Читать книгу Inner Circle - Wie Eis und Asche - Sophie Oliver - Страница 8
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ОглавлениеNIC schlug ein wie eine Bombe. Obwohl Anne Janus PR vor Jahren aufgegeben hatte, verfügte sie noch immer über ihr Adressbuch, und zusammen mit Jamies weit verzweigten Kontakten war es ein Leichtes gewesen, jene Leute zu informieren, die man ansprechen wollte.
Der Next Inner Circle, genannt NIC, stellte alles vorher Dagewesene – sogar den alten Inner Circle – in den Schatten. Seine Aufnahmekriterien waren noch exklusiver, der Kreis derjenigen, die dazugehören durften, war noch ausgewählter, und die Vorteile für die glücklichen Mitglieder waren noch sensationeller. Hatte man es geschafft, konnte man in einem Parallelkosmos verkehren. NIC war im wahrsten Sinn des Wortes unabhängig. Es lief nicht über das frei zugängliche World Wide Web, sondern stellte ein separates Netzwerk dar. Deshalb reichte es nicht aus, über einen herkömmlichen Internetzugang zu verfügen. Zusammen mit dem Mitgliedsausweis bekam man ein eigens entwickeltes Gerät, das einem großen Smartphone ähnelte, und konnte sich nur mit diesem einloggen. Der neue Inner Circle versprach Abhörsicherheit auf höchstem Standard und alles, was an Internet-Security aufzubieten war. Er richtete sich an Unternehmer, Firmenbosse und Politiker und sollte dem klassischen Business-Netzwerken dienen. Social-Media-Influencer, Stars und Sternchen hatten keinen Zutritt, lediglich die Strippenzieher der Wirtschaft, die großes Kapital umwälzten. Für sie sollte ein Kommunikationsbereich geschaffen werden, in dem sie sich sicher und mit i hresgleichen austauschen konnten. Sie sollten ohne die kleinste Spionagemöglichkeit Kontakte knüpfen und Verträge schließen können. Verständlicherweise waren die Einladungen zur Launch-Party heiß begehrt. Auch dabei hatte Anne an alles gedacht. Während Philip und Jamie an NICs technischen Details feilten, hatte sie dem Ganzen ein Gesicht gegeben, inklusive Logo und Sponsoren. Die Präsentation weckte in jedem der Gäste Begehrlichkeiten.
Gefeiert wurde NICs Stapellauf im tief verschneiten Lech am Arlberg. Weder Stars noch Sternchen waren geladen, auch keine Schauspieler, sondern nur diejenigen, die Einfluss auf Wirtschaft und Politik hatten und deren Gesichter nicht in der Klatschpresse auftauchten. Anne hatte ein Luxushotel angemietet, in welchem normalerweise der europäische Hochadel seine Winterferien verbrachte. Für ein Wochenende gehörte es ganz und gar NIC.
Am Abend der Galaveranstaltung war Anne ziemlich nervös. Nicht wegen der vielen Menschen, sondern weil sie hoffte, Jamie nicht zu enttäuschen. Er sollte überwältigt sein von dem, was sie auf die Beine gestellt hatte. Sie wollte ihm unbedingt zeigen, dass NIC auch für sie wichtig war und dass sie es beruflich immer noch drauf hatte.
Die vergangenen Wochen waren nicht einfach gewesen. Nach Jahren entspannten Herumreisens, in denen sie rund um die Uhr zusammen gewesen waren, sahen sie einander plötzlich kaum mehr. In der Endphase der Planung war Jamie sogar bei Philip in Norfolk geblieben, während sie von London aus das Event organisiert hatte.
»Ich bin sofort fertig«, rief sie ihm durch die offene Badezimmertür zu. Da das Hotel voll belegt war mit geladenen Gästen, begnügten sich Anne und Jamie mit einer kleinen, aber kuscheligen Mansarde. Sie fühlte sich hier wohler als in einer Suite. Steckte sie den Kopf aus dem Dachfenster, konnte sie weit über die Dächer von Lech blicken, über das Tal und die Berge, dabei blies ihr ein frischer Wind um die Nase. Es wäre wundervoll, wenn sie nach der Veranstaltung noch ein paar Tage in diesem heimeligen Nest bleiben könnten.
Jamie hatte sich auf dem Bett ausgestreckt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, als Anne aus dem Bad trat.
»Du siehst umwerfend aus«, sagte er und ließ seinen Blick bewundernd über seine Frau gleiten.
»Danke! Würdest du mir bitte helfen?« Sie drehte sich um, damit er den Reißverschluss am Rücken ihres engen schwarzen Abendkleides schließen konnte. Aber anstatt dem nachzukommen, streifte er ihr die Träger von den Schultern und küsste ihren Nacken. Anne erschauerte. Auch nach fünf Jahren Ehe konnte er mit einer kleinen Berührung das Feuer in ihr entzünden. Sie wandte sich ihm zu und genoss seine Liebkosungen. Sein längeres Haar ließ ihn ein wenig wild aussehen, unangepasst, was Anne verführerisch fand. Zwar hatte er angekündigt, es schneiden zu lassen, sobald er wieder ins Geschäftsleben eintrat, aber auf Annes Bitten hatte er dieses Vorhaben aufgeschoben. Ihre Entscheidung für Jamie und gegen Marc hatte sie keinen einzigen Tag bereut. Jeden Morgen nach dem Aufwachen freute sie sich, in Jamies Gesicht zu blicken. Sie war dankbar dafür, dass das Schicksal mit ihrem Leben, welches so armselig begonnen hatte, doch noch ein Einsehen gehabt und ihr den perfekten Ehemann geschenkt hatte. Alles, was sie zu ihrem Glück tun musste, war, sämtliche Gedanken an Marc sofort abzublocken. Und im Verdrängen von Erinnerungen war Anne unschlagbar.
Als er sie kurz freigab, um ihr das Kleid vollständig auszuziehen, fragte sie: »Haben wir noch Zeit?«
Er zog sie in eine innige Umarmung auf das Bett, küsste sie und rollte sich herum, so dass Anne unter ihm lag. Sie schlang ihre Beine um seine Hüften und presste sich mit einem aufreizenden Lächeln an ihn.
»Das ist mir vollkommen egal«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Wir sind die Veranstalter, ohne uns können sie nicht anfangen. Dann warten sie eben. Ich habe dich wahnsinnig vermisst.«
Sie schloss ihre Beine noch ein wenig fester um ihn. »Zeig mir, wie sehr …«
Der Auftritt der Harkdales fiel souverän aus. Beide hatten ein rosiges Leuchten im Gesicht, als sie in den Veranstaltungssaal kamen. Hand in Hand traten sie ans Mikrofon. Der Anblick des attraktiven Paares rief bei einigen Gästen Bewunderung hervor, bei anderen Missgunst. Besonders die etwas in die Jahre gekommenen Damen tuschelten über Annes frische Schönheit. Und sicherlich hätten die meisten Herren gern mit Jamie getauscht, wenn sie dafür das Gesamtpaket aus toller Frau, üppigem Vermögen, aristokratischem Stammbaum und noch immer jugendlich wirkender Sportlichkeit bekommen hätten. Obwohl die Anwesenden zur privilegiertesten Gesellschaftsschicht gehörten, gab es stets einen Grund, anderen etwas zu neiden. Anne und Jamie waren sich sehr wohl bewusst, mit NIC wieder ins altbekannte Haifischbecken einzutauchen, aber Jamie fand sich zu jung, um Dauerprivatier zu sein. In seiner Rede stellte er das neue Netzwerk sowie NICs Schöpfer Philip vor. Dann wurden Goody-Bags an die Gäste verteilt, die neben exklusiven Sponsorengeschenken die Eintrittskarten für NIC enthielten – Smartphones, die ihrem Besitzer die Tür zum Next Inner Circle öffneten. Nach dem Dinner konnte man sich zwanglos an der Hotelbar unterhalten oder in der hauseigenen Diskothek tanzen. Viele der Herren nutzten die gemütliche Zigarrenlounge für eine Pause.
»Er hat dich geschickt?« Anne nahm neben Cheryl auf einem Barhocker Platz, vorher hauchte sie zur Begrüßung Küsschen links und Küsschen rechts auf Cheryls Wangen und machte ihr ein Kompliment zu ihrem cremefarbenen Hosenanzug. »Wollte er nicht persönlich erscheinen?«
Cheryl betrachtete das Gadget in ihren Händen, dann steckte sie es weg und wandte Anne ihre Aufmerksamkeit zu. »Natürlich nicht. Er hätte sich eher einen Arm abgehackt, als hierherzukommen, das kannst du dir wahrscheinlich denken. Juri ist ein stolzer Mann. Aber er war zu neugierig, um es sich völlig entgehen zu lassen. Schließlich muss man wissen, was die Konkurrenz macht. Deshalb bin ich hier.«
»Um ihm hinterher alles haarklein zu berichten?«
»Selbstverständlich.«
»Und was wirst du ihm sagen?«
»Dass NIC ein brillanter Schachzug ist. Den der Inner Circle niemals toppen kann. Und dass ihr uns ausgebootet habt.«
»Das sehe ich nicht so.« Anne winkte dem Barkeeper und bestellte einen Cocktail. »Der Inner Circle diente schon immer in erster Linie der Unterhaltung. Spaß für die Reichen, ganz unter sich. NIC ist ein geschäftliches Netzwerk. Im Zuge der Abhörskandale der letzten Jahre scheint die Nachfrage dahingehend groß zu sein.«
Cheryl verzog das Gesicht. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass ihr das tatsächlich ernst meint. So naiv kann niemand sein, der den Inner Circle erfunden hat und weiß, wie der Hase läuft. Denkt ihr, man wird nicht versuchen, im Schutz von NIC krumme Dinger zu drehen?«
»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
»Wie dem auch sei. Ärger mit Ashkani ist vorprogrammiert. Er wird sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Jamie kann nicht viele Millionen für seinen Club kassieren und dann ein paar Jahre später ein Konkurrenznetzwerk gründen.« Sie glitt vom Stuhl und griff nach ihrer Clutch. »Trotzdem, tolles Event, Anne. Ich vermute, du steckst hinter der makellosen Organisation. Sehr kreativ, sehr beeindruckend. Wahrscheinlich sollte ich das nicht sagen, aber ich wünsche euch viel Glück mit NIC. Obwohl ich befürchte, dass das nur ein frommer Wunsch bleiben wird.«
Anne war entrüstet. Wie konnte Cheryl es wagen, so von oben herab mit ihr zu reden! Sie hatte persönlich eine einzige Einladung an Juri Ashkani geschickt, um den guten Ton zu wahren. Dieser hatte sie einfach an seine Geschäftsführerin weitergegeben, die hier auftauchte und gönnerhafte Ratschläge gab. Als ob sie das nötig hätten! Natürlich hatten Jamie und Philip im Vorfeld daran gedacht, gewisse Personen könnten NICs Privatsphäre missbrauchen. Philip hatte all sein Können als Softwareentwickler eingesetzt, wochenlang darüber gebrütet und eine seriöse geschäftliche Kontaktbörse erschaffen. Die Mitglieder waren handverlesen. Aus Cheryl sprach nur der Neid, wenn sie versuchte, schon im Vorfeld ein Haar in der Suppe zu finden. In jedem Fall würde Jamie dafür sorgen, dass sein neues Projekt über den furiosen Start hinaus ein Erfolg wurde. Daran konnte weder ein Juri Ashkani noch eine Cheryl Carter etwas ändern.
Nach dem Ende der Gala-Nacht, es dämmerte bereits, standen Anne, Jamie und Philip auf der Dachterrasse des Hotels, eingehüllt in warme Daunenmäntel. Jeder hielt eine Tasse dampfenden Kaffees in Händen. Zusammen sahen sie zu, wie die Sonne aufging. Zuerst verfärbte sich der indigofarbene Himmel blutrot. Die gezackte Silhouette der Bergkämme tauchte nach und nach aus dem Dunkel auf. Dann verwandelte sich das Rot in leuchtendes Gelb. Wie ein wachsender Feuerball verband die aufsteigende Sonne Himmel und Erde und brachte verschneite Hänge, wolkenloses Morgenblau und die kalte Luft zum Glitzern. Es versprach, ein prächtiger Tag zu werden.
»Mein Gott!« Philip seufzte. »Das ist der schönste Sonnenaufgang, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe!«
Ja, dachte Anne, das Land, in dem ich geboren wurde, hat auch seine malerischen Seiten. Nicht nur nach Pisse stinkende Mietskasernen wie die, in der ich aufgewachsen bin.
Jamie legte den Arm um sie, als ob er ihre bitteren Gedanken gelesen hätte. »Ich danke euch«, sagte er. »NIC wird ein großer Erfolg werden. Wir sind ein gutes Team – und Philip ist zweifellos unser Gehirn. Ich werde niemals begreifen, wie du den Next Inner Circle von einer Idee zur Wirklichkeit führen konntest. Du bist brillant, mein Freund, das habe ich immer gewusst. Deine Familie kann stolz auf dich sein.«
»Hm. Sie ist sich noch nicht sicher, was sie davon halten soll. Gemma hat einen Computer-Nerd geheiratet, der sich plötzlich in einen Geschäftsmann verwandelt hat und in vornehmen Ski-O rten verkehrt. Ich kann verstehen, dass sie befürchtet, es könnte sich zu viel verändern. Wir lieben unser beschauliches Leben in Norfolk.« Er stellte die Tasse ab, nahm die Brille von seiner Nase und begann, sie eingehend zu putzen. Schon öfter hatte Anne bemerkt, dass Philip dies immer dann tat, wenn er grübelte.
»Also musst du ihr die Sorge nehmen, ihr versichern, dass du nach wie vor für sie und Arthur da bist! Mit den Einnahmen aus NIC wirst du sogar mehr Zeit für sie haben und weniger arbeiten müssen.«
»Ich weiß.« Philip setzte seine Brille wieder auf. Versonnen blickte er auf die strahlenden Berge. »Ich weiß.«