Читать книгу Es gibt nur deinen Weg - Sonja Knoll - Страница 17
Kämpfen
Оглавление»Guten Morgen, Herr Doktor Jeschko!«
Der Onkologe muss immer lächeln, wenn ich ihn begrüße. In der Schweiz gelten Titel und akademische Grade nicht viel, nicht einmal Ärzte werden als Herr oder Frau »Doktor« angesprochen. Eine Schweizerin würde mit »En guete Tag, Härr Jeschko« grüßen.
Seit ein paar Wochen habe ich nun diesen neuen Onkologen. Ich fühle mich gut aufgehoben und ernst genommen.
»Guten Morgen, Frau Knoll. Wie geht es Ihnen heute?«
»Todmüde. Ich komm kaum aus dem Bett in der Früh!«
»Dann bleiben Sie doch liegen! Sie wissen, Sie sollen sich schonen. Die Chemo ist keine Vitaminkur ...«
»Ich tu ja eh schon nix mehr, lieg nur mehr in der Wohnung herum!« Ich werde ein bisserl ungeduldig – von allen Seiten höre ich, dass ich nichts tun soll, dem Körper Zeit lassen und Gelegenheit geben, sich von der Chemo-Tortour zu erholen.
Und wer, bitte, erledigt dann, was erledigt werden muss? Ich lebe allein mit einer 13-Jährigen, kann mir keine Putzfrau leisten, keinen Koch, keine Einkäuferin. Und meine Freundinnen, die mir ihre Hilfe anbieten, mag ich nicht zu oft strapazieren, die haben ihre eigenen Familien.
»Sie haben eine Tochter, nicht wahr?«
Ja, eben! schreit es ärgerlich in mir –
»Ja, Dominique, sie ist jetzt 13 Jahre alt«, antworte ich ruhig.
»Wie geht es Ihnen mit ihr? 13 kann ein schwieriges Alter sein.«
»Wem sagen Sie das! Nach dem ersten Schock der Diagnose hat sie sich ziemlich zurückgezogen, sie will mit mir nicht über die Krankheit sprechen. Wenn ich mit Freundinnen darüber am Telefon rede, geht sie aus dem Zimmer. Ich bemühe mich, dass unser Alltag so normal wie möglich weiterläuft.«
Ich merke an meiner Wortwahl, dass ich den Begriff »Krebs« vermeide. Es ist immer »die Krankheit«.
»Wie soll ich mir das vorstellen, Frau Knoll. Sie leben wie zuvor!?«
»Ich möchte meine Tochter nicht zusätzlich zu meiner Krankheit noch mit anderen Dingen belasten. Vielleicht schone ich sie ja auch zu sehr. Sie muss sich nur um die Schule kümmern, braucht mir nicht helfen – ich schaue, dass ich den Haushalt alleine mache, langsamer halt als bisher. Ich will alles so normal wie möglich ...«
»Aber Sie sind in einem Ausnahmezustand! Auch wenn Sie das nicht möchten: Ihr Leben ist im Moment nicht normal – was auch immer das heißt. Die Chemotherapien belasten Sie ungemein!«
»Ja, eh ... Aber es gibt Tage, da tu ich wirklich gar nichts«, entschuldige ich mich fast, »... so wie heute. Ich bin so unendlich müde ...«
»Naja, Sie sind doch geduscht, wie ich einmal annehme« – Grinsen – »Sie sind angezogen, zur Bahn gegangen und hergefahren. Haben Sie schon etwas zum z’Morge gegessen?«
»Ich bin ins Lädeli bei mir gleich um die Ecke, frische Brötli für meine Tochter und mich holen – sie hat eine anstrengende Zeit in der Schule. Dann hab ich gschwind unsere Betten abgezogen, damit die Wäsche, während ich bei Ihnen bin, waschen kann – aber das ist ja keine Arbeit, das macht die Maschine. Dann hab ich Dommi zu ihrem Zug gebracht und bin nach Bern und hab was besorgt gleich um die Ecke vom Bahnhof. Jetzt bin ich hier.«
»Gschwind dies, gschwind das, gschwind jenes ... Frau Knoll!«, sagt er mit freundlich-zurechtweisendem Ton. »Für andere ist das ein Tagesprogramm. Es ist zehn Uhr morgens, wenn ich Ihnen zuhöre, werde ich müde! Das nennen Sie gar nichts getan?«
»Ja, das nenne ich so! Davon kann ich doch nicht schon so fertig sein!«
Der Onkologe wird ernst: »Frau Knoll – Sie haben jetzt die fünfte Chemo-Infusion im Blut. Ihnen sind die Haare ausgegangen. Sie haben Albträume vom Onkovin, Ihnen wird übel vom Gestank Ihres Körpers. Sie können tagelang nichts essen wegen der Speiseröhren-Entzündung. Sie bekommen eine der am schwersten verträglichen Therapien, weil Sie noch jung sind.«
Ich muss ihn unterbrechen. Ich spüre Tränen stechend hinter den Augäpfeln aufsteigen. Nur kein Selbstmitleid. Heulen bringt nichts. »Ich hab Sie nicht verstanden – können Sie das bitte wiederholen?« Ich grinse ihn an.
»Was?« »Das mit dem jung sein. Weil fühlen tu ich mich wie 183 ...«
»Sie sind jung für diese Art von Krebs. Sie sind« – er blättert in den Akten – »gerade einmal 43 Jahre alt. Üblicherweise haben alte Menschen ein Non-Hodgkin-Lymphom. Deshalb erhalten Sie die volle Ladung Zytostatika, die weniger robuste Menschen als Sie es sind gar nicht vertragen würden.«
»Ich vertrag’s schon, aber ich ertrag’s nicht mehr. Deshalb wollt ich heute einen Termin bei Ihnen. Ich mag nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich bin todmüde. Ich hab keinen Appetit – und glauben Sie mir, Herr Doktor: wenn mir einmal der Appetit vergeht, steht die Welt nicht mehr lang. Ich wache jede Nacht mehrfach schweißgebadet auf, oft bin ich zu schwach, mir einen Tee zu machen, dabei muss ich ja viel trinken, damit das Zeug ausgeschwemmt wird. Ich bin so unendlich müde.«
»Seit ich Sie kenne – immerhin seit ein paar Monaten –, managen Sie Ihr Leben und das Ihrer Tochter in absolut perfekter Manier. Sie sind immer gepflegt, geschminkt, Sie versorgen Ihre Tochter, erledigen den Haushalt, kümmern sich um die Katzen, halten Kontakt zu Ihren Freunden, Sie nehmen Ihre Untersuchungstermine zuverlässig wahr, kommen zu den CTs, Blutabnahmen, Infusionen ins Spital ...«
Ja, so soll es ja auch sein. Ich mache kein Geheimnis draus, dass ich schwer krank bin, aber es soll niemand drunter leiden müssen.
»Sie sind eine Kämpferin, ich hab den Eindruck, Sie lassen sich nicht unterkriegen. Aber bitte, Frau Knoll: lassen Sie ein bisschen nach!«
Ich verstehe nicht. Ich sehe nicht, wo ich weniger machen könnte. Wenn Dominique in der Schule ist, lege ich mich manchmal ein, zwei Stunden nieder. Dann hole ich sie mit dem Auto von der Bahn ab. Das könnte ich vielleicht sein lassen, denn weit ist es nicht zu Fuß von der Station bis zu uns nach Hause. Aber da ist das schlechte Gewissen, was ich meiner Tochter antue, dass sie Angst um mich haben muss.
Der Arzt schaut mich fragend an.
»Ich schlafe eh schon so viel ...«
»Schlafen Sie mehr. Schlafen Sie noch mehr. Schlafen Sie 20 Stunden. Stehen Sie nur mehr auf, um ins Bad zu gehen und um etwas zu essen oder trinken.«
Ich weiß, was er meint, und ich würde gerne. Aber wer soll dann kochen? Ich antworte nicht, habe den Eindruck, er nimmt mich im Moment nicht ernst. Wenn ich etwas nicht mache, bleibt es un-gemacht, was ich nicht tue, bleibt un-getan! Ist das so schwer zu verstehen?
»Ihr Körper, Frau Knoll, arbeitet seit Monaten täglich 24 Stunden lang unter höchstem Stress! Da spielt sich ein Töten und Absterben von Millionen und Abermillionen Zellen in Ihnen ab! Ich bemühe das Bild nicht gerne, aber: In Ihrem Körper herrscht Krieg! Die Millionen toten Zellen müssen abtransportiert werden und ausgeschieden, es müssen rasch neue gebildet werden. Im Moment ist Ihr Körper eine noch effizientere chemische Fabrik als sonst. Alles läuft auf Hochtouren. Das ist sehr anstrengend für Ihren Körper!«
Jetzt wird mir ein bisschen mulmig zumute. Ein so intensives Sprechen in den höchsten Steigerungsstufen ist unschweizerisch, normalerweise wird nicht übertrieben beim Reden, alles ist wohltemperiert. Die letzten Worte klingen doch äußerst eindringlich.
»Was soll ich denn machen?«
Ich bin verzweifelt, ich fühle mich gefangen, merke, wie ich aggressiv werde.
Wieso versteht das keiner?
»Gut, wenn das so ist, dann muss ich Sie aus dem Verkehr ziehen.«
Er nimmt ein Blatt Papier aus der Schublade.
Das klingt so verlockend – ja, bitte! Ab – weg – fort! Eine Zeit lang keine Verantwortung, keine Pflichten, nur auf mich selbst schauen. Und schlafen. Ich fühle mich zu Tode erschöpft und die Vorstellung ist großartig.
Schlafen, dösen, rasten, liegen, faulenzen, vermodern – wie wundervoll!
»Haben Sie schon einmal etwas von der Lukasklinik in Arlesheim gehört?«
»Ja, klar! Die Anthroposophische Krebsklinik in Basel. Dort könnte ich hin?«
»Ich würde Sie dort hin überweisen, wenn Sie das möchten. Ich würde Ihnen raten, einmal hin zu fahren und ein Gespräch mit einem dortigen Arzt zu führen. Dann können Sie sich entscheiden. Ich habe hier ein Informationsblatt.«
»Wie lange bleibt man denn in dieser Klinik?«
»Etwa zwei bis drei Wochen.«
Das wäre der Himmel auf Erden. Zwei bis drei Wochen schlafen, schlafen, schlafen ...