Читать книгу Ausgewählte Briefe, Band 2 - Sophronius Eusebius Hieronmyus - Страница 10
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ОглавлениеDu magst einwenden: „Warum lassest du mich nicht trauern? Auch Jakob legte ein Trauerkleid an und beweinte seinen Sohn Joseph. Als alle seine Verwandten zu ihm kamen, wollte er sich nicht trösten lassen, sondern sprach: Trauernd will ich zu meinem Sohne hinabsteigen ins Totenreich. 2181 Auch David trauerte entblößten Hauptes über Absalom und brach immer wieder in die Worte aus: Absalom, mein Sohn, Absalom, mein Sohn, hätte ich doch statt deiner sterben können, o Absalom, mein Sohn! 2182 Auch für Moses und Aaron sowie für andere wurde eine feierliche Trauer veranstaltet.“ 2183 Auf diesen Einwurf ist leicht zu antworten. Jakob trauerte über seinen Sohn, den er für tot hielt, zu dem er selbst in die Unterwelt hinabsteigen wollte, indem er sprach: „Trauernd will ich hinabsteigen zu meinem Sohn ins Totenreich“, 2184 weil Christus die Pforte zum Paradiese noch nicht geöffnet hatte. Sein Blut hatte noch nicht das flammende und zuckende Schwert der Wache haltenden Cherubim 2185 zum Erlöschen gebracht. Deshalb wird uns auch von Abraham berichtet, daß er mit Lazarus, wenn auch an einem Orte der Erquickung, so doch immerhin in der Unterwelt weilte. 2186 Auch Davids Trauer über seinen Sohn, der den Vater ermorden wollte, war berechtigt. Dagegen weinte er nicht, als er den Tod seines kleinen Sohnes, von dem er wußte, daß er sündlos war, durch seine Bitten nicht abwenden konnte. 2187 Daß man für Moses und Aaron nach alter Sitte eine Trauerfeier anordnete, ist ganz natürlich. Berichtet doch die Apostelgeschichte zu einer Zeit, in der bereits das Evangelium in die Welt hineinleuchtete, daß die Brüder in Jerusalem eine große Trauer für Stephanus ansetzten. 2188 Aber diese Trauer bestand nicht in einer seelischen Zermürbung der Trauernden, sondern man hat darunter das feierliche Begräbnis und eine Bestattung unter reger Teilnahme zu verstehen. In diesem Sinne erzählt auch die Schrift von Jakob: „Und Joseph zog hinauf, um seinen Vater zu begraben. Mit ihm zogen alle Söhne Pharaos und alle Ältesten seines Hauses, alle Vornehmen Ägyptens sowie das ganze Haus Josephs samt seinen Brüdern.“ 2189 Und gleich geht es weiter: „Und mit ihm zogen hinauf Viergespanne und Reiter, und es mußte ein gar großes Lager errichtet werden.“ 2190 Noch etwas später heißt es: „Und sie beklagten ihn in gar großer und heftiger Klage.“ 2191 Diese feierliche Trauer forderte von den Ägyptern keineswegs einen Strom von Tränen, sondern es handelt sich hier nur um eine Schilderung des pompösen Leichenbegängnisses. Damit wird auch klar, in welcher Weise Moses und Aaron beweint wurden. Ich kann die Geheimnisse der Schrift nicht genügend rühmen und den göttlichen Sinn in den schlichten Worten nicht hinreichend bewundern, wenn ich daran denke, daß Moses beweint wird, während sie erzählt, daß Josue, der Sohn des Nun und ein heiliger Mann, bestattet wurde, ohne daß einer Trauer Erwähnung geschieht. 2192 Damit wird nämlich angedeutet, daß unter Moses, d.h. unter dem alten Gesetz, alle dem Fluche der Sünde unterworfen waren und ganz natürlich ihnen auch die Tränen in die Unterwelt nachfolgten gemäß dem Ausspruche des Apostels: „Und es herrschte der Tod von Adam bis Moses auch über die, welche nicht sündigten.“ 2193 Unter Jesus aber, der das Paradies eröffnete, d.h. im Zeitalter des Evangeliums, folgt auf den Tod die Seligkeit. 2194 Nur die Juden weinen bis heute und gehen barfuß, wälzen sich in Asche und legen sich auf eine härene Decke. Damit ihr Aberglaube sich in seiner ganzen Albernheit bloßlege, nehmen sie nach einem törichten Brauch der Pharisäer zuerst ein Linsenmus zu sich, offenbar um dadurch anzudeuten, wie sie durch ein ähnliches Gericht ihrer Erstgeburt verlustig gingen. 2195 Sie trauern mit Recht, weil sie nicht auf die Auferstehung des Herrn hoffen, sondern dem Antichrist bei seiner Ankunft überantwortet werden. Wir aber, die wir Christus angezogen haben und nach dem Apostel ein königliches und priesterliches Geschlecht geworden sind, sollen uns nicht wegen der Toten betrüben. 2196 Es heißt in der Schrift: „Und es sprach Moses zu Aaron und zu dessen Söhnen Eleazar und Ithamar, die ihm geblieben waren: Euer Haupt sollt ihr nicht entblößen und euere Kleider nicht zerreißen, damit ihr nicht sterbet und mein Zorn nicht über die ganze Gemeinde komme.“ 2197 Wollet, heißt es also, nicht eure Kleider zerreißen und trauern nach Art der Heiden, damit ihr nicht sterbet! Unser Tod ist die Sünde. Im gleichen Buche Leviticus lesen wir — es mag dem einen oder anderen vielleicht hart vorkommen, aber dem Gläubigen erscheint es notwendig —, wie dem Hohenpriester untersagt wird, hinzuzutreten zu der Leiche seines Vaters, seiner Mutter und seiner Kinder. 2198 Seine Seele, die nur auf den göttlichen Opferdienst eingestellt sein und ganz in diesem Amte aufgehen sollte, durfte durch keine irdische Anhänglichkeit gehemmt werden. Verlangt nicht das Evangelium, nur mit anderen Worten, dasselbe, wenn es vorschreibt, daß der Jünger seiner Familie entsage, oder verbietet, den toten Vater zu begraben? 2199 „Und aus dem Heiligtume“, so steht geschrieben, „soll er nicht hinausgehen, und das Haus seines Gottes soll nicht befleckt werden, weil das heilige öl der Salbung seines Gottes auf ihm ist.“ 2200 Gewiß tragen wir Christus in uns, seitdem wir an ihn glauben und das öl seiner Salbung empfangen haben. Nun aber dürfen wir nicht aus dem Tempel hinausgehen, den einmal erwählten heiligen Beruf nicht preisgeben. Wir dürfen nicht hinausgehen und eins werden mit der ungläubigen Heidenwelt, sondern wir müssen stets im Innern bleiben, mit anderen Worten, dem Willen Gottes dienen.