Читать книгу Inner Circle - Wie Eis und Asche - Sophie Oliver - Страница 10
6.
ОглавлениеCheryl war noch nie in einem Bordell gewesen. Sie hatte sich noch nie auf anrüchiges Terrain begeben. Zwar wusste sie um das Gerücht, sie hätte früher für einen Eskort-Service gearbeitet, doch entsprach das nicht der Wahrheit. Die Tatsache, dass sie einmal ein Mann gewesen war, verlieh ihr in den Augen der Menschen anscheinend etwas Verruchtes – aber tief in ihrem Inneren war Cheryl Carter stockkonservativ. Wahrscheinlich strebte sie aus diesem Grund nach Anerkennung und finanzieller Unabhängigkeit. In Situationen wie der momentanen fühlte sie sich durch und durch unwohl. Obwohl ihr die Anwesenheit von Juri Ashkani und seinen Bodyguards eine gewisse Sicherheit vorgaukelte, wusste sie, sie befanden sich auf feindlichem Gelände. Ihr wäre es lieber gewesen, sie hätte bei diesem Termin nicht dabei sein müssen, aber Juri hatte darauf bestanden.
Madame Adea erwartete sie. Klischeetypisch thronte sie hinter einem riesigen Schreibtisch. Im Raum herrschte schummriges Licht, und der Mann, der sie hereingeführt hatte, sah aus, als ob seine Nase schon mehr als einmal gebrochen gewesen wäre. Selbst Madame Adeas osteuropäischer Akzent hörte sich erwartungsgemäß kehlig an. Wäre die Lage nicht so angespannt gewesen, hätte sich Cheryl wie an einem Filmset gefühlt.
»Was kann ich für Sie tun, Mr Ashkani?«, fragte Madame Adea, nachdem sie Platz genommen hatten.
Ohne sich mit Höflichkeiten aufzuhalten, fiel dieser mit der Tür ins Haus. »Ich habe Ihre Nutten aus dem Inner Circle verwiesen und möchte, dass sie sich künftig fernhalten. Weder sind sie auf meinen Veranstaltungen willkommen, noch dürfen sie meine Mitglieder weiterhin durch E-Mails belästigen.«
Ein Lächeln machte sich auf Madame Adeas Gesicht breit. Es verzerrte ihren beerenroten Lippenstift zu einer schmalen Linie und schaffte es nur ganz minimal, die Mundwinkel anzuheben. Cheryl überlegte, ob das die Farbe Cranberry Cream von Elizabeth Arden sein könnte. Auf jeden Fall passte sie perfekt zu Madame Adeas dunklen Locken und ihrem gebräunten Teint. Sie konnte das Alter der Frau nur schwer schätzen. Wahrscheinlich lag es irgendwo zwischen fünfundfünfzig und sechzig. Aber dank nur dezent augenfälligen Erhaltungsmaßnahmen wirkte sie deutlich jünger. Lediglich die Haut ihrer Hände verriet ihr wahres Alter.
»Von Belästigung kann keine Rede sein. Jede einzelne der Mails, die meine Mädchen ihren Mitgliedern sendeten, endete in einem … nennen wir es ›erfolgreichen Geschäftsabschluss‹.«
»Das ist nicht wahr.«
Nun wurde das Lächeln breiter. Jedoch nicht wärmer. »Ich habe keinen Grund, Sie zu belügen, Mr Ashkani. Überdies hatte ich nicht vor, Sie zu verärgern. Für mich arbeiten die schönsten Mädchen der Welt. Es war ein bedauerlicher Fehler einiger weniger Anfängerinnen, unangenehm im Inner Circle aufzufallen. Dafür entschuldige ich mich in aller Form bei Ihnen. Dieses Verhalten entspricht nicht der Professionalität unseres Hauses. Die betreffenden Mädchen hatten bereits die Konsequenzen zu tragen.« Sie öffnete eine Silberdose, die vor ihr auf dem Schreibtisch stand, und nahm eine Zigarre heraus. »Kubanische«, sagte sie. »Möchten Sie?«
Zu Cheryls großer Überraschung nahm Juri tatsächlich an. Nachdem sie ihm Feuer gereicht hatte, fuhr Madame Adea fort: »Aber wenn man bedenkt, dass sogar diese Anfängerinnen eine Erfolgsquote von hundert Prozent hatten, kann man sich vorstellen, wie viel Geld erfahrenes Personal im Inner Circle verdienen könnte. Geld, Mr Ashkani, von dem Sie selbstverständlich eine großzügige Provision erhalten würden.«
Cheryl schnappte nach Luft, aber Juri hinderte sie am Sprechen. Er zog nachdenklich an seiner Zigarre und stieß den Rauch aus. »Um es klar zu sagen, Sie schlagen mir vor, mich finanziell an Kuppelei in meinem Unternehmen zu beteiligen?«
»Das sollte Sie nicht schockieren! Wir sind überall. Sie würden sich wundern, wer unsere Dienste in Anspruch nimmt. Politiker, Manager, sogar Kirchenmänner.«
»Ich bin nicht schockiert. Auch nicht verwundert. Ich denke nur gerade über das Risiko nach, welches ich eingehen würde. Und wie hoch meine Vergütung ausfallen müsste, damit ich es eingehen wollte.«
Während die beiden darüber feilschten, rang Cheryl um Fassung. So etwas hätte es unter Jamie Harkdale niemals gegeben! Wie hatte sie nur auf Juri hereinfallen können? Er war keinen Deut besser als diese Unterwelt-Puffmutter. Er war kein Geschäftsmann, sondern ein Zuhälter. Weshalb hatte er sie heute mitgenommen? Sie wollte von seinen schmutzigen Geschäften nichts wissen. Aber nun war es zu spät, sie, Cheryl Carter, war Mitwisserin und begab sich zwangsweise auf gefährliches Terrain. Die Summe, die für Ashkani abfallen würde, musste so groß sein, dass er das Risiko einer Entdeckung auf sich nahm. Nicht auszudenken, wenn herauskommen würde, was unter Billigung der Geschäftsführung im Club ablief. Das wäre das Ende.
Später, als Cheryl diese Bedenken in seinem Rolls-Royce äußerte, meinte Juri nonchalant: »Ein ziemlich heißes Eisen, das Ganze. Aber wir werden nicht auffliegen, keine Sorge. Deshalb war es mir wichtig, dass Sie heute dabei waren. Vier Augen sehen mehr als zwei. Und vier Ohren hören mehr als zwei. Wir müssen gut zusammenarbeiten, damit wir von den Albanern nicht über den Tisch gezogen werden. Wie ich bereits sagte, mit denen ist nicht zu spaßen.«
»Bekommen Sie Ihren Hals eigentlich nie voll, Mr Ashkani?«, hörte Cheryl sich zu ihrem eigenen Entsetzen sagen. »Ich meine, Sie sind doch schon wahnsinnig reich. Müssen Sie da auch noch zum Kuppler werden?«
Sicher war dies das Ende ihrer Zusammenarbeit. Wahrscheinlich würde er sie jetzt und hier aus seinem Wagen und dem Inner Circle werfen. Zu Cheryls grenzenloser Überraschung schenkte er ihr jedoch einen Blick, in dem zum ersten Mal, seitdem sie für ihn arbeitete, Anerkennung lag. »Sieh an, sieh an, Miss Carter. Ich fragte mich schon, was wohl nötig wäre, damit Sie mal Rückgrat zeigen.«
Er versicherte sich, dass die Trennscheibe zum Chauffeur tatsächlich komplett hochgefahren war und dieser ihr Gespräch nicht belauschen konnte. »Dann will ich Sie nun in meine Pläne einweihen. Wir haben es hier mit extrem gewaltbereiten Individuen zu tun. Es ist nicht ratsam, sie vor den Kopf zu stoßen, solange nicht sichergestellt ist, dass man dies überlebt. Auch Ihnen dürfte klar sein, dass Prostitution nur der erste Schritt für Madame Adea ist, der Türöffner. Das eigentliche Geld wird mit Drogen verdient. Was denken Sie, wie lange es dauern würde, bis Madame Adeas Nutten unsere Mitglieder mit Kokain versorgen? Mit Pillen, Heroin, Crystal Meth oder was es sonst noch gibt. Und dann würde sie sicherlich ganz genau darüber Buch führen, wer bei ihr kauft. Bis wir uns versehen, hätte sie alle in der Hand. Mir ist es völlig egal, ob sich die Leute zudröhnen, und auch, womit. Und mir ist es ebenso egal, ob sie ihre Ehefrauen betrügen. Doch ich werde es auf keinen Fall gestatten, dass eine dahergelaufene Kriminelle mir den Inner Circle kaputt macht!«
»Aber ich dachte …«
»Sie dachten tatsächlich, ich würde mich auf ihr Angebot einlassen?«
»Sicher – Sie kamen ziemlich glaubwürdig rüber, wie Sie so mit der Zigarre herumwedelten und Verhandlungen führten!«
»Ausgezeichnet. Wenn Sie mir mein geheucheltes Interesse abgenommen haben, dann Madame Adea hoffentlich auch. Solange ich nicht weiß, wie stark meine Gegnerin ist, werde ich ihr Spiel mitspielen. Erst wenn ich mir sicher bin zu gewinnen, werde ich agieren. Haben Sie das verstanden, Cheryl?«
Sie nickte.
»Und wenn Sie mich jemals wieder so respektlos angehen wie gerade eben, sind Sie I hren Job los. Bis dahin hoffe ich, dass die Fronten zwischen uns geklärt sind und wir uns voll und ganz dem Inner Circle widmen können. Immerhin müssen wir ein paar Ratten vertreiben.«