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Heul doch – aber nur wie ein Mann

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Dank Freud und kolonialistischem Dünkel ist zwar die Genitalverstümmelung aus den Operationssälen der westlichen Hemisphäre verschwunden, die Vorstellung der hysterischen Frau hingegen nicht. Von ihr hat sich die Medizin bis heute nicht verabschiedet.

Mit fatalen Folgen.

Sätze wie „Das ist alles nur in Ihrem Kopf“ oder „Das bilden Sie sich nur ein“ hören Frauen immer wieder, wenn sie bei Beschwerden um Hilfe ansuchen.

Frauen bekommen im Gegensatz zu Männern eher Beruhigungsmittel verabreicht als Schmerzmedikamente, wenn sie über Schmerzen klagen.19 Haben sie Bauchschmerzen, warten sie in der Notaufnahme der in Regel 65 Minuten, bis sie untersucht werden, Männer hingegen nur 49 Minuten.20

Der Sexismus ist tief verankert in der Medizin. Wie in allen Bereichen der Gesellschaft, wird auch hier die halbe Weltbevölkerung systematisch ignoriert, wie die britische Journalistin Caroline Criado Perez dokumentiert. „Fast die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine große Datenlücke“, beginnt sie ihr Buch Invisible Women. Der Mann wird als Standard angenommen, an ihm wird getestet, von ihm werden Daten bis ins letzte Detail erhoben. Für ihn wird die Welt entworfen, egal ob das Klavier, Straßenzüge, Smartphones, Spracherkennungsprogramme, Sicherheitsgurte oder Medikamente.

Alles ist abgestimmt auf den männlichen Körper.21

Der Mann ist die Norm, die Frau nur eine Abweichung. Bis ins 17. Jahrhundert machten sich die Ärzte nicht einmal die Mühe, weibliche Organe extra zu benennen. So bezeichneten sie beispielsweise Eierstöcke schlichtweg nur als weibliche Hoden, bis europäische Wissenschafter genug Haie, Hasen und Raben seziert hatten, um den Unterschied der primären Geschlechtsmerkmale ausfindig zu machen.22

Nun hat sich zwar die medizinische Semantik weiterentwickelt, die Praxis nicht unbedingt. Sie behandelt den weiblichen Körper nach wie vor als Anomalie. Egal ob beim Herzinfarkt oder beim Autismus, solange sich die Beschwerden einer Frau nicht exakt so zeigen wie die eines Mannes, gelten ihre Symptome als atypisch und sie läuft Gefahr, falsch oder gar nicht behandelt zu werden.

Als „Yentl-Syndrom“ wird dieses Phänomen bezeichnet. Benannt nach der Figur Yentl aus dem gleichnamigen Film, in dem Barbra Streisand ein jüdisches Mädchen spielt, das sich als Junge verkleidet, um den Talmud in einer Jeshiva studieren zu können. Übersetzt auf die Medizin bedeutet das Syndrom, dass eine Frau nur dann entsprechend medizinisch versorgt wird, wenn ihre Symptome sich genauso äußern wie bei einem Mann. Doch der weibliche Körper funktioniert nicht wie der männliche. Er zeigt nicht dieselben Krankheitssymptome wie der männliche. Etwa bei einem Herzinfarkt. Bei Männern kündigt er sich mit Schmerzen in der Brust und im linken Arm an, bei Frauen nicht. Bei ihnen macht er sich mit Übelkeit, Bauchschmerzen, Kurzatmigkeit und Übermüdung bemerkbar.23 Die Wahrscheinlichkeit, dass Ärzte die Symptome bei Frauen fehlinterpretieren, liegt bei 50 Prozent, da es sich für die meisten um „atypische“ Anzeichen handelt.

Die Folge: Herzinfarkte bleiben bei Frauen unentdeckt oder werden zu spät erkannt, was tödlich enden kann.

Auch die richtige Medikation ist für Frauen eine Glückssache. Die meisten Medikamente werden fast ausschließlich an Männern getestet. In vielen Fällen stellt sich heraus, dass sie auf Frauen nicht die gewünschte oder keine Wirkung haben.

Aber das wird in Kauf genommen. Da kann Anna so laut schreien, wie sie will.

Und Fatima braucht es gar nicht erst probieren.

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