Читать книгу Bens legendäre Skills - Nächstes Level: Reality Check - Som Goldberg - Страница 8
DER KARTOFFELDIEB #REALMOVE
ОглавлениеDas Geräusch der Hufe auf dem Wüstenboden klingt satt und warm. Am Himmel kreischen ein paar Jagdvögel. Der Wind sortiert mit spitzen Fingern die struppigen Blätter der Palmen. Ich bin auf dem Weg in die Wüstenstadt Bardun. Diese neue Gegend ist für alle Spieler leicht zu betreten. Es gibt kaum übernatürliche Feinde dort, und sie liegt auf dem gleichen Kontinent wie die tropischen Sümpfe mit den Spiralbäumen. Feuchtes Klima, trockene Wüste, schneekalte Berge − es gibt alles in Exploria.
Bardun hat keine Stadtmauern. Der Ort fängt einfach an. Links von mir steht eine kleine Wand mit rostigen Gittern zwischen Rundbögen. Uralt, zwecklos, von Efeu bewachsen. Rechts schmiegen sich die ersten, brüchigen Häuser in den Sand, hingeworfen wie Steine.
Weiter vorne höre ich Stimmen und das Klimpern von Krügen und Schüsseln aus Ton. Da muss der Markt sein. Rund um diesen Basar findet man immer jemanden zum Streiten. Einen betrunkenen Menschen für einen Faustkampf. Einen nüchternen Halbriesen für ein Gefecht Schwert gegen Keule.
Die Marktgasse erscheint. Das Licht wird heller. Gebäude aus Sandstein. Stände aus Holzpfählen mit Dachplanen aus Tierfellen. Ich steige ab und binde das Pferd an.
Jeder Kampf füllt mein Konto, das Dark Ambush letztens so böse geleert hat, wieder mit Erfahrungspunkten auf. Durch seine Attacke auf dem Teich der Tausend Tode bin ich aus den Top Fünfzig der besten Spieler ins Nirwana der Glücklosen gerutscht.
Dark Ambush hat mich mittlerweile sogar überholt. Obwohl er nur zerstört und nie erschafft.
„Etwas Tiefengold gefällig, junger Mann?“, krächzt eine alte Frau hinter ihrem Stand. Ich schaue hin. Das Menü surrt auf. Es zeigt mir an, dass ich für fünf Dukaten nahrhafte Kartoffeln erwerben könnte. In Exploria heißen sie Tiefengold, da sie in der Erde wachsen und das wichtigste Nahrungsmittel darstellen.
Die Entwickler haben vieles einfach umbenannt. Äpfel zum Beispiel sind hier Sonnenkugeln. Brokkoli heißt Krümelkohl. Das Wort passt gut, doch ich frage mich, wieso sie dieses furchtbare Gemüse überhaupt eingebaut haben.
Ich halte Ausschau nach möglichen Gegnern. Es können auch echte Spieler sein, die sich auf ein Duell einlassen. Hier laufen sicher einige herum. Die Entwickler geben immer wieder neue Gebiete frei, damit wir alle am Ball bleiben.
Andere Gegenden wiederum halten sie hart geschlossen. Nur zwei Spieler sollen es bislang geschafft haben, in die Region hinter dem Knüllwald zu kommen. Die Wutwurzel überwinden einige, aber das Völkchen der Wutwichtel geht bei fast allen Spielerkontakten in die Luft.
Ich schaue kurz nach oben. Puderwolken an einem glasklar blauen Himmel. Meine Schuhsohlen knirschen auf dem sandigen Boden. Ein Hund schnüffelt an meiner Hose.
Es klingt so realistisch in den Kopfhörern, dass man in echt nach unten schauen und nachsehen möchte, ob ein kleiner Terrier ins Zimmer eingedrungen ist. Vielleicht hat mir Dark Ambush ja sogar einen Gefallen getan, als er mich vom Boot schoss. Vielleicht hätte mich der Wassergeist kurz vor seiner Erlösung durch meine Melodie auf der Muschel doch noch eingesaugt.
In dem Fall würde ich jetzt durch das dunkelste Level aller Zeiten tapsen statt über einen sonnigen Markt. Wenn die Gerüchte stimmen. Das machen sie schließlich auch sehr gut in diesem Spiel − Legenden streuen. Niemand hat das riesige Dunkel im Inneren des kleinen Geistes jemals gesehen, aber alle reden darüber. Im Forum. Wer weiß, wie viele von den Usern dort in Wirklichkeit zu der Firma gehören, die das Spiel entworfen hat? Vielleicht ist der Wassergeist leicht zu besiegen. Vielleicht besteht sein Inneres nicht aus Finsternis, sondern aus einem quietschbunten Bonbonland. Wer weiß?
„Ein Dieb! Ein Dieb! Haltet ihn doch auf!“
Ich drehe mich um. Die alte Frau vom Kartoffelstand wirft klagend die Arme nach oben. Der Typ, der sie beklaut hat, wird am Bildhorizont immer kleiner. Meine Chance!
Ich ramme meinen linken Finger auf die Leertaste und renne dem Mistkerl hinterher. Ein paar Besucher des Marktes schubse ich aus dem Weg. Sie schimpfen. Die flüchtende Figur wird wieder größer. Es ist ein wuchtiger Mann. Ich bin leichter, schneller, wendiger.
Als ich nah genug an ihn herangekommen bin, drücke ich die Taste für den Duellmodus. Eine super Funktion, die mir als Soldat der siebten Garde zur Verfügung steht. Treffe ich auf einen Schurken, kann ich ihn auf diese Weise zum Kampf zwingen. Das Bild zoomt dann heran, stellt mich und meinen Gegner in den Vordergrund und untermalt den kommenden Kampf mit einer ganz speziellen Duellmusik. Fluchend dreht der Dieb sich um. Auf seiner rechten Oberlippe wachsen zwei dicke Haare wie junge Birken aus einer traubengroßen Warze.
In der Tat. Der Mann trägt kein Schwert, keinen Säbel, keine Kanone, keinen Morgenstern. Nicht einmal das kleinste Messer oder wenigstens eine winzige Bartschere.
Das bedeutet: Greife ich ihn mit meiner Klinge an, verliere ich sogar Punkte.
Exploria legt Wert auf Fairness. Das ist irgendwie schon cool, aber auch manchmal nervig. Als hätten Eltern an dem Spiel mitprogrammiert.
„Rück das Tiefengold raus!“, sage ich.
Der Dieb antwortet: „Hol es dir doch!“
Ich stecke das Schwert wieder weg und hebe meine Fäuste. Mit gut gebräunter Haut ragen sie ins Bild. Wir wollen gerade anfangen zu kämpfen, da ertönt eine Melodie. Das Spiel blendet ein Menü ein.
Ein Angebot: Wenn ich dieses Duell mittels der neuen Funktion Real Move ausführe, bekomme ich dreimal so viele Punkte. Ich seufze. Das ist natürlich reizvoll. Und einmal eingerichtet, kann ich die Funktion immer wieder verwenden, bei jedem weiteren Duell.
Ich hab’s halt noch nicht gemacht. Weil ich faul bin.
Buffy schleicht ins Zimmer, springt auf den Schreibtisch und drückt mir ihr Köpfchen unter das Kinn. Ich kraule unsere Katze hinter den Ohren. Real Move. Ich bin doch so unsportlich. Wie mein Vater. Aber dreifache Punkte, bei jedem Kampf …
Ich speichere zwischen, schalte den Monitor aus und öffne die Schiebetür meines Schrankes. Für diese Aktion brauche ich meine Sportschuhe. Nicht die aus der Schule mit den weißen Sohlen für die Halle, sondern die Draußentreter. Die Schuhe, mit denen ich theoretisch joggen gehe. Denn theoretisch jogge ich zweimal die Woche. Also einhundertviermal im Jahr. Allerdings mache ich einhundertzweimal davon eine Ausnahme und gönne mir eine Pause. Daher sind die Schuhe im Chaos meines Schrankes schwer zu finden.