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Der Kampf um die Frau

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(Franz von Stuck, 1905, Öl auf Holz, 117x90cm, Hermitage, St. Petersburg)

Der Ausblick von der Terrasse des Fährhauses Sylt auf den kleinen Hafen von Munkmarsch war wie Urlaub für Hetties Augen. Hier hätte sie ewig sitzen mögen. Vor ihr lagen das Wattenmeer, flaches Marschland, Wiesen, reetgedeckte Häuser, Boote am Anleger und die nostalgisch anmutende Holzveranda des Hotels bot Schutz vor Wind und Wetter, während man im Freien saß. Sie kuschelte sich in ihren Poncho und atmete tief durch. Mit einer winzigen Silberzange gab sie ein paar Stücke Kandis in ihren Tee und rührte mit liebevoller Hingabe um.

»So wie du die Tasse anlächelst, da könnte ich fast eifersüchtig werden.« Die Stimme von Carl Decimus brach in Hetties Gedanken ein. »Wollen wir nicht auf etwas Substanzielleres umsteigen? Ein Gläschen Ruinart? Oder einen schönen Riesling? Ich glaube, mich zu erinnern, dass du Riesling schon immer mochtest.«

Hettie nickte zustimmend. Sie schämte sich ein wenig dafür, dass sie dem Treffen mit Carl Decimus eher genervt entgegengeblickt hatte. Denn bisher hatte er sich flirttechnisch sehr zurückgenommen. Sie musste zugeben, dass es angenehm war, mit ihm hier in der Nachmittagssonne zu sitzen. Obwohl weit weg von zu Hause, vermittelte ihr seine Anwesenheit eine gewisse Geborgenheit. Sie kannten einander in- und auswendig, waren zusammen aufgewachsen, gemeinsam im Internat gewesen, wo sie Höhen und Tiefen durchlebt hatten, und nun, viele Jahre später, hatten sie sich noch immer etwas zu sagen. Es wurde nicht langweilig mit ihrem Cousin. Mochte er auch teilweise borniert sein und es mit seinem Styling übertreiben – er war Familie. Beide Kritikpunkte schienen zudem in derselben zu liegen, Hettie dachte da an ihre Mutter …

»Warum hast du eigentlich nie wieder geheiratet, Dezi?«, fragte sie ihn unvermittelt. Seine Frau Katharina war vor zwanzig Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Carl Decimus hatte den einzigen Sohn allein aufgezogen, mithilfe von Kindermädchen, versteht sich.

Er schien nicht überrascht von dieser Frage. Nachdenklich zuckte er die Schultern. »Es hat sich einfach nicht ergeben. Ich habe Katharina sehr geliebt, weißt du. Ich wollte mich nicht an jemanden binden, für den ich nicht ebenso viel empfinde.« Er zwinkerte Hettie zu. »Und du hast mir ja schon im Internat einen Korb gegeben.«

Sie lachte. »Darüber solltest du froh sein. Fritz sagte immer, er kennt niemanden, mit dem das Zusammenleben derartig anstrengend ist wie mit mir.«

»Das halte ich für nicht zutreffend.«

»Ich ebenfalls. Aber so hat er es wohl empfunden. Wir haben überhaupt nicht zusammengepasst.«

Er nahm ihre Hand und drückte sie kurz. »Dafür hast du es lang mit ihm ausgehalten. Ihr habt tolle Kinder, also müsst ihr etwas richtig gemacht haben. Und jetzt«, er sah hinaus aufs Meer, »sitzen wir beide an diesem angenehmen Ort und genießen die Aussicht. Frei wie zwei Möwen.«

Sie prosteten einander mit dem Wein zu, der eben gebracht worden war, und Hettie schlang den Poncho ein wenig fester um ihre Schultern.

»Was ich dich fragen wollte – wie gut verstehst du dich mit Roger Theissen, nachdem ihr nicht mehr zusammen Tennis spielt?«

»Abgesehen davon, dass er mich als Schirmherr für seine Kunstfreunde Sylt haben wollte und ich dankend abgelehnt habe, nicht wirklich gut. Wenn wir uns begegnen, grüßen wir uns freundlich und halten ein kurzes Schwätzchen. Meine persönliche Meinung hatte ich dir ja schon gesagt: Er ist ein komischer Vogel. Sein Aussehen passt irgendwie nicht zu seinem Wesen.«

Hettie nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Er tut sehr vornehm und glatt. Sein Haus ist heimelig eingerichtet, das hätte ich ihm nicht zugetraut. Maike Theissen scheint eher der griesgrämige Typ Frau zu sein. Weißt du, ich könnte mir vorstellen, dass Roger Theissen jede Gelegenheit wahrnimmt, um seinem Zuhause zu entfliehen, da kann es noch so gemütlich gestaltet sein. Solange Maike drinsitzt, betreibt er Nestflucht. Dafür spricht auch, was das Ehepaar Harmsen mir erzählt hat: Theissen sei oft spät nachts in seinem Büro in der Stiftung zugange.«

»Störe ich?« Thevs hochgewachsene Gestalt tauchte neben Hettie auf und sie fuhr erschrocken zusammen.

»Meine Güte, Thevs, Sie sind ja lautlos wie ein Ninja.«

Er grinste. »Ist bei meinem Job immer wieder eine praktische Eigenschaft.«

»Nein, Sie stören nicht. Setzen Sie sich zu uns. Möchten Sie auch ein Glas Wein?«

Für seinen Ausflug nach Hamburg hatte Thevs sich augenscheinlich schick gemacht. Statt der ausgebeulten Lederjacke trug er Hemd und Jackett, was ihn gleich weit weniger verwegen aussehen ließ. Natürlich gab es noch immer die verblassten Narben in seinem Gesicht, die ihm einen Hauch von Abenteurer verpassten. Einen Schreibtischhengst würde er nie glaubhaft darstellen können, aber das machte in Hetties Augen seinen besonderen, rauen Charme aus.

»Warum nicht? Was trinken Sie für einen? Ach egal, ich nehme denselben. Wenn Sie ihn gut finden, schmeckt er mir sicher ebenfalls.«

»Woher wussten Sie eigentlich, wo ich bin?«

Er grinste. »Ist mein Job.«

»Ja, nun«, mischte sich Carl Decimus ein, »weshalb beehren Sie uns denn mit Ihrer Anwesenheit?«

Kurz skizzierte Thevs seinen Tag in Hamburg. »Ein stilles Wasser, diese Alina Roth, was?«

»Nicht wirklich still«, bemerkte Carl Decimus. »Aber voller Überraschungen, wie eine Wundertüte. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie sich zahlreichen Schönheitsoperationen unterzogen hat, wie ich es dem Autopsiebericht entnehmen konnte.«

Thevs trank einen Schluck Wein, nickte anerkennend und stellte das Glas ab. »Das würde zum Beispiel die vielen Blutergüsse im Gesicht erklären, welche die Vermieterin erwähnt hat. Alina war kein Opfer häuslicher Gewalt, sondern chirurgischer.«

»Hm.« Hettie kam ein Gedanke, den sie ansprechen musste. »Steht Alinas verändertes Äußeres im Zusammenhang mit meinem Ölgemälde? Ließ sie sich vielleicht gezielt so umoperieren, um auszusehen wie eine Muse von Stucks?«

Die beiden Männer schwiegen einen Moment.

»Frau Roth hatte das Bild doch noch nie gesehen«, erwiderte Carl Decimus als Erstes. »Dein Mann hat es kurz vor seinem Verschwinden gekauft und danach wurde es von dir unter Verschluss gehalten. Die einzige Möglichkeit, die erklären würde, weshalb Alina Roth aussieht wie eine unbekannte Version der Sünde, ist, wie soll ich es sagen …«

»Dass sie dafür Modell stand und die ganze Chose ‘ne Fälschung ist.« Wie Thevs das in seiner nordisch-direkten Art auf den Punkt brachte, verschlug Hettie die Sprache. Sie klappte den Mund auf und wieder zu. Beflissen reichte ihr Carl Decimus das Weinglas, aber sie hob abwehrend die Hand.

»Nein. Es muss eine andere Erklärung dafür geben. Immerhin habe ich ein Zertifikat, das die Echtheit des Bildes bestätigt.«

»Niemand ist unfehlbar. Auch Gutachter können irren, gewollt oder ungewollt.«

»Ihr seid abscheulich. Alle beide.«

»Frau Schimmelreiter, machen wir uns nichts vor. Wenn das Mordopfer die Frau auf dem Gemälde ist, kann es nicht vor über hundert Jahren entstanden sein, sondern – und jetzt macht sich bezahlt, dass ich die Vermieterin gefragt habe, wann Alina erstmalig einen Verband im Gesicht hatte, an der Nase übrigens – irgendwann vor maximal drei bis vier Jahren. Frühestens also zu der Zeit, in der sie gerade angefangen hatte, Kunst zu studieren, wahrscheinlich erst später.«

Nun trank Hettie doch ihren Wein und leerte ihr Glas in einem Zug. Die beiden hatten ja recht und es nutzte nichts, sich was vorzumachen. Es wäre zu schön gewesen, wenn Fritz, der König der Blender, ein einziges Mal etwas ohne Tricks zuwege gebracht hätte. Aber nein, alles, was ihn betraf, war eine Täuschung, bis hin zur großen Enttäuschung, der Entzauberung, dem Tag seines Verschwindens. Mittlerweile würde sich Hettie nicht einmal mehr wundern, wenn Friedrich Schimmelreiter nicht sein richtiger Name gewesen wäre, sondern irgendein Scherzname, den er sich in einer Bierlaune hatte einfallen lassen. Irgendwas Blödes, das die Leute sich leicht merken konnten. Ein Eisbrecher, über den man schnell ins Gespräch kommt. Es würde zu ihm passen.

»Ich will aber trotzdem wissen, wer es geklaut hat«, sagte sie dumpf.

»Selbstredend, Hettie, Liebes.« Beinah väterlich tätschelte Carl Decimus ihre Schulter.

Sie atmete tief durch. »Dann werde ich als Nächstes dem ominösen Herrn Theissen mehr auf den Zahn fühlen. Denn dass der nicht astrein ist, das werdet ihr wohl nicht bestreiten.«

Carl und Thevs nickten zustimmend.

»Ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr bringst«, beharrte ihr Cousin. »Immerhin geht es nicht nur um Diebstahl, sondern auch um Mord, und der Polizei dürft ihr ebenfalls nicht ins Handwerk pfuschen, ja? Sprecht euch einfach mit Bruns ab und Sie …«

»Ich werde Frau Schimmelreiter nicht aus den Augen lassen«, versprach Thevs. Woraufhin ihm der Staatsanwalt einen Blick zuwarf, in dem eindeutig die Verunsicherung darüber stand, wie das wohl gemeint sein könnte.

Hettie beschloss, sich zu verabschieden.

»Ich fahre jetzt erst mal heim und denke nach«, sagte sie. »Danach rufe ich Sie an, Thevs, und wir besprechen das weitere Vorgehen.«

Sylter Sündenfall / Sylter Drachenstich

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