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Schlechte Venen

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Die Krankenschwestern im Spital begrüßen mich herzlich, sie kennen mich mittlerweile, ich bin schon zum vierten Mal hier – und werde mit dieser Art Krebs, der behandel- aber nicht heilbar ist, noch oft kommen müssen. Sie freuen sich offenbar, mich zu sehen, denn ich bin eine unkomplizierte Patientin. Worüber die Krankenschwestern sich nicht freuen, sind meine Venen. Die sind schlecht. Dafür kann ich nichts, aber ich muss es jedes Mal ausbaden, wenn wieder daneben- oder durchgestochen wird und ich mit einem violetten Bluterguss in der Armbeuge nach Hause gehe. Gottseidank ist es kühl und ich trage lange Ärmel. Diesmal wollen die Schwestern sich – und mir – das Venensuchen ersparen.

»Bevor Sie sich umziehen (heißt: das unsägliche hinternfreie Spitalsnachthemd überwerfen) lassen Sie sich bitte im Soussol (=Untergeschoss) anstechen.«

Ich fahre mit dem Lift vom hellen 6. Stock in die Unterwelt.

6 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 – E – UG

Kalte Neonröhren, ausrangierte metallene Spitalbetten, die den Durchgang halb versperren, muffige Luft, dicke Rohre an der Decke, Kabelschächte: die Eingeweide des Spitalsbetriebs.

Nach ein paar Metern stoße ich eine Schwingtüre auf und stehe in einem spärlich beleuchteten Raum mit einem zweiten Ein- bzw. Ausgang schräg gegenüber, und einer frisch überzogenen Liege in der Mitte. Bei meinem Eintreten flammen Neonlampen auf.

Vom anderen Eingang her stürmt eine Gestalt mit Gesichtsmaske und blutbesudelter Schürze über weißem Kittel herein. Jenseits der hinter ihr zuschwingenden Türe erkenne ich ein glänzend gekacheltes Zimmer mit verschiedenen metallen schimmernden und rot blinkenden Geräten. Natürlich: die Notfallambulanz!

Die Frau nickt mir zackig-auffordernd zu. »Ich komme zum Anstechen! Auf der Onkologie sagen sie, ich habe schlechte Venen.«

Ich bin mir meiner Schuld bewusst.

Mit einem Ruck reißt die Schwester ihren Mundschutz vom Gesicht, – fehlen ihr ein paar Zähne? – deutet mir, mich auf die Liege zu setzen. Sie nestelt eine plastikverschweißte Nadel von irgendwoher aus ihrem Kittel hervor, reißt die Nadelumhüllung einhändig auf und fixiert mit der anderen Hand meinen linken Arm an ihrem Bauch. Ohne die Vene mit einem Gummischlauch am Oberarm zu stauen stößt sie die Nadel mit einer geschmeidigen Bewegung in die Armbeuge – sitzt.

Während sie sich den Mundschutz wieder überzieht, murmelt sie beim Aufstehen genervt: »Schlechte Venen gibt’s nicht.«

Es gibt nur deinen Weg

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