangenheit nicht“, flüsterte er, „Ich weiß auch nicht, was dir in den letzten Jahren widerfahren ist. Aber bitte gib nicht dein ganzes bisheriges Leben auf.“

Er küsste sie sanft und lange auf den Mund. Versuchte, ihr all das zu sagen, was er mit Worten nie beschreiben könnte. Als er von ihr abrückte, schloss er die Augen und lehnte seine Stirn an ihre. Verdammt, was tat er hier bloß? Penny schlang ihre Arme um seinen Nacken und presste ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Sein Herz sprang ihm fast aus der Brust, als er ihren Körper dicht an seinem spürte. Es war so prickelnd. Seine Hände wanderten von ihrem Rücken zur Taille unter das Shirt. Er bedeckte ihr Gesicht und den Hals mit stürmischen Küssen. Verdammt, was war bloß los mit ihm? Er war gerade dabei, seine Ex-Freundin samt Haut und Haar zu verschlingen. Penny hatte ihm mal wieder den Kopf verdreht. Er konnte nicht mehr klar denken. Zu gut fühlte sich ihre glatte Haut an. Glatte Haut? Irritiert hielt er inne. Unter den Fingerkuppen spürte er unebene Stellen. Er ließ seine Hände langsam hinuntergleiten und suchte mit einer düsteren Vorahnung Pennys Blick. Sie rückte von ihm ab.

„Was zum Teufel?“, fluchte er.

Sie zitterte und presste die Lippen aufeinander. Dann stand sie abrupt auf, kehrte ihm den Rücken und ging zur Wohnungstür.

„Penny.“

Sie blieb stehen, wandte sich aber nicht um.

Er näherte sich ihr. „Was ist mit deinem Rücken?“

„Nichts, es ist nichts.“

„Darf ich ihn mir ansehen?“

Sie wirbelte herum und hielt den Saum des Shirts mit beiden Händen fest.

„Fass mich nicht an!“, fauchte sie.

Pierré wich einen Schritt zurück, als er sah, wie sie die Lippen aufeinanderpresste und mit den Tränen kämpfte.

Er hob die Hände. „Ich tue nichts, was du nicht willst.“

Sie hielt den Saum ihres Shirts so fest umklammert, dass sich bereits die Knöchel weiß auf den Handrücken abzeichneten. Dann zog sie es aus.

„Gütiger!“ Pierré riss die Augen auf und ließ seinen Blick über ihre Narben gleiten. Die Narben auf Bauch und Taille. Überbleibsel tiefer Wunden. Er ging einmal um sie herum und begutachtete ihren Rücken, der ebenfalls mit grässlichen Narben übersät war. In ihm keimte eine ungeheure Wut. Man hatte sie für ihr Leben gezeichnet. Keine Schönheits-OP würde das wieder hinbekommen. Sie würde mit den schlimmen Narben leben müssen. Falsch, sie lebte bereits damit. Was war bloß passiert? Sein Magen zog sich zusammen. Ihm wurde speiübel. Er ballte die Hände zu Fäusten.

„Bitte sag was.“ Ihre Stimme brach.

Die Finger krallten sich in den Stoff des Shirts, das sie noch in den Händen hielt.

„Was ist passiert? Hattest du einen Unfall?“

„Kein Unfall.“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Der Kerl war…“ Sie unterbrach sich.

„Welcher Bastard hat dir das angetan? Erzähl es mir bitte.“

„Ich kann nicht.“

„Penny. Wer war das? Wer hat dich so verletzt? Ich bitte dich, lass mich dir helfen. Du weißt, dass ich dazu die Möglichkeit habe.“

„André. Er hieß André.“

Sie zog sich ein paar Schritte zurück und wandte sich von ihm ab.

„Es ist sechs Jahre her. Es war alles perfekt. Bis zu dieser Party. Wir hatten viel getrunken. Und dann“, sie holte tief Luft, um sich zu sammeln, „dann hat er mich in den Keller gezerrt und an ein Bettgestell gekettet.“

Pierré ging auf sie zu und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Er wollte für sie da sein. Sie wich seinem Blick weiter aus.

„Er hat mich“ Abrupt hielt sie inne, legte die Hand vor den Mund. Sie zitterte.

„Schon okay. Du musst nicht weitererzählen.“ Er erinnerte sich noch gut daran, dass sie nie einander intim gewesen waren. Sie hatten sich nie einander nackt gesehen. Bis auf ihre Schultern, ihre Oberarme oder Hände hatte er sie nirgends berührt. Seine Küsse glitten nie tiefer als bis zu ihrem Hals. Sie hatte ihn dann stets abgewiesen. Jetzt verstand er auch wieso.

„Ich konnte mich nicht wehren. Als er fertig war, hat er die anderen geholt. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen.“

Pierré wurde schlecht. Mit aller Mühe riss er sich zusammen. Er hatte sie darum gebeten, sich zu offenbaren. Jetzt musste er es sich bis zum Ende anhören.

„Und die Narben?“, fragte er.

Penny zog sich ihr Shirt wieder an und schlang die Arme um ihren Körper. „Er hat mich nicht gehen lassen. Auch nicht, als die Party vorbei war. Er kam immer wieder zu mir. Und andere. Sie haben ihn dafür bezahlt. Am Anfang habe ich noch versucht, mich zu wehren. Er hat ein Messer benutzt, um mich zu bestrafen. Mir wurde sogar die Nase gebrochen, die bei einer Operation wieder gerichtet werden musste.“

Pierré schloss die Augen. Wenn er diese Schweine je in die Finger bekommen würde. „Wie lange?“

„Eine Woche.“

„Wie bist du entkommen?“

„Er hat nicht richtig aufgepasst, als er mich zur Toilette gebracht hat. Ich habe ihm voll in die Weichteile getreten und konnte fliehen.“

„Bist du zur Polizei gegangen?“

Sie nickte. „Es ging bis vor Gericht. Aber, die Männer wurden freigesprochen. Außer meiner Aussage und den Narben gab es keine belastenden Beweise. Man hat mir nicht geglaubt.“

„Ich hätte dir geglaubt.“, Pierré überbrückte die Distanz zwischen ihnen und zog Penny in seine Arme. Sie verkrampfte sich und brach schließlich in Tränen aus. Er drückte sie so fest an sich, dass sie sein heftig schlagendes Herz spüren musste.

„Sicher verabscheust du mich jetzt“, schluchzte sie.

„Niemals“, flüsterte er und strich ihr über die Haare. „Ich könnte dich niemals verabscheuen.“

Seine Gedanken schweiften zu dem lästigen Papierkram, den er vor ihrer Ankunft versteckt hatte. Es war wahr. Jeder einzelne, verschissene Satz in dieser Akte. Jene spärliche Anzeige, die von einem pflichtbewussten Arzt gegen Unbekannt aufgegeben worden war. Jene Akte, die seither im Archiv bei den ungeklärten Fällen verstaubte. Pierré war bei den Recherchen eines anderen Falls über die Akte gestolpert. Penny Liva war diejenige, die vor sechs Jahren brutal zusammengeschlagen, unter Blutverlust leidend und mit Wunden am gesamten Körper ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Dessen Identität nicht bekannt war, da die Frau zum Zeitpunkt der Anzeige keinen Personalausweis vorlegen konnte und nicht in der Lage war, sich jemandem mitzuteilen. Pierré schloss die Augen und hielt sie fest in seinen Armen. Wollte sie nicht loslassen, während er ihr die Gelegenheit gab, sich in aller Ruhe zu beruhigen. Sich bei ihm auszuweinen.

Hoffentlich merkte sie nicht, dass auch ihm Tränen über die Wangen liefen.

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