Читать книгу Summer Rose - Sonja Haiber - Страница 4
Kapitel
Оглавление„Herr Gott“, Sandy, die Geschäftsführerin vom Joy’s, in dem Evie 6 Tage die Woche von 10 Uhr morgens bis meist 20 Uhr abends hinter der Bar stand, blaffte sie ungehalten an und Evie fuhr erschrocken in sich zusammen.
Nein, das war definitiv nicht ihr Tag. Es war gerade erst Mittag und sie hatte bereits 2 Gläser zerdeppert und einem Gast das Wasser über die Hose gekippt. Evie war völlig durcheinander und das hatte Sandy längst bemerkt: „Was ist denn heute los mit dir?“
„Es tut mir leid“, planlos versuchte Evie die Scherben zusammen zu kehren, wirkte dabei aber so nervös und zerfahren, dass Sandy ihr den Besen aus der Hand nahm.
„Du solltest nachts schlafen und nicht um die Häuser ziehen“, Sandy klang vorwurfsvoll, als sie die Scherben entsorgte. An diesem Montag war im Joy’s nicht besonders viel los und so war sie kurz davor Evie nach Hause zu schicken: „Wenn du so weiter machst, kannst du gehen.“ „Nein, Sandy … bitte nicht. Ich reiß mich echt zusammen. Du weißt, dass ich jeden Cent brauche.“ „Ja das weiß ich. Deshalb solltest du dich aber auch langsam zusammenreißen. Die zwei Gläser zieh ich dir auf jeden Fall vom Gehalt ab.“ „Natürlich“, kleinlaut wischte Evie mit dem Lappen über die Theke. Aber eigentlich tat sie das nicht, um Schmutz oder Glas-Ränder zu entfernen, sondern um sich selbst zu beschäftigen.
Warum krieg ich ihn nicht mehr aus dem Kopf?
Eine von vielen Fragen, die Evie sich den ganzen Tag stellte. Es war doch nur ein Blick gewesen. Ein Blick, der offenbar ausreichte um sie völlig durcheinander zu bringen. Dabei war sie sich sicher, Tristan nie wieder zu sehen. Aber das hatte sie auch geglaubt, als sie damals das Wohnheim der UCLA verließ. Nur, im Gegensatz zu damals blieb ihr nun, an diesem schrecklich langweiligen Arbeitstag, genug Zeit um an ihn zu denken.
Da half es auch nichts, dass sie alle Gläser aus den Regalen mit einem Tuch polierte oder das sie ständig irgendetwas putzte um sich zu beschäftigen … Tristan ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Er, seine stechenden Augen, fraßen sich wie ein Parasit in ihrem Verstand fest, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
Und das blieb die ganze Woche so. Nicht einmal Jay, der sehr wohl bemerkte, dass sie irgendetwas mehr beschäftigte, als es sollte, schaffte es, sie auf andere Gedanken zu bringen.
Dabei lief die Woche eigentlich großartig. Evie konnte drei zusätzliche Auftritte abstauben, weil ihre Kollegin Heather krank geworden war. Eigentlich tanzte sie nie mehr, als an vier Abenden die Woche, doch dieses Mal kam ihr die zusätzliche Arbeit gerade recht. Saß sie schon nicht herum und verbrachte mehr Zeit mit sich selbst, als unbedingt sein musste. Das ließ sie nämlich nur grübeln, über eine Zeit nachdenken, die längst vergangen war und mit ihrem Leben nichts mehr zu tun hatte. Doch gerade das machte sie schrecklich wehmütig, ließ sie manche Sekunde daran zweifeln, dass es damals richtig gewesen war San Diego zu verlassen. Aber letztlich war es müßig darüber nachzudenken. Die Dinge waren, wie sie waren. Sie hatte damals für sich und Tobi entschieden und durfte nun nicht anfangen an ihren Entscheidungen zu zweifeln, nur weil diese wunderschönen, grünen Augen sie durcheinanderbrachten. Tristan war ein Traum … ein Traum, der wie so viele andere längst in Rauch aufgegangen war. Ein Traum, dem sie nicht nachtrauern durfte, weil sie spürte, dass sie das verrückt machen würde.
Jo, der Türsteher vom Forty-Seven, begleitete Evie am Sonntagmorgen zu ihrem alten Jeep. Schon am Abend war sie beinahe zu spät gekommen, weil die alte Klapperkiste nicht angesprungen war und nun fürchtete sie, sich ein Taxi nehmen zu müssen. Deshalb bat sie Jo, sie doch für alle Fälle zu begleiten, damit er im Notfall die kaputte Batterie überbrücken konnte. Evie wusste schon seit langem, dass sie eine Neue brauchte, aber das Geld dafür wollte sie sich unbedingt sparen. Tobis Studium dauerte mindestens noch drei Jahre und solange musste auch die alte Karre irgendwie überstehen.
Evie war ziemlich nervös, als sie ihre Tasche wie jeden Tag auf den Rücksitz warf, um dann den Jeep zu starten. Wobei sie hundert Stoßgebete gen Himmel schickte, damit die Kiste auch wirklich ansprang und tatsächlich, … nach ein wenig georgel schnurrte der Motor stotternd vor sich hin. Es war ganz egal, dass er sich anhörte, als würden ihm ein paar Zylinder fehlen, Hauptsache er lief überhaupt.
„Du solltest dir wirklich langsam einen Neuen besorgen“, kopfschüttelnd, mit fast ein wenig mitleidigem Blick stand Jo neben dem Jeep. Seit er Evie kannte, fuhr sie diesen alten Wagen und mindestens genauso lange zickte das Ding schon rum wie eine pubertierende 13-jährige.
„Ich weiß“, Evie zuckte mit den Schultern, „kannst ja mal mit Sandy reden, vielleicht lässt er mal etwas mehr Kohle springen.“ „Oh, auf den Tag warte ich schon seit Jahren“, lachend ging er davon und auch Evie schmunzelte.
Dafür, dass er so groß war wie ein Kleiderschrank und mindestens genauso breit, hatte Jo wirklich eine unglaublich weiche Seele. Auf ihn, darauf, dass er auf sie achtete, wenn sie im Forty-Seven arbeitete, konnte sie sich zu einhundert Prozent verlassen.
Evie legte den Rückwärtsgang ein, stieß aus der Parklücke und brach in Richtung Diner auf, wo sie sich jeden Sonntagmorgen einen Kaffee genehmigte, bevor sie nach Hause fuhr und sich in die Wanne legte.
Obwohl sie erst 26 war, glaubte sie jeden Tag, den sie älter wurde, in jedem einzelnen Knochen zu spüren, der sich irgendwo in ihrem Körper befand. Nach durchtanzten Nächten hatte sie immer öfter das Gefühl völlig erschlagen zu sein und so fühlte sie sich schrecklich alt, als sie am Diner aus dem Jeep stieg und inständig darauf hoffte, die Klapperkiste würde wieder anspringen, wenn sie sich einen Kaffee geholt hatte. Aber vielleicht trank sie ihn auch ausnahmsweise am Tresen. Schließlich wartete zu Hause niemand auf sie. Jay war für ein paar Tage zu seinen Eltern gefahren und so war sie ganz allein, wenn sie nach Hause kam. Also, warum den Kaffee nicht im Diner trinken und sich ausnahmsweise ein Frühstück gönnen?
„Guten Morgen Maggie“, Evie setzte sich an den Tresen und grüßte die spindeldürre Mittvierzigerin, die immer die Sonntagmorgenschicht im Diner erledigte. Man kannte sich und so griff Maggie schon nach dem Coffee-to-Go Becher, als Evie abwinkte: „Heute trinke ich meinen Kaffee mal hier. Bringst du mir Eier und Speck?“ „Aber gerne doch, Süße“, Maggie lächelte, als sie Evie Kaffee in eine Tasse groß und dann die Frühstücks-Bestellung in Richtung Küche brüllte.
Evie schmunzelte … manche Dinge änderten sich eben nie. Auf diese Weise reichte sie die Bestellung immer an den Koch weiter und machte ihre markante Stimme damit beinahe stadtbekannt.
„Hey Evie“, die tiefe Männerstimme, die hinter ihr ertönte, riss Evie mit einem einzigen Schlag ins hier und jetzt zurück. Fassungslos drehte sie sich zu dem Mann um, der schräg hinter ihr stand. Ihr Herz begann sofort zu flattern, denn dieses intensive Grün durchfuhr sie wie ein Stromschlag.
„Hey Tristan“, Evie zitterte am ganzen Körper.
Was verdammt macht Tristan schon wieder in Vegas?
Die Art und Weise, wie Tristan sich neben sie auf einen der Hocker setzte, ließ ihr Herz vibrieren. Schon damals war er ein verdammt heißer Kerl gewesen, doch nun saß ein Mann neben ihr, dem der Sexappeal aus jeder Pore seines sportlichen Körpers drang und genau das verschlug Evie für einige Augenblicke die Sprache.
„Du siehst mich an, als wäre ich ein Geist“, Tristan wirkte fast ein wenig gekränkt darüber, das Evie nicht vor Wiedersehensfreude an die Decke sprang oder ihm wahlweise um den Hals fiel.
„Sorry“, Evie versuchte sich zu rechtfertigen, „mit dir habe ich hier nicht gerechnet.“ „Ich mit dir auch nicht, als ich letzte Woche mit meinen Kumpels nach Vegas geflogen bin“, Tristan wirkte unglaublich entspannt, sehr viel entspannter, als eine Woche zuvor, als allein sein Blick sie verurteilte.
„Was tust du hier in Vegas?“ War er gerade noch eher zynisch gewesen, schwang in seiner Stimme nun etwas Vorwurfsvolles mit.
„Das hast du doch gesehen“, krampfhaft hielt Evie sich an ihrer Kaffeetasse fest. Das erste Mal fühlte sie sich in seiner direkten Nähe nicht wohl. Anders als damals, als sie es genoss bei ihm zu sein, fühlte sie sich nun minderwertig. Der Mann, der neben ihr saß hatte nichts mehr mit dem Kerl zu tun, den sie an der Uni kennenlernte.
„Warum? Weshalb Vegas?“ Tristan schien nach Antworten zu suchen. Antworten, die sie ihm nicht gewähren würde. Wie sie in Vegas gelandet war, ging ihn nichts an. Aber offenbar war er nur ihretwegen zurückgekommen.
Weshalb sonst sollte er ihr an einem Sonntagmorgen in einem Diner auflauern?
Wie hatte er sie überhaupt gefunden?
Evie war verwirrt. Sie war ihm keine Erklärungen schuldig und doch hatte er offenbar nach ihr gesucht.
Warum???
„Das geht dich nichts an Tristan“, Evie nahm einen Schluck der lauwarmen, braunen Brühe, die ihren Geist nach einer anstrengenden Nacht für gewöhnlich beflügelte. Aber an diesem Morgen, in seiner Nähe hätte sie das Zeug gar nicht gebraucht. Ihr Herz raste, als wolle es die Indy500 gewinnen, seit sie in seine grünen Augen blickte.
„Da hast du natürlich recht“, Tristan wies Maggie mit einem einzigen Blick zurück, als sie ihn nach seiner Bestellung fragen wollte. „Aber du hast mich damals versetzt und ich wüsste gern, … weshalb?“ „Deshalb bist du extra nach Vegas gekommen? Das hättest du mich auch letzte Woche fragen können.“ „Da war ich mir nicht so ganz sicher, ob es mich überhaupt noch interessiert. Aber du bist mir die ganze Woche nicht aus dem Kopf gegangen.“ „Das tut mir leid für dich“, Evie bemühte sich aus Leibeskräften darum, so abweisend wie möglich zu klingen. Tristan sollte einfach wieder verschwinden. Er brauchte nicht zu wissen, dass es ihr da ganz ähnlich ergangen war. Auch ihr spukte diese seltsame Begegnung vom vergangenen Sonntag im Kopf herum, sorgte dafür, dass sie die ganze Woche herumlief wie ein verwirrter Teenager.
„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, Tristan beugte sich ihr entgegen. Er war ihr so nahe, dass es genügte zu flüstern, als er ganz ruhig weitersprach: „Warum mimst du hier die halbnackte Tanzmaus, wo du doch davon geträumt hast Anwältin zu werden?“ „Das geht dich nichts an Tristan“, Evie fühlte sich zunehmend unwohl. Schon allein sein Auftauchen brachte sie durcheinander. Das er ihr aber nun so nah war, dass sie sein Aftershave riechen konnte, ließ ihr fast übel werden. Allein Tristans Anwesenheit konfrontierte sie mit ihrem früheren Leben, dass er aber auch noch unverhohlen Fragen stellte, mit deren Antworten sie längst abgeschlossen hatte, war wirklich zu viel des Guten.
Was geht ihn das alles denn überhaupt an?
Evie war sich sicher, ihm keine Antworten schuldig zu sein, als sie Maggie zu sich rief: „Packst du mir mein Frühstück bitte ein?“ „Sicher Schätzchen“, Maggie nickte, während sie einem ziemlich angeschlagenen Typen am Tresen Kaffee eingoss.
„Du wirst mir jetzt nicht wieder weglaufen, Evangeline“, Tristan klang ernst. So ernst, das Evie schauderte: „Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß Tristan. Mein Leben geht dich nichts an.“
Ohne zu zögern, griff Evie nach der Styropor Packung, in die der Koch ihr Frühstück gepackt hatte und rutschte von dem Hocker. Alles war in diesem Augenblick besser, als sich noch länger mit Tristan auseinanderzusetzen, sich von ihm vor Augen führen zu lassen, was sie aufgegeben hatte.
Was bildet der sich ein, einfach aufzutauchen und in Wunden zu stochern, die Evie schon längst verheilt glaubte?
Mit schnellen Schritten lief Evie über den Parkplatz und hoffte inständig darauf, dass der Jeep auch dieses Mal anspringen würde, als sie einstieg und den Schlüssel im Zündschloss drehte. Doch außer dem, ihr bekannten, würgenden Geräusch, tat sich überhaupt nichts. Der Motor gab keinen Mucks von sich.
Hilflos schlug Evie auf das Lenkrad: „Verdammt, nicht jetzt … scheiß Karre.“
Warum ließ diese Drecks-Kiste sie gerade jetzt im Stich, wo sie auf möglichst theatralische Weise vor Tristan fliehen wollte?
Im Rückspiegel konnte sie sehen, wie er sich ruhig und gelassen ihrem Wagen näherte, während sie verzweifelt immer wieder an dem verdammten Schlüssel drehte, bis sich gar nichts mehr tat. Der Anlasser würgte nicht einmal mehr.
„Und wenn du es noch hundert Mal versuchst, die Karre ist echt hin“, gelassen stützte Tristan sich an den Überrollbügel und sah über Evies Schulter hinweg dabei zu, wie sie genervt an dem Schlüssel fummelte.
Seine überhebliche Gelassenheit ging ihr ganz gewaltig auf die Nerven: „Lass mich in Ruhe Tristan.“
Evie überlegte, wen sie an einem Sonntagmorgen um halb sechs anrufen konnte um sie abzuholen. Unter normalen Umständen hätte sie Jays Nummer gewählt und ihn um Hilfe gebeten, doch er war bei seinen Eltern in Texas und Evie verfluchte ihn inständig dafür.
„Steig aus“, Tristan öffnete selbstsicher die Fahrertür, „ich fahr dich nach Hause. Aus der Batterie kriegst du keinen Mucks mehr raus.“ „Ich brauche deine Hilfe nicht“, Evie war festentschlossen ihn abzuwimmeln. Sogar im Amazonas, unter Piranhas ein Bad zu nehmen wäre ihr in diesem Moment lieber gewesen, als sich von Tristan nach Hause fahren zu lassen. Seine Anwesenheit machte sie verrückt. Sie ließ sie sich fühlen wie damals, als sie ein ahnungsloses, kleines Mädchen gewesen war, das Angst davor hatte von ihrem Vater eine gewischt zu kriegen … hilflos. Tristan schüchterte sie auf eine Weise ein, die ihr Angst machte. So war er ihr doch damals auf der Uni nicht entgegengetreten.
„Das denke ich allerdings schon. Hör schon endlich auf an dem scheiß Schlüssel zu zerren“, genervt streckte er sich in den Wagen und riss den Schlüssel geradezu aus dem Zündschloss.
„Verpiss dich Tristan“, Evie würde wütend. Sie war viel zu müde um sich mit ihm, geschweige denn mit ihrer Vergangenheit, auseinanderzusetzen. Er sollte doch einfach wieder verschwinden und sie in Ruhe lassen. Aber Evie spürte deutlich, dass er ihr diesen Gefallen nicht tat, als er nach ihrer Tasche griff, die wie immer auf dem Rücksitz lag, und einfach davon marschierte.
Fassungslos, völlig unentschlossen stieg sie aus, sah ihm hinterher und dachte dabei angestrengt darüber nach, wie sie aus der Nummer wieder rauskam. Doch ganz offensichtlich blieb ihr gar nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
„Warum lässt du mich nicht in Ruhe?“ Evie griff nach ihrer Tasche und versuchte sie ihm zu entreißen, doch Tristan hielt sie so fest, als sei sie eine wertvolle Trophäe.
„Ich bring dich jetzt nach Hause und wenn du etwas geschlafen hast, erklärst du mir, warum du mich damals versetzt hast“, Tristan schien wirklich einen festen Plan zu verfolgen und sich in der Umsetzung so sicher zu sein, dass ihn nichts davon abbringen konnte. Aber Evie war trotzdem nicht bereit kampflos aufzugeben: „Was interessiert dich das denn nach all den Jahren noch?“ „Du hast mich versetzt und ich will wissen warum?“ „Das ist doch Unsinn Tristan. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir beide eine Verabredung gehabt hätten.“ „So, … kannst du nicht! Aber ich weiß, dass ich dich zu einer Party eingeladen habe, aber du nicht aufgetaucht bist. Weißt du eigentlich wie bescheuert ich vor meinen Kumpels dagestanden hab?“ „Ach, daher weht der Wind“, langsam ging Evie ein Licht auf. Auch wenn sie sich an dieses Date nicht erinnern konnte, hatte sie damals offenbar seinen männlichen Stolz verletzt.
Aber, warum war das nach all den Jahren denn noch wichtig?
Ganz offenbar war aus Tristan ein erfolgreicher Mann geworden, der mit beiden Beinen im Leben stand. Zumindest ließ der Wagen, auf den er zusteuerte, darauf schließen. Royalblaue BMW Cabrios gab es in Vegas zwar nicht wenige, aber eigentlich tauchten diese nicht in der Gegend auf in der sie sich aufhielt. In dieser Gegend waren alte Jeeps wie der ihre an der Tagesordnung, nicht schicke Protzkarren, wie der, in den Tristan ihre Tasche warf.
„Steig ein Evangeline“, Tristan ließ seinen sportlichen Körper auf den Fahrersitz fallen und startete den Wagen ohne darauf zu achten, ob Evie wirklich gewillt war einzusteigen. Er wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb.
„Warst du damals auch schon so ein Arschloch“, mit vor der Brust verschränkten Armen stand Evie neben der Beifahrertür. Ihr Blick durchbohrte ihn als wolle sie ihn damit zerteilen.
„Du wüsstest es, wärst du nicht davongelaufen“, Tristan klopfte auf den Beifahrersitz, „steig schon endlich ein.“ „Du gehst mir auf die Nerven“, widerwillig riss Evie die Autotür auf und ließ sich in den Wagen fallen. Dieser Morgen konnte gar nicht mehr beschissener werden. Tristans Überheblichkeit, das Wissen, das er offenbar immer bekam, was er wollte, machte sie verrückt. Es ging ihr schlichtweg auf die Nerven. So hatte sie ihn nicht in Erinnerung. In ihrer Wahrnehmung war er ein netter, junger Mann Mitte zwanzig, der nach einer Auszeit klare Vorstellungen von seinem Leben und seiner Zukunft hatte. Aber der Kerl, der nun neben ihr saß war ein selbstgefälliges Arschloch.
Evie fragte erst gar nicht nach, woher Tristan wusste, wo sie wohnte, denn dass er es wusste, stand außer Frage. Sonst wäre er nicht so zielstrebig losgefahren. Was sie sich aber fragte war, woher er sich in Vegas auskannte. Feierte er etwa des Öfteren solche Partys wie am vergangenen Wochenende? War das eventuell eine Masche um seine Geschäftspartner bei Laune zu halten?
Evie hatte keine Ahnung wer der Kerl war, der neben ihr saß, aber sie bemühte sich krampfhaft darum sich einzureden, dass von den Gefühlen, die sie sich einmal einbildete, nichts mehr übriggeblieben war. Tristan war ein ganz anderer Mensch als damals.
Was hat ihn wohl so verändert?
Evie stellte sich diese Frage allen Ernstes, wobei sie genau wusste, dass auch sie nichts mehr mit der Frau gemein hatte, die sie damals an der Uni gewesen war. Das einzige, was sich nicht geändert hatte, war, dass Tristan immer noch verdammt gut aussah. Er war sichtlich reifer geworden, wirkte nicht mehr wie ein Junge, sondern wie ein richtiger Mann und Evie wurde warm, als sie ihn verstohlen dabei beobachtete, wie er das Cabrio lenkte. Dabei zerzauste der Wind sein, für einen akkuraten Anwalt, etwas zu langes Haar, was ihm aber etwas Verwegenes gab.
Evie hatte wirklich keine Ahnung, warum Tristan so darauf versessen war zu erfahren, warum sie damals die Uni verließ. Offenbar war er davon überzeugt, dass sie seinetwegen verschwunden war, doch diese Annahme streifte die Wahrheit nicht einmal ein winzig kleines bisschen. Sie war so meilenweit von all dem entfernt, was damals geschah, dass Evie angestrengt darüber nachdachte, was sie preis geben musste um ihn zufrieden zu stellen. Vielleicht war es ja auch einfach das Beste ihm eine Lügengeschichte aufzutischen um ihn wieder los zu werden.
Aber, wollte sie ihn denn überhaupt los werden?
Tristan machte sie mit jeder Bewegung, mit jedem noch zu flüchtigen Blick verrückt. Jedes Mal, wenn ihre Augen sich trafen, schlug ihr Herz ein wenig schneller, beschleunigte ihre Atmung. Sie wollte ihn genauso sehr wie damals.
Aber war das eine gute Idee?
Wahrscheinlich eher nicht, also beschloss Evie ihn loszuwerden sei viel vernünftiger, als Tristan den BMW auf der Straße vor ihrem Haus parkte: „Danke fürs herbringen Tristan, aber ich denke, du solltest jetzt wirklich gehen. Mein Freund wartet sicher auf mich.“ „Ich weiß, dass du Single bist und der Kerl, mit dem du hier wohnst, nichts weiter als ein guter Kumpel ist“, sein vernichtend gelassener Blick ließ Evie schaudern.
Woher weiß der Kerl das alles?
Diese Frage war durchaus berechtigt und so stellte Evie sie ihm ganz unverhohlen: „Hast du mich ausspioniert, oder was?“ „Ich mache gern meine Hausaufgaben Evie.“ „Was ist das denn jetzt für eine doofe Antwort?“ „Die Einzige, die es auf diese Frage gibt. Können wir rein gehen? Wenn die mir in dieser Gegend schon den Wagen klauen, will ich wenigstens nicht noch drinsitzen.“ „Du bist so ein Snob“, genervt stieg Evie aus, während Tristan das Verdeck des Cabrios schloss. Ohne auf ihn zu warten ging sie den schmalen Weg entlang durch den Vorgarten ins Haus. Sie ließ die Tür einfach offen, während sie in ihr Schlafzimmer verschwand um sich umzuziehen. Sie brauchte Zeit sich eine passende Strategie auszudenken um Tristan zwar zufrieden zu stellen, ihm aber nicht allzu viel von sich preis zu geben. Er brauchte die Wahrheit nicht zu erfahren. Die kannten schließlich nicht einmal ihre Freunde.
„Willst du was trinken“, höflich fragend trat Evie in Sportshorts und einem Spaghettiträger-Top bekleidet an Tristan heran, der im Wohnzimmer stand und sich ein wenig verwundert umsah: „Einen Kaffee bitte. Ist das hier wirklich deine Bude?“ „Nein, das Haus gehört Jay, ich bin hier nur der Untermieter“, antwortete Evie, als sie auf dem Absatz kehrt machte und in die Küche abbog.
Ihr war bewusst, warum Tristan sie das fragte. Schließlich hingen im Wohnzimmer nur Fotos von Jay und seiner Großfamilie. Er hatte immerhin insgesamt 5 Geschwister und inzwischen 7 Nichten und Neffen. Jay war der jüngste Spross der Familie und auch der Einzige, der seine Eltern noch nicht mit Enkeln beglückte. Aber er hatte es damit auch noch gar nicht eilig. Jay gehörte nicht zu den Menschen, die Wert auf idyllisches Familienleben legten. Er war eher der Typ einsamer Wolf und gefiel sich in dieser Rolle wirklich gut. Evie hatte sich längst daran gewöhnt morgens irgendwelche, leichtbekleideten Damen im Haus herumlaufen zu sehen. Jay war eben ein netter, hübscher Kerl. Ihm fiel es leicht immer wieder neue Bekanntschaften zu machen und er genoss sogar, dass ihm kaum ein Mädchen widerstehen konnte.
Tristan folgte Evie in die Küche. Sie spürte, wie er sie beobachtete als sie die Kaffeemaschine anwarf. Seine Blicke fühlten sich nach wie vor noch nicht angenehmer an, als diese es vor einer Woche getan hatten.
„Ich versteh nicht, wie du hier landen konntest Evie“, Tristan verschränkte die Arme vor der Brust als er sich angewidert umsah. All das passte einfach nicht zu der Frau, die er in Erinnerung hatte.
„Was ist so falsch an Vegas oder an diesem Haus?“ Evie wollte sich und ihr Leben nicht abwerten, indem sie auf seine seltsamen, überheblichen Worte einstieg.
„Das alles hier bist doch nicht du. Wo ist die 20jährige hin, die Anwältin werden wollte? Warum machst du hier in Vegas für irgendwelche Typen, die dich an grabschen wollen, die Stripperin?“ „Ich strippe nicht … ich tanze.“ „Oh … ja natürlich“, Tristans Gesichtsausdruck machte allzu deutlich, was er davon hielt: „Für mich macht das keinen Unterschied.“ „Für mich schon“, Evie drehte ihm den Rücken zu und beobachtete hochkonzentriert, wie der Kaffee in die Kanne tropfte.
Warum kann er nicht einfach wieder verschwinden?
Das wäre Evie am liebsten gewesen, aber darauf hoffen konnte sie nicht. Dazu war Tristan zu stur. Zumindest hatte sie ihn so in Erinnerung. Wenn er glaubte recht zu haben, dann gab er nicht nach und in diesem Fall schien er ihr bewusst machen zu wollen, dass es keinen Unterschied machte, ob sie sich nun als Stripperin oder Go-Go-Tänzerin bezeichnete. Aber da täuschte er sich.
„Ich behalte meine Klamotten an“, Evie versuchte sich zu rechtfertigen, obwohl sie sich keinesfalls dafür schämte, ihr Geld als Tänzerin zu verdienen.
„Aber du lässt dich von wildfremden Männern antatschen“, Tristan bestand beharrlich auf seinem Standpunkt, was Evie endgültig auf die Palme brachte: „Was interessiert es dich? Warum machst du deswegen so ein Geschiss? Du hast kein Recht über mich und das was ich tue zu urteilen.“ „Stimmt … das hab ich nicht, aber ich verstehs trotzdem nicht. Du hattest Potential. Warum hast du das alles aufgegeben um hier in Vegas die Typen aufzugeilen?“ „Es gibt Dinge, von denen versteht ein reiches Muttersöhnchen, wie du es bist, eben nichts.“ „Oh, jetzt gehen wir also unter die Gürtellinie“, der sarkastische Unterton in seiner Stimme, machte Evie klar, dass er einer Konfrontation nicht aus dem Weg gehen würde.
„Hör zu Tristan, … trink deinen Kaffee und dann verschwinde. Wir haben uns nichts mehr zu sagen“, Evie stellte klar, was sie von seinem Auftritt hielt. Aber Tristan ließ sich nicht abspeisen: „Warum glaubst du das. Es fängt doch gerade erst an Spaß zu machen.“ „Dir macht das Spaß? Du stempelst mich als Nutte ab.“ „Nein, das tue ich nicht. Ich will lediglich verstehen, warum du deine Zukunft aufgegeben hast.“ „Was interessiert es dich? Weshalb tauchst du hier auf und stellst mich an den Pranger, weil aus mir nicht geworden ist was du gern gesehen hättest?“ „Es geht hier nicht um mich und ich stelle dich auch nicht an den Pranger. Ich will es nur verstehen.“ „Warum Tristan?“ „Keine Ahnung“, sein Blick sank für einen winzigen Moment zu Boden, „vielleicht, weil du mir heute genauso wenig gleichgültig bist, wie du es damals warst. Ich hab dich gesucht Evie. Ich hab deine doofe Mitbewohnerin tagelang genervt, aber sie wollte oder konnte mir nicht sagen wo du abgeblieben bist. Also sag du es mir … wohin bist du verschwunden? Warum bist du abgehauen?“ „Das spielt keine Rolle.“ „Oh doch, ganz sicher sogar, wenn ich sehe, wo du gelandet bist.“ „Ich versteh nicht, warum du so schrecklich findest, was ich hier tue. Es ist einfach ein verdammter Job.“ „Ein beschissener Job, wenn ich daran denke, dass du auch als Anwältin arbeiten könntest.“ „Oh Tristan … ich bin viel zu müde um mich hier mit dir im Kreis zu drehen. … ich bin seit einer halben Ewigkeit auf den Beinen und will eigentlich nur noch ins Bett. Also bitte, geh …“, Evie zeigte in Richtung Tür. Sie war so müde, das nicht einmal der frisch gebrühte Kaffee in ihrer Tasse noch etwas nutzte.
Tristan ließ sich jedoch nicht abwimmeln: „Gib mir eine Antwort und ich verschwinde.“ „Mein Gott“, ungehalten blaffte sie ihn an, „es hat Gründe gegeben, warum ich nicht weiter studieren konnte und mit dieser Antwort musst du zufrieden sein.“ „Na schön, es stellt mich zwar nicht zufrieden, aber für den Moment soll es genügen.“ „Oh wie großzügig von dir“, schnippisch äffte Evie Tristan an, „los, … geh.“ „Na schön, aber ich komm noch mal wieder bevor ich abreise.“ „Kann ich dich daran hindern?“ „Nein“, Tristans Stimme klang ganz klar, darin lag kein Unterton, aber sie wirkte sehr bestimmend, als auch er die Kaffeetasse bei Seite stellte und hinzufügte: „Ich hätte damals gern gesehen, ob aus uns beiden etwas geworden wäre.“ „Lass die Vergangenheit einfach ruhen Tristan.“ „Ja, das sollte ich“, plötzlich wirkte er sehr traurig, „aber seit letzter Woche kann ich das nicht mehr.“
Evie verschlug es die Sprache. Ein einziger Blick genügte, um sie in Verbindung seiner Worte aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie war damals gegangen, weil ihr gar keine andere Wahl blieb, weil sie sich eben um ihren kleinen Bruder kümmern musste. Keine Sekunde dachte sie damals darüber nach, dass sie mit dem Studium auch die Menschen aufgab, die sie in den wenigen Monaten an der Uni kennen gelernt hatte. Menschen, wie ihre Mitbewohnerin Rachel, mit der sie so manche Nacht durchzechte, ihren Professor für Politikwissenschaften, der von Anfang an große Stücke auf sie hielt und sie förderte, und eben Tristan, ein junger Mann, nach dem sich die Mädels auf dem Campus umdrehten, der mit seinen langen, dunkelbraunen Haaren und seinen stechend hellgrünen Augen Jeder im Vorübergehen den Kopf verdrehte.
Evie erinnerte sich daran, wie sich ihre Blicke das erste Mal schüchtern begegneten und sie sich verlegen abwandte, als ihr Herz zu rasen begann. Damals hoffte sie er hätte die Schamesröte nicht bemerkt, die ihr hübsches Gesicht zierte, weil sie sich ertappt fühlte. Oft hatte sie ihn heimlich angestarrt, ihn für seine Schönheit bewundert ohne darauf zu hoffen, dass ein Typ wie er sich für sie interessieren könnte. Wenn Evie auf der UCLA eines sehr schnell lernte, war es die Tatsache, dass man unter sich blieb. Die Studenten aus reichem Hause, die an der staatlichen Uni deutlich in der Minderzahl waren, blieben unter ihresgleichen, feierten ihre eigenen Partys. Doch als Tristan sie in der Mensa ansprach, während sie sich gerade einen Kaffee holte, mit dem sie sich in den Garten verziehen wollte um zu lernen, gab es diesen feinen Unterschied für sie beide nicht mehr. Tristan war damals schon 26, ein junger Mann, der wusste, was von ihm erwartet wurde, aber vom Leben wesentlich mehr forderte, als in der Kanzlei seines Vaters zu versauern. Schon ihre erste Unterhaltung damals machte Evie bewusst, dass er nicht nur ein wunderschöner Kerl war, sondern auch unheimlich klug und großherzig und gerade dieser atemberaubende Typ war für sie plötzlich zum Greifen nahe. Er unterhielt sich mit ihr, genoss offenbar ihre bewundernden, verstohlenen Blicke. Ja, ganz sicher war er sich bewusst, dass er auf das andere Geschlecht wie ein Adonis wirkte, aber er schien dieses Wissen nicht auszunutzen, sondern eher zu genießen. Es gefiel ihm offenbar angehimmelt zu werden.
Was wäre wohl aus euch geworden?
Eine gute Frage. Eine Frage, die Evie sich in der vergangenen Woche wirklich oft genug gestellt hatte und offensichtlich tat das auch Tristan. Weshalb sonst sollte er in ihrer Küche stehen und sie mit seinen grünen Augen ansehen, als wäre sie, was er immer gesucht hatte?
Gibt es für euch beide eine gemeinsame Zukunft?
Auch diese Frage stellte Evie sich und letztlich gab es nur eine Antwort … nein. Damals, auf der Uni, hätten sie vielleicht eine Chance gehabt, doch inzwischen war zu viel Zeit vergangen. Zu viele Entscheidungen standen zwischen ihnen und doch spürte Evie deutlich, dass Tristan nicht gehen wollte. Aber er musste.
„Bitte geh Tristan“, Evie schluckte die bitteren Tränen, die sich ihren Weg zu bahnen versuchten, hinunter. Sie zwang sich bei klarem Verstand zu bleiben. Doch als er ihr wortlos immer näherkam, war es mit diesem Vorsatz vorbei. Ihr Herz raste, nahm längst Anlauf um aus ihrer Brust zu springen und sich ihm zu Füßen zu werfen. Die ganze Welt um sie herum begann sich zu drehen, ließ die Wirklichkeit einfach verschwinden und als sie für eine winzige Sekunde seine Lippen auf den Ihren spürte, kochte plötzlich jeder Tropfen Blut in ihrem Körper über. Es war, als breite sich dieses wundervolle Kribbeln, dass seine Lippen auf den Ihren hinterließen, auf jeden Zentimeter ihrer Haut aus, hüllte sie ein, wie eine warme Decke im Winter. Für eine winzige Sekunde war Evie die glücklichste Frau der Welt und als er seine großen, zarten Hände auf ihre Wangen legte und seine Zunge fordern ihre Lippen teilte, wollte sie für einen Moment wirklich an das Unmögliche glauben. Sie wollte daran glauben, dass dieser wunderschöne Mann nur für sie geboren worden war. Sie ignorierte den hellen Streifen an seinem linken Ringfinger, der davon zeugte, dass er bis vor kurzem dort einen Ring trug. Sie ignorierte sämtliche Alarmglocken, die in ihrem Kopf zu schrillen begannen. Evie wollte endlich wieder glücklich sein. Nach all den Jahren, in denen sie darum kämpfte oben zu schwimmen, nicht im Strudel ihrer Pflichten zu ertrinken, wollte sie endlich einmal an sich denken, das Glück, ihn, festhalten, obwohl sie nur zu gut wusste, dass genau das unmöglich war. Zu verschieden waren die Wege, die sie damals einschlugen, als dass sie sie hätten jemals wieder zusammenführen können.
Evie spürte wie Tristans Herz raste, als er sich an sie lehnte. So sehr wünschte sie sich, dass dieser Kuss niemals enden würde, dass ihr Atem aussetzte, als er sich zögernd von ihr löste und seine Stirn an die Ihre lehnte: „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“ „Ja“, erwiderte Evie mehr hauchend als sprechend. Sie war nicht in der Lage klar und deutlich zu artikulieren, geschweige denn vernünftige Entscheidungen zu treffen, aber sie wusste, dass es wirklich besser war, wenn er endlich ginge. Sie durfte sich keine Hoffnungen machen, nicht daran glauben, dass aus diesem Kuss irgendetwas werden könnte, was mit einem wundervollen Haus in Malibu und drei Kindern enden könnte.
Schwer atmend, beinahe als wäre er 3 Meilen bergauf gerannt, zog Tristan sich zurück. Doch ihre Augen verloren sich nicht, nicht, bis er sein Handy aus der Hosentasche zog und sich ein Taxi rief.
Überrascht beobachtete Evie ihn dabei, wie er den Schlüssel für den BMW auf den Küchentisch legte, als er fertig war zu telefonieren: „Ich lass dir das Cabrio da.“ „Das brauchst du nicht. Ich werde Trevor anrufen und ihn bitten, den Jeep am Diner abzuholen. Bis er repariert ist, fahre ich mit Jays Wagen.“ „Der Jeep steht längst in der Werkstatt“, erwiderte Tristan todernst, als er sich abwandte und zur Haustür ging.
Verwirrt ging Evie ihm nach: „Was meinst du damit?“ „Ich hab vorhin mit deinem Lieblings-Mechaniker telefoniert. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dich mit der lebensbedrohlichen Klapperkiste noch rumfahren lasse. Trevor wird ihn komplett überholen und solange fährst du den BMW.“ „Spinnst du“, fassungslos stemmte Evie die Fäuste in die Hüften, „wenn ich das Geld hätte den Jeep komplett überholen zu lassen, hätte ich mir längst ein anderes Auto gekauft.“ „Ich weiß, deshalb hab ich ja mit Trevor gesprochen. Er tut sein Bestes um die Karre bis Ende der Woche wieder flott zu kriegen und solange fährst du den BMW.“ „Ganz sicher tu ich das nicht. Mit der Protzkarre halten mich doch alle für übergeschnappt.“ „Dann geh zum Autoverleih und hol dir was Unauffälligeres.“ „Aber …“, Evie wollte gerade zum verbalen Rundumschlag ausholen, als Tristan mit nur einem großen Schritt, die Distanz, die zwischen ihnen lag verkürzte und ihr den Finger auf die Lippen legte: „Diskutier nicht mit mir. Ich bin ein verdammt guter Anwalt und wenn du dich verbal mit mir duellieren willst, wirst du das Spiel verlieren“, Tristan küsste Evie noch einmal behutsam, „wir sehen uns.“
Evie blieb völlig durcheinander in der Haustür stehen. Sie versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war, während sie zu sah, wie Tristan in das Taxi stieg und verschwand.
Was genau ist hier gerade passiert?
Evie hatte keine Ahnung, aber sie fühlte sich, als würde ihr Herz dem Taxi wie ein Windhund hinterher hechten. Und genau das war eine Katastrophe. Vieles durfte passieren, aber dass sie sich erneut in Tristan Jeffrey verliebte, war keine akzeptable Option. Genauso wenig wie, dass er die Reparatur ihres Wagens bezahlte und ihr obendrein noch einen Leihwagen spendierte. Sie brauchte seine Almosen nicht, sie wollte nicht seine Geliebte sein. Tristan war ganz sicher verheiratet, der helle Streifen an seinem Ringfinger hatte ihn längst verraten. Nein, ganz sicher würde sie sich nicht für so etwas wie Ehebetrug hergeben. Ihr Leben war auch schon ohne diesen Schlamassel kompliziert genug.
Aber noch während sie in der Tür stand und sich darum bemühte diesen Kuss als dummen Fehler abzutun, der ihr nie wieder unterlaufen würde, sehnte ihr Herz sich danach, dass Tristan zurückkam. Es hoffte inständig darauf, dass dieses doofe Taxi umkehren würde. Doch Tristan tauchte nicht wieder auf. Er schien mehr gesunden Menschenverstand sein Eigen zu nennen als sie selbst und eigentlich hielt Evie sich doch für einen sehr vernünftigen Menschen. Aber bei Tristan setzte ihr Verstand völlig aus. Schon damals war das so gewesen und wahrscheinlich würde sich das auch niemals ändern. Dieser charmante, gutaussehende Mann übte eine schier unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie aus und dafür brauchte er nur mit seinen wunderschönen, grünen Augen zu klimpern. Sein bezauberndes, spitzbübisches Lächeln reichte aus um sie um den Finger zu wickeln und diese Tatsache machte ihr ein wenig Angst, weil ihr Herz nicht bereit war sich zu wehren, wenn er sie beim nächsten Treffen in die Kiste kriegen wollte. Und dass es ein nächstes Mal gab, hatte er allzu deutlich gemacht.
Immer noch zitterten ihre Knie, als Evie mit dem Schlüssel in der Hand auf die Straße trat, um den BMW in die Einfahrt zu fahren. Ganz nach hinten vor die Garage wollte sie das Ding stellen und möglichst mit einer Tarnplane abdecken, damit niemand die Protzkiste bemerken würde. Aber sie besaß keine Abdeckplane in Tarnfarben und in der Garage stand Jays Transporter. Das war doch wirklich zum Verzweifeln. Sie wollte doch nichts weiter, als einen ruhigen, gemütlichen Sonntag auf der Couch verbringen, doch nun blieb ihr nichts anderes übrig, als zum Autoverleih zu fahren und sich irgendeinen Wagen zu besorgen, der nicht auffiel wie ein rosaroter Elefant im Zoo. Aber, auch das hatte noch Zeit, bis sie erst einmal ein paar Stunden geschlafen hatte. Vielleicht gab dann auch ihr Herz endlich nach und hörte auf Tristan hinterher zu heulen. Ihr Verstand bemühte sich jedenfalls redlich darum, dass fortwährend pochende Organ in ihrer Brust davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn machte darauf zu hoffen, dass ausgerechnet Tristan Jeffrey ihre große Liebe sein könnte.
Evie glaubte längst nicht mehr daran diesen einen Mann jemals zu finden. Überhaupt glich ihr Liebesleben einer kargen Wüstenlandschaft. Damals, als sie mit Tobi nach Vegas kam war ihr eine Beziehung nicht wichtig, weil sie ihren Bruder, nach allem was geschehen war, nicht zusätzlich belasten wollte. Tobi war in den ersten 2 Jahren derart auf sie fixiert, dass Evie manches Mal glaubte sie sei wirklich seine Mutter und nicht seine große Schwester. Genau deshalb war sie auch der Meinung es sei besser etwaige Männerbekanntschaften vor ihm zu verbergen um ihn nicht zusätzlich zu verunsichern.
Auf diese unglaublich anstrengend anhängliche Phase folgte die Zeit in der Tobi ihr nach dem Motto entgegen trat, du hast mir gar nichts zu sagen’ und die war nicht weniger Energie raubend. Damals waren sie gerade bei Jay eingezogen und relativ schnell kurz davor wieder rauszufliegen, weil sie sich ständig anschrien, weil Tobi sich aufführte wie ein kleiner Möchtegern und sich an nichts beteiligte. Die Beiden stritten sich eigentlich ständig, bis Tobi eines morgens hacke dicht nach Hause kam und Evie ihn zur Rede stellte. Natürlich wollte Tobi, der gerade 18 geworden war, sich von seiner Schwester nicht maßregeln lassen. Es passte ihm nicht, dass sie ihm zu erklären versuchte, was alles passieren konnte, wenn er sich sinnlos betrank und so wurde das aufeinander treffen immer hitziger, lauter und aggressiver, bis Tobi voller Wut und unbewusster Hilflosigkeit ausholte und auf Evie einschlagen wollte. Gerade noch rechtzeitig ging Jay dazwischen und fing den Schlag, der Evie treffen sollte, ab. Tobi starrte ihn einige Sekunden lang fassungslos an, ehe er aus Verzweiflung weinend davonlief.
2 Tage war er wie vom Erdboden verschwunden. Evie fuhr in jeder freien Minute durch die Stadt, klapperte all seine Kumpels und all die Orte ab, wo er sich sonst aufhielt ohne Tobi jedoch zu finden. Evie war so verzweifelt, dass sie schon zur Polizei gehen wollte, als Tobi plötzlich im Wohnzimmer stand. Weinend, aber unendlich dankbar dafür, dass ihm nichts geschehen war, fiel sie ihrem Bruder um den Hals. Minuten lang hielten sie sich gegenseitig fest, weinten gemeinsam, ehe Tobi sich für sein dummes, spätpubertäres Verhalten entschuldigte.
Ihr Vater war immer ein sehr autoritärer Mensch gewesen. Ein Mann, dem man besser gehorchte, wenn man keine Prügel beziehen wollte und dass ihm nun selbst die Hand gegen seine eigene Schwester ausrutschte, war für Tobi ein fürchterlicher Schock gewesen. Er, der sich immer schwor niemals so zu werden wie sein Vater, war in dieser Sekunde, als er ausholte um Evie zu schlagen, kein Stück besser gewesen als der Mann, der ihn verprügelte, wenn er nicht spurte. Dieser eine Moment warf Tobi völlig aus der Bahn und brachte ihn gleichzeitig mehr wieder in die richtige Spur, als es jedes einzelne Wort, das Evie auf ihn einredete, jemals gekonnt hätte.
Von diesem Tag an riss Tobi sich am Riemen. Er und seine Schwester wuchsen noch enger zusammen, als sie es je waren. Tobi wollte niemals so werden wie sein Vater und er begriff langsam, dass Evie seine größte Chance war, sein Leben in andere Bahnen zu lenken.
Natürlich gab es auch nach jenem Tag immer mal wieder Streit, dennoch verlor Tobi niemals wieder derart die Fassung, dass er die Hand gegen seine Schwester erhob und sie bemühte sich im Gegenzug darum, ihrem kleinen Bruder mehr Freiheiten zu lassen, ihn nicht mehr zu bemuttern wie eine Glucke. Und so wurde aus den beiden eine eingeschworene Gemeinschaft, die nichts und niemand auseinanderbringen konnte.