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DER HIGH KICK #GARTENKÄMPFER

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Ich gehe hinaus in den Garten. Monatelang hat mein Vater den Maulwurf bekämpft. Nun sind alle Hügel verschwunden. Nicht wegen Papas Methoden, sondern weil ich neulich beim Grillen aus Spaß durch ein Loch mit den Tieren geredet habe. Seitdem sind sie futsch. Das kann natürlich nichts miteinander zu tun haben, ich weiß. Aber ein lustiger Zufall ist es schon. Jetzt haben wir allerdings Wühlmäuse. Viele kleine Löcher mit dem Durchmesser von Tischtennisbällen im Boden statt großer, aufgeworfener Hügel.


Mein Telefon stelle ich auf die Fensterbank. Ich habe kein Stativ wie Fadi oder Emma, die ihre Kanäle schon wie Profis betreiben. Ich merke mir den Ausschnitt des Rasens, den die Kamera erfasst, drücke auf Aufnahme und gehe dorthin. Sanft flüstert der Wind in den Blättern.

Ob einer guckt? Der Weg hinter unserem Gartenzaun ist leer. In der Ferne schreit ein Fasan. Niemand geht Gassi. Also gut, dann fange ich mal an. Ich setze einen Fuß nach vorn, hebe die Arme und denke an Boxkämpfe. Die linke Hand als Deckung. Die rechte macht einen Schlag.


Zack. Eine Gerade ans Kinn des Gegners. Noch eine. Das Handy filmt. Der Weg bleibt leer. Was machen die Boxer sonst? Einen Haken! Von unten gegen das Kinn. Ich spiele es nach, gegen meinen Gegner aus Luft. Ich japse. Komme jetzt schon aus der Puste. Aber ich muss zugeben, Spaß macht es schon. Ich spüre meinen Körper. Manchmal vergesse ich regelrecht, dass er da ist. Und erinnere mich erst dann wieder an ihn, wenn er müffelt wie ein alter Schuh.

Auf dem Rasen tauchen in meiner Fantasie lauter Gegner auf, gegen die ich schon mal gekämpft habe. Nicht nur in Exploria, sondern auch in anderen Spielen. Oder in Filmen. Mein Vater zeigt mir viele „Klassiker“. Uralte Sachen, die ich „kennen muss“. Manche sind peinlich, andere wirklich gut. Auf seinem alten Super Nintendo haben wir Street Fighter 2 gespielt. Das macht stabil Bock. Da gibt es einen Russen namens Zangief, der ist über zwei Meter groß und hat überall Narben, weil er in Sibirien mit bloßen Händen gegen Braunbären kämpft.


Ich boxe Zangief mit meiner rechten Geraden und halte mir die schmerzende Faust. Der Russe lacht. Was für ein harter Körper! Genauso gut könnte ich mit bloßen Knöcheln auf die Hauswand einschlagen.

Der Riese wartet ab. Greift nicht von selbst an. Grinst. Ich versuche es mit meinem rechten Haken, doch sein Kinn liegt viel zu weit oben. Da komme ich gar nicht ran. Langsam werde ich sauer. Ich denke immer weniger. Stattdessen mache ich einfach. Wie ein Kickboxer trete ich gegen die stählernen Beine.

Der Russe versucht, mich zu greifen. Jetzt kommt mir zugute, dass ich im Vergleich zu ihm winzig bin. Ich tauche unter seinen baumstammgroßen Armen hinweg. Er dreht sich um, ich brülle und trete mit meinem rechten Fuß in die Luft. Mein Körper ist völlig erstaunt darüber. Der Fuß schwingt so hoch, wie wir es niemals gedacht hätten. Also mein Körper nicht und ich ebenso wenig. Ich treffe tatsächlich das Kinn des Russen, falle aber gleichzeitig hintenüber und plumpse auf den feuchten Rasen wie eine umgeschubste Kuh.

Der Rasen ist nicht so weich, wie er aussieht. Er betrügt einen, dieser Rasen. Liegt sanft auf einer Erde, die knochenhart auf meine Wirbelsäule hämmert.


„Wenn Bruce Lee das noch sehen könnte! Ein Tritt zum Kopf mit anschließendem Rückenklatscher. Das irritiert den Gegner gleich doppelt, was?“

Am Zaun steht unser Nachbar Heinz und hält sich seinen runden Bauch vor Lachen. Wie lange guckt der mir schon zu? Oben im Büro öffnet mein Vater das Fenster. Ein wenig Staub weht heraus ins Freie. Heinz hebt seinen großen Kopf. „Tobias, guten Morgen am späten Mittag! Dein Sohn wirft sich hier lebensmüde aufs Gras, um die Wühlmäuse zu vertreiben!“

Mein Vater schaut zu mir herunter, wie ich platt zwischen den kleinen Löchern liege.

Ich protestiere:


„Na klar“, sagt Heinz, „und ich bin Walking Senior als Observer für Falling Boys bei Neighbour Family.“

„Mein Sohn treibt Sport!“, ruft mein Vater. „Anders als die Kinder, die ständig nur vorm Rechner sitzen. Und Schattenboxen ist eine der anstrengendsten Sportarten überhaupt.“

Es gefällt mir, wie mein Papa mich verteidigt. Er selbst fährt nur hin und wieder Fahrrad. Sonntags, zum Bäcker. Da holt er sich dann als Belohnung für die fünfminütige Fahrt ein Schoko-Croissant für den Rückweg. Ich rappele mich auf und klaube mein Telefon von der Fensterbank.

Mein Vater ruft aus dem Fenster: „Ben geht sogar joggen.“

„Ja“, bestätige ich. „Zweimal die Woche. Wenn nichts dazwischen kommt.“

Heinz lacht. Auf diese spöttische Art, bei der viel Luft aus der Nase kommt. Eher wie ein Schnaufen. Ein Schnauflachen. Also ein Schlachen. Er weiß, dass ich nicht so oft jogge. Er sieht ja alles.


Im Haus verbinde ich das Handy mit dem Rechner. Ich öffne den Nutzerbereich von Exploria und gehe zum neuen Unterpunkt Real Move. Ein Menü öffnet sich, das wie die Software von Filmemachern aussieht, die in Hollywood die Spezialeffekte gestalten. Oben rechts dreht sich meine Figur Modi langsam um die eigene Achse. In der Mitte gibt es ein Fenster, in dem ich das Video aus dem Garten bearbeiten kann. Ich schiebe die Datei hinein. Langsam erscheint mein Schattenboxen in ganzer Länge. Die verschiedenen Moves brauche ich aber einzeln.


Ich setze Schnitte. Nach der rechten Geraden, dem Haken, dem Ausweichen und dem High Kick. Wie ich würdelos auf den Rasen plumpse − das schneide ich natürlich raus. Nur der geile Tritt soll übrig bleiben. Ich setze den Schnitt an, da öffnet sich die Zimmertür. Mein Vater.

„Viel Gutes verschwindet aus der Welt“, seufze ich laut. „Der Mozzarella Stick bei McDonald’s. Cola mit Kirschgeschmack. Und das gute alte Klopfen, bevor man das Zimmer des Kindes betritt.“

Mein Vater ignoriert die Kritik. „Du bist zu viel in diesem Spiel, Ben! Auch, wenn ich es gut finde, dass diese neue Funktion euch Kids wieder in Bewegung bringt.“

„… sagt der Mann, der mindestens acht Stunden am Tag vorm Rechner sitzt …“, sage ich.


„Ich arbeite für die Weltrangliste“, sage ich. „Noch dieses Jahr gehöre ich bei Exploria zu den zehn Besten. Wart’s nur ab!“

„Geh wenigstens wirklich joggen“, sagt mein Vater.

Ich lade alle Moves hoch, gebe ihnen Namen und übertrage sie auf meine Figur. Wann immer Modi also jetzt im Spiel boxt, boxt er mit meiner Bewegung. Wann immer er sich wegduckt, duckt er sich weg wie ich. Und natürlich wird sein High Kick eine spektakuläre, finale Waffe in der Halbdistanz.

Ich rufe den Spielstand auf und stehe wieder vor dem Kartoffeldieb. „Rück das Tiefengold raus!“, sage ich.

„Hol es dir doch!“, antwortet der Dieb.

Ich greife an.

Meiner rechten Geraden weicht der Dieb aus. Er greift nach mir. Ich tauche unter ihm ab. Dann drücke ich die Tastenkombination, die ich meinem neuen High Kick zugeordnet habe. Mein Fuß trifft den Dieb genau auf seiner riesigen Warze über der Lippe.


Der Dieb fällt um … ich allerdings auch! Völlig albern klatsche ich rückwärts auf den sandigen Boden des Marktes! Weil mein Vater mich gestört hat, habe ich den Sturz nach dem Tritt doch nicht rausgeschnitten.

Der Dieb liegt k.o. am Boden. Ich erhalte dreifach Erfahrungspunkte, weil ich Real Move verwendet habe. Na gut, wenn ich schon dabei bin, kann ich nach diesem Sieg über den Dieb auch direkt meinen neuen Jubel ausprobieren. Der Jubel liegt auf F9. Ich drücke die Taste und tanze meine Version des Floss mit Drehung. Danach bringe ich der Bäuerin ihre Kartoffeln zurück.

Sie bedankt sich überschwänglich. Feierliche Musik ertönt. Nicht zu groß, aber passend zum Anlass. Ich fühle mich ehrenvoll. Genieße die Situation. Drei Stände weiter verlässt ein Mann mit dunklem Umhang den Markt, als hätte er es plötzlich eilig.



Bens legendäre Skills - Nächstes Level: Reality Check

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