Читать книгу Violet - Dunkelheit / Entfesselt - Buch 4-5 - Sophie Lang - Страница 9

Оглавление

Kapitel 6

Ich laufe, renne. Immer weiter, schneller. Durch nicht enden wollende Korridore und Hallen, die zerfressen sind vom Alter der Zeit. Verlassen. Vergessen.

Wasser perlt von der Decke ab, tropft wie schwarzes Blut herunter. Alles ist dunkel, nur dort wo ich bin, erleuchten meine Tattoos die Formen, hauchen den Schatten Leben ein, die um mich herum schleichen wie Dämonen in der Nacht. Ich träume und bin mir dessen bewusst. Schon wieder.

Es scheint, die einzige Möglichkeit sich frei zu bewegen, ist zu träumen.

Ein Luftzug streift meinen Körper, zieht an meinen Haaren. Ich blicke mich gehetzt um und entdecke einen weiteren Durchgang, folge ihm in eine weitere Halle. Noch ursprünglicher, noch dunkler und beängstigender als alle anderen zuvor. Ketten mit Arm- und Beinringen an den Seiten, ein schwarzer vom Alter gezeichneter schwerer Tisch. Es ist ein Operationstisch oder ein altertümlicher Opfertisch und er dominiert den Kern des Raumes. Chirurgische Werkzeuge oder Opferutensilien und furchteinflößende Klingen, Zangen, Drähte jagen mir eine Gänsehaut über meinen Körper. Ich nähere mich sehr langsam, als ich diesen gewaltigen Gestank wahrnehme. Ich weiß, er stammt von der Metalltür, die eine handbreit offen steht. Er weht unheilbringend in die dämonische Folterkammer herein. Mein Traumkörper bewegt sich auf die Tür zu. Die Schatten nehmen Formen an, die mir Angst einjagen. Ich bleibe nicht stehen, bis mich meine Schritte bis zur Tür getragen haben. Ein Quadrat, ein Dreieck und ein Kreis wurde auf die metallene Oberfläche geätzt. Darüber prangt das Zeichen der Gesandten. Nein, ich habe mich getäuscht. Es ist ein Schädel über zwei gekreuzten menschlichen Knochen.

Ich öffne die Tür mit zittriger Hand und strecke meinen Kopf auf die andere Seite. Eine Sackgasse. Ein Korridor. Zu beiden Seiten befinden sich uralte Gefängniszellen mit nackten Metallstäben.

Ich trete ein, gehe einen Schritt auf die in den Wänden eingemauerten Käfige zu und reiße die Hand vor mein Gesicht. Der Gestank ist gewaltig. Ich erschaudere, als ich Konturen, sich bewegende Schatten in der Dunkelheit ausmache, als sie sich zu Kreaturen hinter metallenen Gittern vor meinem Auge materialisieren. Schrecklich missgestaltet, furchtbar verkrüppelt. Dämonisch.

Das schwache Licht, das von beiden Seiten durch die Gitter sickert, stammt von mir und von ihnen. Grässliche Tattoos zieren ihre schlimm zugerichtete Haut. Blicke treffen sich. Die ihren und meine und fürchterliche Qualen und Schmerzen und Ängste ziehen mich mit ihnen, mit der Traurigkeit und der Angst in ihren Augen wie in einem Strudel hinab. Sie sind Missgeburten und sie wurden gefoltert, weggesperrt und ich kann es mir nicht vorstellen, will keine Bilder in meinem Kopf zulassen, was sie alles Schlimmes mit ihnen gemacht haben. Plötzlich ist da ein Geräusch hinter mir. Ich blicke mich um, eine der Kreaturen hat mich gepackt. Ihr Arm ragt aus dem Gefängnis heraus, ihr Gesicht ist mir so nah. Ich erstarre, als ich ihn erkenne. Er ist einer von ihnen.

Ein feines Weinen holt mich zurück in die Realität. In die Realität? Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Möchte wach bleiben und nie mehr müde werden, weil sich meine Träume so real anfühlen, als wäre ich tatsächlich dort gewesen, als wäre das tatsächlich passiert. Irgendwann in der Vergangenheit, Gegenwart oder es sind Erinnerungen an die Zukunft.

Ich hocke da und die jüngsten Ereignisse senken sich wie ein graues Leinentuch über mich. Der mächtigste Mann dieses Kontinents hat mich heimgesucht und erwartet von mir, dass ich Asha überzeugen soll, ihre Kräfte in seinen Dienst zu stellen. Aber selbst wenn ich dazu bereit wäre, frage ich mich, wie ich das anstellen soll, wo ich die Energie hernehmen soll. Das Blut pocht gegen meine Schläfen, so als hätte ich Fieber, aber meine Haut ist eiskalt.

Ich fühle mich total verausgabt, schaffe es nicht, mich zu bewegen, um auf Essen verzichten zu können. Es hätte sowieso keinen Zweck, mit der Natur zu tanzen, denn hier gibt es keine Natur. Nur Beton und unzerbrechliches Glas. Es bleibt mir also keine Wahl, ich muss essen, um wieder zu Kräften zu kommen.

So haben Leitungswasser und Suppe meinen Gaumen erkundet, als wäre es das erste Mal. Der Rest der Suppe steht immer noch drüben auf dem Tisch. Kalt. Sie war auch schon kalt, bevor ich eingeschlafen bin. Ich gehe hin, hebe etwas Metallenes auf. Ich blicke auf den Löffel in meiner Hand und fahre mit der Zunge unwillkürlich über meine Lippen.

Der Löffel sieht aus wie ein unbekanntes Werkzeug aus einer längst vergessenen Zeit, einem anderen Leben.

Die Vollstrecker sind nur Marionetten, führen Befehl aus, sind in rote Kleidung gegossene Körper ohne Erinnerungen. Offensichtlich haben die armen Figuren vor meiner Zelle ihre Anweisungen, nett zu mir zu sein, solange ich nach ihrer Pfeife tanze. Haben sie eine andere Wahl? Habe ich eine? Ich versuche des Zitterns Herr zu werden, das sich erneut meiner bemächtigt. Ich zittere ständig und weiß nicht, ob es meine eigene Haut ist, die mich frieren lässt oder die Ängste, die ich durchstehen muss.

Denn ich befürchte, sie werden sie alle töten. Nicht nur Adam, Hope und Neo. Auch Jesse. Aber was bedeuten die Leben meiner Freunde im Vergleich zu dem, was sie mit unseren, mit Ashas Fähigkeiten anzurichten vermögen.

Alles.

Stelle ich fest.

Jedes einzelne ihrer Leben bedeutet für mich alles.

Alles was ich habe.

Aber bedeutet das, dass ich kooperieren muss, dass sie mich egal wohin zitieren können, um dort verheerenden Schaden anzurichten? Ich denke an die Prophezeiung und beschließe, nicht zu kooperieren sondern mitzuspielen.

Aber nach meinen eigenen Regeln. Solange ich lebe.

Ich tauche den Löffel in meine Suppe, beobachte, wie die Nudeldinger vor dem ungebetenen, blanken Metall Reißaus nehmen und dann bemerke ich das Leuchten des Sensors an der Panzerglasscheibe. Jemand möchte mit mir reden. Vielleicht ist es ja ein Vollstrecker mit einem Salzstreuer, lächle ich, aber selbst das strengt mich an.

Ich quäle mich beim Aufstehen und beim Gehen. Jede Bewegung, jeder kleinste Schritt fordert Überwindung, höchste Anstrengung, schmerzt. Und es wird immer schlimmer. Die elektromechanische Schiene scheint für den Moment das einzige an mir zu sein, das noch über ausreichend Energie verfügt.

Wer es wohl dieses Mal ist? Vielleicht Halo mit einer neuen Folter, die er sich für mich ausgedacht hat. Für eine Missgeburt wie mich. So hat er mich genannt, eine Missgeburt.

Die Scheibe wird durchsichtig, mein Herz setzt für einen Atemzug aus. Mein armes Herz. Es ist wirklich Halo, dachte ich es mir doch, aber er ist nicht allein.

Was hat er nur vor? Warum ist Jesse bei ihm? Will er ihn jetzt töten lassen? Direkt vor meinen Augen? Bringt er ihn deshalb hierher zu mir, um ihn umzubringen? Mich zu quälen und mich dann zu töten?

Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück, will mich irgendwo verstecken. Vielleicht im Badezimmer, dann fällt mir ein, dass die Lampe noch nicht repariert wurde. Spielt das überhaupt eine Rolle?

Halo öffnet die Gefängnistür und schiebt Jesse vor sich her, zu mir herein. Was soll das?

„Schmeckt die Suppe nicht?“, fragt Halo und lächelt sein falsches, hässliches Lächeln. Jesse sieht verunsichert aus, verändert. Sie haben etwas mit ihm gemacht.

Ich sage nichts, gehe langsam rückwärts, immer weiter, bis ich mit dem Rücken an der Wand anstoße. Halo hat mein Tagebuch. Er weiß, wer ich bin. Was ich bin. Was ich brauche. Oh Gott, ich will allein sein. Bitte Gott, teleportiere Jesse ganz weit weg. Weit weg von mir.

„Ich dachte, ein wenig Gesellschaft würde dir ganz gut tun. Eventuell kommst du dann ja wieder zu Kräften“, meint Halo, der dort an der Tür steht. Ich hasse ihn mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich sage noch immer keinen Ton und dann verschwindet er, aber Jesse bleibt.

Es dauert einen Moment, bis die Panzerglasscheibe undurchsichtig wird und wir vermeintlich ungestört sind.

Der Sensor zeigt an, wir wären es.

Kann ich ihm trauen?

Kann ich mir trauen?

„Freija, ich weiß nicht, was das bedeutet?“, stammelt Jesse und rührt sich nicht vom Fleck. „Wo warst du? Was ist geschehen?“ Pause. Und dann. „Ich habe dich so vermisst“, sagt er mit seltsamer, fast unverständlich leiser Stimme.

Jesse macht einen Schritt auf mich zu. Ich will ihm um den Hals fallen, stattdessen rutsche ich mit dem Rücken an der Wand runter, bis ich auf dem Boden sitze. Meine Arme schlinge ich um meine Knie, das blütenweiße Hemd ziehe ich so weit über meine Beine, wie es geht. Ich werde mir gerade bewusst, wie wenig ich eigentlich anhabe.

Jesse kommt mir ganz nahe und setzt sich neben mich auf den Boden. Gemeinsam starren wir Löcher in die Luft. Sein Duft ist mir vertraut, schenkt so viel Geborgenheit. Ich hatte vergessen, wie gut es sich anfühlt, in seiner Nähe zu sein.

„Der Gesandte…“, beginnt Jesse.

„Du meinst Halo“, helfe ich ihm.

„Ja, er hat mein Flexscreen.“

„Ich weiß. Er hat es mir abgenommen, nachdem…“, ich halte inne. „Nachdem Hope und ich besiegt wurden“, brumme ich dann. Jesse nickt.

„Ich denke, wir haben uns viel zu erzählen.“ Dieses Mal bin ich diejenige, die müde nickt. „Hast du sie gelesen. Ich meine die Nachrichten, die ich an Flavius geschickt habe?“

„Jede einzelne Silbe.“ Ich erinnere mich an Jesses Liebesgeständnis und an seinen Wunsch.

Einen Kuss. Von mir.

Mein Herz beschleunigt bei dieser Vorstellung, ohne dass es mich um Erlaubnis gefragt hat. Oder ist es wieder das kalte Fieber?

„Ich weiß nicht einmal, ob Flavius die Nachrichten erhalten hat. Er hat nie geantwortet“, murmelt er.

„Jesse, ich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wo ich anfangen soll. Es ist so viel passiert seitdem. Seitdem ich mit Adam mitgegangen bin.“

„Adam?“, fragt er. Ich schweige.

„Adam, ist das sein Name? Ist er der Gesandte, der dich mitgenommen hat?“

„Ja und er ist kein Gesandter und er hat eine Schwester. Ihr Name ist Hope.“

Violet - Dunkelheit / Entfesselt - Buch 4-5

Подняться наверх