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Alles nur in deinem Schwarzen Kopf

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„Each diagnosis took years to obtain. I have been gaslit by the medical community my entire life. My pain and knowledge of my body has been questioned at every turn by white doctors whose education has been historically steeped in anti-blackness.”24

Das beschreibt die Autorin Jazmine Joyner in ihrem Essay Nobody believes that black women are in pain, and it’s killing us. Darin analysiert sie ihre Erfahrungen als Schwarze Frau im amerikanischen Gesundheitssystem. Oft verwendet sie dabei den Ausdruck „Gaslighting“. Er ist entlehnt aus dem Theaterstück Gas Light des britischen Dramatikers Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938. Darin will der Protagonist seiner Frau weißmachen, dass ihre Wahrnehmung, das Gaslicht hätte sich entzündet, nur eine Wahnvorstellung sei. Heute wird der Begriff verwendet, um eine Form von psychischer Gewalt und Missbrauch zu bezeichnen, in dem ein Täter die Wahrnehmung der Realität seines Opfers permanent in Frage stellt und mit dieser Art der Manipulation sukzessive zermürbt. Für Minderheiten ist Gaslighting Teil ihrer Realität, wie Joyner betont:

„I am gaslit into believing it’s all in my head, that nothing is wrong with me and my pain is tolerable. While I see the white patients in the beds next to me receive superior care, pain meds, and human decency, I am told to leave.”

Doch es ist nicht nur in ihrem Kopf. Die Zahlen geben ihr Recht. Schwarze werden öfter ignoriert25, bekommen weniger Medikamente und bekommen seltener weiterführende Behandlungen26, wenn sie exakt über die gleichen Schmerzen klagen wie Weiße.

2015 hat das Bostoner Brigham and Women’s Hospital untersucht, wie weiße und nicht-weiße Patienten mit Bauchschmerzen in der Notaufnahme behandelt werden. Schwarze hatten eine 22 bis 33 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit Schmerzmittel zu bekommen als Weiße.27

Zu diesem Ergebnis kam auch die Wissenschafterin Salimah H.Meghani an der University of Pennsylvania School of Nursing. Sie hat Forschungsergebnisse der vergangenen 20 Jahre zur Behandlung Schwarzer Patienten ausgewertet. Sie stellte fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Schwarze Frauen und Männer bei Migräne, Rücken- und Bauchschmerzen Opioide verschrieben bekämen, um 34 Prozent geringer sei als bei Weißen. Selbst nach Operationen würden Schwarze im Schnitt um 14 Prozent weniger Schmerzmedikamente bekommen.28

Als Gründe für die diskriminierende Praxis werden mitunter rassistische Vorurteile angeführt. So ist die Annahme einiger Mediziner, dass Schwarze nur auf „Pillenjagd“ seien, um entweder ihre eigene Sucht zu befriedigen oder gar um die Medikamente weiterzuverkaufen.

Hinzu kommt eine weitere verstörende Annahme, die dazu führt, dass das Gesundheitspersonal die Schmerzen von Angehörigen von Minderheiten nicht ernst nimmt. Einige Mediziner haben sich immer noch nicht aus dem Mindset zu Zeiten der Sklaverei gelöst. So glauben sie, dass Schwarze weniger schmerzempfindlich seien als Weiße. In einer Studie der University of Virginia wurden 222 weiße Medizinstudenten mit einigen Fragen konfrontiert, etwa ob Schwarze weniger schnell altern würden als Weiße, ob ihre Nervenenden weniger sensibel seien und ob ihr Blut schneller gerinnen würde als das von Weißen. Die Hälfte der Befragten bejahte diese Falschaussagen.29

Nun sind einige, vor allem in Europa, geneigt zu sagen, dass sich diese rassistischen Annahmen ausschließlich auf die USA beschränken würden, auf dieses hinterwäldlerische Amerika mit seiner verkorksten Geschichte aus Rassenunruhen, Ungleichheit und Turbokapitalismus, wo es leicht einmal passieren kann, dass einer verreckt, wenn er nur die falsche Hautfarbe und zu wenig Geld auf dem Konto hat.

Doch auch im deutschsprachigen Raum ist das Gesundheitspersonal vor solchen Annahmen nicht gefeit. Hier dominiert das Bild der expressiven Südeuropäerin, die mit ihrem Leid nur die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte. Von „Mama-mia-Syndrom“, „Morbus Bosporus“ oder „Morbus Balkan“ ist dann die Rede, wenn Pflegepersonal „die kulturelle Dimension des subjektiven Schmerzempfindens von Schmerzpatienten“30 kommentiert.

„So ist es in unserer westeuropäischen Kultur üblich, Gefühle in der Öffentlichkeit unter Kontrolle zu halten, ein selbstbeherrschtes Verhalten zu zeigen und auch den Schmerz nicht expressiv zum Ausdruck zu bringen“31, schreibt Ulrike Lenthe, Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege sowie Krankenhausmanagerin und Pflegedirektorin eines Altenheims in Bruck an der Leitha, in einem Aufsatz. „Im Gegensatz dazu ist es in anderen Kulturen sozial akzeptiert, spontane Gefühle zu zeigen und Schmerzen stärker zu präsentieren als wir es tun.“ Aufgrund der eigenen soziokulturellen Sichtweisen könnte für das heimische Pflegepersonal eine „expressive Schmerzäußerung“, wie sie etwa von Personen aus dem Mittelmeerraum oder dem Nahen Osten wahrgenommen wird, daher als „befremdlich oder sogar als Normenüberschreitung“ angesehen werden und würde als Übertreibung abgetan. Mitunter würden solche Patienten gar als Simulanten abgestempelt.

Um kulturbedingte Missverständnisse zu vermeiden, müsste das Personal in interkultureller Kompetenz geschult werden, so der wohlmeinende Appell. Psychologen der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität am Klinikum Nürnberg haben 2016 ein Programm zur Schmerzbewältigung entwickelt, das speziell auf die Bedürfnisse türkischer Frauen zugeschnitten ist. Sandra Venkat, die leitende Psychologin der Nürnberger Schmerztagesklinik, stellte das Konzept in einem Fachartikel vor. Es wird davon ausgegangen, dass muslimischen Frauen der Zusammenhang zwischen Psyche und Schmerz, „wie er in der westlich medizinischen Welt vertreten“ wird, nicht vertraut ist und sie „in der Regel“ ihre Schmerzen „als Ausdruck körperlicher Probleme oder als Prüfung von Allah“ verstehen, die man erdulden muss. Daher versuchen die Psychologen unter anderem „die wichtige Ressource Religion“ in ihrem Konzept zu nutzen. Sie wollen die Patientinnen aus ihrer „Opferhaltung“ – Allah will es so – befreien und mittels der Religion – im Koran stehe, man müsse den eigenen Körper schützen – die Frauen animieren, aktiv dazu beizutragen, ihren Zustand zu verbessern.32

Nun ist dieser holistische Ansatz – die Berücksichtigung der Biografie, Kultur und Religion – in der Behandlung durchaus wünschenswert, nur ist es beunruhigend, wenn die abgeklopften Faktoren auf Stereotypen beruhen, auf deren Basis dann ein Therapieansatz entwickelt werden soll. Wie „kompetent“ sich das äußern kann, hat die deutsche Schauspielerin Thelma Buabeng bei ihrer anthroposophischen Frauenärztin erlebt. Buabeng, deren Familie aus Ghana stammt, bekam folgenden medizinischen Ratschlag, als sie der Ärztin von ihren Schmerzen berichtete:

„Frau Buabeng, Sie müssen gar nicht weiterreden. Das ist ganz typisch bei afrikanischen Frauen. Sie tragen den Schmerz der afrikanischen Frau in Ihrem Becken. Sklaverei, Kolonialismus, Vergewaltigung.“ Buabeng solle doch, wenn sie zu Hause sei, Trommelmusik anmachen, „das mache sie sicher so gern“, und den Schmerz einfach rausschütteln.33

Es wird klar, dass nicht nur eine Rolle spielt, wer seine Schmerzen kommuniziert und in welcher Lautstärke, sondern auch von wem sie mit welcher Erwartungshaltung gehört, interpretiert und ernst genommen wird. Das bestimmt über die Wirkung des Pathos. Und die ist letztlich auch einem weiteren wesentlichen Faktor geschuldet, nämlich ob es sich um Pathos von „unseresgleichen“ handelt oder nicht, wie die Wissenschafterin Salimah H. Meghani konkretisiert: „A lot of work in the social sciences has shown that you’re more empathetic to people in your in-group than your out-group.”34

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