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2. Papa, der Grinch

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Michael und Kerstin saßen gemeinsam mit ihren Kindern Ben und Emma in der Küche beim Abendbrot. Es war zwar erst 17 Uhr, aber bereits stockdunkel. Während der Wind durch die Luft pfiff, tanzte das letzte herabgefallene Laub freudig herum und fegte über den Boden hinweg. Je ungemütlicher es draußen war, desto gemütlicher wurde es im Haus.

Kerstin lief ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Sie griff nach ihrem Teebecher und wärmte ihre Hände daran. Sie liebte diese Abende, an denen die Familie gemeinsam den Tag ausklingen ließ.

Während sie den Moment gerade in vollen Zügen genoss, wurde ihr bewusst, dass dieser Frieden nicht mehr lange halten konnte. Sie ärgerte sich über sich selbst, denn dieser Gedanke entwickelte sich unweigerlich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Als sie argwöhnisch auf Emmas nächsten Wutanfall oder zumindest einen Streit zwischen den Kindern wartete, unterbrach Michael ihre Beobachtung: »Wo wir hier gerade so gemütlich zusammensitzen …«

»Oh nein, nicht schon wieder!« Kerstin verdrehte die Augen.

»Was soll das denn jetzt heißen? Lass mich doch bitte mal aussprechen!«, brachte Michael die Worte mit betonter Freundlichkeit heraus. »Bald ist Weihnachten, und darauf freue ich mich sehr.« Er machte eine Pause und blickte in die Gesichter seiner Familie. »Allerdings würde ich mir wünschen, dass … «

»Dass es nicht so stressig wird wie im letzten Jahr«, beendete Kerstin seinen Satz.

Es war passiert. Der Frieden beim Abendessen wurde zerstört, und diesmal war Michael schuld.

Jedes Jahr gab es die gleiche Diskussion im Hause Krüger. Michael mochte den Trubel um Weihnachten nicht. Genaugenommen mochte er gar keinen Trubel um irgendwas. Für ihn waren die Weihnachtsvorbereitungen, wie Geschenke zu kaufen, Spaziergänge über den überfüllten Weihnachtsmarkt zu machen oder die Besuche der Familienangehörigen unnötiger Stress. Er tat sich schwer damit zu akzeptieren, dass einige Dinge einfach dazugehörten. Das war zumindest Kerstins Eindruck. Augen zu und durch, das war ihre Devise – und am Ende war es doch eigentlich immer ganz schön … so unterm Strich. Warum konnte er das nicht einfach so hinnehmen? Außerdem konnten sie sich glücklich schätzen, dass sie überhaupt so eine große Familie hatten.

Kerstin war klar, dass sie nicht wieder die Moralkeule, wie Michael es nannte, schwingen durfte. Darauf reagierte er mittlerweile mehr als allergisch. Sie musste diesmal eine andere Strategie versuchen. Deshalb entschied sie sich dafür, mit einem scherzhaften Ansatz zu versuchen das Thema zu beenden.

»Das ist ja mal ganz was Neues von dir«, sagte Kerstin und zwinkerte ihren Kindern zu. »Du kleiner Grinch, jetzt spring mal über deinen Schatten. Am Ende werden wir ja doch das volle Programm durchziehen. So wie in jedem Jahr. Es wird allerdings viel weniger schlimm, wenn du dich von Anfang an darauf einlässt.«

Noch bevor Michael antworten konnte, fing Emma an zu lachen. »Grinch, was ist ein Grinch, Mama? Grinch, Grinch, Grinch!«

Ben stimmte in das Gelächter ein.

»Das ist ein unfreundliches und furchtbar gemeines grünes Wesen, das Weihnachten nicht mag«, antwortete Kerstin. »Und weil er Weihnachten nicht mag, sollen auch alle anderen keine Freude daran empfinden. Er spielt den Menschen unfaire Streiche, um ihnen das Weihnachtsfest zu vermiesen. Aber egal, wie doll er sich auch anstrengt, er schafft es nicht. Und am Ende hat er dann doch sogar selber Spaß an Weihnachten. Also ganz der Papa!«

»Papa, der Grinch, Papa, der Grinch!«, sangen Ben und Emma im Chor.

»Seht ihr, Papa wird schon ganz grün«, setzte Kerstin hinzu, woraufhin alle drei lachten.

»Ich glaube eher, dass Papa rot wird«, sagte Ben und zeigte auf seinen Vater.

»Jetzt ist aber mal gut!« Michael bemühte sich, ernst zu bleiben. »Wieso verbündet ihr Gauner euch immer gegen mich? Und warum tust du eigentlich so, Kerstin, als ob dir dieser Weihnachtszirkus Spaß macht? Du bist ja auch nicht gerade der traditionelle Weihnachtstyp.« Michael freute sich über die Retourkutsche. »Es geht mir ja nicht nur um die Aktivitäten, sondern auch um den Stress, den du dabei verbreitest.«

»Was soll das denn jetzt heißen? Ich bin eben berufstätig und habe nicht so viel Zeit.« Das war Kerstins Standardantwort, wenn ihr bewusst wurde, dass sie keine Vorzeigehausfrau und Bilderbuchmutti war.

»Genau, und wenn du die Zeit hättest, würdest du zum Weihnachtsengel mutieren, oder was? Einigen wir uns einfach darauf, dass es in diesem Jahr mal nach meinen Vorstellungen läuft. Was meint ihr dazu? Dann ist der Grinch zufrieden«, schlug Michael vor.

»Oh, nach deinen Vorstellungen … und welche wären das, außer so zu tun, als wäre nicht Weihnachten?«, fragte Kerstin und wusste ganz genau, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte.

Michael atmete tief aus. »Ich möchte, dass wir nur die Dinge tun, zu denen wir auch wirklich Lust haben, und uns dabei keinen Stress machen. Keine Verpflichtungen, um es anderen recht zu machen. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt!«

»Müssen denn wir alle vier Lust dazu haben, oder reicht eine Mehrheitsentscheidung?«, fragte Kerstin und blickte Ben und Emma mit einem verschmitzten Lachen an.

Michael schien den Köder zu riechen und versuchte es mit einem Frontalangriff: »Ben und Emma, möchtet ihr Weihnachten Oma Trudi, Opa Horst, Großtante Ursula und die anderen Verwandten besuchen? Lange Autofahrten und stundenlang beim Essen sitzen? Erst vom Tisch aufstehen und spielen dürfen, wenn alle fertig sind?« Michael zeigte sich bereits absolut siegessicher.

Die Kinder zögerten.

»Und natürlich ganz viele tolle Weihnachtsgeschenke bekommen«, legte Kerstin nach.

»Oh ja, oh ja!« Ben und Emma waren sich einig.

»Du spielst mit unfairen Mitteln«, sagte Michael. »Ich sehe schon, das wird hier doch wieder nix. Aber wir werden ja sehen, wie begeistert du die Vorweihnachtszeit verbringen wirst, meine liebste Gattin.«

Ben und Emma kugelten sich vor Lachen. »Der Grinch ist beleidigt, weil er wieder mal verloren hat«, stichelte Ben, und diesmal lachten alle gemeinsam.

»Schön, dann hätten wir das ja geklärt.« Kerstin ging auf Michael zu, umarmte ihn und gab ihm einen riesigen Schmatzer auf die Wange. »Und wer hat jetzt Lust, den Film vom Grinch zu schauen?«

»Oh ja!« Die Kinder jubelten. Emma kannte den Film zwar nicht, jubelte aber trotzdem. So wie eigentlich immer, wenn es um einen Film ging.

So wurde der Abend doch wieder zu einem gemütlichen Familienabend, und das war doch genau das, was Michael wollte.


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