Читать книгу Violet - Dunkelheit / Entfesselt - Buch 4-5 - Sophie Lang - Страница 7
ОглавлениеKapitel 4
Die Zeit, Stunden verbringe ich wie in Trance. Die Uhr, die ich nicht besitze, zehrt Minuten auf. Ich kann nicht sagen, wie viele Stunden später es sind, als mich Fischer aus meiner Zelle befreit. Als ich zerknirscht hinter ihm herhumple. Schwerfällig dem Mann folge, der kein Gesandter ist, aber der die Drohnen kommandiert, die mich und Hope fast getötet haben. Er ist der Sicherheitschef von Halo. Das ist der Gesandte, der diese Forschungseinrichtung kontrolliert. Und er ist der, der gegen das Protokoll verstoßen hat, weil er mit mir gesprochen hat.
Ich weiß nicht, wohin es geht, weiß nur, dass er mir etwas zeigen will. Ich denke an das Gespräch mit dem Obersten zurück und erwarte nichts Gutes.
Uns folgen schwer bewaffnete Vollstrecker. Ich hätte nicht die geringste Chance zu kämpfen oder zu fliehen, bestimmt auch nicht mit einem gesunden Bein, denn ich fühle mich schwächer, so als ob das Gespräch mit dem Obersten von meinen Energiereserven gezehrt hat. So als ob mich seine bloße Anwesenheit erschöpft hat.
Die Halle mit den Laboratorien, mein Zuhause, haben wir vor mehr als einer halben Stunde verlassen. Wir sind jetzt ein paar Sektorebenen nach unten, tiefer gefahren und folgen hier Gängen und Schächten, wo Wasser von der Decke tropft, in denen Rohre und Leitungen offen liegen. Durchqueren Hallen in unterirdischem Fels, auf Stegen und Brücken aus Metall, die alt und verrostet sind. Ein Wirrwarr aus verschachtelten Höhlen. Ein Labyrinth.
Das ist kein offizieller Weg, denke ich.
„Das ist keine Abkürzung“, sagt Fischer, als könnte er meine Gedanken gelesen. „Ich habe diesen Weg gewählt, weil er nicht überwacht wird. Hier werden wir nicht belauscht.“
Warum verrät er mir das? Kann ich ihm vertrauen? Keiner meiner Sinne schlägt Alarm. Fischer bleibt stehen, damit ich zu ihm aufschließen kann. Er trägt eine wattierte Weste, eine braune Cordhose und schwarze Stiefel. Hat den Anzug eines Geschäftsmannes abgelegt. Eine seltsame Wandlung? Sicherheitschefs können offensichtlich tragen, was sie wollen. Anders als Vollstrecker in ihren kitschigen roten Rüstungen.
Wir stehen auf einer wackeligen Brücke. Auf einem Metallgitter, das mir Blicke auf den 20 Meter entfernten, unter uns liegenden Boden ermöglicht, gerade so breit, dass wir nebeneinander Platz haben. Die Vollstrecker bleiben hinter uns zurück, die Waffen immer im Anschlag. Ich muss mich am Geländer festhalten, bin etwas außer Puste, vom langsamen Humpeln. Prima.
Mechanischer Lärm umgibt uns.
Diffuses, dumpfes, graues Licht.
Beides stammt von einer gewaltigen Maschine mit tausenden blinkender Lämpchen und Rohren und metallenen Aufbauten, Kesseln Platten, Leitern und Leitungen. An einigen Stellen ist sie triefnass. An anderen staubtrocken. Die Maschine sitzt wie ein gewaltiger Drache aus Metall in dieser, ich nenne es: Höhle. Sie speit Dampf und heiße Luft hier und da aus. Es fehlt nur das Feuer, dann wäre alles perfekt inszeniert.
Fischer spricht und ich habe Mühe ihn zu verstehen, weil die Maschine, der Drache zu laut atmet.
„Faszinierend, wozu Ingenieure in der Lage sind. Sie kann Wasser und Sauerstoff wiederaufbereiten. Ein Relikt aus der Zeit vor der Sektionierung. Eine Vorkehrung für den Fall, dass man lange unter der Erde verbringen muss.“
„Wozu sollte das nötig sein? Lange unter der Erde leben zu müssen?“, frage ich nach einer Sekunde heißer.
„Die Angst vor Atomwaffen. Ein paar Kilo einer Substanz, die millionenfache Energie freisetzen kann. Der Komplex der neuen Forschungseinrichtung wurde über sehr alten Strukturen, alten militärischen Anlagen errichtet. Ab Sektorebene fünf kann alles abgeriegelt werden. Kein Luftmolekül, keine Funkwelle, nichts kann dann mehr raus oder herein. Bis sich die Schleusen wieder öffnen. Ein verlockender Gedanke. Findest du nicht?“
Ich sage nichts, versuche mich nur irgendwie auf den Beinen zu halten, was ein Großteil meiner Aufmerksamkeit erfordert.
„Die Maschine wurde nie abgeschaltet. Aus Furcht, man bekäme sie nicht mehr zum Laufen. Ich denke, es gibt keine Welt ohne Angst. Wirst du das tun, was der Oberste von dir verlangt?“, fragt Fischer.
„Was verlangt er denn von mir?“
„Dass du seiner Gruppe angehörst, seine Ziele verfolgst.“
„Niemals“, sage ich. „Und du? Bin ich hier, weil du mich aushorchen willst, oder ist es etwa das hier, das du mir zeigen willst? Eine Maschine aus der Vergangenheit“, frage ich. Eine Vergangenheit, die sich nicht besser als meine Gegenwart anhört. Angst vor Atomwaffen? Streben die Menschen denn immer danach, etwas zu erfinden, das dazu geeignet ist, sich selbst auszulöschen.
„Ja. Sie gehört dazu. Die Maschine soll dir zeigen, dass sich manche Dinge nie ändern, aber andere schon“, sagt er und dann holt er etwas aus seiner Jackentasche.
Ich sehe ein kleines Buch. Kein zusammengefaltetes Flexscreen. Es ist altmodisch. Es besteht aus Papier, so wie mein Tagebuch. Mein Tagebuch, das ich verloren habe und ich nicht weiß, wer es hat.
Fischer schlägt es auf, blättert durch die Seiten und ich sehe Bilder. Eine Frau mit braunen Haaren, mittleren Alters. Sie trägt einen locker gestrickter Pullover. Er ähnelt vom Stil Fischers Weste. Sie trägt eine Mütze und darunter befindet sich ein Gesicht, das lächelt und so glücklich wirkt. Sie umarmt zwei Kinder. Ein Junge und ein Mädchen. Vielleicht acht oder zehn Jahre alt. Das Mädchen ist klein und zierlich, sieht aus wie eine Maus. Wunderhübsch und der Junge hat ein Lächeln, dass mir das Herz wild in der Brust flattert. So unbekümmert und mild. Eine Familie. Eine echte Familie, denke ich wehmütig.
„Das ist meine Liebe“, sagt Fischer und ein Lächeln ruht in seinen Mundwinkeln. Ich schweige und schlucke Staub in meiner Kehle hinunter.
„Ich hoffe, ich werde sie eines Tages wieder in meine Arme schließen können. In einer besseren Welt. Ohne Angst.“
Warum sagt er mir das?