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BESETZUNGSWECHSEL

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Je selbstverständlicher mir das »Professionelle« von der Hand ging, desto konzentrierter richtete sich mein Blick auf das andere, das nicht direkt mit Konzerten zu tun hatte. Im Laufe meiner ersten Berufsjahre erlebte ich einige Umwälzungen und zum Teil schwerwiegende Krisen: Besetzungswechsel bei manchen meiner Quartette, die Geburt meiner beiden Kinder und der Spagat zwischen Muttersein und Beruf. Das LaSalle Quartet, das ich seit meiner Kindheit kannte, das Cleveland Quartet, das ich seit mehr als zehn Jahren betreute, und das Brahms Quartett stellten ihre Quartettaktivitäten ein, meine erste Ehe zerbrach. Es kamen neue, junge Quartette, die nun von mir hören wollten, wie man eine Karriere macht. Es galt das, was ich von den Älteren gelernt hatte, den Jüngeren zur Verfügung zu stellen.

Einige Jahre später heiratete ich wieder, branchenfremd. Es gab keine Proben mehr im Haus und Quartettdiskussionen am Küchentisch, sondern Seminare und psychoanalytische Diskussionen, ein anderer Diskurs. Ich konnte feststellen, dass das Interesse, ja die Neugier an dem »Phänomen« Streichquartett über die Musik hinaus auch oder vor allem bei Nichtmusikern sehr groß war.

Viele aus meinem beruflichen Alltag resultierende Fragen und meine Versuche, aktuelle Situationen bei meinen Künstlern zu verstehen, bekamen im Gespräch mit meinem Mann, einem Erziehungswissenschaftler und Psychoanalytiker, und manchen seiner Kollegen konkretere Formen und Sätze. Aus den stillen, über Jahre angesammelten Beobachtungen wurden aufgrund der mir gestellten Fragen Beschreibungen.

So zum Beispiel das von meinem Mann auf einem Zettel festgehaltene Ergebnis einer hitzigen Diskussion anlässlich eines Besuches bei Freunden:

~Quartettspieler erkennt man nicht.

~Quartett ist die kleinstmögliche Form, in der Individualität in Kollektivität übergehen kann.

~Redewendungen von der ersten und zweiten Geige

~Quartett und die Stimmlagen, die sogenannten natürlichen: Tenor, Bass – Sopran, Alt

~(Instrumente als Imitation der menschlichen Stimme); Vorläufer des Quartetts (vielleicht nicht historisch, aber logisch) war der Madrigalchor.

~Geschlechtslose Stimme

~Quartett tendiert dazu, wie Institutionen überhaupt, geschlechtslos (im Symbolischen, nicht tatsächlich) zu sein beziehungsweise der Struktur nach homosexuell (deshalb auch paranoiaanfällig).

~Dyade

Trio

Quartett: Im Quartett ist einer zu viel.

~Warum haben ausgesprochene Opernkomponisten keine Quartette geschrieben (Wagner, Puccini) und wiederum Komponisten, die ein enormes Quartettwerk hinterlassen haben, kaum eine Oper (Beethoven, Schubert)?

~Kann man Kirchenmusik und Quartette schreiben?

~War das Quartett eine spezifische Erfindung des werdenden Bürgertums, das Wohnzimmer, Salons hatte, aber keine riesigen Paläste?

~Vielleicht handelt es sich beim Quartett um ein Subjekt, aber um vier Individuen (wer verleiht den Namen? Gibt es in der Struktur der Quartette einen Unterschied, wenn sie den Namen des Gründers tragen oder einen gemeinsamen Namen, der nichts mit dem Namen eines Mitglieds zu tun hat. Welche Arten von Namen werden von Quartetten getragen?).

~Die beiden Geigen sind das Problem. Zwischen beiden Geigen wird verglichen (Dialektik von Herr und Knecht), sie sind vielleicht doch eins. Daraus der kühne Schluss: Das Quartett ist eigentlich ein Trio. Weil es aber dennoch ein Quartett ist, gibt es immer noch einen fünften, fiktiven Platz.

Als mein Mann mir Wochen später den Zettel übergab, fasste ich einen Entschluss: Ich fing an, überall Notizen zu machen, Gedanken zu skizzieren, wie und wo sie kamen, die Rückseiten meiner Kladden und lose Blätter zu beschreiben, ein absolutes Chaos. Notizen, die ich suchte, fanden sich nicht mehr, längst vergessene tauchten wieder auf, wenn ich eine Schublade aufmachte. Über die Notwendigkeit, Ordnung zu schaffen, und durch Gespräche mit Musikern und Nichtmusikern entstand langsam ein Bild dessen, was ich aus meiner Position heraus als beobachtende analysierende Fünfte, naher, aber nicht integraler Teil der Quartette würde zeichnen können.

Was ist ein Streichquartett?

Wie funktioniert ein Streichquartett?

Welche Struktur hat es?

Wie ist es mit der Hierarchie, der Demokratie, der Balance?

Wie entscheidet ein Quartett über das Repertoire?

Wie sieht der Alltag aus?

Was passiert, wenn einer geht?

Muss es sein?

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