Читать книгу Die Rose und der Schwan - Sophie Oliver - Страница 9
4.
Оглавление»Anscheinend hat man es in Frankreich nicht geschafft, Sir Oswins Tochter Manieren beizubringen. Sie ist eine ganz und gar undamenhafte Person.« Dieses Urteil bekräftigte Lady Mildred mit einem gezielten Stich ihrer langen, zweizinkigen Gabel in die Reste des gestrigen Bratens, die sie sich zum Morgenmahl schmecken ließ. Dazu aß sie Brot und trank einen Becher Dünnbier.
Henry, der neben ihr am Tisch saß, schob seinen Teller von sich. Er hatte keinen Appetit.
»Ich fand sie eigentlich ganz anregend«, widersprach ihr Edward. Der wiederum hatte wohl ordentlich Hunger, denn er ließ sich von den geschmorten Äpfeln nachlegen und tauchte sein Brot in die Honigsoße.
»Das kann ich mir gut vorstellen, Sir Edward. Ihr hattet schon immer einen ordinären Geschmack«, bemerkte Lady Mildred mit eisiger Stimme.
»Es reicht, Mutter!«, unterbrach Henry. »Du beleidigst in einem Satz Edward und Alice. Muss das sein? Ein wenig mehr Güte stünde dir gut zu Gesicht.«
Gekränkt warf Lady Mildred ihre Gabel auf den Tisch und erhob sich. »Wenn auf meine Meinung kein Wert gelegt wird, werde ich mich zurückziehen«, verkündete sie.
»Bitte, tu das.«
Sobald sie gegangen war, zog sich Edward die Platte mit den Bratenresten heran und setzte sein Mahl fort. »Lass sie«, meinte er beschwichtigend zwischen zwei Bissen. »Wahrscheinlich hat es ihr nur nicht gefallen, dass du Lady Catherine links liegen gelassen hast. Nachdem du hinter Alice hergelaufen warst, hatte deine Mutter ihre liebe Mühe, ihre Wut zu überspielen.«
»Aber dann hat sie dich ja gottlob hinterhergeschickt.«
Mit einem Grinsen nickte Edward. »Fürwahr. Und ich kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass Lady Alice dir eine Ohrfeige verpasste.«
»Wovon sprichst du bitte?«
»Na ja. Sie schubste dich weg. Ich hatte den Eindruck, als wolltest du dich ihr nähern und sie hatte was dagegen.«
»Dein Eindruck täuscht. Sie war es, die an mich herantrat und dann wieder zurückwich. Anscheinend weiß die Gute selbst nicht, was sie will.«
Edward seufzte in gespielter Verzweiflung. »Ach, die Frauen. Wenn die immer wüssten, was sie wollten, und wenn wir wenigstens gelegentlich davon Kenntnis hätten, wäre das Leben viel einfacher.«
»Weise gesprochen.« Henry lachte. Wie gut, dass Edward es immer schaffte, ihn aufzuheitern.
»Wann kommt der Baron?« Edward wechselte abrupt das Thema.
Henrys Lachen erstarb. »Bald«, antwortete er vage. »Mutter steht mit ihm in Kontakt, das weißt du doch. Ich für meinen Teil möchte mich nicht allzu sehr vereinnahmen lassen.«
»Es wird dir nicht gelingen, dich aus der Sache rauszuhalten. Eines Tages wirst du Farbe bekennen müssen, im wahrsten Sinn des Wortes.« Augenscheinlich war Edward endlich satt, denn er stand auf und deutete eine Verbeugung vor Henry an. Auf ironische Weise verstand er es stets, seinem Gastgeber dessen höheren sozialen Status vor Augen zu führen, obwohl Henry ihm mehrfach versichert hatte, darauf keinen Wert zu legen.
Edward litt ganz offensichtlich darunter, auf das Wohlwollen der Sheldrakes angewiesen zu sein. Nichts verletzte seinen Stolz mehr als die Gewissheit, ein Schmarotzerdasein auf Morannis Castle zu fristen, und wie um sich selbst zu demütigen, tat er ab und an ein wenig unterwürfig, um diesen Umstand nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nicht dass Lady Mildred ihm nicht sowieso gern bei jeder Gelegenheit vor Augen führte, wie großzügig Henry und wie unbedeutsam Edward war.
Jedenfalls reichte es nicht, dass Henry wieder und wieder betonte, wie sehr er Edwards Loyalität schätzte, sein Freund wurde langsam bitter, und es würde sich wohl über kurz oder lang ein Ende ihrer gemeinsamen Zeit abzeichnen. Edward wollte eigene Wege beschreiten. Aber dazu musste er diese erst einmal finden.
Nachdenklich blickte Henry ihm hinterher, als er aus dem Raum schlenderte. Wahrscheinlich würde er ausreiten, auf die Jagd gehen oder die Dorfwirtschaft mit einem Besuch beehren. Fast beneidete ihn Henry um diesen Müßiggang. Denn schon nahm er den Schatten seiner Mutter hinter dem Wandteppich wahr, der einen kleinen Zugang zu den Privatgemächern verbarg.
»Ist es wirklich so eilig, Mutter? Ich weiß, dass der Baron bereits angekommen ist, aber er wird doch sicherlich warten können, bis ich mein Morgenmahl beendet habe.«
Mildred trat neben ihn. »Natürlich. Ich hatte vorhin nur nicht den Eindruck, als wärst du besonders hungrig. Lass dir ruhig Zeit. Wenn du so weit bist, erwarten wir dich in meinen Räumen.« Sie verschwand ebenso leise, wie sie gekommen war.
Für ein paar Minuten spielte Henry mit dem Messer, anstatt sich etwas vom Braten abzuschneiden. Er hatte wirklich keinen Appetit. Aber schon um die Machtverhältnisse klarzustellen, würde er sie warten lassen, statt seiner Mutter wie ein Hündchen zu folgen. Seufzend warf er das Messer auf seinen Zinnteller, winkte dem Diener, damit dieser ihm Dünnbier eingoss, und trank das unerfreuliche Gebräu mit wenig Begeisterung.
Wie viel besser doch der Wein vom Kontinent schmeckte. Es war jammerschade, dass die Trauben hier in England nicht zu seiner Herstellung taugten und stattdessen Ale in Hülle und Fülle produziert wurde. Er nahm sich vor, reichlich von dem französischen Rotwein nachzubestellen, den Edward empfohlen hatte. Der war zwar teuer, aber wenigstens bekam man davon kein Sodbrennen.
»Was für eine Freude, dass Ihr Euch zu uns gesellt, Mylord«, begrüßte ihn der Baron mit gewohntem Charme, für den Mildred so wesentlich empfänglicher war als Henry. Trotzdem lächelte er höflich zurück und setzte sich auf einen der gepolsterten Hocker in den Erker, in dem der Baron und seine Mutter sich bereits niedergelassen hatten. Wie immer bei seinen Besuchen war keinerlei Personal anwesend und sämtliche Türen der Kemenate waren geschlossen.
Das Zimmer der Burgherrin war großzügig geschnitten, mit zwei Kaminen ausgestattet und bot nicht nur einen atemberaubenden Blick über die Landschaft, sondern beheimatete zudem die prächtigsten Möbel von Morannis Castle. Auf dem Holzboden lagen Teppiche und Felle und die Wände schmückten Gobelins mit opulenten Jagdszenen. Mildreds Schlafgemach lag direkt nebenan.
»Die Lage spitzt sich zu, Henry«, teilte ihm seine Mutter ohne Umschweife mit. »Der Baron berichtete soeben davon, dass dieser walisische Lümmel mittlerweile nicht mehr nur die Unterstützung der unseligen Lancasters hat, sondern sich auch noch beim französischen König die Mittel für eine Invasion Englands erschleichen will. Was das bedeutet, muss ich dir nicht erklären.«
Der belehrende Ton, in dem sie den letzten Satz sagte, stieß Henry übel auf. Es war eindeutig nicht der passende, um mit dem Earl of Sheldrake zu sprechen, schon gar nicht vor Fremden. In ihrem Hass auf das Haus Lancaster war Mildred wohl nicht klar, wie anmaßend sie sich anhörte. Dem Baron dafür umso mehr. Er kniff seine seltsam schlaffen Lippen zusammen und blickte über die breite Nase listig zwischen Henry und seiner Mutter hin und her. Ganz eindeutig ging er davon aus, dass Mildred auf Morannis Castle die Hosen anhatte.
»Liebe Mutter«, begann Henry in sanftem Ton. »Gewiss betrachtest du den Baron aufgrund eurer langjährigen und – wie ich wohl weiß – sehr intimen Freundschaft mittlerweile als Mitglied der Familie, wenn du dir gestattest, dich vor seinen Ohren auf diese unangemessene Weise an mich zu wenden.«
Mit Genugtuung beobachtete er, wie nicht nur Mildred blass wurde, sondern auch der Baron. Diesen Trumpf hatte Henry sich nämlich bisher aufgespart. Schon länger wusste er von ihrem Verhältnis. Er duldete es, obwohl er den älteren Herrn nicht leiden konnte. Falls die beiden geglaubt hatten, ihre heimlichen Schäferstündchen wären unentdeckt geblieben, hatten sie sich nun eines Besseren belehren lassen müssen.
»Dennoch brauche ich keine Lektion in Politik von dir«, fuhr er fort. »Falls das aktuelle Geschehen dich derartig aufregt, lege ich dir nahe, von deinen Ränkespielen Abstand zu nehmen.«
»Ränkespiele?« Schlagartig wechselte Mildreds Gesichtsfarbe von blass auf rot.
Sie hätte sicher noch mehr sagen wollen, aber der Baron fiel ihr ins Wort: »Lord Blackford, durch die Unterstützung Ihrer Mutter konnte das Haus York unglaubliche Fortschritte erringen …«
»Ihr meint wohl, durch das Vermögen meines verstorbenen Vaters, das sie so reichlich für Scharmützel und dergleichen zur Verfügung stellt.«
»Die Großzügigkeit Lady Mildreds ist ein Segen für unsere Sache.«
»Unsere Sache?«
»Ja, Henry, unsere Sache!«, meldete sich seine Mutter nun wieder zu Wort. »Der rechtmäßige König sitzt auf dem Thron, das Haus York regiert England. Es kann nicht angehen, dass ein walisischer Landadeliger ihm die Krone streitig macht.«
Ein sarkastisches Lächeln huschte über Henrys Gesicht. »Wo kämen wir denn da hin? Da ist es uns schon lieber, dass Richard seine eigenen Neffen ermorden ließ, um sich die Krone aufzusetzen, nicht wahr?«
Nun rutschte der Baron unbehaglich auf seinem Platz hin und her. »So eine Behauptung wäre Hochverrat, Mylord, eine Lüge obendrein. Ich habe sie nicht gehört.«
»Edward war unser rechtmäßiger König, und nach ihm wäre es sein Sohn gewesen. Entspricht es Euren Vorstellungen von Ritterlichkeit, dass Richard die Kinder seines Bruders zu Bastarden erklären ließ, um den Thron zu rauben? Und weil es damit anscheinend nicht genug war, verschwanden seine beiden Neffen spurlos.«
»Die Prinzen halten sich zu ihrer eigenen Sicherheit im Tower auf.«
»Seit zwei Jahren hat niemand etwas von ihnen gehört oder sie gesehen. Falls sie sich noch immer dort befinden, wo ihr Onkel sie festsetzen ließ, dann mittlerweile bestimmt in irgendeinem versteckten Grab.«
»Henry!« Seine Mutter sprang auf und rang die Hände. »Du redest dich um Kopf und Kragen! Wenn jemand diese verräterischen …«
»Wer sollte von meinen Äußerungen erfahren? Ist es nicht Sinn und Zweck dieser Treffen, dass sie geheim ablaufen? Dass niemand die wahre Identität des Barons kennt oder davon erfährt, welche Intrigen hier gesponnen werden?«
»Soll das heißen, Ihr steht nicht mehr hinter unserer Sache?« Die Stimme des Barons klang alarmiert.
Mit einem Seufzen fuhr Henry sich mit beiden Händen durchs Haar. »Natürlich unterstütze ich das Haus York nach wie vor, ist es doch das Haus meiner Familie und Ahnen. Ich bin nur des Ränkeschmiedens müde, des Planens, des Lügens und des Kämpfens. Es muss doch irgendwann ein Ende haben?«
Beschwichtigend trat Mildred neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schulter. »Wir haben es fast geschafft, mein Sohn. Aber erst wenn Richard fest auf seinem Thron sitzt und niemand ihm mehr die Königswürde streitig macht, kann wirklich Frieden in England einkehren. Das Letzte, was das Land jetzt braucht, ist ein weiterer Krieg.«
»Da sind wir uns dann ausnahmsweise einig.«
Mit sichtlicher Erleichterung nickten Mildred und der Baron.
»Henry Tudor ist seit vierzehn Jahren im Exil in Frankreich. Sein Anspruch auf den Thron ist lächerlich, er ist der Enkel eines Höflings und einer Königswitwe. Aber wenn ihm die Franzosen eine Armee bezahlen, wird er versuchen in England einzumarschieren.«
Bei dieser Mutmaßung sahen sowohl Mildred als auch der Baron so ehrlich empört drein, dass Henry nicht anders konnte, als einen weiteren Einwand zu bringen. »Er ist der Einzige noch lebende männliche Nachfahre aus dem Haus Lancaster«, gab er zu bedenken.
Hier setzte wiederum der Baron ein. Sein lang gezogenes, für sein Alter über die Maßen faltiges Gesicht – er neigte unübersehbar zu Hängebäckchen – wackelte vor Aufregung, als er lautstark einwarf: »Eben! Darum geht es, Mylord. Gut erkannt. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass dieser Tudor nach der Krone greift. Große Maßnahmen sind erforderlich …«
»… die finanzielle Opfer erfordern«, schloss Henry. »Das dachte ich mir. Warum wärt Ihr sonst heute hier erschienen.«
Erwartungsvoll blickten ihn zwei Augenpaare an.
»Wie Ihr wisst, führte meine Mutter die Geschäfte auf Morannis Castle als mein Vater krank war. Und auch noch kurz nach seinem Tod. Nun habe ich mich mit allem vertraut gemacht, und es ist nicht mehr notwendig, dass Lady Mildred sich mit Männerangelegenheiten beschäftigt. Daher ist sie nicht mehr Euere Ansprechpartnerin, wenn es darum geht, Mittel aus dem Haus Sheldrake zu erhalten. Sicherlich wird es Euch freuen, dass ab sofort Euer Kontakt zu meiner Mutter rein persönlicher Natur sein kann, ohne lästige Geldschiebereien. Schließlich soll niemand den Eindruck bekommen, Ihr würdet das Bett meiner Mutter nur wegen ihres Vermögens aufsuchen, nicht wahr?«
Mildred runzelte die Stirn. Sie ahnte wohl, welche Wendung das Gespräch nehmen würde – eine, die ihr nicht gefiel.
»Daher bitte ich dich, Mutter, so großzügig zu sein, uns deine Räume für eine Unterhaltung unter vier Augen zur Verfügung zu stellen.«
Nach einem Moment unangenehmer Stille ging Mildred schließlich hinaus. Allerdings erst, als der Baron ihr dies durch ein Kopfnicken signalisiert hatte. Der ältere Herr wiederum war zu sehr Diplomat, um sich zu einer Kritik an Henrys Verhalten hinreißen zu lassen. Immerhin stand die finanzielle Unterstützung der Yorkisten auf dem Spiel.
Henry ließ sich haarklein erklären, was der Baron wollte, wie viel und warum. Er hatte einige Fragen dazu. Dann bot er sich Bedenkzeit aus und beendete das Gespräch. Über das, was er soeben erfahren hatte, musste er in Ruhe nachdenken. So impulsiv, wie er oft sein konnte, war Henry Sheldrake ein besonnener Mann, wenn es darum ging, Allianzen einzugehen oder sie zu beenden.