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Kapitel 2: Der Kampf mit der Vergangenheit

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Kayla kam regelmäßig ins Gildehaus. Sie spürte, dass ihre Anwesenheit Feren wohl tat, auch wenn er das so deutlich nicht sagen würde. Langsam wuchs das gegenseitige Verständnis.

Kayla machte von Anfang an klar, dass sie als freie Zauberin an Ferens Seite weilte. Sie würde kommen und gehen, wie es ihr beliebte. An erster Stelle kamen ihre Verpflichtungen gegenüber Malfar, dann ihre Aufgaben für die Gilde. Feren würde sich mit dem Rest ihrer Aufmerksamkeit begnügen müssen. Allen darüber hinausgehenden Ansprüchen erteilte sie von vorne herein eine unmissverständliche Absage.

Feren akzeptierte widerspruchslos ihre Bedingungen. Da er nicht die Kraft aufbrachte, sie fortzuschicken, blieb ihm keine andere Wahl. Er wusste selbst, dass er im Rang nicht hoch genug war, um sie zu freien. In seiner Situation konnte er froh sein, dass sie überhaupt an seiner Seite war. So ließ er sie im Wesentlichen gewähren. Wenn er allerdings von etwas überzeugt war, dann stand er wie ein Fels. Kayla lernte, wann sie sein >nein< akzeptieren musste und wann noch Spielraum für Verhandlungen war. In ihm fand sie einen geduldigen Zuhörer, dem sie am Abend nach einem langen, harten Tag ihr Herz ausschütten konnte. Er gab ihr Rat oder nahm sie einfach in die Arme, wo Worte nichts nützten.

So bereitwillig er sich in ihr Leben involvieren ließ, so wenig gewährte er ihr Zutritt zu dem seinen. Kayla spürte, dass Feren ihr nicht rückhaltlos vertraute. Wichtige Bereiche seines Lebens waren ihr verschlossen.

Das stachelte ihren Ehrgeiz an. Wie davor ihr Bruder Beor kämpfte Kayla mit allen Mitteln um Zugang zu Ferens Welt. Es entsprach ihrem inneren Streben, den Mann, den sie gewählt hatte, mit Haut und Haaren zu besitzen. Allerdings wusste sie instinktiv, dass sie sich den Zutritt nicht erzwingen durfte. Vertrauen aufzubauen brauchte Zeit. Bei Feren brauchte es viel Zeit.

Feren kam nicht auf die Beine. Kaylas Nähe und Zärtlichkeit gaben ihm Kraft, die Nacht zu bestehen – Kraft, die ihm der Tag wieder raubte. Obwohl seine Pflegerinnen genau darauf achteten, was er zu sich nahm, erholten sich seine Reserven nicht. Er konnte gar nicht so viel essen, wie er im Kampf gegen Ängste, quälende Erinnerungen und in der mühsamen Aufarbeitung der Vergangenheit verbrauchte. Zwei Wochen nach dem Angriff der Daughûi war er immer noch zu schwach, um sein Lager zu verlassen.

Ida half ihm nach Kräften. Feren leugnete nicht, dass er zu Essen aufhörte, sobald er unter Druck geriet. Meist waren die Phasen kurz und er erholte sich rasch wieder, doch angesichts der Schwere seiner Verletzungen war seine derzeitige Appetitlosigkeit problematisch. Auf der Suche nach der Ursache für seine paradoxen Essgewohnheiten war Ida mit ihm den ganzen Weg zurückgegangen, bis nach Orod Ithryn, wo er sich vor den Augen der Lehrer beinahe zu Tode gehungert hatte. Das war seine Art, gegen die andauernde Überforderung zu protestieren. Ida machte ihm bewusst, welch destruktive Mechanismen er aufgebaut hatte, um dem für ihn unerträglichen Druck auszuweichen, und wie das trügerische Gefühl der Macht über Leben und Tod ihn immer wieder in den gleichen Abgrund trieb.

Allmählich brach Ida seinen Eispanzer auf und brachte ihn mit den ursprünglichen Gefühlen in Kontakt, sodass er Wut wieder als Wut und Trauer als Trauer empfinden konnte. Die Konfrontation mit den eigenen Emotionen und mit dem alten, aufgestauten Schmerz brachte Feren an seine Grenzen. Seine Schutzmechanismen brachen unter dem Ansturm zusammen und es beutelte ihn arg.

Ida versuchte, sorgsam zu dosieren, um Feren nicht zu viel abzuverlangen. Doch an irgendeinem Punkt geriet der Prozess außer Kontrolle. Feren begann, das Tempo selbst zu bestimmen. Was für ihn machbar war, tat er ohne Zögern – und ohne Rücksicht auf Verluste. Die Pausen, die Ida ihm verordnete, nutzte er, um weitere Türen aufzustoßen.

Feren wusste, dass er nicht erst in Orod Ithryn mit der Nahrungsverweigerung begonnen hatte. Der Junge, der dort ankam, beherrschte das Spiel schon perfekt. Die Wurzeln lagen viel weiter zurück. Feren ließ die gewalttätigen Szenen seiner Kindheit an sich vorüberziehen. In dem mit ultimativer Härte ausgetragenen Geschlechterkampf seiner Eltern hatten die zahlreichen Kinder keinen Platz. Feren wurde überhaupt ignoriert, denn er war nicht seines Vaters Sohn. Er war ein Kind der Riten – was immer das bei einer Frau wie Mallen hieß, die sich jedem an den Hals warf, mit dem sie den verhassten Gatten und ihren unnachgiebigen Vater Torren ärgern konnte. Als er zum ersten Mal von daheim ausriss, war er kaum älter als sein Sohn Beor jetzt. Als das Ausreißen zur Gewohnheit wurde, verbannte Torren den widerspenstigen Enkel nach Orod Ithryn. Er war ein gutes Jahr jünger als alle anderen und sehr klein. Orod Ithryn war für ihn eine harte Schule, doch er war dort immer noch lieber als daheim. Als man ihm eines Tages die Nachricht vom gewaltsamen Tod seiner Mutter überbrachte, berührte ihn das kein bisschen.

Mit den Techniken, die Ida ihn gelehrt hatte, ging Feren den Weg bis zum bitteren Anfang, bis zu seiner Geburt. Er fühlte den initialen Schrecken, als er das Licht der Welt erblickte und sich noch nicht zu orientieren wusste, sehnte sich nach dem gewohnten Herzschlag der Mutter. Er wartete darauf, dass sie ihn in die Arme nahm, fühlte die Sehnsucht nach Geborgenheit. Doch nichts dergleichen geschah. Eine Amme trug ihn fort und legte ihn einer fremden Frau in den Arm. Feren hörte nicht, was gesprochen wurde, doch er fühlte deutlich den Wahrnehmungszauber, den die Amme entfaltete: >Das hier ist Dein Sohn, Mallen. Du wirst von jetzt an für ihn sorgen.< Wie in Trance wiederholte Mallen, was ihr die Amme einsuggerierte. Dann bot sie dem Säugling die Brust. Feren wies sie zurück. Der säuerliche Geruch ihrer Haut ekelte ihn an. Er wollte zu seiner Mutter. Er stemmte sich mit beiden Fäusten gegen die Fremde, schrie wie am Spieß und verweigerte die dargebotene Nahrung.

Vor Ferens Augen brachen die Eckpfeiler seiner Existenz in sich zusammen. Lauter Lügen. Alles, was sein Großvater jemals über ihn behauptet hatte, womit er seine Strenge gegenüber dem Enkel zu begründen pflegte, war falsch. Mallen, die Feren Zeit seines Lebens verabscheut hatte und deren Namen er trug, war nicht seine Mutter.

Eine Kette von Erinnerungen spulte sich in Ferens Gedächtnis ab. Was immer er gesagt oder getan hatte, sein Großvater ergriff grundsätzlich gegen ihn Partei. Niemals ließ er zu, dass Feren auf irgendetwas stolz sein durfte. Er verhielt sich hart und ungerecht. Wann immer Feren dagegen aufbegehrte, erinnerte er ihn an seine zweifelhafte Herkunft, und dass Feren sich schämen müsse, überhaupt auf der Welt zu sein. So stellte er sicher, dass Feren niemals ohne Not erwähnte, dass er Torrens Enkel war.

Warum hatte Torren ihm das angetan? Wusste er nicht, dass Mallen ein fremdes Kind aufziehen sollte? Der aufgestaute Hass gegen seinen Großvater brach sich Bahn. Er suchte nach einem Ventil, wollte alles kurz und klein schlagen, doch seine Kraft reichte nicht einmal dazu, aufzustehen. Die Wut drohte ihn zu ersticken. Er versuchte zu schreien, doch er brachte nur gurgelnde Laute hervor.

Als Ida wenig später nach Feren sah, ging sein Atem schwer und er zitterte am ganzen Körper. „Feren, was hast Du gemacht?“ rief sie ihn erschrocken an. „Du hast Dich weiter vorgewagt, obwohl ich Dich bat, es nicht zu tun. Was hast Du gesehen? Was hat Dich so erschreckt?“

„Ich bin bis an den Ursprung zurückgegangen. Jetzt weiß ich, woher das Muster kommt. Es begann gleich nach der Geburt.“ Mehr wollte, mehr konnte er Ida nicht sagen.

„Feren, bitte, Du darfst nicht alle Wunden gleichzeitig aufreißen. Ich komme nicht nach mit dem Verbinden!“

Feren brauchte ziemlich lange, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann sagte er: „Seit meiner Kindheit begleitet mich das vage Gefühl, dass etwas grundlegend falsch ist. Jetzt weiß ich es. Bloß das >warum< kann ich nicht verstehen.“

Die Jäger

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