Читать книгу Onnen Visser - Sophie Worishoffer, Софи Вёрисгофер - Страница 3

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Über die öde braune Moorfläche, wo jetzt eine breite Landstraße von Emden nach Aurich führt, zog im Sonnenbrand eine Abteilung französischer Infanterie. Zwei Offiziere ritten voraus und hintendrein rumpelte schwerfällig ein Gepäckwagen, auf dem ein Schreiber des Präfekten, ein Emdener Kind, Platz genommen hatte, um den Franzosen als Dolmetscher zu dienen.

Vor der kleinen Truppe und hinter derselben, überall dehnte sich das nackte unübersehbare Moor. Wie auf der offenen See bemerkte der Blick keinen noch so unbedeutenden Gegenstand, keine Erhöhung irgendeiner Art, überhaupt nichts als Luft und Erde, als eine pfadlose braune Wüste, von der sich das Auge beinahe mit Grauen abwandte.

Lautlosen Fluges erhob sich dann und wann aus den tiefen schlammigen Rissen des Bodens eine Sumpfeule mit grauem Gefieder, Bekassinen schrien ihr heiseres »Rätsch! Rätsch!« oder eine Rohrdommel erhob klagend, ohne sich zu zeigen, die Stimme: »I prumb hu hu‹ i prumb hu hu!« – bis der Ton wie eine Totenklage die Herzen der Franzosen durchkältete.

»Sapristi!« rief einer der Offiziere, »ob das noch dieselbe Erde ist, auf der Frankreich liegt? Man glaubt sich in den Vorhöfen der Hölle zu befinden.«

Der andere nickte. »Dabei scheint jetzt noch die Sonne hell und warm vom Himmel herab, Monsieur Renard, aber nun lassen Sie es Winter werden, denken Sie sich die Luft grau wie den Boden, eisig kalt, den Wind pfeifend, ein tolles Schneetreiben vor sich herjagend – das Herz in der Brust müßte erstarren.«

»I prumb hu hu! – I prumb hu hu!«

Monsieur Renard riß die Pistole aus dem Sattel. »Wo ist der verfluchte Vogel?« rief er, »ich will ihm den Hals umdrehen!«

»Halloh! halloh! – ein Rudel Hirsche!«

Das Rotwild war aus einer Niederung, in der es lagerte, aufgeschreckt worden und stürmte nun vollen Laufes davon. Der Leithirsch mit hoch erhobenem Kopfe eilte voran, ihm folgten mehrere jüngere Hirsche und dann das weibliche Wild mit den Kälbern, zusammen etwa zwanzig Köpfe. Die schönen flüchtenden Tiere glichen auf dem braunen Erdboden einem Gemälde, das alle Beschauer entzückte, wenn auch in sehr verschiedener Weise.

»Endlich lebende Wesen!« rief Monsieur Renard, »es war hohe Zeit. Eine Art von Verzweiflung hatte sich meiner bemächtigt.«

Hinter ihm krachte ein Schuß und der Leithirsch sprang hoch in die Luft, er taumelte, überschlug sich und stürzte, während seine Genossen mit wilder Hast zur Rechten und Linken an ihm vorüberstürmten, nur darauf bedacht, das eigene gefährdete Leben zu retten, unbekümmert um ihr Oberhaupt, dessen letztes Röcheln das laute Siegesgeschrei der Franzosen gewaltig übertönte.

»Zur Jagd! zur Jagd! Kein Tier darf lebend davonkommen.«

Monsieur Renard wandte lächelnd den Blick. Als echter Sohn seines Landes hatte er für das Großartige, Fremde dieser Moorlandschaft, dieser todesstillen Einöde kein Verständnis, er brauchte Lärm und wechselnde Bilder, um der inneren Langeweile zu entgehen; eine Jagd war dazu gerade das rechte Mittel.

»Drauf, meine Kinder!« rief er. »Holt sie! holt sie!«

Der Emdener Ratsschreiber auf seinem harten Sitz ballte verstohlen die Faust. »Schandbuben!« dachte er, »Raubgesindel! Da wird alles abgeschlachtet, was gut schmeckt! O die armen Tiere! – Unser schönes Rotwild!«

Aber laut durfte er nichts sagen; die Franzosen verfolgten mit Ungestüm, ohne alle Rücksicht auf die Gesetze der Jagd das fliehende Wild. In weniger als einer Viertelstunde hatten ihre Büchsenkugeln die schutzlosen Hirsche und Kälber ereilt; durcheinanderschwatzend und lachend weideten sie dieselben aus, schnitten das Fleisch ab und beluden sich jeder mit dem, was er schleppen konnte. Breite Blutlachen bezeichneten die Stelle, an der noch vor einer Stunde das Wild so ruhig lagerte.

»Heda!« rief der Offizier zu dem Insassen des Gepäckwagen hinüber, »kommt denn nicht bald ein Dorf, Herr? – Man möchte essen.«

Der Ratsschreiber lächelte verstohlen. »Das Dorf kommt«, antwortete er, »aber ob sich große Vorräte finden werden, das ist eine andere Frage.«

Ein mißtrauischer Blick traf sein Gesicht, dann ritt der Offizier schweigend weiter, bis sich nach und nach in einiger Entfernung ein dichter, dem Boden entströmender Rauch bemerkbar machte, ein Etwas, das den Atem beklemmte und Tränen in die Augen trieb.

Monsieur Renard schnupperte. »Was ist denn nun das?« rief er. »Nirgends ein Haus und doch eine Feuersbrunst. Sapristi, wie das beißt!«

Sämtliche Soldaten niesten und husteten. Der Qualm wurde immer ärger, bald sah man im dichten Rauche auch die Flammen und zwischen ihnen schwarze Gestalten, die mehr Kobolden oder bösen Geistern als Menschen von Fleisch und Blut glichen. Jeder dieser Leute hielt in den Händen eine langstielige eiserne Pfanne, mit der er kräftigen Schwunges die Feuerbrände nach allen Richtungen auf den Acker verteilte.

Hände, Gesicht und Anzug geschwärzt, den Bart versengt und das Zeug zerlumpt, so erschienen die Moorbrenner vor den Franzosen, ohne von ihnen sonderlich Notiz zunehmen. Die armen Leute bearbeiteten mühsam den unfruchtbaren Boden, um da, wo die Flamme das Gestrüpp zerstört hatte, im nächsten Jahre Buchweizen säen zu können, sie schleuderten die Brände stumpfsinnig nach allen Seiten und schienen von dem fürchterlichen Rauche in keiner Weise belästigt zu werden.

»Vorwärts! Vorwärts!« kommandierte Monsieur Renard. »Das ist nicht auszuhalten; ich will lieber vor dem Feinde stehen als hier. Sie da, Schreiber, wo bleibt denn schließlich das Dorf, he?«

Der Emdener deutete mit erhobenem Arme nach links. »Da sehen Sie schon die Häuser, Herr Leutnant.«

Monsieur Renard zog die Lorgnette hervor. »Das da?« rief er. »Beim Himmel, es ist eine Kolonie von Zwergen, die dort hausen muß. Lauter Hundehütten!«

Doch dann sagte er: »Einerlei, einerlei – wo Menschen leben, da gibt es frisches Wasser, Eier, Butter, Gemüse, das Fleisch bringen wir ja schon mit.«

Der Ratsschreiber lächelte wieder, aber er sprach kein Wort.

Eine Gruppe von Hütten, regellos auf das Moor gestreut, trat allmählich immer klarer hervor. Aus Lehm erbaut, mit einem Binsendach versehen, glichen diese Wohnungen den Scheunen und Ställen, welche man heute noch bei besonders armen Landbewohnern trifft. Zwei kleine Fenster hingen windschief in der zerbröckelnden Wand, die Sparren standen zum Dache heraus, die Tür war niedrig und der Schornstein fehlte ganz. In einem Anbau, der unmittelbar an das einzige Gemach der trostlosen, mit grauer Erdfarbe überzogenen Behausung stieß, in einem lichtlosen schmutzigen Winkel grunzte ein Schwein, während einige zerzauste Schafe auf dem umgebenden Moor die wenigen dürren Halme suchten.

Von Menschen war nichts zu sehen, selbst die Kinder, sonst überall zahlreich vertreten, schienen hier zu fehlen.

Monsieur Renard ließ seine Leute halten, er wischte sich mit dem Taschentuche den Staub aus der Stirn.

»Sucht einen Brunnen!« rief er ärgerlich.

Der Ratsschreiber kletterte von seinem unbequemen Sitz, um sich wenigstens einen Augenblick zu strecken. »Herr Offizier«, sagte er, »Brunnen gibt es hier überhaupt nicht.«

Der Offizier sah ihn groß an. »Mein Gott«, rief er ganz fassungslos, »was trinken denn die Leute?«

Der Schreiber deutete auf eine Tonne, die vor dem nächsten Hause in den Boden gegraben war. »Regenwasser!« antwortete er. »Da ist die Zisterne.«

Ein hölzerner Eimer hing an der Kette vom Querbalken herab und einer der Soldaten ließ ihn fallen um einen Trunk zu schöpfen, aber als das wenige Naß seinen Blicken begegnete, wich er schaudernd zurück. »Das ist doch kein Wasser!« rief er.

Die Flüssigkeit war braun wie der Erdboden, undurchsichtig und mit allerlei kleinen treibenden Splittern und Halmen vermischt. Es schien unmöglich, diese dicke Suppe zu genießen.

»Pfui!« rief der Franzose. »Sucht in den Häusern nach Bier oder Milch, Leute!«

Die Franzosen öffneten sogleich alle Türen und durchforschten jede dieser elenden Hütten, während der Ratsschreiber den Offizieren alle mögliche Auskunft geben mußte.

Nur einige kranke Personen oder kleinere Kinder wurden angetroffen. Der Fußboden in den Wohnungen bestand aus festgestampftem Lehm, die Möbel aus einem großen Strohlager, einem rohen hölzernen Tische und einigen Stühlen nebst Küchengerät. Keine Vorhänge verhüllten die Fenster, keine Blume blühte, kein Vogel sang – es waren Stätten der äußersten trostlosesten Armut

»Was essen die Leute?« rief der Franzose, »was treiben sie? Mein Gott, das ist eine Stätte der Verdammnis!«

Der Ratsschreiber nickte. »Viel besseres wirklich nicht«, gestand er seufzend. »Hier wohnt das ärmste Volk unseres Landes, häufig Gesindel, das schon mit dem Zuchthaus Bekanntschaft machte, verlaufene Strolche aller Art. Andere als nur solche würden aber in einem Moordorfe nicht leben wollen, weil doch der Aufenthalt zu unerträglich ist. Die Leute haben ihren Buchweizen und ihr Schwein – mißrät der erstere und stirbt das letztere, so sieht die Hungersnot zur Tür hinein.«

Monsieur Renard schüttelte sich. Er ließ die Soldaten wieder antreten und tröstete sie im Hinblick auf das Fehndorf, welches ja bald erreicht sein werde. »Wo doch nur die Bewohner sind?« sagte er kopfschüttelnd. »Es ist alles wie ausgestorben.« »Die Männer haben Sie beim Moorbrennen gesehen«, antwortete der Schreiber, »die Frauen handeln in den Städten mit Besen; ihre kleinen Kinder tragen sie dabei im Tuche, die größeren müssen nebenherlaufen.«

»Brr! – Ein schreckliches Land, dieser nordwestliche Winkel Germaniens, von dem schon Plinius sagt: die Bewohner sitzen auf feuchten Erdklumpen und haben nichts zu trinken! – Vorwärts, vorwärts, einmal muß ja das grauenhafte Moor ein Ende nehmen!«

Der Marsch begann aufs neue; die durstigen ermüdeten Soldaten murrten laut und die Sonne schien brennend heiß vom Himmel herab. Buchweizenfelder lagen zur Seite des Weges, andere ebenso trostlose Moorhütten – dann kam endlich der Augenblick, wo Monsieur Renard durch seine Lorgnette vor sich einen etwas erhöhten Gegenstand sah.

»Sie, Herr, was ist das da? Man könnte es wahrhaftig für eine Mastspitze halten!«

»Und hätte damit das richtige getroffen, Herr Leutnant. Es ist wirklich eine solche.«

»Was?«

»Es ist eine solche, sage ich.«

Über dem braunen Erdboden erschienen kleine bunte Fähnchen, wie Kinderspielzeug in Reihe und Glied aufgestellt, noch mehr Mastspitzen, endlich rote Ziegeldächer, helle silberne Rauchwölkchen, die sich lustig zum Himmel erhoben. Mit jedem Schritt über das öde Moor erweiterte sich das Panorama da unten, ein Dorf kam zum Vorschein, Fruchtbäume, Gärten, saubere Straßen, Schiffe und endlich ein Kanal.

Mitten im dürren wüsten Moor, meilenweit von der See, von der Ems entfernt, tief im Herzen des Binnenlandes Schiffe! Das war ein unerwarteter Anblick.

»Dort wird es wenigstens Lebensmittel geben!« rief Monsieur Renard.

Der Ratsschreiber sah unruhig hinab auf das kleine blühende Gemeinwesen zu seinen Füßen. Ob die arglosen Fehnbauern ohne Plünderung davonkommen würden?

Die Soldaten begannen schon zu singen. Da unten harrte ihrer eine reiche Beute.

Zwischen Obstbäumen lagen Kirche und Schule, dörfliche Läden zeigten ihre bescheidenen Warenvorräte, und aus allen Enden und Winkeln strömte das kleine Völkchen herbei, um die fremden Ankömmlinge zu bewundern.

Hinter den Scheiben erschienen bleiche Gesichter; der Vogt eilte den gefürchteten Gästen entgegen, um zu hören, weshalb sie kämen – das ganze Dorf versammelte sich auf der einzigen, den Kanal begrenzenden Straße.

Vor jeder Haustür lag ein Fahrzeug, bald ein größeres Schiff, bald ein Langboot, das nur den kostbaren Schlick des Emswatts hierher brachte auf das unfruchtbare Moor, Torfkähne aller Art, selbst größere Schaluppen, die den Brennstoff einnahmen, um ihn den Städten zuzuführen und dafür Waren oder – Dünger nach Hause zu bringen.

Alles glänzte in tadelloser Sauberkeit, im Schmucke bunter Blumen und Wimpel. Alles zeigte auf den ersten Blick jenen behäbigen Wohlstand, der genügende äußere Mittel besitzt, um über die nackte Plage des Daseins hinaus seine Umgebung hübsch und bequem einzurichten.

Monsieur Renard strich sich den Bart. Er ließ den Vogt kommen und seine Leute in Reih und Glied aufziehen, dann erfolgte eine Proklamation des Präfekten Jeannesson, übersetzt vom Ratsschreiber und mit dem furchtbarsten Erschrecken von den Einwohnern vernommen. Die armen Leute glaubten ihren Augen, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen.

Auf Norderney sollten Schanzen gegen die Engländer erbaut werden und dazu brauchte Seine Majestät der Kaiser sowohl Mannschaften wie Schiffe. Kapitän d‘Ortalan und Leutnant Renard waren beauftragt, beides herbeizuschaffen; sie zogen von einer Fehnkolonie zur andern, um sämtliche Fahrzeuge mit ihrer Bemannung nach Norddeich zu bringen. Die nötige Erde konnte hier genommen werden und dann der Bau vonstatten gehen.

Als die Hiobspost verlesen war, ließ der Kapitän seine Leute bei den Bauern einquartieren, und nun begann ein allgemeines Gelage, in dessen Verlauf die Leute hergeben mußten, was Küche und Keller enthielten. Während gänzliche Verarmung, der Ruin alles Bestehenden durch den auf sämtliche Fahrzeuge gelegten Beschlag unausbleiblich schienen, mußten die hartbetroffenen Menschen noch ihre Vorratskammern öffnen und das Beste, was sich darin vorfand, preisgeben – die französische Willkür trat eben damals zur Befriedigung ihrer Wünsche, ihrer üppigen Genußsucht ganz Deutschland rücksichtslos mit Füßen.

Kapitän d‘Ortalan und Leutnant Renard begaben sich in das Haus des Predigers, um jedenfalls für sich das bequemste Plätzchen zu erhaschen, aber sie wurden von dem geistlichen Herrn sehr kühl empfangen, nicht in das Familienzimmer geführt und keiner Unterhaltung gewürdigt; man gab Lebensmittel und Wohnung, aber das war alles.

Bald erschienen auch mehrere Kapitäne und Schiffer, um gegen die angeordnete Maßregel Einspruch zu erheben; sie zeigten ihre Papiere, nach denen eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen waren, sie baten und flehten, aber ganz umsonst, schon am nächsten Tage sollten sämtliche Fahrzeuge, Schiffe und Kähne nach Norddeich unter Segel gehen.

Wie ein Blitzstrahl hatte die Gewaltmaßregel die Kolonie betroffen. In allen Häusern flossen bittere Tränen, rangen Männer und Frauen dem hereinbrechenden Verhängnis gegenüber die Hände. Mit den Schiffen schwand auch die Möglichkeit der Arbeit, der ehrlichen bürgerlichen Existenz.

Die Soldaten sangen und jubilierten. Sie hatten die Hirschkeulen gebraten, das junge Gemüse aus den Gärten geraubt, die Früchte von den Sträuchern, Bier und Wein aus den Kellern; sie ließen sich‘s wohl sein, indes ihre unwilligen Wirte voll bitterer Angst die Hände zum Himmel erhoben.

Kapitän d‘Ortalan runzelte die Stirn. »Mir scheint, daß man den Befehlen Seiner Majestät sehr unwillig nachkommt«, sagte er in scharfem Tone. »Das Volk hegt rebellische Gedanken – wäre es nicht gut, ein Exempel zu statuieren?«

»Sicherlich!« nickte Monsieur Renard. »Je fester wir die Zügel erfassen, desto leichter wird unsere Aufgabe.«

Das Dienstmädchen des Predigers erhielt den Befehl, schleunigst den Vogt herbeizuschaffen, und als der Geängstigte kam, da fuhr ihn Kapitän d‘Ortalan sogleich grob an, sprach von schärferen Maßregeln und strenger Handhabung der Gesetze, dann erwähnte er, daß in der Familie Seiner Majestät des Kaisers heute ein Geburtstag gefeiert werde. »Es bedarf zur Verherrlichung des Tages einer Illumination«, schloß er seine Rede, »bei Beginn des abendlichen Dunkels sollen vor jeder Fensterscheibe zwei Lichter brennen, außerdem gebe ich den Soldaten einen Ball, wozu das Dorf die nötigen Musiker sowie Getränke und Speisen zu liefern hat. Alle Frauen und Mädchen müssen in ihren Sonntagskleidern erscheinen.«

Der Vogt wurde blaß. »Wenn sie nun aber nicht tanzen wollen!« rief er voll heimlicher Furcht.

Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Lippen des Franzosen. »Dann gebe ich meinen Leuten die Erlaubnis, sich ihre Damen selbst einzuladen«, versetzte er.

Und der Vogt schwieg. Es half nichts, sich den Gewalthabern entgegenzustemmen, selbst wenn die heiligsten Rechte bedroht waren.

Von Tür zu Tür huschte die schlimme Botschaft, von einem erschreckten Menschenherzen zum andern; als der Abend herabsank, glühten langsam, einzeln, die befohlenen Flämmchen in den Fenstern auf und warfen spielende rosige Lichter hinüber zum Kanal, in dessen Fluten es wie helle Sterne zu glänzen schien. Haus nach Haus in langer Reihe schmückte sich mit den glitzernden Lichtern, – blassen Antlitzes schlichen die Dorfmusikanten mit Fiedelbogen und Klarinette zum Tanzsaal.

Gedrängt an den Wänden, ängstlich blickend und stumm saßen Frauen und Mädchen. Von den Männern des Dorfes hatte kein einziger den Tanzplatz betreten, aber alle standen im Hofe des Wirtshauses und in aller Herzen lebte ein trotziger, verwegener Entschluß. Wenn da drinnen eine Ungebühr geschah, sollten die Franzosen an diesem Abend erfahren, wie ihnen im Grunde die Deutschen gesinnt waren.

Es kam nichts dergleichen. Die lebensfrohen Soldaten dachten nur an das Vergnügen, obwohl dasselbe sonderbar genug ausfiel. Stumm reichte der Wirt das verlangte Getränk, stumm erhob sich die Tänzerin, wenn der Kavalier mit zierlicher Verbeugung nahte – es lag ein Grabesschweigen auf dem ganzen Feste.

Der Fiedelbogen glitt über die Saiten, bleiche ernste Männergesichter sahen in die Fenster hinein und im Kanal spiegelten sich die Hunderte von Lichtern der anbefohlenen Illumination.

Es betete während dieser Stunden wohl unbewußt jegliches Herz; nur ein einziger, aber ein glühender, leidenschaftlicher Wunsch lebte in den Herzen aller. Möchte Deutschland frei werden, möchte es das verhaßte Joch des Todfeindes, des dreisten, unleidlichen, doch endlich – endlich abschütteln können.

Am folgenden Tage gingen alle Schiffe und Kähne der ganzen Kolonie ab nach Norddeich, wo es natürlich damals noch keine von dem flacheren Strande bis zum Fahrwasser hinabführende Brücke gab, sondern wo die Erde zu Wagen an den Deich und mit dem Boote an das Schiff befördert werden mußte.

Sämtliche Bauern und Seeleute waren zu den erforderlichen Arbeiten einfach gepreßt worden; die Franzosen hatten es mit ihrem Schanzenbau sehr eilig, sie konnten nicht warten; denn in der Nähe von Norderney lagen wieder zwei neue englische Kauffahrteischiffe voll verbotener Waren und der Schleichhandel gewann immer größeren Umfang.

Es hatte während der letzteren Nächte sogar kleine Scharmützel gegeben; dennoch aber entkamen die Schmuggler, und nun sollte ihnen der Garaus gemacht werden. Was sich zwischen der Insel und dem ostfriesischen Festlande zeigte, das bohrten die Kanonen in den Grund, gleichviel, wen ihre Kugeln trafen.

Ganz Norderney war in Aufruhr, alle Männer ballten die Fäuste. Lahmgelegt der ehrliche Erwerb, ausgebeutet und ausgeplündert das arme Land, nun auch noch das letzte, der Fischfang unmöglich gemacht – was sollte endlich daraus werden?

Es gab nichts Gewinnbringendes mehr als nur den Schleichhandel. In Hamburg wurde sogar Marschall Neys Equipage tagtäglich zum Transport eingeschmuggelter Waren benutzt; das hatte jemand in Norderney erzählt und damit dem herrschenden Schmuggel neue Sympathien zugeführt. Die Schiffer verbündeten sich mit den Arbeitern am Lande – jede Karre erhielt einen doppelten Boden und jede Fuhre, welche die Franzosen umsonst verlangten, brachte den gemaßregelten Leuten einen guten Verdienst ins Haus.

Der Kaffee kostete eine Steuer von zwei Frank das Pfund, da verlohnte es sich schon der Mühe, auch die kleinsten Mengen einzuschwärzen.

Alle Schaluppen waren für den Schanzenbau in Dienst gestellt, aber an jedem vierten Tage durften die Fischer mit ihren Netzen auf die See hinausfahren, um den nötigen Bedarf für sich und ihre Familien einzufangen oder in Emden und Leer zu verkaufen, wobei dann ein französisches Kanonenboot jede Bewegung überwachte und bei dem geringsten auftauchenden Verdachte seine Soldaten an Bord der Schaluppe schickte, um dort nach versteckten Waren zu fahnden.

In vielen Häusern zeigte schon jetzt der Hunger sein Schreckensantlitz. Frau Douwe Visser seufzte, wenn sie an den Winter dachte. Sonst konnte man nach beendetem Sommerfang hinübergehen in die Städte und reichlich einkaufen, Kisten und Kasten waren schwer – aber wie würde es in diesem Unglücksjahre werden?

Dunkle stürmische Nächte folgten auf Tage voll Regen und kalter unruhiger Luft. Das Viereck für den Schanzenbau war abgesteckt und die Arbeit begann. Jede Fischerschaluppe hatte ihre Nummer, nach der Fahrzeug und Besitzer in Dienst gestellt oder auf einen Tag und eine Nacht entlassen wurden – die Franzosen gingen dabei nach dem Alphabet, so daß Klaus Visser und Heye Wessel immer miteinander frei waren, weil eben V und W zwei zusammenstehende Nummern ergaben.

Die beiden Wattführer brauchten, da sie keine Schiffe besaßen, nur bestimmte Tagesstunden hindurch zu arbeiten, ihre Nächte blieben unbewacht.

Es war an einem stürmischen rauhen Abend, als auf dem unruhig tobenden Wattenmeer an verschiedenen Stellen Lichter aufblitzten. Die beiden englischen Kauffahrer, bewaffnet und begleitet von einem Kanonenboot, kreuzten zwischen der Insel und dem Lande, während in ziemlicher Entfernung ein französisches Kanonenboot Wache hielt. Der erste Versuch, sich den Söhnen Albions etwas mehr zu nähern, war mit einer dem Schiffe durch die Takelage fahrenden Kugel beantwortet worden, man zog sich daher zurück im Bewußtsein, daß ja die Schanzen demnächst bewaffnet werden und das ganze Gebiet beherrschen würden, aber man beobachtete doch den Feind und auf beiden Seiten schlugen die Herzen voll todesverachtender Kampflust.

Die drei stattlichen Engländer lagen dicht nebeneinander, ihre Laternen waren weithin sichtbar, ihre Kanonen immer bereit, das vernichtende Feuer den Franzosen auf die Köpfe zu speien. Unter dem Bug des einen der Kauffahrer glänzte verstohlener Schimmer und warf spielende Silberstreifen auf die tobenden Fluten, auf das Bild einer weißen flügelschlagenden Taube an der Gallion einer Schaluppe.

An Deck stand der Kapitän und verstaute Kiste nach Kiste, wie sie ihm die englischen Matrosen aus dem weitbauchigen Innern des Schiffes zureichten. Der Kaffee konnte nur so, aber nicht in Säcken transportiert werden, da bei einer etwaigen Flucht oder Verfolgung von vornherein mit Durchnässung gerechnet werden mußte. Jetzt war die Schaluppe beladen, Lars Meinders und Onnen setzten die Segel, der Kapitän nahm den Platz am Steuer und nun hörte man den Schrei eines Regenpfeifers zwei- bis dreimal rasch hintereinander.

Aus einiger Entfernung erklang das gleiche Zeichen, dann wurde die Schaluppe von dem Dreimaster gelöst und vor den Wind gebracht; der Kapitän sah unverwandt durch ein Nachtfernrohr in die Gegend des französischen Kanonenbootes hinaus.

Zwischen diesem und der »Taube«, ziemlich weit von letzterer entfernt, segelte eine zweite Schaluppe, hochbeladen mit Kisten wie die erstere, dem gleichen Ziele, der Landungstreppe von Norddeich, entgegen. Wer sie genauer beobachtete, der mußte unwillkürlich glauben, daß dies Fahrzeug den Franzosen besser hätte aus dem Wege gehen können – es streifte fast den Lichtschein der »Hortense« und wurde von dort aus sogleich bemerkt.

»Ein Schmuggler!« raunte Chatellier.

Der Unteroffizier schüttelte schwermütig den Kopf. »Vielleicht der fliegende Holländer«, sagte er, »oder sonst ein Spuk. Seit jener Geschichte mit dem erschossenen Knaben verfolgt mich das Unglück auf allen Wegen.«

Mehrere andere Soldaten kamen hinzu. »Es ist eine wirkliche und wahrhaftige Schaluppe«, riefen sie, »man muß die Verfolgung aufnehmen.«

Der kommandierende Leutnant erhielt eine Meldung, die »Hortense« wurde gewendet und machte nun Jagd auf das langsam dahingleitende Fahrzeug. Fast im selben Augenblick schoß am Mast desselben das große Segel herauf, und wie eine Möwe flog der schlanke Bau vor dem Kanonenboot her durch die hochgehenden Wogen.

In den Augen des Unteroffiziers blitzte es auf. »Ein Schmuggler! Es ist einer, so wahr ich lebe! Vorwärts, Kinder, wir müssen ihn fangen!«

Alle Segel wurden beigesetzt, aber das kleinere Fahrzeug blieb dennoch bedeutend im Vorteil, da es sich schneller und gewandter zu bewegen vermochte. Sein Ziel war die Landungsstelle von Norddeich, das erkannte man auf dem Kanonenboot sofort.

»Keinen Schuß!« gebot der kommandierende Offizier. »Wir haben ihn!«

»Aber wenn draußen ein Engländer läge?«

»Dann würden wir es wissen. Der Bursche hat uns für weniger wachsam gehalten – jedenfalls ist in der Schaluppe eine Ladung englischer Waren.«

»Also gute Prise! Sollen wir ihm nicht einen Gruß hinübersenden?«

»Nein! Nein! Wohin will er entkommen? – Da wird ein Exempel statuiert, der Schiffer verliert bei dieser Geschichte den letzten Heller.«

Und der Franzose rieb sich zufrieden die Hände. Wie viele Verweise waren nicht schon von oben herab erteilt worden, wie viele ungnädige Bemerkungen gefallen. Noch niemals hatte man der Schmuggler habhaft werden können!

Und jetzt liefen sie der »Hortense« so plötzlich, so besonders glücklich in den Weg.

»Nur immer kaltes Blut! Es ist besser, wir bringen Schiff und Ladung unbeschädigt nach Emden, als daß wieder so ein paar Esel dabei sterben und die Bevölkerung immer mehr gegen uns aufgehetzt wird.«

Er ging mit stolzen Schritten über das Verdeck. Wie angenehm, morgen früh gehorsamst melden zu können: »Hier habe ich die Schleichhändler abgefaßt!«

Einem weißen Vogel gleich schwebte die Schaluppe, mit den Wellen stürzend und fallend, über das Meer. Am Steuer stand Heye Wessel und lächelte sonderbar, ganz sonderbar – der siegessichere französische Leutnant würde mit einigem Befremden dies stillvergnügte, vor Behagen glänzende Antlitz betrachtet haben.

Weit hinter dem Kanonenboot, ganz im Dunkel, ganz auf der Seite lief geräuschlos die »Taube« durch das Wasser. Der Wind heulte und die Wogen sprühten hoch über Deck – auf den drei englischen Schiffen war jedes Licht erloschen.

Die Fahrt nach Norddeich ist nicht lang; bei günstigem Winde genügen drei Stunden. Mehr als einmal während dieser Zeit hatte der französische Leutnant die Schaluppe angerufen, aber niemals eine Antwort erhalten – sie flog voraus unter dem Druck aller Segel, unaufhaltsam, als könne nur die größte Eile sie retten.

Immer ärger polterte der Wind, immer tiefer senkte sich die Finsternis herab auf Wasser und Land. Es regnete, ein Haufen schwarzer Wetterwolken stand am Himmel – nur unter Aufbietung seiner ganzen Sehkraft vermochte es der Leutnant, das weiße Segel im Auge zu behalten.

Der Schmuggler hoffte höchstwahrscheinlich, in der Nähe der Küste das flachere Fahrwasser zu erreichen und dadurch den Weg des tiefer gehenden Kanonenbootes abzuschneiden. Mochte er doch! Eine Menge von Schaluppen lagen in der Nähe; es ließ sich leicht genug auf Booten die Jagd fortsetzen.

Immer weiter, immer weiter. Diese Nacht mußte eine glückliche genannt werden.

Vorsichtig, im Bogen umfuhr die »Taube« das Kanonenboot und die Schaluppe, mit weißen Flügeln an Norddeich vorüberstreifend, weiter hinaus, bis wohin der Lichtschein von der Landungsstelle nicht mehr reichte. Da schaukelten mehrere Boote und dunkle Gestalten harrten zusammengekauert der Dinge, die da kommen würden.

Als die »Taube« nahte, verschlang das Brausen der Wellen den dumpfen Laut, welchen der herabfallende Anker verursachte. Die tanzenden Boote schwammen heran, immer mehr Männer tauchten auf aus der Finsternis, Kiste nach Kiste glitt herab, wie Eidechsen kletterten die Seeleute an der Böschung des Deiches empor und nach einer halben Stunde war das Schiff vollständig ausgeräumt.

»Rasch«, ermahnte der Kapitän, »wir müssen nach Norderney zurück, ehe die Flut weicht. In vier Tagen sind wir wieder hier.«

»So Gott will!« antwortete einer der Männer.

»Wird‘s schon wollen, Freund. Hat ja bisher immer noch geholfen. Adjes!«

»Adjes, Visser – grüße den Heye Wessel!«

Sie lachten beide, und unbemerkt, wie es gekommen war, schlüpfte das schlanke Fahrzeug, jetzt, wo der Ballast fehlte, mit ausgevierten Seitenschwertern wieder hinaus in das undurchdringliche Dunkel.

Vor Norddeich war unterdessen die erste Schaluppe, der »Kampfhahn«, beim Landungsplatze angelangt, verfolgt von dem Kanonenboot, dessen Kommandeur sogleich die erforderlichen Maßregeln anordnete. Eine Kette von Booten, alle mit französischen Soldaten bemannt, umstellte das Schmugglerfahrzeug, während die »Hortense« demselben ihre eine Breitseite zugekehrt hielt und so jede Flucht zur Unmöglichkeit machte.

Heye Wessel lachte immer noch wohlgefällig in sich hinein. Der Riese nickte sogar, als er aus seiner Flasche eine Herzstärkung zu sich nahm, ganz vertraulich nach der Richtung des Kanonenbootes hinüber. »Prosit, Franzmann, wohl bekomm‘s!«

Als der Morgen anbrach, schickte der Leutnant einen Boten nach Norden, von wo bald darauf mehrere Offiziere und der Unterpräfekt zu Wagen ankamen. Jetzt lagen die Kisten an Bord des »Kampfhahn« offen im Sonnenschein und alle Franzosen rieben sich die Hände. Schiff und Ladung verfielen der Beschlagnahme.

Mehrere Wagen waren zur Stelle, eine Abteilung Soldaten hielt mit aufgepflanztem Gewehr das Schmugglerschiff besetzt und vorsichtig wurden die Kisten in bereitgehaltene Boote herabgelassen. Fünfundzwanzig an der Zahl – ein hübscher Fang!

Heye Wessel und Uve Mensinga befanden sich mit geschlossenen Händen an Bord des Kanonenbootes; jetzt begann, von dem Unterpräfekten geführt, ein genaues, peinliches Verhör.

»Das Schiff ist Ihr Eigentum, nicht wahr?«

»Ja«, nickte der Riese.

»Weshalb hielten Sie nicht an, als man Ihnen vom Bord des Kanonenbootes zurief? Sie hofften zu entkommen, nicht wahr?«

»Allerdings«, gestand sehr zerknirscht der arme Sünder.

»Weil Sie sich der Übertretung bewußt waren? Weil Sie die Strafe fürchteten?«

»Ja! Ach Gott, ja!«

»Nun, das ist immerhin ein ehrliches Geständnis. An welchen Ort gedachten Sie den Inhalt dieser Kisten ursprünglich zu bringen?«

Heye Wessel seufzte. »Ja, du lieber Gott!« zögerte er.

»Heraus damit! Schnell!«

»Na, wenn es denn durchaus sein muß – ich wollte ihn in Norden verkaufen!«

»Natürlich. Und Sie dachten unbemerkt im Schutze der Dunkelheit an Land zu kommen, nicht wahr?«

»Ja, eben.«

Der Protokollführer schrieb, daß es knisterte, der Leutnant ging stolz wie ein Spanier in der Kajüte auf und ab.

»So, das wäre alles«, meinte der Unterpräfekt, »Sie müssen jetzt das Blatt unterzeichnen, Schiffer Wessel. Aber halt, noch eins! Was befindet sich in den Kisten?«

Jetzt sah Heye Wessel von einem zum andern; sein Gesicht war harmlos wie das eines Kindes. »Was darin ist?« wiederholte er, »ja, wissen es denn die Herren noch nicht? Sand natürlich, sauberer weißer Sand von den Dünen. Die in Norden kaufen ihn zum Putzen und.«

»Kerl«, rief der Leutnant, »Kerl, wenn du noch ein einziges Wort hinzufügst, drehe ich dir den Hals um!«

Er sprang mit drei Sätzen hinab in das Boot und riß dem nächsten besten Arbeiter die eisenbeschlagene Schaufel aus der Hand. Ein wuchtiger Hieb spaltete den Deckel der obersten Kiste – es war Sand darin, nichts als Sand.

»Hölle und Teufel«, schrie der erboste Franzose, »das ist ein neuer Betrug!«

Und er wühlte und wühlte, bis ihm das Blut unter den Nägeln hervordrang. »Wie ein erzürntes Kaninchen!« dachte Heye Wessel.

Der Boden der Kiste kam zum Vorschein, aber es war weiter nichts darin als nur Sand. Die Franzosen erkannten jetzt wohl sämtlich den Stand der Dinge; sie flüsterten miteinander und zuckten die Achseln, dann empfahlen sich die fremden Herren so schnell als nur möglich, verfolgt von dem Spottlächeln der Erdarbeiter.

Unteroffizier Durand löste mit einem Messerschnitt die Bande an den Händen der beiden Schiffer, dann schüttelte er bedeutsam den Kopf. »Allerlei Spuk!« murmelte er. »Es ist mir an Bord der ›Hortense‹ schon lange nicht mehr geheuer.«

Der Leutnant ballte die Fäuste; er verzieh es dem lächelnden Schiffer nicht, ihn so blamiert zu haben. »Was hindert mich, dich auf dem Fleck niederzuschlagen, du Schuft?« rief er, halberstickt vom heftigsten Ärger.

Heye Wessel zog gemächlich seine beiden Hände aus den Taschen. »Diese da!« nickte er, »und ich glaube, ein wenig auch die guten Leute, welche uns sehen und hören.«

Die Erdarbeiter, schon aufgeregt durch das, was eben vor ihren Augen geschehen war, die widerrechtlich und jählings aus allen ihren Verhältnissen herausgerissenen Erdarbeiter riefen Hurra. »Wenn der Franzose dich anfaßt, soll er es bereuen, Heye Wessel! Hurra für Deutschland!«

Und brausend dröhnte der Klang, hundertstimmig getragen, durch die heitere Sommerluft dahin über das Wasser.

Des Leutnants Augen blitzten. »Ich vergelte es euch« schwor er in seinem Herzen. »Gebt acht, ich vergelte es euch! Ihr habt mich herausgefordert und die Folgen sollt ihr allein tragen.«

Äußerlich beherrschte er sich. Die Schaluppe und das Kanonenboot mußten beide noch stundenlang warten, ehe sie wieder in See stechen konnten, dann aber, als es geschah, riefen Hunderte von Stimmen den Franzosen allerlei Spottreden nach.

»Wollen Sie denn nicht die Kisten mitnehmen, Herr Leutnant? Es ist doch Ihre Beute – ha, ha, ha.«

»Wartet! Wartet!« murmelte der Offizier. »Meine Stunde schlägt auch noch.«

Onnen Visser

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