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Kämpfende Faune

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(Franz von Stuck, 1889, Öl auf Leinwand, 86x149cm, Neue Pinakothek, München)

»Am besten ist es, wir teilen uns heute auf, Schmitz«, bestimmte Kommissar Bruns. »Ich fahre nach Kampen und befrage Carsten Janssen und Sie schauen in den Weinkeller des Pemba, Hans Strecker weiß Bescheid, dass Sie kommen. Die SpuSi ist schon fertig, aber durchsuchen Sie noch mal jeden Winkel, möglichst ohne dass die Gäste was mitbekommen.«

»Okay, Chef. Wonach suche ich denn?«

Bruns räusperte sich und schloss die Bürotür. Draußen reckten sich ein paar neugierige Köpfe, wie immer, wenn er seine Tür zuzog.

»Nach einer Schlange.«

»Wie bitte?« Schmitz’ ohnehin schon große Augen weiteten sich auf Untertassengröße.

»Genauer gesagt nach einer Würgeschlange, meint Doktor Petersen. Die hat nämlich unser Mordopfer unmittelbar vor seinem Tod gebissen.«

Schmitz schluckte. »Als Mörder kommt die aber nicht infrage, oder?«

»Nein, dafür stimmen die Würgemale am Hals nicht. Die wurden eindeutig von zwei Händen verursacht.«

»Also ehrlich, ich bin nicht gerade Reptilienfreund.«

»Jetzt machen Sie sich mal nicht ins Hemd, Schmitz. Das Tier ist wahrscheinlich tot.«

»Sicher?« Der Polizeihauptmeister wurde rot.

»Nein, das habe ich nur gesagt, um Sie zu beruhigen. Aber selbst falls sie noch lebt, ist sie bestimmt bedröppelt bei den kalten Temperaturen im Weinkeller und wird nicht besonders fix sein. Also frisch ans Werk. Herrn Strecker ist auch daran gelegen, dass kein Tier in seinem Keller rumliegt, tot oder lebendig. Nehmen Sie sich eine Kühlbox aus der Pathologie mit, zum Transport.«

Wahrscheinlich verfluchte Schmitz gerade seine Berufswahl, aber es gab eben Situationen, da musste man durch. Bruns war selbst nicht besonders scharf darauf, Bekanntschaft mit einer Würgeschlange zu schließen, und hatte diese Aufgabe daher gerne delegiert.

Da war es doch viel angenehmer, einen gepflegten älteren Herrn in dessen schmucken Haus in Kampen zu befragen. Der zudem sichtlich erleichtert zu sein schien, dass der Kommissar nicht im Streifenwagen vor dem Tor parkte, sondern in einem Zivilfahrzeug.

Janssen sah keinen Tag jünger aus als seine 68 Jahre. Er hatte zwar noch üppiges Haupthaar, das war jedoch schlohweiß, ebenso wie sein breiter Schnauzbart. Mit der runden, goldgefassten Brille, Rollkragenpullover und marineblauem Jackett sah er aus wie eine Mischung aus Vorleseopa und alterndem Kapitän. Er war nicht besonders groß, verfügte aber über eine sonore Stimme, die Bruns auf Anhieb beeindruckend fand. Als Ermittler war er zwar der Neutralität verpflichtet, doch er kam nicht umhin, als Mensch Sympathie und Antipathie zu empfinden. Während der Herr Staatsanwalt für ihn ganz am unteren Ende der Beliebtheitsskala rangierte, siedelte er Carsten Janssen weiter oben an. Das konnte sich jederzeit ändern.

Janssen bat Bruns ins Wohnzimmer und bot ihm einen Platz auf einer rot-gelb karierten Landhauscouch an, dann setzte er sich ebenfalls. Gerade als der Kommissar loslegen wollte, kam eine Haushälterin herein und fragte, ob er etwas zu trinken wünschte.

»Nein, danke, aber sehr freundlich«, lehnte er ab und wartete, bis die Frau den Raum wieder verlassen hatte. »Ich möchte Sie nicht lange aufhalten, Herr Janssen, Sie können sich sicher denken, weshalb ich hier bin.«

Der ältere Herr nickte. »Wegen Alina. Eine schreckliche Tragödie. Was wollen Sie wissen?«

»Stimmt es, dass Sie beide eine Affäre hatten?«

»Nein. Es war mehr als das. Alina und ich waren ein Paar, wir waren richtig zusammen.« Er seufzte. »Ich weiß, was Ihnen jetzt durch den Kopf geht. Wohlhabender alter Mann und armes junges Mädchen, dabei kann es nur um Geld gehen. Aber so war es nicht. Nach dem Tod meiner Frau vor zwei Jahren wurde ich sehr einsam. Ich zog mich hierher zurück und badete in Selbstmitleid. Alina schenkte mir Lebensfreude. Wir lernten uns über ihren Kunstprofessor kennen und waren erst einmal nur Freunde. Vor etwa vier Monaten wurde mehr daraus. Sie war ein fröhlicher, energiegeladener Mensch und so talentiert.« Er nahm die Brille ab, zog ein Stofftaschentuch aus der Jackentasche und betupfte damit seine Augen. »Am Ende des Sommersemesters wollte sie bei mir einziehen.«

Überrascht blickte Bruns von seinem Notizblock auf. »Tatsächlich? Was hat Ihre Tochter dazu gesagt?«

»Dass diese Abzockerin niemals auch nur einen Fuß in unser Haus gesetzt hätte!«, ertönte eine wütende Stimme. Bruns fuhr herum. Im Türrahmen stand eine hübsche junge Frau. Langes, honigblondes Haar mit hellen Strähnchen umrahmte ein herzförmiges Gesicht. Sie war klassisch gekleidet in Jeans, Bluse und Bootsschuhen, trug eine Perlenkette um den Hals und sicher leuchteten ihre braunen Augen normalerweise wärmer als in diesem Moment.

»Denise …« Mit einem gequälten Seufzen schüttelte Janssen den Kopf.

»Nein, Papa, du hast es nie sehen wollen, aber Alina war nur auf dein Geld aus, das war alles, was sie interessierte.« Und an Bruns gewandt sagte sie: »Ich bin Denise Janssen und kannte Alina Roth von der Uni.«

»Studieren Sie auch Kunst?«

»Betriebswirtschaft. Doch wir liefen uns gelegentlich über den Weg. In Hamburg war Alina für zwei Sachen bekannt – sie konnte gut malen und hart feiern. Und damit meine ich richtig hart. Alkohol, Drogen, Sex, sie sagte zu nichts und niemandem nein.«

»Da wäre es natürlich bedauerlich gewesen, wenn sich so jemand Ihren Vater angelt«, wagte Bruns einen Vorstoß.

»Papa ist ein herzensguter Mensch. Leider manchmal zu gutmütig. Ich hätte niemals zugelassen, dass sich Alina in meine Familie drängt. Nur über meine Leiche.«

»Oder über ihre, in diesem Fall. Praktisch für Sie, dass Frau Roth ermordet wurde.«

»Herr Kommissar!«, ging Janssen dazwischen. »Ich muss doch sehr bitten. Legen Sie meiner Tochter keine Worte in den Mund.«

Denise ging zu dem Sessel, in dem ihr Vater saß, und ließ sich auf der breiten Armlehne nieder. »Schon gut, Papa. Ich habe keine Angst vor einem kleinen Beamten. Der Kommissar macht nur seine Arbeit und wahrscheinlich ist er ein Typ, der gerne provoziert. Sonst hätte er sich einen anderen Job gesucht. Jedenfalls, ich wünsche niemandem den Tod, nicht einmal einer Hexe wie Alina Roth. Haben Sie weitere Fragen an mich?«

»Wo waren sie am Freitagabend zwischen 20 und 24 Uhr?«

Sie überlegte kurz. »Im Restaurant Rauchfang, hier in Kampen.«

»Gibt es dafür Zeugen?«

»Ja. Abgesehen vom Personal im Rauchfang können Sie Janosch Pohlmann fragen, der hat mich nämlich zum Essen eingeladen.«

Sie gab Bruns seine Telefonnummer und verabschiedete sich.

»Und Sie, Herr Janssen?«

»Alina musste im Pemba arbeiten, da ist sie nie vor zwei Uhr morgens rausgekommen. Ich war hier. Meine Haushälterin servierte mir gegen 19 Uhr das Abendessen und machte sich dann um 21 Uhr auf den Heimweg. Ich las noch ein wenig, ging früh zu Bett und habe dafür keinen Zeugen.«

»Irgendeine Idee, wer Alina Roth getötet haben könnte?«

Erneut wischte sich Janssen mit dem Taschentuch über die Augen. »Sicher ein Neider. Jemand, der so wunderschön und begabt ist, wie Alina es war, polarisiert. Haben Sie schon diese Kunststudenten vernommen, die bei Professor Kollenbosch wohnen? Ein Schlangennest ist das. Alina sagte immer, wie die um seine Gunst buhlten, wäre eklig. Die würden alles tun, um von Kollenbosch protegiert zu werden. Es ist heutzutage sehr schwierig, auf dem Kunstmarkt Fuß zu fassen, und der Professor hat viele Kontakte. Besonders eine Kirsten ist Alina ständig auf die Nerven gegangen. Da würde ich ansetzen.«

Bruns bedankte sich, sah beim Hinausgehen noch in der Küche vorbei und befragte die Haushälterin, die Janssens Angaben bezüglich Freitagabend bestätigte.

Während Bruns plauderte, hatte sich Schmitz durch den vorderen Teil des Weinkellers im Pemba gearbeitet. Es dauerte ewig, in jede der Kisten zu schauen, die Regale zu kontrollieren und alle dunklen Ecken auszuleuchten. Im Grunde war er erleichtert, noch keine Schlange gefunden zu haben. Bei dem schönen Wetter herrschte Hochbetrieb im Lokal. Draußen waren sämtliche Tische sowie Strandkörbe besetzt und auf dem Spielplatz daneben tummelten sich die Kinder der Gäste. Wie gern hätte er sich auch ein kaltes Bier bestellt und in die Sonne gesetzt. Aber nein, er blieb unterirdisch im kühlen Keller und suchte eine Riesenschlange, tot oder lebendig. Warum hatte er sich noch mal für eine Karriere bei der Polizei entschieden? Die Antwort fiel Schmitz gerade nicht ein. Seinen Großvater Santino aus Sizilien hatte beinahe der Schlag getroffen, als Mama Schmitz ihm davon erzählt hatte. Er hatte damals sogar angeboten, den Enkelsohn unter seine Fittiche zu nehmen und ihm etwas Anständiges beizubringen, damit ihm ein derartig abwegiger Beruf erspart blieb. Beim Gedanken an das Entsetzen von Nonno Santino musste Schmitz grinsen. Dann fiel sein Blick auf den Kistenstapel im nächsten Kellerabschnitt und er wurde wieder ernst. Das konnte noch Stunden dauern.

Er hörte Schritte auf der Treppe, der Lokalbesitzer schaute herein.

»Kommen Sie doch mal rauf für eine Pause. Ich mache Ihnen eine Currywurst und Sie setzen sich ein wenig in die Sonne. Wir sperren die Tür ab, dann kann das Vieh nicht abhauen, sollte es noch am Leben sein.«

Schmitz schüttelte den Kopf. »Das ist nett, Herr Strecker, aber es geht nicht. Falls ich rausgehe und das Tier versteckt sich in einem Karton, in dem ich schon nachgesehen habe, bis ich wieder zurückkomme, finde ich es nie.«

»Ich glaube, da unterstellen sie einer Schlange jetzt zu viel Grips, aber wenn Sie meinen. Jedenfalls, sobald Sie fertig sind, gibts was zu essen und zu trinken.« Damit verschwand er.

Schicksalsergeben machte sich Schmitz ans Öffnen der Weinkisten. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Hinterwand des Weinkellers in Sicht kam.

»Nur noch ein Regal«, sagte er laut, um sich zum Endspurt zu motivieren. Fünf Minuten später wusste er: Auch hier versteckte sich – nichts.

»Dann hat sich der Chef wohl getäuscht. Kommt selten vor, ist jedoch nicht unmöglich.«

Gerade als er gehen wollte, sah er neben dem Regal in einem dunklen Winkel, den die Kellerbeleuchtung kaum erreichte, eine Plastikwanne stehen, in der ein Wischmopp steckte. Die Ecke eines Putzlappens hing ebenfalls heraus. Als Single und Selberputzer fragte sich Schmitz berechtigterweise, weshalb man noch zusätzlich einen Putzlappen brauchte, wenn man einen Wischmopp hatte und warum er beides darin liegen sehen konnte, obwohl die Wanne eigentlich recht tief war.

Vorsichtig griff er nach dem Stiel des Mopps und hob ihn heraus. Den Lappen mochte er nicht anfassen. Dafür hatte er extra von daheim den Müllgreifer geholt, den ihm sein Bruder als Scherzgeschenk zum letzten Geburtstag überreicht hatte. Aus sicherer Entfernung zog er mit der Greifzange den Putzlappen weg und spähte in die Wanne.

»Ach du Scheiße«, entfuhr es ihm.

Die Schlange war tatsächlich tot, wie Bruns vermutet hatte. Ein Riesenvieh. Jemand hatte sie zusammengeknüllt, wie einen alten Gartenschlauch in den Behälter gestopft und nun, wo die Abdeckung weg war, bemerkte Schmitz, dass sie schon anfing, zu stinken. Er hoffte, dass der Greifarm stabil genug war, um das Tier damit in die Kühlbox zu befördern, berühren würde er es unter keinen Umständen.

Glücklicherweise hielt die Greifzange dem Gewicht stand, doch die Körperfülle der Schlange sprengte beinahe die Ausmaße der Box. Nachdem er sie mehr schlecht als recht verstaut hatte, ging Schmitz hinaus, sperrte die Kellertür gewissenhaft ab und suchte Herrn Strecker.

»So blass, wie Sie um die Nase sind, haben Sie das Viech gefunden. Isses wenigstens tot?« Schmitz nickte. »Na dann kommen Sie mal mit. Ich hab Ihnen einen Platz an der Hauswand in der Sonne reserviert. Da wärmen Sie sich auf und ich bringe Ihnen erst mal einen Schnaps.«

»Aber Kommissar Bruns sagte …«

»Ach was. Auf eine halbe Stunde hin oder her kommt es nicht an, das Tier ist doch schon hinüber. Mittagspause hatten Sie auch keine. Also, mein Junge: Hunger?«

»Sie haben da Currysoße am Kinn«, lautete Bruns‘ Begrüßung später auf dem Kommissariat.

Schmitz drückte ihm wortlos die schwere Kühlbox in die Hand. Damit gingen sie gemeinsam zu Doktor Petersen.

»Boa constrictor«, lautete dessen Urteil, als er den Deckel aufklappte. »Abgottschlange, auch Königsboa genannt. Hätten Sie sie nicht ein wenig ordentlicher in die Kiste schichten können?«

Ohne zu antworten, warf Schmitz dem Pathologen einen finsteren Blick zu und beobachtete ihn schaudernd dabei, wie er das Tier herausnahm.

»Sehen Sie nur die prächtige Färbung und die dunklen Sattelflecken. Wirklich eine Schönheit. Leider hat ihr jemand den Schädel eingeschlagen. Aber die Zähne sind noch in Ordnung. Ich nehme einen Abstrich und schicke ihn ins Labor.«

Bruns verschränkte die Arme vor dem Körper und Schmitz vermutete, dass auch er kein Schlangenfan war, obwohl er seinen neutralen Gesichtsausdruck selbstverständlich unter Kontrolle hatte.

»Wenn Sie meinen. Für mich besteht zwar kein Zweifel daran, dass das die einzige für Alina Roths Bisswunde infrage kommende Schlange ist, aber gut, Dienst nach Vorschrift, das verstehe ich. Kommen Sie, Schmitz. Wie es aussieht, haben Sie schon Pause gemacht, trotzdem gebe ich ‘nen Kaffee aus und erzähle Ihnen, was bei Familie Janssen rausgekommen ist.«

Sylter Sündenfall / Sylter Drachenstich

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