Читать книгу Brautwerbung - Solveig Kern - Страница 8

Die vergessenen Krieger

Оглавление

Die Tage schritten voran. Die Togweds arbeiteten fieberhaft daran, ihre Truppenverbände gemäß der ihnen zugeordneten Aufgabe aufzustellen. Überall wurde gemustert.

Bodir, der designierte Leiter der königlichen Garde, verhandelte unermüdlich. Er überzeugte die Fürsten, die 25 Gardisten für den König bevorzugt aus Pados Truppe zu rekrutieren. Damit sicherte er den ehemaligen Kameraden attraktive Posten und sich selber gute Arbeitsbedingungen.

Als Bodir zu Eryndîr kam, fand er diesen untätig. „Ihr habt noch keinen einzigen Mann für die königliche Burg von Alicando rekrutiert?“ fragte er den Halbelfen erstaunt. „Soweit ich mich erinnere, braucht Ihr ziemlich viele…“

„Etwa 400“, bestätigte Eryndîr. „Die Männer, die ich bis jetzt sah, entsprachen nicht meinen Vorstellungen.“

„Was werdet Ihr tun?“ fragte Bodir. Der Zeitpunkt der Abreise nach Mandrilar rückte näher.

„Nichts“, entgegnete Eryndîr. „Ich habe bei meiner Schutzgöttin 400 erstklassige Krieger bestellt. Ihr werdet sehen, ich erhalte sie rechtzeitig vor unserem Abmarsch.“

„400 Krieger bestellen?“ fragte Bodir ungläubig. „Erwartet Ihr ernstlich, dass die Unsterblichen sich um solchen Kleinkram bemühen?“

„Meine Schutzgöttin legt Wert darauf, dass ich meine Lebensmission erfülle. Doch sie verlangt nicht, dass ich es mir extra schwer mache. Ich habe mir für meinen Lebensplan sicher nicht vorgenommen, mich mit einem Haufen minder qualifizierter Kämpfer herumzuärgern. Das gehört nicht zu den zentralen Themen, die sich durch mein Leben ziehen. Darum darf ich hoffen, meine 400 erstklassigen Krieger rechtzeitig zu erhalten.“

Bodir sah Eryndîr erstaunt an. Das tiefe Vertrauen, dass der Halbelfe in die göttliche Vorsehung setzte, beeindruckte ihn. Besser als Eryndîr wusste Bodir, dass dessen Hoffnung erfüllbar war.

Pado arbeitete sich allmählich in die neue Aufgabe ein, führte eine Reihe von Gesprächen und machte sich mit Sprache und Sitten der Kojotim vertraut. Ihm erging es wie Sedh. Je länger er sich damit beschäftigte, je mehr begriff er, dass der Auftrag ihm auf den Leib geschrieben war.

Endlich kam die Delegation der Kojotim. Sie segelten gegen die Strömung den Feuerfluss hinauf. Ihr König ließ sich nicht lumpen. Er brachte reichlich Geschenke. Mauro empfing die Kojotim mit gebührendem Pomp in der Stadt Alicando. Wieder trug er die Krone König Xirons, als er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Hauptplatz der Stadt den Kniefall des Herrschers der Kojotim entgegen nahm.

Nachdem ihr König den Treueid geleistet hatte, übergab ihm Mauro die gefangen genommenen Kojotim, die nun heimkehren durften. Die Bürger Alicandos geleiteten den bunten Zug zum Hafen, wo stolze Schiffe mit bunten Segeln auf die Reisenden warteten.

Pado machte sich bereit zur Einschiffung ins Land der Kojotim. Er sollte Mauros Statthalter werden. Damit waren neben dem hohen Status auch attraktive Handelsprivilegien verbunden. Als er an der Menschenmenge vorüber zog, sonnte er sich sichtlich in deren Begeisterung.

Knapp vor Pados Abreise war der relativ große Truppenteil in Alicando eingetroffen, der mit ihm vor Ikenar gekämpft hatte. Während ihr Befehlshaber dem König erst nach Qatraz und später nach Knyssar folgte, versah der Rest der Truppe die unergiebige Aufgabe, entlang der Westgrenze zu patrouillieren, wo sie keine Feinde mehr zu Gesicht bekamen.

Befehlsgemäß hatten die Krieger ihre Stützpunkte am rechten Ufer des Feuerflusses geräumt und standen nun mit ihren Familien am Kai. Natürlich hatte es in der letzten Zeit Gerüchte über eine Auflösung der Truppe gegeben, aber die meisten konnten sich nicht vorstellen, dass da etwas Wahres dran wäre. Die beste Einheit des Landes auflösen? Niemals!

Pado hielt vom Schiff aus eine bewegende Ansprache, mit der er allen Kriegern dankte, die ihn über so viele erfolgreiche Jahre begleitet hatten. Er umriss mit wenigen Worten seine neue Aufgabe. Dann sprach er aus, was nur wenige glauben mochten: „Der König hat die Auflösung unserer Truppe angeordnet. Hiermit entbinde ich Euch Eures Treueides. Den ausständigen Wehrsold erhaltet Ihr von Euren neuen Herren. Diejenigen, die mich bei meinem neuen Auftrag unterstützen werden, haben bereits ihren Marschbefehl erhalten. Allen anderen wünsche ich für die Zukunft viel Glück. So lebt denn wohl!“ Er winkte noch, während sich sein Schiff langsam und elegant von der Kaimauer löste und von der Strömung flussabwärts getrieben wurde.

Was sich nach diesen Worten abspielte, war unbeschreiblich. Zunächst senkte sich Totenstille über den Kai. Die Männer stellten fassungslos fest, dass sie im Regen stehen gelassen wurden. Nach Minuten der Erstarrung entwickelte sich ein heilloses Durcheinander. Nun musste jeder selbst sehen, wo er blieb.

Am einfachsten war es für die Leute aus den Provinzen Ikenar und Maikanar. Sie sollten den gleichen Dienst unter neuem Kommando tun. Die Fürsten oder deren Stellvertreter hießen die Heimkehrer willkommen, überstellten Bodir die versprochenen 25 Männer für die königliche Garde und zogen mit den anderen geordnet ab.

Um die Männer, die weiter aus dem Norden stammten, kümmerten sich die Beriahîr. Sie waren an den Kai gekommen, um ihre Schutzbefohlenen zu übernehmen. Shui war da, um die wenigen Männer aus Yian Mah einzusammeln. Auch Tuagh warf sich ins Getümmel, um nach gestrandeten Kethen Ausschau zu halten. Sogar Rüdiger kam auf den Gedanken, dass ein paar Almanen für seinen Schwiegervater Bertram dabei sein könnten. Sie alle waren überrascht, dass es keine geordnete Übergabe gegeben hatte.

Der Beriahîr der Tolegos saß noch in Gralta. Es dauerte eine Weile, bis Vreden begriff, dass er als ranghöchster Vertreter seines Clans sich um die Männer kümmern musste. Die Tolegos hatten den größten Anteil an Pados Truppe gestellt. Vreden tauchte als letzter am Kai auf und sammelte seine Leute um sich.

Die Anzahl der Männer, die nirgendwo hingehen konnten, war kleiner als Bodir angenommen hatte. Den größten Anteil unter ihnen stellten die ehemaligen Alicandos, deren Clan zerschlagen und in alle Winde verstreut worden war. Ahnungslos waren sie an den Feuerfluss gekommen und standen nun vor den Trümmern ihrer Existenz. Männer irrten umher, kopflos, planlos und hoffnungslos. Eine Soldatenfrau hockte resigniert auf ihrem Bündel und hielt ihr weinendes Kind an sich gepresst. Daneben betrachtete ein kleiner Junge interessiert die Schiffe und lutschte hingebungsvoll an seinem Daumen. Ein alter Hauptmann, der viele Jahre lang für Pado gekämpft hatte, stand verlassen an der Kaimauer und sah dem davongleitenden Schiff nach. Dabei liefen ihm Tränen über die Wangen.

Serghey, einer der Alicando-Zauberer, die Pado in der Festung Qatraz übernommen hatte, betrachtete vom Boot aus das Schauspiel. Ihn packte die Wut: „Was hier geschieht ist nicht hinnehmbar! Noch niemals wurden tapfere Krieger in dieser Art im Stich gelassen. Gebt mir das Schwert des Beriahîr. Ich werde mich um diese Leute kümmern!“

„Was wollt Ihr mit dem Schwert?“ fragte derjenige, der es bislang getragen hatte. „Es ist wertlos. Der Alicando-Clan ist ausgetilgt. Kümmert Euch lieber um Eure eigene Zukunft. Ich persönlich setze auf Pado…“

„Gebt ihm das Schwert“, entschied Pado. „Einen Reisenden soll man nicht aufhalten.“ Er hatte den Hass in den Augen des Mannes gesehen. Besser er ließ ihn auf der Stelle ziehen.

Serghey tauschte das Schwert, baute eine energetische Brücke und kehrte an den Kai zurück. Hanoks Togweds hatten bereits begonnen, die besten Leute aus der Truppe abzuwerben. Der Kombat-Zauberer wies sie energisch fort: „Wir brauchen eine Lösung für alle Alicandos, nicht bloß für einige wenige.“

Die Männer versammelten sich um den jungen Zauberer. Serghey bedeutete ihnen, leise zu sein. Er schien einer unhörbaren Stimme zu lauschen. Dann sagte er: „Ich habe einen Tipp bekommen. Der Halbelfe Eryndîr sucht eine größere Zahl von Kriegern. Kommt mit, wir sprechen mit ihm.“

Weiter hinten sagte Bodir zu Eryndîr. „Seht her, hier kommen die bestellten Krieger. Wie klug von Euch, nicht die erstbesten zu nehmen. Die hier sind eine Klasse für sich!“

„So habe ich sie mir vorgestellt!“ Eryndîr musterte sie mit Kennerblick. Dann lächelte er: „Es sind mehr, als ich bestellt hatte. Das wird schon seine Richtigkeit haben. Ich werde unserem Herrn beibringen, dass er sie alle braucht.“

„Wer ist der Beriahîr dieser Truppe?“ fragte Mauro, als die Alicandos ihm gegenüberstanden.

Serghey kniete nieder und zeigte das Schwert vor, das ihn als Beriahîr auswies.

„Ich kenne Euch. Ihr habt in Qatraz gegen die Besatzer gekämpft“, erinnerte sich Mauro.

Sergheys Herz klopfte bis zum Hals. Würde Mauro ihn nun bestrafen, weil er ohne dessen Genehmigung von Pado weggegangen war?

Mauro tat nichts dergleichen. Er fragte nur: „Beriahîr, was ist Euer Begehr? Sprecht, wie es Euer Amt erfordert.“

„Herr, wir sind betrogen worden. Um unsere Ehre, um unseren Sold und um unsere Existenz. Pado von Qatraz hat unsere Truppe für aufgelöst erklärt. Er hat uns weder den ausständigen Sold ausgezahlt, noch für unsere Überstellung zu einer anderen Truppe Sorge getragen. Die Männer hier stammen aus der Provinz Alicando. Sie haben keinen Fürsten, der sich um sie kümmert und keinen Ort, wo sie hingehen könnten!“

„Was redet Ihr da, Beriahîr? Fielen mir nicht vor Jahresfrist die Burgen der Alicandos zu? Habe ich nicht den Herzog und dessen fremde Helfer aus dem Lande vertrieben? Trug ich nicht erst vor wenigen Tagen König Xirons Krone auf dem Haupt? Bin ich etwa nicht der König dieses Landes?“

„Selbstverständlich seid Ihr das, Herr!“ rief Serghey verzweifelt aus. Meinte der König etwa, er wolle an dessen Legitimation zweifeln?

„Warum sagt Ihr dann, dass keiner sich um diese Leute kümmert? Ihr seid bereits an der richtigen Stelle.“ Mauro richtete sich hoch auf seinem Ross auf und rief mit weithin vernehmlicher Stimme: „Ich bin der Clanchef der Alicandos!“

Alle Anwesenden sahen Mauro sprachlos an. Die Krieger knieten auf der Stelle vor ihm nieder.

„Willkommen daheim, Söhne Alicandos. Die königliche Burg ist nun Euer Domizil. Erhebt Euch, kommt mit Euren Familien herein und fühlt Euch hier zu Hause. Eryndîr wird sich um alles Weitere kümmern.“

Die neue Alicando-Truppe richtete sich in der Königsburg von Alicando häuslich ein. Die ehemalige Fluchtburg war ausnehmend geräumig. Man hatte sie dafür konzipiert, einer großen Anzahl von Menschen aus der Region im Kriegsfall Schutz und Zuflucht zu bieten. Im Moment waren allerdings alle Unterkünfte besetzt, denn sowohl die Bergkethen als auch die persönlichen Eskorten der Fürsten und Heerführer, die in den letzten Wochen auf der Burg konferierten, hatten hier Quartier genommen. Doch die Enge war das geringste Problem. Gutwillig rückten alle zusammen, um für die Neuankömmlinge Platz zu schaffen.

Knapp vor den Alicandos waren Bodirs königliche Garden eingezogen. Man begrüßte einander herzlich, denn die meisten der frischgebackenen Gardisten stammten wie Sergheys Leute aus Pados Heer. Der Beriahîr der Alicandos ging auf Bodir zu und drückte ihm beide Hände: „Danke für den Hinweis, dass wir mit Eryndîr sprechen müssen. Natürlich hatte ich Gerüchte über die Auflösung unserer Truppe vernommen. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Pado uns so hängen lässt!“

„Ich habe es ehrlich gestanden auch nicht gedacht, sonst hätte ich Euch viel früher eine Warnung geschickt. Erst als ich miterlebte, wie Hanok um jeden einzelnen Mann kämpfte, und wie Pado gar nichts dergleichen tat, begann ich, Übles zu ahnen. Das, was heute geschehen ist, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. So geht man mit nicht mit Kriegern um!“

In diesem Punkt hatte Pado falsch kalkuliert: nicht auf den König, der die Auflösung der Truppe angeordnet hatte, waren die Männer wütend. Ihm, ihrem Anführer, lasteten sie an, nicht für sie vorgesorgt zu haben.

„Die Oberhoheit über den Alicando-Clan für Euch zu reklamieren, war ein genialer Schachzug. Jetzt seid Ihr Eure Personalprobleme los. Die ehemaligen Alicandos werden bald aus ihren Verstecken kriechen und Euch ihre Dienste anbieten“, wusste Hanok. Dieser Umstand machte ihm Sorgen, denn unter den ehemaligen Alicandos waren einige hervorragende Heerführer, die ihm seine Chancen streitig machen konnten. Allerdings wusste Hanok nicht, wie viele von ihnen noch am Leben waren.

„Nun habt Ihr eine solide Basis für Eure Herrschaft. Eine Hausmacht, die sich sehen lassen kann. König der Bergkethen und König von Alicando. Und jetzt auch noch Herr über die letzten Zauberer des ehemaligen Alicando-Clans. Das gibt Euch genügend Rückendeckung für den Einzug in Mandrilar.“ Uluk sah Vorteile für Mauro. Das Widererstarken des ehemals verfeindeten Alicando-Clans beäugten die Xalmeidas allerdings mit gemischten Gefühlen.

„Mit den Mandrilanen habt Ihr es Euch endgültig verscherzt!“ gab Vreden zu bedenken.

„Da war nicht viel zu verscherzen. Die Mandrilanen mochten mich nie.“ Mauro lachte kehlig: „Für die Verhandlungen mit Fürst Torren habe ich nun eine hervorragende Ausgangsposition. Ich bin in diesem Land kein Fremdling mehr, der den Schutz seines Clans benötigt. Ich bin selbst Clanchef!“ Mauro hatte seine Worte gegenüber dem Beriahîr der Alicandos spontan gewählt. Nun erst begann er zu begreifen, welcher Nutzen ihm daraus erwuchs, dass er die Bezeichnung >Clanchef< für sich verwendet hatte. Er dankte seiner Seelenfamilie für die geschickte Führung.

Vreden sah ihn schockiert an: „Fürst Torren ist gewiss nicht Euer Feind!“

„Er ist auch nicht mein Freund“, gab Mauro knapp zurück.

Wenig später konferierte Vreden telepathisch mit Fürst Torren. Pflichtschuldig berichtete er, dass Mauro mittlerweile zum Alicando geworden war.

„Dass der König zum Erbteil seines Großvaters steht, erschüttert mich nicht. Deswegen ist er immer noch ein Tolego. Wenn er mag, kann er alle Alicandos der Welt in unseren Clan einbringen. Wir haben bloß ein paar gute Argumente weniger, um ihn zu überzeugen.“

„Er fürchtet Euch, Vater.“

„So scheint es auf den ersten Blick“, stellte Fürst Torren nachdenklich fest. „Doch da steckt mehr dahinter. Es ist kaum zu glauben. Mauro war ein Fremder, unbelastet von den Zerwürfnissen dieses Landes. Nun treiben ihn die Ereignisse tiefer und tiefer in das düstere Erbe des Feuerkönigs hinein. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Mauro wird mit den Alicandos nach Mandrilar gehen, wie es sein Großvater und andere vor ihm getan haben. Die Mandrilanen werden gegen ihn aufstehen, und er wird die Rebellion blutig niederschlagen. Ein neuer Zyklus des alten Spiels hat begonnen.“

„Was soll ich tun?“ wollte Vreden wissen.

„Gar nichts. Ihr seid ein Tolego, kein Mandrilane, vergesst das nicht. Versichert den König unserer Treue und unserer Unterstützung. Lasst niemals Zweifel daran aufkommen, dass wir an seiner Seite stehen. Um alles andere werde ich mich kümmern. Was gibt es sonst noch?“

„Der König hat zwei Garnisonen an der Nordgrenze genehmigt, am Morgor und an der Schweinefurth. Sein Togwed Hanok hat mich gebeten, ihm ein paar grenzerfahrene Hauptleute zu überstellen.“

„Das ist interessant. Offenbar befürchtet der König dort Ärger. Sagt Hanok die Männer zu. Ich möchte eigene Informanten auf Burg Moringart haben. Die Hauptleute sollen mit ihren Familien übersiedeln. Kinder sind unauffälliger und lernen die kethische Sprache leichter. Ich spreche mit Togwed Nôrden, wo wir geeignete Männer herbekommen.“

„Wir haben gute Leute in Hülle und Fülle. Pados Elitetruppe wurde aufgelöst. Unsere Männer waren ziemlich aufgebracht, denn er hat den ausständigen Wehrsold nicht bezahlt. Ich habe sie beruhigt, dass sie ihr Geld erhalten werden. Soweit ich weiß, hat Pado die Kiste mit dem Wehrsold noch gar nicht bei unserem Kämmerer abgerufen. Ich habe den Männern bestätigt, dass jeder einzelne von ihnen ein Rückkehrrecht nach Tolego besitzt. Sie sollen ins zivile Leben heimkehren. So viele Krieger können wir schließlich nicht brauchen.“

„Was?!“ schrie Torren Vreden an. „Habt Ihr mir soeben gesagt, dass unsere Männer aus Pados Truppe entlassen wurden? Und keiner von Euch Schwachköpfen hat sich gekümmert, was aus ihnen werden soll?“

„Das ist doch wohl Aufgabe des Beriahîr“, gab Vreden patzig zurück.

„Ja. Nur dass unser Beriahîr seit Wochen in Gralta festsitzt. Er kann die Festung nicht verlassen, ehe die Ablösung eintrifft. Seit Tagen nervt mich sein Verbindungsmann mit Gerüchten, auf die wir reagieren sollten. Ich habe alles abgeschmettert. Ihr seid so dicht dran am Geschehen. Ich war überzeugt, Ihr würdet uns informieren, wenn etwas Wahres dran wäre!“

„Herr, ich hatte keine Ahnung...“

„Wollt Ihr mich glauben machen, dass Pado gegenüber seinem zukünftigen Schwiegervater niemals erwähnt hat, dass seine Truppe vor der Auflösung steht?“

„Ja. Schon“, musste Vreden eingestehen. „Er meinte, der König wäre ein Narr, diese wertvolle Elitetruppe aufzulösen. Ich habe ihm beigepflichtet. Doch was hätte ich mit dieser Information anfangen sollen?“

„Was hättet Ihr...“ Torren war sprachlos. „Ihr seid ein hoffnungsloser Fall. Selbstgefällig, faul und inkompetent. Womit habe ich einen solchen Sohn verdient!“

„Ich bringe es in Ordnung!“ Vreden fürchtete den Zorn seines Vaters.

„Was wollt Ihr in Ordnung bringen? Euch sind die Konsequenzen dieser Truppenauflösung doch überhaupt nicht bewusst!“ donnerte Torren. „Nichts da, ich werde mich selbst drum kümmern. Kein Krieger soll uns jemals nachsagen, sein Clan hätte ihn im Stich gelassen!“ Damit kappte Torren die Gedankenübertragung mit seinem Sohn.

Am nächsten Morgen saß Mauro mit Hanok und Alagos zusammen, um die bevorstehende Reise nach Mandrilar zu besprechen. Er hatte sich mittlerweile gut genug unter Kontrolle, um nicht mehr bei jeder Gelegenheit loszupoltern. Im Gegenteil, er gewöhnte sich an, ruhig zuzuhören, was seine Leute zu sagen hatte. Am Ende traf er eine wohl erwogene Entscheidung. Die Atmosphäre in seiner Umgebung hatte sich bereits spürbar entspannt. Den Verlust seiner Liebe hatte er keineswegs verschmerzt, doch auch in diesem Punkt exerzierte er eiserne Disziplin. Sobald ein Gedanke an Sigrun hochkam, ließ er ihn geduldig passieren und wandte sich anschließend sofort wieder seinen Aufgaben zu. Davon gab es im Moment wahrlich genug.

Nachdem Mauro den Standortkommandanten der Hauptstadt seines Amtes enthoben hatte, musste sich nun jemand anders um die Absicherung des Einzuges und die Vorbereitung der Krönungsfeierlichkeiten kümmern. Wie von diesem befürchtet trug Mauro dieses schwierige Amt Alagos an.

„Nehmt zwei Einheiten der neu gegründeten Reichstruppe mit. Die einen sollen den Einzug in die Stadt absichern. Die andern lasst Ihr entlang der Fernstraßen patrouillieren. Meine Feinde müssen nicht wissen, auf welcher Route ich reisen werde.“

„Kommt Ihr nicht mit dem Haupttross?“ fragte Alagos erstaunt.

„Nein, ich werde über die Kupferberge nach Mandrilar reiten. Ich will nach Aglar, um mit Eurem Vater Kelros zu sprechen.“

Alagos war nicht begeistert, dass Mauro nach Aglar kommen wollte. Niemals hatte ein fremder König die verborgene Stadt der Rhûn-Maiyar betreten. Wenn es nach Alagos ging, sollte das so bleiben: „Wenn Ihr meinen Vater sprechen wollt, wird er gerne nach Passar kommen…“

„Nein. Ich möchte Auskunft von ihm über den Fluch des Feuerkönigs. Es ist besser, ich gehe zu ihm“, erläuterte Mauro.

Alagos kam nicht mehr dazu, etwas zu entgegnen. Ein Kethischer Wächter trat ein und meldete zackig Fürst Torrens Besuch.

Wie beim letzten Mal wartete der alte Zauberer nicht darauf, hereingebeten zu werden. Noch ehe Mauro sich von seinem Schreck erholt hatte, stand er im Raume.

„Ich sehe, Ihr seid gerade mit Euren Heerführern zugange“, sagte Fürst Torren freundlich. „Das trifft sich gut. Vreden informierte mich, dass Hanok von ihm einige Hauptleute erbeten hat. Gestattet Ihr, dass der Togwed mir Eure Planungen erläutert? Dann kann ich sofort über sein Ansinnen entscheiden.“

Mauro war erstaunt, dass der alte Fürst sein Domizil wegen einer solchen Nebensächlichkeit verlassen hatte. Vreden kannte sämtliche Pläne. War er zu dumm, um sie zu begreifen und an seinen Vater weiterzuberichten? Mit einer generösen Geste bedeutete er Hanok, die Planungen für die Reichstruppe zu erläutern. Er selbst lehnte sich zurück und konzentrierte sich auf die Beobachtung von Torren. Fasziniert beobachtete er, wie der alte Meister Hanok, den klügsten Kopf seiner Truppe, mit seiner Fragetechnik ausmanövrierte.

„Ihr wollt je eine Garnison in Moringart und an der Schweinefurth stationieren. Wie viele Leute habt Ihr vorgesehen und was sollen sie tun?“

Hanok beantwortete seine Fragen.

„Dafür sind es zu wenige. Außerdem müsst Ihr ein Spionagenetz aufbauen, das Euch frühzeitig über feindliche Truppenbewegungen im Feindesland informiert. Eure Leute wissen nicht, worauf sie achten sollen. Dafür braucht Ihr Krieger mit Grenzerfahrung. Habe ich Recht?“

„Ich habe schon einige von Pados Leuten herübergeholt. Mir fehlen bloß die Hauptleute.“

„Ist es nicht eher so, dass Ihr mehr Leute braucht, der König sie aber nicht bezahlen will?“

Hanok zögerte mit der Antwort. Torren hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Hanok und Alagos befürworteten mehr Krieger, doch Mauro gewährte ihnen nicht mehr Mittel.

Torren nahm das Zögern als Bestätigung und fuhr fort: „Ich habe verstanden. Wie wäre das, wenn ich Euch mehr Krieger zur Verfügung stelle, die ich aus meiner Schatulle bezahle?“

Hanok schluckte. Natürlich war das ein attraktives Angebot, aber durfte er es annehmen?

„Was spricht dagegen, dass ich das tue?“ nahm Torren seine Frage vorweg.

„Grundsätzlich nichts...“ erwiderte Hanok zögerlich.

„Gut, dann sind wir uns handelseinig. Ihr bekommt von mir nicht nur die Hauptleute, sondern auch mehr Krieger. Dafür geht das Kommando in Moringart an einen Togwed aus meinem Clan.“

„Ich hatte schon einen meiner Leute für diesen Posten vorgesehen….“

„Kein Problem, Euer Mann macht den Stellvertreter. Ein kleines Opfer für eine Verstärkung, die Euch sonst nichts kostet.“

Ähnlich verfuhr Torren mit der geplanten Garnison südlich von Torgart, die innerhalb der Provinz Tolego lag. Dort wollte er unbedingt seine Finger drinnen haben. Torren war mit dem gewählten Standort nicht einverstanden. „Sehen wir uns gemeinsam an, wo diese Garnison sitzen muss, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Ich brauche eine bessere Karte, die hier taugt nichts.“ Torren blickte um sich und sah unter einem Stapel eine weitere Landkarte liegen.

Torren schien zu ahnen, dass er genau diese Karte nicht sehen sollte. Mauro hatte hastig andere Dinge darüber geschlichtet, um sie zu verbergen. Nun griff Torren zielstrebig zu: „Ah, da ist ja eine, die auch Provinzgrenzen zeigt.“

Der Fürst warf einen interessierten Blick auf die Karte. Sofort erkannte er, welchen Schatz er in Händen hielt: den Entwurf für die Vergabe der Lehen. „Das erinnert mich daran, dass die Lehensfrage ja noch offen ist“, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln. Dann wurde er ernst und zog seine Schlussfolgerungen aus dem Gesehenen: „Bis die Entscheidung gefallen ist, bewirtschaften die Tolegos die Burg Sevas.“ Als er das sagte, sah er Hanok durchdringend an. „Im Übrigen sollten die Familien unserer Krieger die Freiheit haben, auf jeder Burg ihrer Wahl in Frieden und Sicherheit zu wohnen. So, wie es in Furukiya immer schon Brauch war.“

Das klang wie eine Warnung. Mauro verstand nicht, was Torren damit sagen wollte. Hanok hingegen wusste wohl, was ihm der greise Fürst übel nahm: dass er in Mauros erstem Herrschaftsjahr die Tolego-Burg Amrun widerrechtlich besetzt und ihre Bewohner in Geiselhaft genommen hatte.

Schließlich einigte man sich über den Standort der zweiten Garnison, für die die Tolegos den stellvertretenden Togwed und ein paar zusätzliche Leute stellen würden. Hanok wollte wissen, ab wann er mit den Leuten rechnen konnte.

„Die Leute aus Pados Truppe kommen erst einmal nach Hause. Sie müssen ihren Wehrsold erhalten und ihre Ausstattung instandsetzen. Danach bemannen wir den Standort Moringart. Ihr könnt Eure überzähligen Leute sofort an die Schweinefurth schicken. Die Nordgrenze ist lang, Ihr braucht da oben jeden Mann!“

Hanok überlegte verzweifelt, wie er sich am klügsten verhalten sollte. Der greise Fürst hatte Recht, aber was würde Mauro dazu sagen, wenn er ihm beipflichtete? Hanok wusste schließlich, dass die beiden nicht gerade ein Herz und eine Seele waren.

„Seid Ihr einverstanden?“ drängte Fürst Torren.

Mauro, der Hanoks inneren Kampf amüsiert beobachtete, sagte ganz gelassen: „Ihr wolltet doch mehr Leute haben, Togwed Hanok. Willigt ein, wenn der Vorschlag des Fürsten Sinn macht!“ Letztendlich war es einerlei, ob Hanoks oder Torrens Leute in Moringart vor seiner Haustüre saßen. Er ärgerte sich bereits, dass er überhaupt fremde Truppen dort genehmigt hatte.

„Eure Vorschläge machen Sinn“, sagte Hanok laut zu Fürst Torren. „Ich bin einverstanden und danke Euch für Eure Unterstützung.“

Ein verschmitztes Lächeln blitzte in Fürst Torrens Augen auf. Er hatte Mauros telepathische Anweisung mitbekommen. „Togwed Hanok, Ihr seid ein verständiger Mann. Ich freue mich, dass wir so rasch handelseinig wurden. Das Arrangement ist, denke ich, zur beiderseitigen Zufriedenheit. Wir werden bestimmt gut zusammenarbeiten.“

Zu Mauro sagte Torren: „Ich danke Euch für Eure Geduld, mein Herr und König. Solch unmaßgebliche Details wie die Rekrutierung von Kriegern für die Reichstruppe könnt Ihr Euren Untergebenen überlassen. Wir regeln das für Euch. Über das da“, Torren zeigte mit dem Finger auf Burg Amrun, „sprechen wir beide unter vier Augen.“

Torren verneigte sich höflich und verschwand.

Mauro sah ihm mit einem Kopfschütteln nach: „Was wollte er damit sagen, dass die Tolegos Sevas bewirtschaften? Will er jetzt nicht mehr Burg Amrun haben?“

Hanok bekam einen roten Kopf. „Das war eine Warnung: wenn Fürst Leor Amrun ausplündert, hält Torren sich in Sevas schadlos.“ Zu Torrens Anspielung auf die Gefangennahme der Tolego-Frauen auf Burg Amrun schwieg er wohlweislich.

„Aha. Er weiß also, was ich vorhabe.“

„Davon könnt Ihr ausgehen.“ Nun wusste auch Hanok, was Mauro mit Fürst Leor ausgehandelt hatte. Bitter vermerkte er, dass Sevas ihm zugedacht gewesen wäre, denn das Lehen war der Lohn für den Feldherrn. Wäre er nicht in diesen dummen Hinterhalt auf den Distelfeldern geraten...

„Warum wollte er uns freiwillig seine Krieger geben?“

„Das Fürstentum hat eine lange militärische Tradition, es hat immer schon Krieger exportiert. Durch die Auflösung von Pados Truppe kehren zu viele mit einem Schlag heim und fragen nach Arbeit. Fürst Torren muss seine Leute versorgen. Gold besitzt er genug, doch keine lohnenden Aufgaben. Seine Provinz hat keine Außengrenzen, an die er seine Truppen stellen könnte, wie die anderen betroffenen Fürsten. Darum dient er sie uns an.“

„Ich verstehe. Er fängt zwei Fliegen mit einer Hand. Seine Krieger sind versorgt und er gewinnt an Einfluss. Respekt“, sagte Mauro bewundernd. „Er ist verdammt schlau vorgegangen. Beinahe könnte man sagen, er hat mich überrumpelt. Über weite Strecken wusste ich überhaupt nicht, was er will.“

Während er so über den alten Zauberer sprach, fiel ihm auf, dass ihn dessen Gegenwart diesmal überhaupt nicht in Panik versetzt hatte. War das bereits die Folge der Entscheidung über seinen eigenen Clan? In jedem Fall war es ein großer Schritt zur Unabhängigkeit. Mauro fühlte sich erleichtert. Fürst Torren war ihm zwar haushoch überlegen, doch er war auf dem besten Wege, von einer Bedrohung zu einer Herausforderung zu werden.

Etliche Tagreisen weiter südwestlich saßen Feren und Segur auf der Festungsmauer von Gralta. Tief unter ihnen schäumte das Meer tosend gegen die Klippen. Über ihnen strahlte ein wolkenlos blauer Himmel, und die Sonne strahlte mit ganzer Kraft. Doch die beiden Tolegos interessierte weder der Blütenduft, der sie umgab, noch die unbeschreibliche Aussicht auf die Meerenge vor ihnen. Sie trugen akribisch Informationsfetzen zusammen, die sie in den letzten Tagen auf telepathischem Wege erhalten hatten.

„Die Entsatztruppen müssen bald da sein“, sagte Segur. „Morgen oder spätestens übermorgen sind wir fort von hier. Ich habe diese Klippen satt. Der Seewind macht mich krank. Es wird höchste Zeit, hier zu verschwinden.“

„Ich fand es gut hier.“

„Ich weiß, Du hast die Zeit zum Trainieren genutzt. Bist wieder ein Stück besser geworden.“

„Was nutzt es mir?“ entgegnete Feren bitter.

Segur schüttelte ungläubig den Kopf: „Ich kann es nicht fassen. Pado hat uns einfach sitzen lassen! Nach all den Schlachten, in denen wir seinen wertvollen Arsch gerettet haben, vergisst er uns einfach hier auf den Klippen!“

Feren zuckte die Schultern: „Es war höchste Zeit, ihm den Rücken zu kehren. Ich wollte schon länger weg. Hatte mich bei Condir Warden beworben.“

„Ich habe nie verstanden, weshalb Warden von Tolego Dich zurückwies.“

„Ich war wohl nicht gut genug für seine Truppe.“ Feren machte eine verächtliche Geste: „Sie haben nie etwas für mich getan. Nie wieder frage ich den Clan um Erlaubnis. Das war ein Fehler.“

Segur lachte: „Letztendlich war es Dein Glück. Hätte Condir Warden Dich akzeptiert, wärest Du genauso tot wie er.“

„Ich bin froh, dass die Zeit mit Pado vorüber ist. Ich konnte ihn nicht mehr ertragen. Früher oder später hätte ich ihn für die Demütigungen zur Rechenschaft gezogen!“

„Wie Du mit Hanok abgerechnet hast?“

„Wer behauptet, dass ich das getan habe?“ sagte Feren mit ungewöhnlicher Schärfe.

Segur ruderte sofort zurück: „Niemand. Nach den Regeln des Netzwerkes wissen immer nur der Auftraggeber und der, der den Auftrag ausgeführt hat, Bescheid. Beide sind verpflichtet, auf alle Zeiten zu schweigen.“

„So muss es sein.“

Sie schwiegen eine Weile. Dann wechselte Segur das Thema: „Clanchef Torren hat allen Männern angeboten, nach Tolego zurückzukehren. Er gibt jedem, der endgültig abmustert, einen Batzen Gold für die Gründung einer zivilen Existenz. Ein Teil meiner Männer wird dieses Angebot annehmen. Sie sind lange genug im Felde gewesen, sie haben die Nase voll. Manche von ihnen freuen sich richtig auf daheim.“

„Ein Teil“, wiederholte Feren. „Und der Rest?“

„Für die, die nicht heimkehren wollen, hat Fürst Torren ein Engagement an der Nordgrenze ausgehandelt. Das hat allerdings einen Haken. Der Oberbefehlshaber könnte Hanok heißen.“

„Hanok.“ Mehr sagte Feren dazu nicht. In dem einen Wort lag alles, was er über die Situation dachte.

„Ich verstehe es auch nicht. Er war völlig erledigt. Schwer verwundet, degradiert, gedemütigt, vor ein Kriegstribunal gestellt. Jeder hätte gedacht, das ist sein Ende. Doch er hat sich wieder hochgekämpft. Bodir sagte, er hätte es nicht geglaubt, wenn es nicht direkt vor seinen Augen geschehen wäre. Hanok rang verbissen um jeden Fußbreit Boden. Jetzt reist er an der Seite des Königs und leitet für diesen kommissarisch die Reichstruppen. Zwar wurde ihm das Kommando nicht formell übertragen, aber Bodir hält es für möglich, dass es noch geschieht.“

„Wenn Hanok etwas will, dann kriegt er es.“ Feren lachte bitter: „Wir wissen nicht wohin - er schwimmt wieder oben. Es gibt keine Gerechtigkeit.“

„Nein, die gibt es nicht“, bestätigte Segur. „Während wir hier sitzen und auf die Ablösung warten, haben die anderen alle Posten verteilt. Man sagt, in Tolego hätte nach Wardens Tod nun Torrens Enkel Nôrden das Sagen. Jedenfalls gehören alle Kameraden, die gute Posten bei der Reichstruppe bekommen, zum Kreis seiner Getreuen.“

„Kenne ihn kaum. War wohl zu selten daheim“, konstatierte Feren.

„Es soll ein unangenehmer Bursche sein. War früher bei König Curons Garde. Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen“, wusste Segur

„Egal. Unter Hanok hätte ich ohnedies nicht gedient.“

Segur lachte heiser: „Ich auch nicht. Und meine Leute genauso wenig. Aber was sollen wir tun? Ich fühle mich noch zu jung, um Olivenbäume zu züchten. Vielleicht sollten wir nach Sevas gehen und abwarten, wie sich die Sache entwickelt?“

Feren überlegte. Lange sagte er überhaupt nichts. Segur wartete geduldig. Der Freund nahm sich Zeit, um eine Sache gründlich zu durchdenken. Dann war Feren zu einer Entscheidung gekommen: „Sevas bringt nichts.“

Segur sah das anders: „Wieso? Die Tolegos werden entweder Sevas oder Burg Amrun als Lehen erhalten. Was spricht dagegen, dass Mehan vorläufig mit den Kindern in Sevas bleibt?“

„Sie sind dort nicht sicher. Stell Dir vor, Hanok kümmert sich beim Umzug um den Geleitschutz. Ich werde ihm meinen Sohn kein zweites Mal ausliefern!“ Feren sah Segur direkt an: „Was willst Du auf einer Burg? Steine bewachen?“

„Manches Mal denke ich, Steine bewachen ist nicht so schlecht. Jeden Abend in einem warmen Bett schlafen – wir werden nicht jünger, Feren. Mehan würde es schätzen...“

Feren schüttelte unwillig den Kopf: „Unsinn. Hier im Süden gibt es nichts mehr zu tun! Wir werden eine neue Truppe finden. Eine, in der Hanok nicht die Finger drinnen hat!“

„Und wo willst Du die finden?“ fragte Segur neugierig.

„Wir gehen zum König. Wenn es noch gute Kommandos gibt, dann dort!“

Segur lachte erleichtert auf: „Du hast völlig recht! Wir reiten mit unserer gesamten Truppe nach Mandrilar. Zur Krönung werden alle maßgeblichen Leute in der Hauptstadt sein. Es wäre gelacht, wenn uns keiner haben wollte!“

In der letzten Nacht vor seiner Abreise fand Mauro keinen Schlaf. Zu viele Dinge gingen ihm im Kopf herum. Bereits getroffene Entscheidungen, über die er nachgrübelte und bevorstehende, für die er noch keine Lösung hatte. Es gab so viel zu bedenken, dass es ihm gar nicht so schwer fiel, Sigrun aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Erleichtert stellte er fest, dass er in den letzten Tagen kaum noch an sie gedacht hatte.

„Ihr seid müde und könnt nicht schlafen, mein Herr“, sagte Zeldis und strich ihm sanft über die Brust. „Soll ich Euch einen Schlaftrunk bereiten?“

„Lasst nur. So vieles ist in der letzten Zeit geschehen. Ich muss das alles erst einmal verdauen.“

„Ihr habt unendlich viel geleistet“, schmeichelte die Konkubine.

„Das ist es nicht einmal so sehr. Das ganze letzte Jahr fühlte ich mich gehetzt, machtlos ausgeliefert dem Rad des Schicksals. Seit einiger Zeit jedoch besitze ich eine Ruhe und Klarheit, wie ich sie davor nicht kannte. Beinahe fühlt es sich an, als wäre ich von einem Getriebenen zu einem Handelnden geworden.“

Zeldis wusste, was er meinte. Sie hatte die Veränderung miterlebt. Er war durch die Tiefen des Schmerzes hindurch getaucht und auf der anderen Seite gestärkt herausgekommen. Nun verfügte er über eine innere Kraft und eine Distanz zu den Dingen, die ihn in die Lage versetzte, viel klarer zu sehen und sicherer zu entscheiden. „Manchmal braucht es großen Schmerz, um eine notwendige Veränderung anzustoßen.“

„Der Feuergott hat das größte Opfer von mir verlangt, dass ein Mensch bringen kann: meine Liebe. Es scheint, als musste ich sie opfern, um zu dem zu werden, was ich sein soll: ein unabhängiger König, nur dem Wohl des Landes verpflichtet.“

"Was ist ein König, der nicht liebt?“

„Vielleicht fordert das Land meine gesamte Liebesfähigkeit, so dass daneben für eine Geliebte kein Platz mehr ist?“

„Mir mag es recht sein, solange Ihr die Dienste Eurer Konkubine schätzt. Ich begleite Euch gerne nach Mandrilar, wenn Ihr es mir gestattet."

Mauro schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, Zeldis ständig an seiner Seite zu haben. Die Lücke, die Sigrun hinterlassen hatte, vermochte sie nicht zu füllen. Auch konnte er sie in Mandrilar nicht gebrauchen, denn dort erwartete ihn Yerion. So wies er ihr Ansinnen zurück: „Nein, das möchte ich nicht. Ihr gehört hierher, auf diese Burg. Wollt Ihr hier auf mich warten, bis ich wiederkehre?“

Am nächsten Morgen rief Mauro alle anwesenden Fürsten und Heerführer ein letztes Mal zusammen und ernannte feierlich Uluk von Xalmeida zum Condir der Südtruppen. Das war allgemein erwartet worden, denn nach Hanoks Scheitern gab es keinen anderen Anwärter auf dieses Amt. Die Anwesenden spendeten wohlwollend Beifall. Uluk hatte sich die Beförderung redlich verdient.

Mauro ging sogar noch ein Stück weiter: „Während meiner Abwesenheit lege ich die Verantwortung für diese Burg ihn Condir Uluks Hände. Er soll bis auf weiteres darüber wachen. Seiner Obhut übergebe ich auch meine Konkubine Zeldis.“

Diese Lösung gefiel allen Beteiligten. Die Stadt Alicando lag mitten in Uluks Verantwortungsgebiet. Er hatte ohnedies keine eigene Burg. Auf der den Xalmeidas versprochen Nordburg würde auf Anordnung des Clanchefs Uluks Vorgänger Balkir residieren.

Zeldis war froh, dass ihr die Schmach der Entlassung erspart blieb. Als Konkubine des Königs genoss sie einen ansehnlichen Status, der auch ihrer Sippe zu Gute kam. Schon hatte ihr Vetter Narghey in Malfar seine Sachen gepackt, um in seine Heimat zurückzukehren. Andere würden folgen. Nun, da Mauro sich zum Clanchef der Alicandos erklärt und eine der Ihren als Konkubine erwählt hatte, gab es für die Überlebenden des Alicando-Clans keinen Grund mehr, sich zu verstecken.

Brautwerbung

Подняться наверх