Читать книгу Ausgewählte Briefe, Band 2 - Sophronius Eusebius Hieronmyus - Страница 35
Оглавление75. An Theodora in Spanien: Zum Tode des Lucinus
Einleitung
Lucinus, ein vornehmer und vermögender Spanier, hatte sich in verschiedenen Anliegen an Hieronymus gewandt. 2334 In seiner Antwort lädt dieser den neuen Freund ein, nach dem Heiligen Lande zu kommen, um sich dort niederzulassen. 2335 Doch traf bald die unerwartete Nachricht vom Tode des Lucinus in Bethlehem ein. Hieronymus tröstet die Witwe, die mit ihrem Manne Enthaltsamkeit gelobt hatte, über das Los des verstorbenen Gatten. Er flicht eine kurze dogmatische, gegen Origenes gerichtete Ausführung ein über den Zustand des menschlichen Leibes im Jenseits. An Lucinus lobt er vor allem dessen Verdienst um die Reinerhaltung des Glaubens während der priszillianischen Wirren, die ganz Spanien in Unruhe versetzt hatten. Mit einer eigenhändigen Nachschrift, die zur Wachsamkeit mahnt, schließt das Schreiben.
Der Brief an Lucinus fällt in das Jahr 398. Da ihn kurz darauf der Tod hinwegraffte, so wird man den vorliegenden Brief mit Rücksicht auf die weite Entfernung am besten etwa ein Jahr nachher anzusetzen haben. Eine spätere Datierung, die Grützmacher nicht für ausgeschlossen hält (I 81), widerspricht dem Zweck des Schreibens. 2336
1.
Die betrübliche Nachricht vom Hinscheiden des heiligen und achtbaren Lucinus hat mich derart bestürzt, daß ich kaum einen kurzen Brief diktieren kann. Sein Los brauche ich nicht zu beklagen; denn ich weiß, daß er in ein besseres Jenseits hinübergegangen ist. Auf ihn treffen die Worte zu: „Ich will hinübergehen und diese große Erscheinung schauen.“ 2337 Mich schmerzt, daß ich trotz meiner Sehnsucht nicht würdig war, das Antlitz eines Mannes zu schauen, von dem ich hoffte, daß er binnen kurzem hier eintreffen werde. Der Prophet hat nur allzu recht, wenn er vom unvermeidlichen Tode sagt, daß er Brüder auseinanderreißt 2338 und grausam und mitleidlos die zartesten Bande löst. Doch ein Trost bleibt uns. Der Tod wird erdrosselt nach dem Worte des Herrn, der zu ihm spricht: „Ich werde dein Tod sein, o Tod; ich werde dein Biß sein, o Hölle.“ 2339 Und etwas später heißt es: „Der Herr wird einen heißen Wind aus der Wüste heranführen, welcher alle seine Adern austrocknet und seinen Lebensquell zum Versiegen bringt.“ 2340 Denn ein Reis ist hervorgegangen aus der Wurzel Jesse, und aus dem jungfräulichen Strauche wuchs eine Blume hervor, 2341 die im Hohenliede sprechen sollte: „Ich bin die Blume des Feldes und die Lilie der Täler.“ 2342 Unsere Blume ist des Todes Untergang. Deshalb ist sie gestorben, damit der Tod an ihrem Tode sterben sollte. Die Wüste aber, aus der der heiße Wind herangeführt wird, ist der jungfräuliche Schoß, der ohne Beiwohnung und ohne Mannessame uns das göttliche Kind schenkte, das durch die Glut des Heiligen Geistes die Quellen der bösen Lust zum Versiegen brachte. Deshalb läßt es sich auch im Psalme vernehmen mit den Worten: „Wie einer, der in wüstem, unwegsamem wasserlosen Lande weilt, so erscheine ich vor Dir in Deinem Heiligtume.“ 2343 Beim Gedanken an den unausweichlichen Tod mit seiner harten Grausamkeit richtet uns die tröstliche Zuversicht auf, daß wir jene bald wiedersehen werden, deren Hinscheiden wir betrauern. Denn der Tod ist ja weniger ein Tod als ein Schlummer und Schlaf. 2344 Deshalb verbietet uns auch der heilige Apostel, um die Entschlafenen zu trauern; 2345 denn wir glauben ja an die Auferstehung der Entschlafenen. Wir wissen, daß sie nach vollendetem Schlummer zusammen mit den Heiligen wachen und mit den Engeln sprechen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.“ 2346 Im Himmel, wo es keine Sünde gibt, wird Gott verherrlicht. In alle Ewigkeit erklingt sein Lob, ununterbrochen wird sein Ruhm verkündet. Auf der Erde jedoch, wo Aufruhr, Krieg und Zwietracht herrschen, muß man um den Frieden flehen, um einen Frieden, dessen nicht alle teilhaftig werden, sondern nur jene, die eines guten Willens sind. 2347 Nur diesen gilt der Gruß des Apostels; „Gnade und Frieden spende euch Gott der Vater und Jesus Christus, unser Herr, mehr und mehr.“ 2348 Denn Gottes Stätte soll im Frieden sein und seine Wohnung auf Sion, 2349 auf der Warte, auf der erhabenen Höhe des Glaubens und der Tugenden, in der Seele des Gläubigen, dessen Engel Tag um Tag Gottes Angesicht schaut und unverhüllten Auges seine Herrlichkeit betrachtet. 2350
2.
Deshalb beschwöre ich Dich und treibe Dich, wie man zu sagen pflegt, im Laufen an, 2351 daß Du Dich nach Deinem Lucinus wie nach einem Bruder sehnst. Du sollst Dich aber auch darüber freuen, daß er mit Christus herrscht, 2352 weil er dahingerafft wurde, auf daß die Bosheit nicht seinen Sinn verderbe. Denn seine Seele war dem Herrn angenehm, und in kurzer Zeit hat er viele Jahre vollendet. 2353 Uns müßte man viel mehr bedauern, die wir tagtäglich mit der Sünde im Kampfe liegen, uns, die das Laster besudelt, die wir Wunde um Wunde empfangen und über jedes müßige Wort Rechenschaft ablegen müssen. 2354 Er ist in Sicherheit. Als Sieger blickt er aus der Höhe auf Dich herab, unterstützt Dich in Deinem Bemühen und bereitet Dir in seiner Nähe eine Stätte mit der gleichen Liebe und Anhänglichkeit, die er Dir bereits auf Erden als seiner Schwester entgegenbrachte, nachdem er auf seine ehelichen Rechte verzichtet hatte. Ja, man konnte Dich selbst seinen Bruder nennen; denn eine keusche Verbindung weiß nichts von Geschlecht und Ehe. Wenn wir aber nach unserer Wiedergeburt in Christus, mögen wir auch noch im Fleische wandeln, weder Grieche noch Barbar, weder Knecht noch Freier, weder Mann noch Frau, sondern alle in ihm eins sind, 2355 um wieviel mehr wird dies zutreffen, wenn dies Vergängliche die Unvergänglichkeit und das Sterbliche an uns die Unsterblichkeit angezogen hat? 2356 Sie werden weder heiraten noch geheiratet werden, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel. 2357 Wenn die Schrift sagt: „Sie werden nicht heiraten noch geheiratet werden, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel“, so soll damit nicht die Natur und Wesenheit des menschlichen Leibes aufgehoben werden, sondern der Heiland will auf die Größe unserer Herrlichkeit hinweisen. Es heißt ja nicht: „Sie werden Engel sein“, sondern „sie werden wie die Engel sein“. 2358 Versprochen wird nur die Ähnlichkeit mit den Engeln, aber von einer Verwandlung in Engel ist nicht die Rede. Sie werden wie die Engel sein, 2359 bedeutet: „Sie werden den Engeln ähnlich sein.“ Sie werden also keineswegs aufhören, Menschen zu sein. Wohl werden sie verklärt werden und im himmlischen Glanze wie Engel leuchten, aber sie werden Menschen bleiben, so daß der Apostel ein Apostel und Maria Maria bleibt. Weg mit der verderblichen Irrlehre, 2360 die unsichere und phantastische Versprechungen macht, dafür uns ein bescheideneres Glück raubt, das aber wenigstens den Vorteil der Sicherheit hat.
3.
Weil gerade von Irrlehren die Rede ist, so kann keine noch so laute, noch so beredte Anerkennung ausreichen, um des Lucinus Verdienste in würdiger Weise herauszuheben. Als die garstige Irrlehre des Basilides 2361 über ganz Spanien sich hinwälzte und gleich einer Pest und Seuche alle Provinzen zwischen den Pyrenäen und dem Ozean verheerte, da hielt er an dem reinen Kirchenglauben fest. Er wollte nichts wissen von Armazel, Barbelon, Abraxas, Balsamus und von dem lächerlichen Leusiboras und all den anderen phantastischen Bezeichnungen. 2362 Mit diesen wollten die Ketzer Eindruck machen auf die Dummen und auf gewisse Weiblein. Man gab vor, diese Ausdrücke seien dem Hebräischen entnommen und hoffte, mit dem fremden Klang einfältige Gemüter zu schrecken, die ja am meisten das anstaunen, was sie nicht verstehen. Vernehmen wir den Bericht des Irenäus, 2363 eines Mannes aus der Zeit der Apostel und eines Schülers des Papias, 2364 der noch den Evangelisten Johannes gehört hat! Irenäus also, der Bischof der Kirche von Lyon, erzählt, daß ein gewisser Markus, der zur Sippe des Gnostikers Basilides gehörte, zuerst nach Gallien kam und mit seiner Lehre die Gebiete verseuchte, durch welche die Rhone und die Garonne fließen. Besonders verführte er mit seiner Irrlehre vornehme Frauen, denen er verborgene Geheimnisse zu enthüllen versprach. Durch Zauberkünste und im Verborgenen geübte Unsittlichkeit machte er sie sich gefügig. Dann überschritt er die Pyrenäen, um in Spanien festen Fuß zu fassen. Sein Plan ging dahin, Einlaß zu finden in die Häuser der Reichen und sich dort besonders an die Frauen heranzumachen, die nach der Schrift von allerlei Begierden getrieben immer lernen und nie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. 2365 So berichtet Irenäus vor beiläufig 300 Jahren 2366 in seinem Buche „Gegen alle Ketzereien“, das er unter Aufwand vielen gelehrten Stoffes und sprachlich äußerst geschickt verfaßt hat.
4.
Du bist verständig genug, um diesen Ausführungen zu entnehmen, welchen Ruhm sich unser Lucinus erworben hat, der sein Ohr verschlossen hielt, um kein Bluturteil zu vernehmen. 2367 Er verdient aber auch dafür Anerkennung, daß er seine Habe unter die Armen austeilte, damit seine Gerechtigkeit bleibe in alle Ewigkeit. 2368 Seine Freigebigkeit beschränkte sich nicht auf seine engere Heimat. An die Kirchen zu Jerusalem und zu Alexandrien sandte er so viel Gold, daß zahlreiche Notleidende Hilfe fanden. Während viele gerade dieser Freigebigkeit Bewunderung und Anerkennung zollen, möchte ich vor allem seine Vorliebe und seinen Eifer für die Hl. Schrift rühmend hervorheben. Wie weit sein Verlangen nach meinen Schriften ging, zeigt folgender Vorgang. In unserer Provinz herrscht ein Mangel an Schreibern, die der lateinischen Sprache kundig sind. Da schickte er sechs Abschreiber und ließ sie alles kopieren, was ich seit meiner Jugend bis auf den heutigen Tag diktiert habe. Dies geschah nicht etwa, um mich zu ehren, der ich der unbedeutendste und geringste aller Christen bin 2369 und in Erkenntnis meiner Sündhaftigkeit zwischen den Felsen in Bethlehems Umgebung wohne. Die Ehre galt Christus, der sich in seinen Dienern verherrlicht und den Aposteln die Verheißung gab: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf. Wer aber mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ 2370
5.
So nimm denn, geliebteste Tochter, diesen Brief hin als ein Denkmal meiner Liebe zu Lucinus! Glaubst Du daß ich Dir auf geistigem Gebiete irgendwie nützlich sein kann, so magst Du ohne Zögern über mich verfügen. Mögen kommende Jahrhunderte erkennen, daß der, welcher bei Isaias spricht: „Er machte mich zu seinem auserlesenen Pfeile und verbarg mich in seinem Köcher“ 2371 zwei Männer, die breite Meere und weite Länder voneinander trennten, mit dem Pfeile der Liebe so schwer verwundet hat, daß sie sich gegenseitig in geistiger Liebe angezogen fühlten, obwohl sie einander nie zu Gesicht bekamen!
Nachschrift
Heilig an Leib und Seele bewahre Dich der Samaritan, der Schirmer und Wächter, 2372 von dem es im Psalme heißt: „Er, der Israel bewacht, rastet und schlummert nicht, 2373 damit Hir, ,der Wachsame’, der zu Daniel herabstieg, 2374 auch zu Dir komme, so daß Du sprechen kannst: ,Ich schlafe, aber mein Herz wacht.’“ 2375