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Drei englische Kriegsschiffe lagen unweit Norderney vor Anker, der »Falke«, der »Nelson« und der »Wellington«. Die Stimmung der Soldaten war eine sehr gereizte; sie hatten bisher gehofft, noch rechtzeitig genug zu erscheinen, um ihre gefangenen Landsleute aus den Händen der Franzosen befreien zu können, jetzt aber, als die Kunde des Geschehenen sie erreichte, drängte alles zum Kampfe, zum blutigen Waffentanz, in dem der kecke Gegner wie bei Trafalgar erfahren sollte, daß es noch Mächte gab, welche seiner unerhörten Willkür Schranken ziehen konnten.

Uve Mensinga und der Befehlshaber des »Falken«, Kapitän Sounders, standen in ununterbrochenem Verkehr. Es wurde ein Plan verabredet, der nur langsam seiner Vollendung entgegenreifte, dafür aber auch sicheres Gelingen versprach – die Franzosen mußten sich allmählich als Herren der Lage betrachten lernen, mußten jeden Gedanken an einen Handstreich der Eingeborenen aufgeben und in ihrer Wachsamkeit erlahmen; so allein konnte man sie fangen.

Keine Schaluppe, kein Boot lief mehr aus, ohne ein paar französische Soldaten an Bord zu haben, keine Forderung des nimmersatten Obersten stieß auf Widerstand; überall begegneten scheue Blicke oder eiliges Ausweichen den Machthabern – sie begannen bereits zu triumphieren und sich den gewohnten Einflüsterungen ihrer Eitelkeit recht behaglich hinzugeben. Die Insulaner hatten jetzt die Peitsche gefühlt, sie küßten willig die Hände, von denen der Streich kam – das zu denken war so sehr angenehm. Vom Obersten bis zum Gemeinen ließ sich‘s jeder einzelne angelegen sein, nach Möglichkeit die Fischer zu brandschatzen und, während diese oft kaum einen Bissen Brot besaßen, selbst im Wohlleben zu schwelgen. Es war ja im Dorfe alles todesstill, kein Gedanke erhob sich gegen die Tyrannen, niemand gab ihnen Gesetze oder leistete Widerstand; stolz wie die Pfauen gingen sie einher. »Le jour de gloire est arrivé.« Jeder Offizier und jeder Soldat fühlte sich in seinem Übermut durch das veränderte Benehmen der Einwohner auf das angenehmste geschmeichelt, jeder trug die Nase so hoch wie möglich und dachte je länger, desto mehr an das Vergnügen, den Genuß des Lebens in jeglicher Gestalt. Die Offiziere verbrachten ihre Zeit fast gänzlich auf dem Festlande, die Soldaten spielten und rauchten – es war ja ringsumher alles ruhig wie im tiefsten Frieden.

Unter der äußeren Hülle glühte das Feuer. Uve Mensinga war viel in Norden, er hatte dort die ausgedehntesten Bekanntschaften und brauchte sie alle, um seinen Plan zur Ausführung zu bringen. Es kam ein Abend, wo gleichsam zufällig ein großer Ball gegeben wurde, während anderseits der Jahrmarkt mit seinen lustigen Possen und verlockenden Schaubuden das Volk aus allen umliegenden Dörfern herbeizog, ebenso die Soldaten, welche mit den Bauernmädchen tanzten und die geräucherten Aale verspeisten, als sei dieser volkstümliche Leckerbissen für sie etwas ganz Gewohntes. Der Branntwein war außergewöhnlich billig, er wurde an jeder Straßenecke feilgeboten, ja, die Franzosen erhielten ihn sogar, wenn es ihnen an Geld fehlte, ganz umsonst, kein Wunder also, daß die Heiterkeit schon am Nachmittag in ein wüstes Toben überging. Der ganze große Platz vor dem Dome von St. Ludger war mit Verkaufs- und Schaubuden angefüllt, unter den Doppelreihen uralter Bäume wogte eine lebensfrohe Menge, Musik erschallte überall, Bajazzo hatte sich sogar aus Gefälligkeit gegen die fremden Gäste bis zu französischen Witzen verstiegen und selbst der Schankwirt mit seiner Karre rief, die Flasche hoch empor haltend, immer einmal über das andere: »Voulez-vous, Kinners? Langt man to! toujours hierher! toujours hierher, ji Deubelstüg, fix watt up‘t Fell schöllt ji hemmen!«

Die Soldaten nahmen das ihnen Unverständliche für eine liebenswürdige Schmeichelei, sie tranken und tranken, bis alle Überlegung auf den Fluten des Branntweins davontrieb und Uve Mensinga ganz ohne Hehl dem Wirte ein: »Ich danke dir, Landsmann, du machst deine Sache gut!« lächelnd zuflüstern konnte.

Und der andre nickte. »Zur Rache für unsere Gemordeten!« gab er zurück. »Geht‘s los heute abend?«

Der Wattführer nickte. »Heute abend!« bestätigte er. »Gott und gute Freunde mögen uns den Sieg geben.«

Die Violine kreischte und der Baß brummte; Hanswurst balgte sich mit dem Teufel und mehreren Bären zugleich – langsam ging Uve Mensinga durch das Getümmel, hier einen Blick tauschend, dort einen Händedruck oder ein Flüsterwort, bis er in eine Nebenstraße gelangte wo Wagen an Wagen den Weg versperrte. Hierher kamen die Offiziere, es war für alles gesorgt; der »Tanz« konnte losgehen. So rasch es ihm möglich war, eilte der Wattführer nach Norderney zurück.

Man befand sich in den letzten Tagen des Monats Mai; der Frühling ging über in den Sommer, eine milde, warme Luft wehte zwischen den Dünen, tausend und abertausend kleine zierliche Blüten bedeckten den Boden. Uve Mensinga seufzte. Seit Anfang April waren die Franzosen eingerückt – und wieviel bitteres Leid hatten sie während dieser wenigen Wochen über die Insel und ihre friedlichen Bewohner gebracht!

Das große Grab im Schatten der Kirche sprach beredter als alle Worte; die verödeten Häuser des Kapitäns und der Familie Wessel gaben Zeugnis von der brutalen Gewalt, mit welcher Napoleons Söldlinge alles an sich rissen, was unter irgendeinem Vorwande geraubt werden konnte. Jedes Einrichtungsstück aus beiden Haushaltungen wie aus der des erschossenen Wattführers wanderte entweder in die Kaserne oder nach Norden, um unter der Hand verkauft zu werden; die Wohnungen standen leer, weil niemand darauf bot.

Nach und nach zerschlugen die Franzosen im Ärger die Scheiben und die Türen, Regen und Wind fegten hindurch, Sperlinge bauten in den öden Räumen ihre Nester – dann kümmerte sich keine Seele mehr um das Hab und Gut der gemordeten Männer.

Nur die heimlich Verschworenen wurden täglich neu durch den Anblick der geschändeten Stätten an ihren Schwur erinnert – heute abend sollte er ausgeführt werden.

Der Wattführer, Georg Wessel und Onnen standen miteinander auf der jetzigen Georgshöhe neben dem schwarzen Kap. Blau und silbern schimmerte das Wasser, Möwen schossen in eiligem Fluge darüber hin; es war ein wundervoller Abend, dessen stiller Friede das Herz unwillkürlich zu ergreifen schien – und dennoch flammte Kampfbegier aus den Blicken der drei Männer, dennoch suchten ihre Augen in der abendlichen Umgebung nur einen einzigen Gegenstand, die dunklen Umrisse des »Falken«, der ganz nahe an die Küste herangekommen war und dem sie jetzt ein Zeichen zu geben beabsichtigten.

»Laßt mich hinaufsteigen, Mensinga«, sagte Onnen. »Ich bin oft oben gewesen.«

Der Wattführer reichte ihm eine Laterne mit roten Gläsern. »Du mußt sie nun im ausgestreckten Arm so lange festhalten, bis ich dich rufe«, ermahnte er.

Onnen kletterte wie eine Katze an dem Holzgerüst empor, während Uve Mensinga und Georg das englische Schiff beobachteten. Nur wenige Minuten vergingen, dann glühte die rote Laterne auf dem Topp des »Falken« als Antwort für die, welche Onnen emporhielt. Ebenso schnell, wie sie erschienen war, verschwand sie auch wieder.

Onnen Visser

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