Читать книгу Summer Rose - Sonja Haiber - Страница 7
Kapitel - 4 Kapitel 5
ОглавлениеEvie stand am Fenster, als Tristan in seinen Wagen stieg und davon fuhr ohne zurück zu blicken. Winzige Tränen rannen ihre Wangen hinab. Tränen, die ihr verdeutlichten, dass diese Entscheidung womöglich ein Fehler gewesen war. Dennoch hatte sie sie getroffen. Sie hatte sich bewusst dazu entschieden ihn gehen zu lassen, und darauf zu hoffen, dass er zurückkommen würde, wenn er die Dinge geklärt hatte, die er klären musste. Aber dieser bittere Schmerz, diese Angst allein zu bleiben, erdrückte ihre Seele.
Nein, Evie war längst nicht mehr stark genug allein zu kämpfen, aber es blieb ihr keine andere Wahl. Sie war die Starke, die Frau, die immer ihren Weg ging, die immer kämpfte, die es immer schaffte den Kopf über Wasser zu behalten, egal wie schwer die Steine waren, die ihr das Leben an die Beine heftete. Evie wusste längst, dass ihr keine andere Wahl blieb als weiterzukämpfen. Tristan würde zurück kommen … hoffentlich … irgendwann. Und bis dahin ging sie ihren Weg eben allein weiter, sorgte sie allein dafür, dass Tobi eine Zukunft besaß, die ihn in ein besseres Leben führte.
Traurig wandte Evie sich vom Fenster ab. Sie musste zur Arbeit, ihre Pflicht erfüllen, obwohl sie so viel lieber einfach ins Bett gekrochen wäre um sich selbst zu bedauern, um der verlorenen Chance nachzutrauern. Einer Chance, die sie selber unter ihren eigenen Vorsätzen begraben hatte.
Obwohl sie glaubte keinen Schritt tun zu können, weil ihre Beine sich bleischwer anfühlten, stieg Evie unter die Dusche. Sie erinnerte sich daran, wie Tristan sie berührte, wie er sie küsste, wie er sich in ihr verlor. Ihr ganzer Körper begann sofort zu pulsieren. Wenn sie sich nur vorstellte, wie er liebevoll an ihren Brüsten knabberte, begann ihr innerer Vulkan zu brodeln. Ja … definitiv liebte sie diesen Mann, der nun zum Flughafen fuhr und in ein Leben verschwand, das sie niemals gemeinsam leben würden.
Evie zwang sich nach vorne zu sehen. Vor ihr lag eine 10 Stunden Schicht, die ihr keine Zeit zum Grübeln ließ. Maggie war ohnehin schon sauer, weil sie in den vergangenen 2 Wochen mit dem Kopf ständig woanders war. Auf keinen Fall durfte sie riskieren eventuell rauszufliegen. Der Job im Joy’s war wahrlich nicht der Beste, den sie kriegen konnte, aber er wurde vernünftig bezahlt und sie konnte die Arbeitszeiten mit ihrer Tanzerei kombinieren. Genau deswegen durfte sie sich keine Fehler mehr leisten. Ganz egal, wie sehr Tristan ihr fehlte … Evie musste funktionieren. Sie musste einen Schritt nach dem anderen gehen und darauf hoffen, dass er bald zurück kam.
Evie verließ das Haus früher als sonst, wenn sie zur Arbeit fuhr, weil sie Jay auf gar keinen Fall über den Weg laufen wollte. Sie hatte keine Lust darauf mit tausenden Fragen gelöchert zu werden noch bevor ihr Verstand überhaupt wach genug war um zu funktionieren, denn noch lag dieser mit Tristan im Bett, erinnerte sich daran, wie er sie am frühen Morgen liebevoll geweckt hatte. Mit sanftem streicheln und behutsamen Küssen hatte er sie aus dem Schlaf geholt um sie, noch während ihr Bewusstsein vor sich hindämmerte, mit einem unglaublichen Orgasmus in den Morgen zu befördern.
Genau daran, wie Tristans Lippen ihren Bauch entlang abwärts glitten und seine Zunge sie bis zur Besinnungslosigkeit folterte, wollte sie sich erinnern. Denn, ganz egal was die Zukunft ihnen brächte, diese Erinnerungen nahm ihr niemals wieder jemand. Diese wundervollen Stunden verbanden sie auf ewig miteinander. Und so hob sie den Kopf, richtete den Rücken gerade, wie sie es schon so oft tun musste und tat, was sie besser als viele andere konnte … einen Fuß vor den anderen setzen, einen Schritt nach dem anderen machen und vergessen, dass sie ein Mensch war, der sich, wie jeder andere auch, ein klein wenig Glück wünschte.
Aber war sie da nicht ein kleinwenig ungerecht?
Ganz bestimmt sogar, schließlich hatte sie wundervolle Freunde, die sich um sie sorgten, sie beschützten so gut sie konnten und sie im Arm hielten, wenn sie Trost brauchte. Doch, was Evie sich wünschte, war ein Mann, der nachts bei ihr lag, der sie berührte, der sie liebte. Ein Mann, mit dem sie die Zeit vergessen konnte, in dessen Armen sie ein kleines Mädchen sein durfte. Auch, wenn sie es niemals zugeben würde, wünschte Evie sich nichts mehr, als keine starke Frau mehr sein zu müssen. Sie wünschte sich den Rat und das wundervolle Lachen ihrer Mutter zurück. Sie wollte sich fallen lassen können … in die Arme einer Familie sinken und Geborgenheit fühlen, die man nur bei Menschen fand, die dasselbe Blut in sich trugen.
Evie liebte Jay und bewunderte Trevor dafür, was für ein wundervoller Vater er für seine kleine Lily war. Doch gerade das machte ihr bewusst, dass ihr eigener Vater ihr Leben zerstörte, als es im Grunde gerade erst wirklich begann. Das er in einem einzigen unüberlegten Augenblick sehr viel mehr vernichtete, als jemals repariert werden konnte. Aber Evie hasste ihn schon lange nicht mehr dafür.
Was nutzte das denn auch noch?
Weshalb sollte sie sich mit solch bitteren Gefühlen belasten, wo sie all ihre Kraft für Tobi brauchte?
Nein, es war schon lange kein Hass mehr, der sie erfüllte, wenn sie an ihren Vater dachte. Es war viel mehr eine unerbittliche Traurigkeit, das Gefühl völlig machtlos zu sein das sie überkam, wenn sie allein war und darüber nachdachte, wie anders ihr Leben hätte verlaufen können. Sie und Tristan hätten damals vielleicht wirklich eine Chance gehabt. Sie hätten vielleicht wirklich zueinander gefunden. Aber all das war Vergangenheit. All diese Gedanken waren im Grunde reine Makulatur und darüber zu grübeln nutzte niemandem etwas. Dennoch malte Evie sich ihr Leben oft aus, wie es hätte sein können.
Aber vielleicht wärst du zu einer eingebildeten Kuh mutiert!!
Ja, vielleicht … vielleicht wäre sie aber auch längst Mrs. Tristan Aaron Harper Jeffrey und würde mit ihm Kinder am Fließband bekommen. Eine wundervolle Vorstellung. Eine Vorstellung die in etwa genau so viel mit ihrem wirklichen Leben zu tun hatte, wie der Eiffelturm mit Mount Rushmore.
Aber vielleicht lernt der Eiffelturm ja noch laufen!!!
Evie tat Schritt um Schritt, hoffte jeden Moment darauf, dass Tristan auftauchen und sie in seine Arme schließen würde. Doch er kam nicht zurück und diese Erkenntnis schmerzte sie so sehr, dass jeder Atemzug ohne ihn weh tat.
Oft ertappte Jay sie dabei, wie sie am Küchenfenster stand und auf die Straße hinaus sah, als warte sie auf etwas. Er hasste es, sie so traurig und in sich gekehrt zu sehen. Er spürte, dass sie sich selbst zwang zu lächeln und doch wollte sie ihm nicht erzählen, was an jenem Freitagabend geschah. Oder wer dieser Kerl war, der sie damals besuchte?
Jay war sich ganz sicher, dass dieser Typ für Evies melancholischen Gemütszustand verantwortlich war, doch sie sprach nicht darüber und immer, wenn er das Thema anschnitt, wich sie ihm aus. Was er aber mit Sicherheit wusste, war, dass die Zeit alle Wunden heilte und das auch Evie irgendwann wieder aus ganzem Herzen lachen würde.
Was er aber nicht wusste, war, dass Evie sich fühlte, als könne sie ohne Tristan nicht einmal mehr atmen.
Wie hätte sie da jemals wieder lachen sollen?
Nein, Evie versank nicht in tiefen Depressionen. Sie fühlte sich einfach nur einsam und traurig. Dabei war sie es gewesen, die Tristan verbot wieder zukommen oder auf irgendeine Art und Weise Kontakt aufzunehmen.
Sie allein wollte es so …
Das Problem war nur, dass sie ihre eigenen Gefühle, all das, was in ihr vorging, wenn sie nur an ihn dachte, völlig unterschätzt hatte. Noch nie war sie so hoffnungslos verliebt gewesen. Noch nie hatte sie ihr Herz auf solch bedingungslose Weise an einen Mann verloren, dass es ihr sinnlos vorkam ohne ihn zu leben.
Jay und Trevor taten wirklich alles, um Evie auf andere Gedanken zu bringen, doch sie ließ sich nicht auf diese Art ablenken. Evie suchte ihr Heil in Arbeit, nahm jeden Job an, den sie kriegen konnte, nur um nicht allein zu sein und an Tristan denken zu müssen. Das war das was sie wollte, weil sie wusste, dass es irgendwann leichter werden würde, wenn sie sich nur genug mit anderen Dingen beschäftigte. Schließlich schwand jeden Tag, der verging die Hoffnung ein wenig mehr, dass Tristan überhaupt zurückkam. Aber auch das wurde irgendwann erträglich und so lernte Evie nach Wochen langsam wieder am Leben teilzunehmen, sich über Kleinigkeiten zu freuen und nicht mehr verpassten Chancen nachzutrauern. Tristan war so unendlich weit weg, dass ihr diese eine Nacht beinahe wie ein Traum vorkam. Manchmal fragte sie sich, ob sie sich seine Zärtlichkeit vielleicht einfach nur eingebildet hatte, aber dann erinnerte sie sich an seine unglaublich grünen Augen und wusste, dass es realer gewesen war, als der ganze erbärmliche Rest ihres Lebens.
Aber, all das was sie empfand war nichts gegen die immer weiter wachsende Befürchtung, dass Tristan nicht zurück kommen würde. Die Angst, dass diese Befürchtung wirklich real werden könnte, machte sie verrückt. Es erdrückte sie, weil sie sich nichts mehr wünschte, als dass er so plötzlich wie an jenem Freitagabend vor ihrer Tür stand, sie lächelnd in die Arme nahm und für immer festhielt.
Tristan saß auf der Terrasse des Mietshauses, in dem er wohnte, seit er seine Frau und sein Haus in BelAir verließ. Mit einem Glas Wein in der Hand sah er aufs dunkle Meer hinaus und wusste, dass er es hasste. Er wollte nie weder in Malibu noch in BelAir leben, aber das eine war Mileys Wunsch gewesen und das andere wurde ihm quasi aufgezwungen, weil er auf die schnelle nichts anderes fand und da er im Grunde ohnehin nie zu Hause war, spielte es eigentlich keine Rolle, wo er lebte. Das einzige, was ihm fehlte, war seine Haushälterin Gabriela. Er liebte ihr wunderbares Essen. Essen, das sie nun nur noch für Miley kochte, die es nie zu genießen wusste, weil sie ständig damit beschäftigt gewesen war sich um ihre Figur zu sorgen.
Evie war da anders. Sie nannte eine wundervoll weibliche Figur ihr Eigen. Eine Figur, die von strammen Schenkeln und runden Kurven geprägt war und Tristan liebte es, jeden einzelnen Zentimeter zu erkunden. Immer wieder versuchte er sich den Duft ihrer Haut, die Wärme ihrer Lippen und den Geschmack ihrer Knospe in Erinnerung zu rufen, weil er sich so sehr nach ihr sehnte. Dennoch durfte er dem Drang, sich einen Flug nach Vegas zu besorgen, nicht nachgeben. Er hatte es Evie versprochen. Er hatte versprochen erst wiederzukommen, wenn die Scheidung durch war, doch diesen Gefallen tat Miley ihm nicht. Ihr Anwalt verstand es wirklich alle nur möglichen Geschütze aufzufahren um die Scheidung immer wieder zu verzögern. Jedes Mal, wenn sie sich zu einer gütlichen Einigung zusammen setzten, knallte er etwas Neues auf den Tisch. Gerade erst an diesem Nachmittag, als Tristan wirklich glaubte endlich einen vernünftigen Kompromiss ausgearbeitet zu haben, kam der Idiot von Anwalt mit einer neuen Strategie um die Ecke. Nun versuchten sie eine Art Entschädigungszahlung einzufordern, weil Miley angeblich ihr ganzes Leben um seinetwillen aufgegeben habe. Natürlich war das absolut lächerlich. Dennoch warf ihn das in seinen Bemühungen, endlich eine Einigung am grünen Tisch zu erzielen, um Lichtjahre zurück. Lichtjahre, die ihn auch weiter von Evie trennten.
Warum muss diese blöde Kuh nur so verdammt stur sein?
Tristan hatte keine Ahnung, aber er wusste, dass ihm das langsam auf die Nerven ging. Er war bereit Miley 1,5 Millionen plus die Villa in BelAir zu überlassen, was sehr viel mehr war, als ihr laut Ehevertrag überhaupt zustünde. Allein die Villa, die sein Vater ihnen zur Hochzeit schenkte und in der Tristan nie gerne lebte, weil sie ihm viel zu protzig und viel zu groß war, war ein kleines Vermögen wert. Dementsprechend wütend war Harper gewesen, als er die Schlichtungsvereinbarung las, die Tristan mit seinem Anwalt und Freund Carlton Sanders, dem Kerl, der auf der Party so anrüchig mit seiner Evie tanzte, ausgearbeitet hatte. Aber er stand hinter seinem Sohn und er verstand auch, dass die Sache endlich geklärt werden musste.
Aber nun saß Tristan wieder auf seiner Terrasse, trank wieder aus Frust ein Glas Rotwein nach dem anderen und ärgerte sich wieder darüber damals nicht ein zweites Mal darüber nachgedacht zu haben, als er glaubte es sei eine gute Idee Miley zu heiraten.
Fünf Wochen war es nun her, dass er die Nacht mit Evie verbrachte. Fünf Wochen, in denen er sich nichts mehr wünschte, als endlich nach Vegas zurück fahren zu können um ihr zu erzählen, dass seine Ehe Geschichte war. Aber auch der inzwischen siebte Anlauf einer gütlichen Schlichtung war in die Hosen gegangen, und Tristan verlor langsam den Glauben daran das Ganze ohne einen Gerichtstermin regeln zu können. Er wollte auf gar keinen Fall vor einem Richter schmutzige Wäsche waschen und darauf würde es hinauslaufen. Miley würde all ihre Differenzen aufs Tablett bringen und genau das wollte Tristan nicht, weil er dabei durch den Kakao gezogen werden würde und letztlich all seine Mandanten Wind davon bekamen.
Wie stand er denn da, wenn er nicht einmal seine eigene Scheidung geregelt bekam?
Der Ruf, ein knallharter Anwalt zu sein, der immer und für jedes Problem eine Lösung fand, den er sich in kürzester Zeit hart erarbeitet hatte, war ihm wichtig, weil er nur zu deutlich machte, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Was aber dachten seine Mandanten, wenn er nicht einmal in der Lage war eine Einigung mit seiner eigenen Ehefrau zu erzielen?
Für Tristan war die ganze Angelegenheit längst mehr als eine persönliche Katastrophe. Sein Ruf und somit auch seine Partnerschaft standen auf dem Spiel. Seit etwas mehr als zwei Jahren arbeitete er als Junior-Partner in der Kanzlei seines Vaters und er wollte unbedingt so schnell wie möglich zum Senior und schließlich zum Namens-Partner aufsteigen. Denn das bedeutete mehr Ansehen, mehr Mandanten und somit auch mehr Geld. Tristan wollte auf der Karriereleiter nach oben, allen beweisen, dass er der würdige Nachfolger seines Vaters war.
Harper war beinahe 60 Jahre alt und bereitete sich langsam darauf vor seinen Lebensabend an der Seite seiner wundervollen Frau zu genießen. Aber er wollte die Kanzlei, die er mühsam aus dem Nichts aufgebaut hatte, erst seinem Sohn überlassen, wenn er bewiesen hatte, dass er der Richtige dafür war.
Tristan wusste das …
Sein Vater hatte nie auch nur einen winzigen Zweifel daran gelassen, dass er die Kanzlei an andere Senior-Partner abgeben würde, wenn Tristan ihm nicht bewies, dass er das Vertrauen, das er als Vater in ihn setzte, auch wert war.
Tristan wusste, dass die Scheidung seinem Vater aus vielerlei Hinsicht auf die Nerven ging und doch konnte er sich sicher sein, dass er hinter ihm stand, dass er sich auf die Rückendeckung seiner Familie verlassen konnte, aber er wusste eben auch, dass sie nach dieser Schlammschlacht nicht mit einer Frau wie Evie einverstanden sein würden. Niemals würde sein Vater eine Frau an der Seite seines Sohnes akzeptieren, die ihr Geld als Go-Go-Tänzerin verdiente. Doch das war Tristan völlig egal. Evie war eine beeindruckende Frau und seine Familie würde das irgendwann erkennen. Aber bis es soweit war, bis er Evie nach LA holen konnte, musste er erst einmal die Scheidung erzwingen.
Tristan stellte das Weinglas beiseite, rief den Fahrdienst an und bereitete sich mental darauf vor wieder einmal vor Miley zu Kreuze zu kriechen. Es widerstrebte ihm erneut um ihr Einverständnis zu betteln und langsam beschlich ihn das Gefühl, dass das im Grunde das war was sie wollte, dass es ihr längst nicht mehr um Geld oder das Haus ging.
Tristan stand an der Tür des Hauses, in dem er beinahe 5 Jahre mit Miley lebte. Er erinnerte sich daran, wie glücklich sie damals gewesen war, als sie bei der Besichtigung das erste Mal durch diese riesige, mit Buntglas verglaste Eingangstür gingen. Tristan mochte das protzige, viel zu große Haus nicht, aber Miley liebte es und Harper schenkte es Ihnen. Damals studierte Tristan noch und besaß selbst nicht wirklich viel. Mit seinem bescheidenen Vermögen wäre es ihm niemals möglich gewesen die Villa mit dem 1500qm großen Garten zu kaufen, aber Harper konnte dem süßen Lächeln seiner künftigen Schwiegertochter nichts abschlagen. Viel zu früh waren sie damals vor den Altar getreten, viel zu früh waren Tristan und Miley eine Ehe eingegangen, von der er heute wusste das sie von Beginn an ein Fehler gewesen war.
„Was willst du hier?“ Obwohl er nach wie vor einen Schlüssel besaß und das Haus einfach hätte betreten können, klingelte Tristan und sah in Mileys bitterböses Gesicht, als sie die Tür öffnete.
„Wir müssen reden Miley“, Tristan schob sich an ihr vorbei in die große Halle, die ihn auch nach 5 Jahren jedes Mal erschlug, wenn er das Haus betrat.
„Mein Anwalt ist der Meinung, dass es keine gute Idee ist, wenn wir ohne unsere Berater miteinander sprechen.“ „Es ist mir egal was dein Anwalt meint. Wie lange willst du dieses Theater noch weitertreiben?“ „Ich verlange nur was mir zusteht. Ich habe für dich alles aufgegeben.“ „Alles aufgegeben?“ Tristan lachte höhnisch, „was denn zum Beispiel?“ „Ich habe mein Studium geschmissen um dir eine gute Frau zu sein.“ „Das hast du nicht für mich getan und das wissen wir beide.“ „Ich versteh dich einfach nicht Tristan. Wir sind doch so glücklich gewesen. Warum wirfst du das alles weg?“ „Du magst glücklich sein Miley, ich bin das schon lange nicht mehr. Darum bitte ich dich, nimm das Angebot an.“ „Nein, so einfach wirst du mich nicht los“, Miley demonstrierte Entschlossenheit. Tristan sollte nicht glauben, dass sie vielleicht einknickte.
„Ich versteh dich nicht“, Tristan raufte sich ungeduldig die Haare, „was willst du? Warum klammerst du dich so an diese Ehe?“ „Ich will, was ich immer wollte. Dich und Kinder die hier im Haus herumspringen. Wir haben doch nicht aus Spaß geheiratet.“ „Ich wollte nie Kinder, das wusstest du von Anfang an.“ „Ich versteh dich nicht … wie kann man denn keine Kinder wollen?“ „Ich will sie einfach nicht mit dir“, nie hatte Tristan so offen mit Miley gesprochen und er konnte die bittere Enttäuschung in ihren Augen sehen, als ihr Verstand seine Worte analysiert hatte. Er sah darin blanken Hass, der Tränen in ihren Augenwinkeln aufblitzen ließ.
„Du wolltest sie nicht mit mir?“ Vor Wut schäumend holte Miley aus und schlug Tristan mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Schlag war so hart, so voller Abscheu, dass ihm der Kopf zur Seite flog und er eine Sekunde lang taumelte: „Scheiße … spinnst du?“ „Verpiss dich Tristan. Ich werde dich fertig machen. Ich werde deinen ach so wichtigen Ruf zerstören.“ „Hör auf damit Miley“, Tristan brauchte einen Augenblick, bis er sich wieder gefangen hatte, „fordere mich nicht heraus.“ „Das habe ich längst und da du absolut nicht kooperieren willst, werde ich dich vernichten.“ „Was willst du tun?“ Tristan spürte, wie ihm bittere Verzweiflung den Nacken empor kroch. Ihm war bewusst, dass Miley ihn ruinieren konnte und doch gab es für ihn keine Alternative zu dieser Scheidung. Seine Zukunft lag in den Armen einer anderen Frau.
„Ich will nicht dein beschissenes Geld. Ich will ein Leben mit dir und wenn ich das nicht bekomme, werde ich das zerstören, was dir am wichtigsten ist … dein Ansehen, dein Ruf und deine Integrität. Wenn mein Anwalt mit dir fertig ist, wird dir nichts mehr bleiben.“ „Lass den Scheiß Miley. Ich geb dir alles was du willst, aber ich kann einfach nicht mehr mit dir leben. Wenn du mich wirklich liebst, dann lässt du mich gehen. Dann zwingst du mich nicht zu einem Leben, in dem ich einfach nicht glücklich sein kann.“ „Es gibt eine andere … hab ich recht“, Miley rannen stumme Tränen die Wangen hinab. Sie war schrecklich enttäuscht, fühlte sich gedemütigt und verloren. Für sie war ihre Ehe perfekt gewesen und nun erkennen zu müssen, dass sie das für Tristan eben vielleicht niemals gewesen war, zerstörte ihren Glauben an all das wofür sie in den vergangenen Jahren gelebt hatte.
„Nein, keine andere Frau ist der Grund dafür, dass ich dich verlassen habe. Einzig und allein du bist der Grund dafür. Deine Oberflächlichkeit, deine Überheblichkeit, deine Ignoranz. Alleine du bist schuld daran, dass ich dich nicht mehr ertragen kann und nichts was du mir antust oder von mir verlangst wird an meinen Gefühlen jemals wieder etwas ändern. Ich liebe meinen Beruf, ich liebe was ich tue, aber selbst, wenn du mir all das nimmst, wird mein Leben nicht vorbei sein. Im Gegensatz zu dir habe ich mich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Ich habe nie von dir verlangt dein Studium zu schmeißen. Du bist doch froh gewesen, einen Dummen gefunden zu haben, der dich geheiratet hat, damit du selbst nicht arbeiten musstest.“ „Was unterstellst du mir da?“ „Es ist die Wahrheit Miley und das wissen wir beide. Du solltest also ganz genau darüber nachdenken ob du mich wirklich herausfordern willst, denn auch ich weiß Dinge über dich, die besser verborgen bleiben. Oder glaubst du, dass deine Freundinnen wissen wollen, was du wirklich über sie denkst? Droh mir nicht Miley, denn wenn du diesen Kampf beginnst, musst du damit rechnen, dass du alles verlierst, was dir so wichtig ist“, Tristan war festentschlossen gewesen diese unsägliche Ehe vernünftig und ohne Schlammschlag zu beenden, als er damals auszog, doch wenn Miley sich auf dieses primitive Niveau herablassen wollte, dann würde er ihr die Stirn bieten. Wenn sie Geld wollte, würde er es ihr geben, weil ihm daran noch weniger lag als an ihr, doch er war nicht bereit sich kampflos zu ergeben, wenn sie versuchte seinen Ruf, alles was er sich erarbeitet hatte, zu zerstören. Wenn sie unter die Gürtellinie gehen wollte, ging er mit und hoffte, dass er es bei Drohungen belassen konnte. Ihm lag nichts daran sie zu zerstören. Er wollte einfach nur einen Fehler korrigieren.
Natürlich war ihm bewusst, dass er Miley damit verletzte.
Aber, war es denn besser dieses Spiel noch Jahre weiterzuführen?
War es besser so zu tun, als würden sie sich lieben, bis sie sich nur noch hassen konnten?
Nein, Tristan war damals wie heute der Meinung, es sei besser einen klaren Schlussstrich zu ziehen und er hoffte, dass auch Miley zu dieser Einsicht kommen würde. Dass sie irgendwann verstand, dass sie ihn mit ihren Drohungen nicht würde halten können. Aber was er definitiv unterschätzt hatte, war die Wut einer zurückgewiesenen Frau, denn seine Wange schmerzte, als hätte Mike Tyson ihm eine gelangt.
„Warum tust du mir das an?“ Miley drückte auf die Tränendrüsen, weil sie glaubte damit etwas erreichen zu können. In der Vergangenheit hatte das oft genug funktioniert. Doch dieses Mal ging Tristan achtlos an ihr vorbei. Erst an der Tür drehte er sich noch einmal zu seiner Frau um: „Fang keinen Kampf an, den du nicht bereit bist zu verlieren.“ „Ich werde nicht verlieren“, Miley stemmte selbstsicher die Hände in die Hüften, doch Tristan beachtete sie nicht als er nach der Türklinke griff und das Haus verließ.
Nein, er wollte diesen Kampf nicht führen, weil er ihn nur noch länger von Evie trennte. Aber er musste ihn führen, weil er nicht zulassen konnte, dass Miley seinen Ruf angriff. Ganz egal, wie lange ihn diese dumme Angelegenheit noch von Evie fernhielt, musste er auch um seine Zukunft kämpfen. Er konnte letztlich nur hoffen, dass Evie auf ihn warten würde. Dass es nicht noch einmal 6 Jahre dauern würde, bis sie eine Chance bekamen, zusammen zu finden. Diese eine Nacht mit ihr, das Gefühl in ihr zu versinken, war alles was er brauchte um jeden Kampf zu führen der notwendig war. Denn das, was er in diesem Augenblick empfand, als sie ihn voller Hingabe empfing, war Liebe aus ganzem Herzen. Liebe, die er auf diese intensive Weise, in dieser unergründlichen Tiefe noch nie empfand und genau das machte ihn glücklich.
Aber war das auch Evie gewesen?
Tristan hoffte darauf. Sehr sogar … denn er wollte glauben, dass sie eine Chance bekommen würden. In den nun beinahe 6 Wochen, seit er Vegas verließ, gab es immer wieder Momente, in denen Tristan darüber nachdachte einfach alles hinzuschmeißen und zu Evie nach Las Vegas zu ziehen. Auch dort konnte er als Anwalt arbeiten und gutes Geld verdienen. Aber diesen Gedanken verwarf er jedes Mal genauso schnell wie er ihm in den Sinn kam, denn er wusste, dass Evie das niemals gutheißen würde.
Damals, an der Uni, hatten sie viel miteinander gesprochen, sich von einander erzählt und so wusste Evie mit Sicherheit, wie wichtig ihm, trotz aller Differenzen, seine Familie war, wie groß sein Wunsch war seinem Vater als Anwalt nachzueifern. Tristan hoffte inständig darauf, dass er eine möglichst rasche Lösung finden würde und er Evie endlich wieder in die Arme schließen konnte.
Evie war schrecklich genervt. Zuerst kam sie 5 Minuten zu spät zur Arbeit, weil sie wegen eines blöden Unfalls in einen Stau geriet, wofür Maggie ihr eine halbe Stunde Lohn abzog, und dann musste sie sich auch noch den halben Vormittag mit einem von der letzten Nacht übergebliebenen Zocker herum schlagen, der den Weg nach Hause, bzw. in sein Hotelzimmer nicht fand. Der Typ war offenbar festentschlossen die These zu beweisen, dass man nur lange genug Alkohol in sich hinein schütten musste um wieder nüchtern zu werden. Dabei war der Endfünfziger so penetrant nervtötend, dass Evie kurz davor war die Haus Security zu rufen … und das mehrmals.
Einmal langte er sogar über den Tresen und knallte ihr lachend die flache Hand auf den Po. Um ein Haar hätte sie ihm dafür eine geknallt. Doch sie konnte sich gerade noch beherrschen. Schließlich wusste sie nur zu gut, dass sie beobachtet wurde. Überall im Casino hingen Überwachungskameras, die sowohl die Spieler, als auch die Angestellten überwachten und noch mehr Ärger mit Maggie konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Gerade erst hatte Evie die Studiengebühren für das nächste Semester überwiesen und war nun so pleite wie der Hoover-Dam groß. Auf ihrem Konto befanden sich gerade noch 127 Dollar und in ihrer Tasche steckte ein Zehner. Pleite zu sein war scheiße. Ihr fehlte nach der Reparatur des Jeeps, die sie unbedingt selbst bezahlen wollte, anstatt das Tristan tun zu lassen, sogar das Geld um Jay die fällige Miete zu bezahlen. Natürlich sah er ihr das nach, weil er ganz genau wusste, dass sie ihre Schulden bezahlen würde, wenn sie wieder flüssig war und trotzdem hasste Evie es, ihm etwas schuldig zu sein. Also nahm sie jeden Job an, den sie kriegen konnte. Was dazu führte, dass ihr eigentlich kaum noch freie Zeit blieb. Evie fand das letztlich nicht einmal schlimm, da sie unter diesen Umständen schon nicht ständig an Tristan dachte. Es war ohnehin schon schwer genug sich damit abzufinden, dass er wohl nicht wieder kam.
Wie lange konnte es denn schon dauern eine Scheidung durchzuboxen!?
Evie wusste es nicht und nach knapp zwei Monaten war es ihr auch schon beinahe egal. Sie fand sich notgedrungen damit ab, dass es eben doch nur eine einmalige Sache gewesen war und Tristan nicht zurück kommen würde.
Evie stand mit dem Rücken zum Tresen. Sie füllte gerade ein Glas mit dem besten Scotch den es im Joy’s zu kaufen gab, und wünschte sich dabei inständig, dass dieser beschissen, gebrauchte Tag endlich ein Ende finden würde, als sie in ihrem Rücken eine Stimme hörte, die ihr den Atem stocken ließ. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie die Panikattacke niederzuringen versuchte, die sich in ihrer Brust ausbreitete. Sie musste sich getäuscht haben. Das konnte absolut nicht sein. Es war völlig unmöglich, dass Collin in Vegas war und doch saß er hämisch grinsend auf einem der Barhocker direkt neben dem besoffenen Zocker und zwinkerte ihr auch noch verstohlen zu.
Es gab einmal eine Zeit in ihrem Leben, da hatte sie dieses spitzbübische Grinsen geliebt, doch nun machte es ihr nur noch Angst: „Was willst du hier Collin?“ „Warum denn so abweisend Babe? Freust du dich nicht mich wiederzusehen?“ „Verschwinde“, Evie nahm all ihren Mut zusammen, doch die Erinnerung daran, was beim letzten Mal geschehen war, als sie sich begegneten, als sie sich ihm zu widersetzen versuchte, schnürte ihr die Kehle zu. Kein Mensch in ihrem Leben, nicht einmal ihr Vater, hatte ihr je so viel Angst gemacht wie Collin.
„Ach Babe …“, Collin wirkte siegessicher, „wir beide sind ein unschlagbares Team. Das weißt du.“ „Wir beide haben nichts gemein. Lass mich endlich in Ruhe.“ „Niemals meine Kleine. Du gehörst mir und wenn dich jemals ein anderer anfasst, wird er das bereuen.“ „Hör auf mir zu drohen.“ „Oh“, Collins Augen wurden dunkel, „das war keine Drohung meine Süße. Das war ein Versprechen. Ich beobachte dich genau. Vergiss nicht, dass das meine Stadt ist.“ „Du machst mir keine Angst Collin“, Evie bemühte sich darum mutig und selbstsicher zu wirken, doch innerlich zitterte sie so sehr, dass sie fürchtete er könne das Klappern, dass ihre Knochen dabei verursachten, hören.
Natürlich machte ihr diese Drohung Angst. Nur zu gut wusste sie, wozu Collin im Stande war und dass er in Vegas verdammt viele Freunde hatte, war eine unumstrittene Tatsache. Als Polizist besaß er Kontakte, die es ihm leicht machten an Informationen zu kommen.
Aber was tat er in Vegas?
Warum tauchte er nach 10 Monaten plötzlich auf und versuchte sie einzuschüchtern?
„Ich will dir keine Angst machen Babe“, wenn Evie ihn nicht besser gekannt hätte, hätte sie ihm seine plötzlich sanfte und liebevolle Stimme tatsächlich abgekauft. Doch sie wusste, dass Collin ein wahrer Großmeister in Sachen Manipulation war. Er schaffte es immer wieder, sich die Dinge so zu drehen und zu wenden, wie er es haben wollte und wäre er mit dieser Gabe nicht ab und an übers Ziel hinausgeschossen, hätte man ihn dafür durchaus bewundern können.
„Was willst du dann? Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Evies Stimme zitterte genau so sehr wie ihre Knie.
„Weil wir noch nicht miteinander fertig sind“, zwinkernd, sich des Moments sicher, rutschte Collin von dem Barhocker, steckte sich beinahe im selben Moment einen Kaugummi in den Mund und schlenderte davon, noch ehe Evie den Mut fand etwas zu erwidern.
Blanke Angst kroch durch ihren Körper. Evie kannte Collin allzu gut um zu verstehen, dass in seinen Worten ein Versprechen steckte, dass nichts Gutes verhieß. Warum auch immer er nach beinahe einem Jahr plötzlich wieder auftauchte und irgendwelche obskuren Besitzansprüche stellte. Evie machte das nicht einfach nur Angst. Sein Auftauchen führte dazu, dass sie sich plötzlich wieder fühlte wie damals, als sie ständig das Gefühl hatte er stünde hinter ihr, als sie andauernd glaubte beobachtete zu werden und sie sich kaum noch allein auf die Straße traute, weil sie fürchtete, Collin würde über sie herfallen, ihr vielleicht sogar etwas antun. Diese Angst, keine Hilfe erwarten zu dürfen, weil Collin eine Gewalttat vertuschen konnte nur weil er Polizist war, fuhr ihr derart in die Knochen, dass sie zitterte wie Espenlaub. Eben weil sie nur zu gut wusste, wie gewalttätig Collin werden konnte, wenn er die Kontrolle über sich selbst verlor. Etliche davongetragene blaue Flecken und sogar eine kleine Narbe am linken Oberarm zeugten von diesen Wutausbrüchen. Viel zu lange hatte sie damals an ihre Gefühle geglaubt, viel zu lange darauf gehofft, dass jeder einzelne Schlag ein Ausrutscher, quasi ein Versehen gewesen war. Doch nun, mit fast einem Jahr Abstand war ihr klar, dass er sich niemals hätte kontrollieren können und mit Schrecken setzte sich ein einzelner Gedanke in ihrem Bewusstsein fest:
Was, wenn er, wie dein Vater, die Kontrolle endgültig verliert?
Schaudernd erinnerte Evie sich daran, welch schrecklicher Anblick sich ihr damals bot, als die Polizei ihr Elternhaus nach unendlich langen Ermittlungen endlich freigab und sie für sich und Tobi das Nötigste mitnehmen konnte. Nur dieses eine Mal war sie nach der Tragödie, die ihre Familie zerriss, in dem kleinen Häuschen in einer typisch kalifornischen Wohnsiedlung, gewesen. Doch dieses eine Mal war schon zu viel. Niemals wieder wurde sie die grauenvollen Bilder los, die sich ihr boten. Tobi wollte sie damals unbedingt begleiten, sich die Sachen aus seinem Zimmer holen, die er unbedingt mitnehmen wollte, um neu anzufangen, doch Evie war hart geblieben und ersparte ihm somit die schrecklichste Erfahrung seines jungen Lebens. Für ihn war es schon schwer genug mit den, von ihrem Vater geschaffenen, Tatsachen zurecht zu kommen. Da brauchte er nicht auch noch sehen, was seiner Mutter angetan worden war.
Evie zitterte unbewusst, aber voller Angst, als sie nach einer 12 Stunden Schicht das Joy’s verließ. Sie war müde. Die viele harte Arbeit, die unendlich langen Tage und die wenige Freizeit zehrten an ihr. An manchen Tagen, wenn sie morgens aus dem Bett kroch, fühlte sie sich als wäre sie 50 Jahre alt … müde, abgespannt, wie erschlagen.
Wie sollte sie das noch mindestens drei Jahre lang überstehen?
Manchmal fragte Evie sich schon, ob sie jemals ihr Leben würde nach ihren Vorstellungen gestalten dürfen ohne sich um alles andere Gedanken machen zu müssen. Natürlich liebte sie Tobi. Sie hatte sich damals in diesem Haus in San Diego, als sie selbst das ganze Ausmaß der Katastrophe begriff, ganz bewusst dazu entschieden, ihr Leben der Zukunft ihres Bruders unterzuordnen. Doch nach all den Jahren war sie diese Kämpferei leid. Sie wünschte sich einen Mann, ein kleines Haus und Kinder. Einen richtigen Beruf, für den sie sich nicht zu schämen brauchte und den sie auch noch ausüben konnte, wenn sie einmal alt und grau war. Noch war sie jung, nannte einen wohlgeformten, straffen Körper ihr eigen. Noch sahen die Männer ihr gern beim Tanzen zu und ließen ab und an etwas Trinkgeld springen. Aber irgendwann war das eben vorbei und was wurde dann aus ihr?
Wo bist du denn nur Tristan?
Der Gedanke, dass Tristan sie vielleicht einfach vergessen hatte, ließ den Felsbrocken, der auf ihrem Herzen lag, stetig schwerer werden. Und er ließ die Tatsache, dass sie Collins Anwesenheit spürte, als sie über den Parkplatz zu ihrem alten Jeep ging, noch unerträglicher erscheinen. Evie wünschte sich mehr denn je, nicht mehr allein zu sein. Es ging ihr nicht darum, dass Tristan ein wohlhabender Mann war und ihr ein anderes Leben bieten konnte. Sie wünschte sich nur einfach jemanden an ihrer Seite, den sie in dieser Situation hätte anrufen können.
So jedoch stieg sie mit zitternden Knien in den Jeep und bemühte sich mit dem Schlüssel das Zündschloss zu treffen. Die beklemmende Angst davor, dass Collin wirklich in der Nähe war und sie sich seine Anwesenheit nicht nur einbildete, ließ sie beinahe ersticken. Nur zu gut kannte sie diese Angst, diese fürchterliche Ohnmacht nichts tun zu können und einfach ertragen zu müssen, dass Collins verdrehte Besitzansprüche nichts mit der Realität gemein hatten. Damals war sie ihn nur los geworden, weil er diesen einen Schritt zu weit ging und den Rasen ihres Vorgartens anzündete.
Warum war er aber dann wieder in Vegas?
Evie wollte es im Grunde gar nicht wissen. Schon allein dieser eine Auftritt im Joy’s reichte aus um all die schrecklichen Erinnerungen an Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung, die sie erfolgreich glaubte verdrängt zu haben, wieder an die Oberfläche zu zerren. Collin hatte sie damals nicht einfach nur belästigt, sondern derart gestalked, dass sie nicht einmal mehr allein zum Briefkasten ging. Wenn ihr Telefon klingelte zuckte sie zusammen und wenn sie spürte, dass jemand hinter ihr stand begann sie unweigerlich zu zittern vor Angst. Es war schrecklich gewesen. Evie brauchte sehr lange um all das zu bewältigen und wieder ein einigermaßen normales Leben zu führen. Aber nun war Collin wieder da. Und mit ihm all das, was sie glaubte hinter sich gelassen zu haben.
„Hey Evie“, Jay stand in der Küche und teilte eine Pizza in 6 Teile, als Evie zur Tür herein kam. Es war einer dieser wenigen Abende in der Woche, an denen sie zusammen zu Hause waren und Evie war mehr als froh darüber. Auf gar keinen Fall wollte sie mit ihrer Angst allein sein.
„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen“, Jay stellte besorgt den Pizza-Karton bei Seite. Evie war kreidebleich.
„Er ist wieder da“, Evie blieben ihre eigenen Worte beinahe im Halse stecken.
„Wer? Dein Lover?“ Jay verstand nicht ganz. Aber Evie brauchte nur einen Namen zu nennen um ihm bewusst zu machen, dass die Situation wirklich ernst war: „Collin.“ „Ach du Scheiße“, fassungslos sank Jay gegen die Küchenzeile: „Hast du ihn gesehen?“ „Er war im Joy’s … heute Nachmittag.“ „Was wollte er?“ „Mir Angst machen und das ist ihm gelungen. Warum ist er wieder hier?“ Evie konnte die Tränen, die voller Hilflosigkeit und Angst waren, nicht länger zurückhalten. Die Panik, die sich in ihrem Brustkorb ausbreitete, erfüllte auch ihren Verstand und ließen sie sich fühlen, als würde ihr ihr Leben durch die Finger gleiten, als würde sie jegliche Kontrolle verlieren.
„Ich dachte, wir würden dieses Arschloch nie wieder sehen“, Jay spürte zu deutlich, dass Evie vor Angst zitterte: „Ich werde mit Trevor reden. Wir müssen einen Plan aufstellen um dem Arschloch keine Möglichkeit zu bieten, sich dir nochmal zu nähern.“ „Das ist Unsinn Jay“, Evie fühlte sich schrecklich machtlos. Dennoch wusste sie, dass es ihren Freunden niemals gelingen würde sie rund um die Uhr zu beschützen: „Ihr könnt nicht immer bei mir sein.“ „Wir werden aber auch nicht zusehen, wie das Arschloch dich wieder tyrannisiert. Hast du vergessen, wie das damals war?“ „Nein, das habe ich nicht. Niemals werde ich das … Er macht mir Angst.“ „Das weiß ich. Was ist mit deinem Lover? Kannst du nicht eine Weile zu ihm … einfach verschwinden?“ „Welcher Lover?“ Natürlich war sich Evie bewusst, dass Jay von Tristan sprach: „Hast du hier in den letzten Monaten etwa einen Kerl gesehen, der mir entgangen ist?“ „Hör auf so zu tun, als wüsstest du nicht, von wem ich rede. Der Schnösel der hier gewesen ist. Was ist mit dem?“ „Das war eine einmalige Angelegenheit“, Evie schluckte schwer an ihren eigenen Worten, weil sie sie selbst nicht glauben wollte.
„Ach wirklich? Und deswegen trauerst du ihm nach“, Jay klang fast vorwurfsvoll, als er sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Küchenzeile lehnte.
„Das tue ich nicht“, Evie fühlte sich ertappt und obwohl sie protestierte, wusste sie, dass Jay ihr nicht glaubte: „Oh doch Schätzchen. Seit er hier gewesen ist, bist du nicht mehr dieselbe. Du liebst ihn … hab ich Recht?“ „Was spielt das für eine Rolle Jay? Es geht hier doch nicht um Tristan, sondern um Collin.“ „Oh … Tristan heißt der edle Ritter!“ „Lass das Jay“, wütend stampfte Evie den Flur entlang in ihr Zimmer. Sie hasste es wirklich mit Jay zu diskutieren, wenn er im Grunde doch nur auf etwas ganz Bestimmtes hinaus wollte und in diesem Fall ging es ihm letztlich nur darum alles über Tristan in Erfahrung zu bringen, was er aus ihr heraus quetschen konnte.
„Was soll ich lassen Evie?“ Jay ging ihr nach. Ungeniert sah er ihr dabei zu, wie sie ihre Uniform gegen bequeme Sportklamotten tauschte.
„Ich werde dir nicht von Tristan erzählen, weil das im Moment weder relevant noch in irgendeiner Weise erheblich ist. Mein Problem heißt Collin und ich verfluche den Tag an dem ich dachte, er könnte der Mann fürs Leben sein“, wütend über sich selbst pfefferte Evie ihren Rock in die Ecke.
„Evangeline“, Jay nannte Evie nur bei ihrem vollen Namen, wenn er seiner Meinung besonderen Ausdruck verleihen wollte: „Wenn dieser Tristan dir aus dieser Situation heraus helfen kann, dann sollten wir darüber reden.“ „Das kann er nicht. Tristan ist ein Teil meiner Vergangenheit, aber er wird nie ein Teil meiner Zukunft sein, also hör auf ihn ständig ins Spiel zu bringen.“ „Oh Evie, du und die Männer. Hättest du dich mal an mich gehalten“, in Jays Stimme schwang Wehmut mit und Evie machte das traurig: „Es tut mir leid, dass ich nicht dasselbe für dich empfinde, wie du für mich, aber ich brauche dich als Freund.“ „Ja, ich weiß und als solcher sage ich dir, dass wir was unternehmen müssen. Und ich denke, dass es das Beste ist, wenn du eine Weile verschwindest.“ „Wie stellst du dir das vor? Ich bin so pleite, dass ich nicht einmal meine Miete bezahlen kann, also womit sollte ich verschwinden? Wie soll ich die Kohle für das nächste Semester verdienen, wenn ich mich jetzt verstecke?“ „Ich bewundere dich dafür, dass du dich so für deinen Bruder aufopferst, aber du solltest vielleicht auch ab und zu mal an dich denken. Was wird aus Tobi, wenn Collin dir etwas antut?“ „Das wird er nicht“, Evie zwang sich an ihre eigenen Worte zu glauben. Sie musste es einfach, weil sie sonst von der Angst in ihrem Herzen zerfressen wurde.
„Deinen Optimismus möchte ich mal haben“, Jay schüttelte den Kopf: „Du kannst doch nicht im Ernst glauben das Collin nur in Vegas ist um zu zocken.“ „Nein, das glaube ich nicht, aber ich kann auch nicht zulassen, dass er mir wieder solche Angst einjagt, dass ich nicht mehr ich selbst sein kann. Ich werde mich von ihm nie wieder tyrannisieren lassen.“ „Aber du hast Angst.“ „Natürlich“, Evie war zum Heulen vor Verzweiflung: „Aber wenn ich zulasse, dass er mir wieder seinen Willen aufzwingt, dann habe ich doch schon verloren. Damals hatte ich solche Angst, dass er mich dadurch manipulieren konnte. Ich habe Dinge, die ich geliebt habe, nicht mehr getan und mich ständig versteckt. Aber dieses Mal wird es nicht so sein. Ich lasse mir seinen Willen nicht mehr aufzwingen … ganz egal was das für mich bedeutet.“ „Du bist verrückt. Collin ist ein Soziopath.“ „Nein, er ist besitzergreifend und kontrollsüchtig, aber kein Soziopath.“ „Das macht letztlich keinen Unterschied.“ „Bitte lass das Thema jetzt.“ „Nein Evie, wir müssen das mit Trevor besprechen.“ „Ihr seid wirklich süß und ich danke euch sehr, dass ihr mir so wunderbare Freunde seid, aber ihr könnt mich nicht permanent beschützen. Außerdem bin ich doch ein großes Mädchen“, natürlich war sie das, und doch zitterte sie innerlich vor Angst. Sie zwang sich, sich selbst einzureden, dass Collin ihr nichts tun würde. Mehr als alles andere wollte sie glauben, dass es für ihn nur ein Spiel war, dass es ihm Spaß machte sie zu terrorisieren. Aber dieses Mal würde ihm das, trotz der Furcht, die ihr sein unerwartetes Auftauchen einjagte, nicht gelingen. Evie war festentschlossen, Angst hin oder her, sich nicht wieder einschüchtern zu lassen. Denn je mehr sie vor ihm zitterte, desto mehr Spaß machte es ihm und diesen Spaß würde sie ihm verderben. Irgendwann würde Collin die Lust schon vergehen.
Und was, wenn du dich irrst?
Natürlich dachte Evie darüber nach, aber letztlich hoffte sie darauf sich auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen zu können, aber vor allem darauf das Collin irgendwann einfach die Lust an diesem Spiel verging. Andererseits wusste sie jedoch, dass ihre Beziehung für Collin nie ein Spiel gewesen war und vielleicht war das auch der Grund, warum er nicht loslassen konnte. Irgendwie würde sie diese Geschichte schon gebacken kriegen … wie alles andere in ihrem Leben auch.