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Dommis Augen
ОглавлениеIch werde Dommis entsetzte Augen nie vergessen.
Mit einem Schrei – »Mami!« – springt sie auf und rennt aus der Wohnung. Ich fühle mich ohnmächtig und hilflos. Mir wird schlecht. Mein Herz klopft ohnehin seit Minuten zum Zerspringen. Ich bin zu schwach, um aufzustehen und ihr nachzugehen.
Meine Freundin Sylvia, in dieser Situation – und in all den folgenden Jahren – eine liebevolle, zuverlässige, unterstützende Freundin, sagt, ich solle sie besser einen Moment alleine lassen.
Tausend Gedanken jagen einander in meinem Hirn: meine Tochter ist 13 Jahre alt und in der Pubertät. Ich erinnere mich sehr ungern an diese Zeit in meinem Leben, die geprägt war von Unsicherheit, Scham und von erster, zaghaft aufkommender Kritik an den bestehenden Verhältnissen und den Eltern, was damals sofort im Keim erstickt wurde mit den Worten, die als Befehl gemeint waren:
»Nur keine Wellen!«
In dieser ohnehin schwierigen Phase der Selbstfindung, der Zweifel und aller möglicher Ungewissheiten, in dieser Phase des Unverstandenseins von den Eltern – in diesem Fall der Mutter, weil ich Dominique alleine erziehe – , in dieser Phase der Stimmungsschwankungen und des Gefühlschaos, mitten in dieser sensiblen Lebensphase platzt nun eine Bombe.
Ich fühle Schuldgefühle und schlechtes Gewissen sich in mir als Klumpen in meinem Herzen aufbauen, den ich viele Jahre mit mir herumschleppen und an dem ich lange leiden werde. Ich muss meine Tochter, die ich doch liebe und die ich vor den Härten des Lebens beschützen möchte, mit meinem Krebs schockieren, ich muss sie belasten mit meiner Krankheit, die möglicherweise bald zu meinem Tod führt. Ich bin so müde.
Als Dominique irgendwann wiederkommt, nehmen wir einander in die Arme. Wir haben keine Tränen. Es ist noch zu früh. Wir halten einander lange fest. Dann beginnt Dommi zu fragen. Doch ich kann immer nur antworten: »Ich weiß es nicht.«
Später setzen wir uns zusammen vor den Fernseher und schauen gemeinsam Dommis Lieblingssendung »Gute Zeiten, schlechte Zeiten.«
Life must go on.