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Kapitel 1 
ОглавлениеJährliches Seefest bei herrlichem Spätsommerwetter
“Du bist der Nächste Johnny, Rob wird noch ungefähr zehn Minuten auf der Bühne stehen. Wenn du also noch irgendwelche letzten Rituale hast, dann mach sie jetzt.” Ich nicke nur. Nein, nein, letzte Rituale habe ich nicht. Solche Rituale sind ohnehin eher etwas für Menschen, die zusätzlichen Halt benötigen. Ich wende mich ab und gehe ein kleines Stück weiter, um einen Blick auf die feiernde Menge zu erlangen. Ausgelassen hüpfen die Fans zum Takt auf und ab und an den Mündern erkennt man, dass die meisten die Texte aus dem Effeff beherrschen. Das Publikum ist nicht mehr ganz jung, die meisten zwischen 25 und 40 Jahren. Einige Ältere sind auch dabei, wobei älter relativ ist, 50 vielleicht. Diese Musik ist eben nur etwas für die jetzige Generation. Die ältere Generation mit ihrer Pop- und Rockmusik ist viel zu weich, zu indirekt. Dort geht es immer nur um die Liebe, die Eine und wie sie einen wieder verlässt. Einfach nur öde. Bei der jüngeren Generation wird alles nur noch elektronisch gemacht, kaum noch Texte, nur noch Beats und schrille Töne. Keine Ahnung, wie man das aushält. Aber das gleiche dachten meine Eltern auch immer von der Musik, die ich höre. Ist wahrscheinlich eines dieser universellen Gesetze.
Vereinzelte Schleierwolken zieren den ansonsten blauen Himmel. Der Sommer in diesem Jahr ist glücklicherweise nicht so heiß, wie der letzte. Im vergangenen Jahr musste sogar ein Event ausfallen - es gab quasi hitzefrei, wie in der Schule damals. Verrückte Welt. Warm ist es aktuell trotzdem wieder, die jüngsten Nachrichten meldeten sogar, es könne sein, dass es im nächsten Sommer zu einem Wassermangel kommt - bei uns! Ich sag ja, verrückte Welt. Wenigstens geht heute ein wenig Wind. Eine kühle Brise an einem herrlichen Sommerabend, da könnte man auch zu Hause auf der Dachterrasse sitzen und sich ein frisches Bier vom Fass gönnen. Nur eines, der Körper soll schließlich fit bleiben. Seit viereinhalb Jahren läuft das Workout, jeden Tag, für 90 Minuten - so viel Zeit muss sein. Dieser Körper ist schließlich alles, was man hat.
Die Bühne besteht aus drei Teilen, allesamt ca. 20m breit. Die Band zur Begleitung spielt auf der linken Seite, der Sänger selbst in der Mitte, direkt unter dem futuristischen Banner des Seefests. So richtig passt der Banner mit seinen geschwungen Formen nicht ins Bild, wir Rapper sind doch eher kantig und ecken hier und da an. Auf dem rechten Bühnenabschnitt ist Platz für den Chor oder für die Tänzer. Warum die Organisatoren nur die Hauptkünstler auf der mittleren Bühne haben wollen, ich weiß es nicht. Aber es ist die achtzehnte Auflage des Seefests, also werden die schon wissen, was sie tun. Die Lichtshow jedenfalls kann sich sehen lassen und dass trotz des geringen Kontrastes zur Sommersonne, die immer noch recht hoch am Horizont steht. Erste längere Schattenwürfe der Fichten sind jedoch erkennbar, reichen aber noch nicht ganz bis zum See. Im See selbst schwimmen tatsächlich noch Enten. Die scheinen sich an der ohrenbetäubenden Musik, die aus den zahlreichen großen Standlautsprechern kommt, nicht zu stören. Hin und wieder machen Sie das Headbanging mit und tauchen ein und oder zweimal ihren Kopf unter Wasser. Danach paddeln sie weiter seelenruhig durch das schimmernde Wasser.
Das Areal ist riesig, bis zu 10.000 Fans sollen hier sein. Das ist schon eine ganze Menge. Mein erster und einziger Auftritt hier vor zwei Jahren war noch vor nur knapp 5.000 Fans und trotzdem ein voller Erfolg. Mit einem gelungenen Auftritt heute könnten die Verträge mit zwei Plattenproduzenten vielversprechend aufgestockt werden. Vielleicht reicht es dann auch endlich für den absoluten Tophit. Bislang war die beste Chartposition Nummer sechs. Das kann ja nicht das Ende der Messlatte sein. Drei Hits waren in den Top 10. Das ist für einen Rapper zwar schon beeindruckend, aber Rob, der arrogante Idiot, der gerade noch auf der Bühne steht, hat mit seinem aktuellen Hit sogar Platz drei geschafft - lächerlich, wenn man sich die Lyrics genauer anhört. Und Frank hat es sogar auf Platz zwei geschafft, was allerdings schon eine ganze Weile her ist. Zwei Jahre? Vielleicht sogar drei. Ich weiß es nicht mehr. Muss ich ihn später mal fragen. Die Fans heute jedenfalls scheinen weiter gut drauf zu sein, trotz der Tatsache, dass sie kaum Platz um sich rum haben. Eng gedrängt sind sie alle, wie Hühner in Käfighaltung. Nur dass es keinen richtigen Käfig gibt, lediglich Ordner in gelben Westen, die wohl als Hauptaufgabe haben, den Platz direkt vor der Bühne so gerappelt voll wie möglich zu halten. Das doch recht große Polizeiaufgebot scheint bislang nichts dagegen zu haben. Die halten sich weiter im Hintergrund auf, aber das mag auch andere Gründe haben. Schließlich ist dort etwas mehr Schatten und in all der Uniform schwitzt man bei dem Wetter schon leicht mal.
Der Parkplatz, vor dem sich die Polizisten aufgestellt haben, ist jedenfalls bis auf den letzten Platz gefüllt. Und nicht nur dass, Steven hat mir vorhin gesagt, dass selbst die Zufahrtsstraßen kilometerlang zugeparkt sind. Aber Steven übertreibt auch gerne mal. Ist schon immer witzig mit ihm, hin und wieder ist er der reinste Chaot, aber dann gibt es auch wieder Momente, da wirkt er wie der Dalai Lama. Schätze als Drummer muss man ein wenig verrückt sein. Er ist übrigens jemand, der Rituale hat. Jetzt wischt er wahrscheinlich gerade mit dem gestickten Tuch seiner verstorbenen Großmutter seine Drumsticks ab, nicht irgendwie, sondern von unten nach oben - immer von unten nach oben - genau sieben Mal. Er meint sieben sei seine Glückszahl. Glück - meiner Meinung nach hat das Leben nichts mit Glück zu tun, wenn man hart schuftet, kann man alles erreichen. Die drei Top 10 Hits sind nicht auf Grundlage von Glück entstanden, sondern weil wir täglich an uns arbeiten und uns nicht mit weniger als dem Besten zufriedengeben. Und genau das ist der Grund, warum wir es auch auf Platz eins schaffen werden. Vielleicht ja schon mit dem neuen Lied Harte Bandagen, das wir heute das erste Mal live spielen werden.
“Eine Minute noch Johnny! Wo steckt dein Drummer?”, fragt mich einer der Organisatoren. “Keine Panik, der beendet nur noch gerade sein Ritual, bin mir sicher, er ist jede - da kommt er doch. Stellt ihr nur sicher, dass mit der Technik alles funktioniert, den Rest besorgen wir dann schon.” Na dann wollen wir mal - drei Songs singen, drei krasse Performances abliefern und drei Mal wird die Crowd ausrasten. Los geht es mit Schmerz, dann Gegen den Rest der Welt und schließlich der neue Hit Harte Bandagen. Als Steven sich neben mir aufstellt, kann ich mir einen Spruch nicht verkneifen. “Steven, bist du bereit, hast du deinen Stick wieder mal poliert?”, necke ich. Er kennt meine Eigenheiten und weiß inzwischen damit umzugehen. “Haha, mach dich nur lustig.”, antwortet er, “Es sind vier Sticks und ja, frisch geputzt und poliert. Let’s go!”

Auf einer Bühne zu stehen, ist nicht immer leicht. Ich kann mich noch erinnern, dass ich als kleines Kind enormes Lampenfieber hatte, als wir eine Schulaufführung hatten, bei der ich die Raupe Nimmersatt gespielt habe. Minutenlang habe ich mich geweigert, auf die Bühne zu gehen und selbst meine Mutter konnte mich nicht beruhigen. Als Kind kann man jedoch sehr von anderen Kindern beeinflusst werden und als mir der große Bruder meines besten Freundes Gregor von seinem Lampenfieber berichtet hat und sagte, dass man von der Bühne aus ohnehin ganz anders wirkt, als man denkt und dass die Menschen einen dafür bewundern, diesen Mut zu haben, in andere Rollen zu schlüpfen, da konnte ich meine Angst für ein paar Sekunden ablegen und trat auf die Bühne.
Ich habe es geliebt - von dort an wusste ich, dass mein Weg irgendwann etwas mit dem Auftritt vor anderen Personen zu tun haben sollte. Es war ein tolles Erlebnis. Dass ich einmal als Rapper auf der Bühne vor mehreren tausend Leuten auftreten würde, hätte ich damals aber für ziemlich unmöglich gehalten - aber ich hätte auch nicht gewusst, was einen Rapper auszeichnet. Musikinstrumente haben mich jedenfalls früher nicht wahnsinnig angezogen, Musik zu hören jedoch schon. Zumindest bestätigen mir das meine Eltern immer wieder, wenn sie mir Geschichten von früher erzählen, als ich noch zu klein war, um mich daran zu erinnern. Einmal soll ich bei einem Geburtstag von einem Freund auf den Tisch geklettert sein und dort getanzt haben - wie gut, dass es zu der Zeit noch nicht üblich war, alles auf Video festzuhalten. Auch verwunderlich, wenn ich so darüber nachdenke, dass ich davor scheinbar kein Lampenfieber hatte. Ist wahrscheinlich die Unbekümmertheit in dem Alter.
Die Scheinwerfer, die auf die mittlere Bühne gerichtet sind, leuchten so grell, dass sie einen Großteil der Wahrnehmung der Umgebung einschränken. Immerhin die Reihe der blauen Dixi-Toiletten, die von zahlreichen kleinen Schlangen bedürfnisreicher Menschen belauert werden, sind noch zu erkennen. Der überwiegende Teil der Zuschauer wartet allerdings gespannt auf den ersten Beat. Das Mikrofon liegt fest in meiner Hand, die Kapuze ist tief ins Gesicht gezogen - eines meiner Markenzeichen. In der ersten Reihe steht eine vierköpfige Gruppe leicht bekleideter Frauen. Sie sind Anfang 30, würde ich schätzen. Ihre Augen sind groß und funkeln, als ich die Hand hebe und ihnen zuwinke. Etwas weiter rechts hat ein Vater seinen kleinen Sohn auf den Schultern. Ob die Lautstärke für den Jungen nicht zu laut ist? Manche Menschen schrecken vor nichts für ihr eigenes Vergnügen zurück. Aber der Vater ist auch wegen mir gekommen, von daher werde ich ihm und seinem Sohn eine tolle Show bieten. Der Beat setzt ein. Jubel schallt mir entgegen. Steven am Schlagzeug hat ein breites Grinsen im Gesicht und mein Gitarrist Manuel lässt das erste Riff leichthändig über die Saiten gleiten. Beide sind absolut hervorragend auf ihrem Gebiet. Fünf, sechs, sieben, acht.
“Wenn ich Morgens aufstehe, wenn ich dann voll drauf gehe, mich kurz wieder aufrege, dann doch hundert Pro gebe, werden all die Taten, die mich den Tag erwarten, nacheinander starten, dann kann der Schmerz noch warten.” Der Song Schmerz beschreibt ein dunkles, wohlmöglich das dunkelste Kapitel meines bisherigen Lebens. Er handelt von dem immer wiederkehrenden Schmerz des Verlustes eines geliebten Menschen - in meinem Fall meines besten Freundes Gregors, den ich kannte, seitdem ich vier Jahre alt war. Anderthalb Jahre ist das her und seitdem schwebt eine dunkle Wolke über vielen Gedanken in meinem Kopf. Doch der musikalische Erfolg des vergangenen Jahres, die Liebe der Fans zu den Texten, nehmen die Trauer immer wieder ein wenig. Es ist ein Balanceakt, jeden Tag aufs Neue. “Voller Schmerz, berührst mein Herz, auch heute noch, man wärst du doch, hier bei mir, dann würd ich dir, sagen, was noch offen ist, seit ich dich so krass vermiss.” Man, wie viel haben wir zusammen gemacht, über Jahrzehnte hinweg. So traurig der Song für mich auch ist, so sehr erinnert er mich auch an die genialen Zeiten, die wir hatten. Die Streiche, die wir unseren Eltern gespielt haben, die Ausflüge, die wir mit den zwei kleinen Chiwawas von Gregor gemacht haben und nicht zu vergessen, den Urlaub, bei dem wir beide unseren ersten Kuss mit den schwarzhaarigen Zwillingsschwestern hatten. Was haben wir nicht alles erlebt. “All das ist reine Spekulation, selbst gemachte Manipulation, keine Aktion sondern Reaktion, und was bleibt, das ist der Hohn, ist reiner Schmerz - du weißt schon…”
Ein Meer aus Händen hängt in der Luft, der Schlussakkord klingt aus und Getöse der Menge durchhallt die plötzliche Stille der Lautsprecher. Die Scheinwerfer gehen für einen Moment aus. Beim Anblick der Menge fällt mir die fast durchweg dunkle Kleidung auf. Anhänger von Rap sind nicht die farbenfrohesten Menschen, wie es aussieht. Immerhin bringen die roten und grünen Bandanas einiger Fans sowie die Goldketten ein wenig Abwechslung ins Bild. Ansonsten kommt die meiste Farbe von der Haut der Frauen in der Menge - eine reizende Blondine mit vollen roten Lippen sticht dabei besonders hervor. Sie steht zwar erst irgendwo in Reihe zehn, ist aber ein wahrer Blickfang. Sie legt wert auf ihren Körper, das kann man sofort erkennen. Sehr sympathisch. Die Scheinwerfer gehen wieder an, aber nicht die vorderen, sondern dieses Mal die oberen. An Lichteffekten wird beim Festival hier nicht gespart. Steven ist wieder voll dabei, irgendwie bewundernswert für jemanden, der nicht im direkten Rampenlicht steht.
Gegen den Rest der Welt handelt von einem Einzelgänger, der ein ums andere Mal von seinen ehemaligen Freunden verraten wurde. Mit jedem Schicksalsschlag zieht er sich weiter zurück, isoliert sich und sieht sich der Welt allein gegenüber. “Bist mir in den Rücken gefallen, Julius Caesar fühlte ähnlich, innerlich möchte ich die Fäuste Ballen, hältst du mich für dämlich?” Diese Rolle des unterdrückten Helden ist schon oft verfilmt worden, aber in der Realität sind diese Menschen meist gar keine Helden, sondern Opfer - Opfer des Systems, Opfer von Vorurteilen oder Opfer ihrer Umgebung. Meist beginnt das schon in ganz frühen Jahren. Mein Blick schweift auf den kleinen Jungen in der ersten Reihe. Was für eine Zukunft ihn wohl erwartet? Wird er auch mal Opfer sein oder steht er auf der Seite derjenigen, die andere zu Opfern machen? “Habt gehetzt, habt gemobbt, habt mich zum Rückzug gezwungen, habt mein’ Elan gestoppt, hab nur noch mit mir gerungen.” Ist man erst mal in dieser Abwärtsspirale drin, kann man dagegen kaum noch etwas tun. Früher haben die Menschen Krieg erlebt und das muss grausam gewesen sein, aber immerhin hatten sie einen Feind, der nicht sie selbst war. Doch heute? So viele Menschen leiden und sind unzufrieden mit sich selbst, sehen sich selbst als den Gegner, den es zu besiegen gibt. “Ich bin allein, und das ist gut so, was ihr mir gebt, das brauch ich nicht, ich bin allein, und das ist gut so, eure Wörter haben kein Gewicht. Ich bin fürs Leben, aber ich bin kein Held, ich bin einfach nur, gegen den Rest der Welt.”
Wie viele von den applaudieren Fans sich wohl mit diesem Song identifizieren können? Die meisten sind wohl in Gruppen da, aber einige sicher auch allein oder als fünftes Rad am Wagen. Nach dem Tod von Gregor habe ich mich beim Ausgehen mit neuen Freunden häufig so gefühlt. Natürlich bin ich berühmt und gut aussehend. Da kommt man schnell in Kontakt mit neuen Menschen, aber was nützt das, wenn alles oberflächlich bleibt? Die anderen haben gemeinsame Vergangenheit, gemeinsame Jokes, gemeinsame Sprache. Was bin ich für sie? Ein Promi, mit dem man sich ablichten kann. Hier ein Selfie, da eine Party im VIP-Bereich, aber sonst? Wenigstens bei den Frauen gibt es Tieferes. Die geben sich schließlich nicht nur mit einem Foto zufrieden, sondern nehmen gerne mehr und zu gutem Sex habe ich noch nie nein gesagt.
Erneut gehen die Scheinwerfer aus, die Menge tobt und kopiert meine Pose mit nach unten geneigtem Kopf und nach oben ausgestreckter Faust. Das Adrenalin pumpt - gleich werden wir sehen, wie gut unser neuester Hit ankommt. Die Polizisten wirken etwas aktiver und beunruhigter, befürchten vielleicht, dass die Menge durch die Songs aggressiver wird. Aber der Veranstalter schenkt in den vier großen, mobilen Getränkewagen keine hochprozentigen Sachen aus. Ein bisschen Bier gibt es und ein wenig Wein, zu dem aber wenn nur die Frauen greifen. Es gibt sogar ein Gehwegkonzept dafür, so dass die Menschen nicht an den Wagen verharren, sondern weiter wandern müssen. Bis sie beim nächsten Wagen ankommen, vergeht schon einiges an Zeit in den Warteschlangen - ein gutes Konzept um komplett Besoffene zu verhindern, aber dass es nicht zu völliger Orientierungslosigkeit bei den Gästen führt, ist schon verblüffend. Liegt bestimmt an den vielen Ordnern in ihren schicken gelben Westen.
“Willst du hoch hinaus, fahr die Ellenbogen aus, bring dich in Position, denn nur dann stimmt auch der Lohn, achte auf deine Gegner, handle jetzt und nicht später, denn wenn du erst mal oben bist, läuft’s von alleine ganz gewiss.” Es ist schon merkwürdig, dass wir Menschen als soziale Wesen bezeichnet werden und uns gegenseitig so viel Unsoziales antun. Die paar reichsten Menschen haben kaum Probleme noch mehr Geld anzuhäufen, weil sie sich alle Voraussetzungen dafür einfach kaufen können. Die Armen hingegen können die besten Ideen haben, aber sind nicht in der Lage diese umzusetzen, weil ihnen der Start fehlt. Entweder besitzen sie das Geld nicht oder sie haben schlichtweg zu wenig Zeit, sich neu zu orientieren, weil sie mit dem Überleben selbst beschäftigt sind. Zur Elite zu gehören, war schon immer erstrebenswert, um ein gutes Leben zu führen. Ich bin froh, dass ich dazu gehöre. Ich brauche mir keine Gedanken darüber machen, wie es ist, nicht zu wissen, wo die Miete für den nächsten Monat herkommen soll, wann mein Kind mal mit auf Klassenfahrt fahren kann oder ob es morgen überhaupt noch was zu essen gibt. Neulich habe ich in einer Studie gelesen, dass zwei Prozent der Menschen genauso viel Reichtum besitzen wie die ärmere Hälfte. Das Schlimmste daran ist, dass unter dieser ärmeren Hälfte zehn Prozent Kinder sein sollen. Wenn man sich das ausrechnet, was das in Zahlen bedeutet, wird einem schwindelig. Ist doch verrückt, dass das nicht besser verteilt wird. “Nur du weißt, was das beste für dich ist - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen! Niemand weiß, wie erfolgreich du jetzt bist - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen! Verfolge dein Ziel, denn nur so wirst du reich - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen! Dreh dich bloß nicht um, denn sonst wirst du zu weich - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen!” Wer nicht mehr tut als alle anderen, der verliert den Kampf und den Anschluss. Ich stände nicht hier auf der Bühne, wenn ich nicht jeden Tag alles dafür tun würde, besser zu sein als all die anderen Rapper da draußen - all die arroganten Robs, all die abgelenkten Flops. Oh, ich liebe es, wenn sich meine Gedanken reimen, vielleicht sollte ich da auch ein Lied drüber schreiben.
Die Crowd jedenfalls geht ordentlich mit, das läuft genauso wie erhofft. Harte Bandagen kommt richtig gut an, der Beat ist auch einfach phänomenal, da hat sich Steven selbst übertroffen. Eine Gruppe Männer springt sich mit der Brust voraus gegenseitig entgegen und plustert sich dabei lachend auf. Es ist schön, zu wissen, dass meine Musik solche Wirkung hat, dass sie Menschen aus ihrem Alltag rausreißt und die Welt um sie herum mal für ein paar Minuten vergessen lässt. Und dann beginnt das Spiel von vorn - höher, schneller, weiter, dem anderen immer einen Schritt voraus sein. “Danke schön! Thank you! Ihr seid die Besten!” Noch einmal die Faust in die Luft strecken. Die Lichter verblassen und es geht runter von der Bühne.
Im abgesperrten Backstagebereich begegnet uns Frank Farell und zwinkert mir zu. “Digga, geile neue Platte, aber hör gut hin, ich werd die Leute noch mehr zum Feiern bringen! Lass uns nachher noch quatschen Digga, ja?” Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sicher bin ich mir nicht, ob er einen Satz ohne das Wort ‘Digga’ sagen könnte. Schon bemerkenswert wie viel Energie der Kleine hat, reicht mir gerade mal bis zur Schulter und dabei bin ich mit meinen 1,83m ja auch nicht riesengroß. “Klar doch, ich bin noch ein Weilchen hier, lass es krachen da draußen!” Wir haben uns das erste Mal bei einem Benefizkonzert für benachteiligte Jugendliche getroffen und uns auf Anhieb gut verstanden. Wir haben den selben Humor, wie es scheint und können uns herrlich über all die anderen Rapper lustig machen - gerade die ohne vernünftige Karren. Ein bisschen Stil sollte man schon haben.
In der Nähe der Garderobe wird es von der Lautstärke etwas leiser, so dass Manuel, Steven und ich eine kleine Feedbackrunde machen können. Steven möchte das immer, er liebt eben seine Rituale. “Leute, der Auftritt war mega oder? Habt ihr gemerkt, wie geil der Beat bei Harte Bandagen ankam?”, legt er auch direkt los. “Ja, Steven, das war Gänsehautstimmung, ist dir heute besonders gut gelungen!”, entgegnet Manuel. “Und all die Fäuste! Toll, nach den letzten zwei Monaten mit den kleineren Auftritten und all den Proben, mal wieder so viele Menschen zu begeistern!”, fährt er fort. “War nur viel zu kurz, hätten lieber zwei Künstler weniger sein sollen und dafür noch ein bis zwei Songs mehr.”, werfe ich ein. Steven verdreht die Augen. “Jetzt mach mal halblang und genieß, was wir da auf die Beine gestellt haben. Immer dieser Pessimismus!” Irgendwie hat er ja recht. “War schon cool, ja, nur wie gesagt zu kurz. Ist doch die Wahrheit.” Manuel schaltet sich ein, “Du bist echt nicht leicht zufrieden zu stellen.” Ich schaue ihm in die Augen und antworte, “Doch doch, wenn wir endlich von Platz eins der Charts grüßen, dann bin ich zufrieden!” Dem Gelächter folgt ein Abklatschen und die Entscheidung, dass wir darauf doch erst einmal anstoßen sollten. Gut, dass es Backstage eine eigene kleine Bar gibt, wobei Bar übertrieben ist - es ist mehr ein Tisch, hinter dem ein älterer Mann Mitte 40 ein paar Kisten Bier gestapelt hat und uns drei Flaschen davon reicht. Immerhin besser als draußen anzustehen. Es klirrt, “Auf den nächsten Nummer eins Hit!”

“Digga!”, tönt es hinter mir, wer das wohl sein könnte. “Hey, Frank, alles klar? Zufrieden mit deinem Auftritt?” Eine Antwort benötige ich bei dem Grinsen in seinem Gesicht eigentlich nicht. “Digga, logisch, hast du die Party verpasst? Ein Song krasser als der andere, Digga!” Ich sag’s ja, kein Satz ohne dieses Wort. “Aber klar doch, konnte mir nicht verkneifen, den ein oder anderen Blick auf deine Fans zu werfen. Hast du die junge Dame links an der Bühne gesehen, mit dem tiefen Ausschnitt? Die hat dich gefeiert! Und war obendrein nicht mal doppelt so groß wie du.” Witze über seine kleine Statur ist er natürlich gewohnt. “Digga, natürlich ist sie mir aufgefallen. Das wäre eine Frau, die mich heut zur Afterparty begleiten dürfte. Vielleicht sehe ich sie ja gleich noch, dann packe ich sie mit ein. Bist du später auch noch da?” Der Veranstalter hatte bekannt gegeben, dass es eine VIP-Afterparty im nächstgelegen Club geben wird - alle Künstler und Bandmitglieder kommen natürlich umsonst rein. Los geht es wohl gegen 23 Uhr, die Karten für alle anderen sind auf 100 beschränkt, also einigermaßen exklusiv. Für mich wäre es kein Problem noch ein, zwei Frauen mitzubringen, das geht immer klar. Die Veranstalter wollen uns Stars nie vergraulen und erfüllen so ziemlich jeden Wunsch. “Du solltest dich auf die Suche machen, sonst springt sie noch mit jemand anderem in die Kiste.”, rate ich ihm, “Ich weiß noch nicht, ob ich später dabei bin, könnte sein, dass Manuel es eher ruhig haben will nach dem Auftritt. Er ist ja schnell mal müde.” Ehrlicherweise hätte ich sagen sollen, dass ich es heute eher ruhig angehen lassen will und die Jungs sicher nichts dagegen hätten, aber ein bisschen Flunkern für ein gutes Bild bei Frank ist schon okay. “Ach was, mit wem denn, Digga? Rob? Dem laufen doch alle weg. Hast du von dem Gerücht gehört, dass er vor kurzem in einer Nacht gleich bei drei Frauen abgeblitzt ist, Digga? Die alle später mit anderen Heim gegangen sind. Haha, der Junge hat nicht nur keinen Geschmack bei Plattenfirmen, er hat auch keinen Stil bei Frauen und trotzdem denkt er, er wäre der Held der Welt, Digga. Crazy!”
Im Rapgeschäft bleibt fast nichts geheim. Ein Fehltritt macht so schnell die Runde, dass am nächsten Tag quasi die gesamte Szene Bescheid weiß. So viel macht das allerdings nicht aus, es gehört fast zum guten Ton, dass über einen gelästert wird, teils aus Neid, teils aus Langeweile, teils aus Boshaftigkeit und teils einfach aus Humor. Ich wage dennoch zu bezweifeln, dass an all den Geschichten tatsächlich was dran ist - vielleicht an 30 bis 40 Prozent, aber mehr auch nicht. “In der Tat, Zubu Records ist wirklich das letzte Label, gehen über Leichen die Jungs. Wenn die Gerüchte stimmen, haben sie schon mindestens vier Karrieren in diesem Jahr durch ihre Schmutzkampagnen auf dem Gewissen. Ich kann mir echt nicht erklären, wieso Rob nach seinem letzten Erfolg gerade dahin gewechselt ist.” Frank lacht, “Digga, vielleicht wollen die einfach als einzige übrig bleiben, dann schaffen sie es mit ganz viel Glück tatsächlich mal in die Top 20!” In der Tat ist die beste Platzierung eines Songs vom Label Zubu Records Platz 23 und dass, obwohl es das Label schon seit der Übernahme durch diesen Multimillionär vor sieben Jahren mit allen Mitteln versucht, bessere Hits zu landen. Aber keiner der wirklich guten will hin. Mich haben sie vor zwei Jahren gefragt, keine Chance. Ich bin glücklich mit meinen Jungs, manchmal schludern sie etwas, aber das Arbeitsverhältnis ist top, da gibt es nichts zu meckern. Und sie haben schon andere Künstler in die Top 10 vor uns gebracht. Wer einmal Erfolg hatte, der wird ihn auch wiederholen. Nach kurzem Plausch über die letzten Trackideen für Franks neues Album, das im nächsten Jahr erscheinen soll, trennen sich unsere Wege. “Digga”, sagt er zum Abschluss, “überleg’s dir mit der Party! Ich geh mal die hübsche Frau suchen, wir sehen uns später, Digga!”
So ein Backstagebereich bei einem Festival ist manchmal gar nicht so extravagant, wie sich einige das vorstellen. In erster Linie geht es um Abschirmung von den Fans, damit die Künstler sich in Ruhe vorbereiten und nach dem Auftritt wieder runterfahren können. Viel Mühe hat sich der Veranstalter diesmal aber wirklich nicht gegeben. Es wurden lediglich ein paar Gerüste hochgezogen, große Planen drüber gehangen und das war es dann auch fast schon. “Hoffentlich sieht’s bei der Party später nicht so runtergekommen aus.”, sagt Steven. “Ach, sollen wir da heut echt hin, meinst du das lohnt sich?”, entgegne ich. “Aber klar doch, beim VIP Ausgang warten bereits zwei nette Ladies, die uns begleiten wollen. Ich hab da schon mal was klargemacht.” Steven und ich sind die Singles in unserer Band, beide noch jung und frei. Andere in meinem Alter sind schon verheiratet, klar, aber ich will mich nicht festlegen und Zeit hab ich noch genug. Außerdem war bislang keine dabei, die mich wirklich geflasht hat. “Die zwei muss ich mir erst einmal anschauen, nicht dass du wie letztes Mal einfach wieder zu voreilig warst.” Nach unserem letzten kleinen Auftritt hatte Steven nämlich auch eine Gruppe Frauen angequatscht und mitgenommen, die sich als die reinsten Tussies rausstellten. Also ich bin ja auch für gutes Aussehen, aber die kannten einfach gar kein anderes Thema und waren sich auch zu schade, irgendetwas an körperlicher Bewegung zu unternehmen, was ihrem hochpolierten Auftritt hätte einen Schweißfleck verpassen können. Der Abend wurde dementsprechend öde und machte mich mit der Zeit sogar aggressiv.
Wie Manuel das immer mit uns aushält? Er ist sieben Jahre älter als ich und angeblich glücklich verheiratet. Seine Frau scheint sein Leben als Gitarrist eines Rappers nicht sonderlich zu interessieren. Sie war zwar schon hin und wieder mal mit bei Auftritten dabei, aber meist macht er sein eigenes Ding. Hat natürlich auch was, wenn man sich in bestimmten Situationen nicht sieht und so einige monatelange Touren, wie man sie von großen Rockbands vielleicht schon mal gehört hat, haben wir noch nie gemacht. Das längste war eine Woche und die kann man auch mal ohne seine Frau aushalten. “Komm mit, ich stelle euch vor, die eine hat schon nach dir gefragt. Eine hübsche Brünette, schlank, ungefähr deine Größe, mit einem schwarzen Minirock und einem leichten Top. Sie trägt diese großen Ohrringe, wie heißen die nochmal? Kreolen? Die Haare hat sie offen, relativ kurz, nur bis zu den Schultern und ein einladendes Lächeln.”, führt Steven aus. “Alter, wie merkst du dir all das, bist du sicher, dass ich mitkommen soll? Vielleicht willst du sie lieber für dich haben!” Steven hat echt ein Talent für diese Details. Manchmal kann ich einen ganzen Abend mit einer Frau verbringen und muss am nächsten Tag darüber grübeln, welche Haarfarbe sie hatte. “Nein, nein.”, lacht er, “Du solltest erst mal die Andere sehen, die ist eher mein Typ!”
Der erste Eindruck der zwei Frauen ist in Ordnung, definitiv besser als beim letzten Mal. Steven hat uns vorgestellt und die Stimmen der beiden sind freudig, herzlich und wohlklingend. Wenn es etwas gibt, dass ich bei andern bemerke, ist das die Stimme. “Steven hat uns gesagt, ihr zwei seid heute Abend bei der Afterparty am Start und dass wir euch begleiten dürfen. Ist das euer Ernst, wir würden uns total freuen!” Wie leicht es doch ist, Anschluss zu finden, wenn man berühmt ist. Die Frauen schmeißen sich einem quasi an den Hals. “Das lässt sich einrichten, ganz ohne Begleitung wollen wir da nicht auflaufen. Wir brechen später vom Hotel aus auf, am einfachsten wäre es, wenn wir uns dort treffen. Seid ihr mobil?” Beide nicken. “Stephanie ist mit ihrem Porsche hier, sie liebt schnelle Autos, dafür lässt sie auch mal den Alkohol links liegen, stimmt’s?” Schon faszinierend wie schnell Menschen einem sympathisch werden können. Autos sind doch einfach das Geilste auf der Welt. Reinsetzen, losfahren, den Stress des Alltags hinter sich lassen und die Geschwindigkeit genießen. Stephanie merkt an, “Oh ja, schnelle Autos sind ein Traum, ich liebe das Design von deinem BMW Johnny - einzigartig, aggressiv und elegant zugleich!” Mit einem schelmischen Lächeln zu ihrer Freundin fügt sie noch hinzu, “Aber heute werd ich mir schon noch den ein oder anderen Cocktail gönnen, man lebt ja nur einmal.”
Im Anschluss tauscht Steven noch die Nummern mit den Frauen aus und wir machen ab, uns gegen 22:30 Uhr am Hoteleingang zu treffen. Die Frauen können ihr Glück kaum fassen. Früher hatte ich immer den Eindruck, Männer liefen Frauen hinterher, aber in den vergangenen Jahren hat sich meine Meinung doch erheblich gewandelt, es ist keine Frage des Geschlechts, sondern eine des Ansehens. Bist du ein Star, will jede mit dir schlafen. Zurück im Backstagebereich berichten wir Manuel von unseren Plänen, aber dieser winkt ab. “Heute nicht Jungs, meine Frau und ich gehen später noch gemeinsam Essen, heute vor 17 Jahren haben wir uns kennengelernt. Das hat sich so etabliert. Sie holt mich später vom Hotel ab. Ihr kommt sicher auch ohne mich zurecht.” Ganz gewiss, ein wenig neidisch bin ich schon. 17 Jahre, faszinierend.
Zeit die Sachen zusammenzupacken. Angereist waren wir heute Morgen mit unserem kleinen Bus, frisch lackiert, schwarz, mit zwei dicken, silbernen Querstreifen, die von unten halb die Fahrer- und Beifahrertür bis ungefähr zur Mitte hoch laufen und dann dynamisch nach Hinten führen. Für uns drei reicht der kleine Bus, für andere Bands wäre die Kiste schon etwas zu eng. Mir war wichtig, dass die PS Zahl stimmt, da blieb nur der T6 mit allen Extras, die man sich so vorstellen kann: Getönte Scheiben, Sitzheizung, Head-Up Display, alles voll elektrisch, einfach zum verlieben. Am Sound mussten wir selbst ein wenig basteln, aber jetzt stimmt der Bass und der Klang ist vom Feinsten. Da wir früh morgens vor all den Besuchern in den Bussen und Autos angekommen waren, konnten wir noch auf dem Hauptparkplatz parken, so dass unser Equipment schnell aus- und eingeladen werden kann. Das machen wir allerdings zum Großteil nicht mehr selbst, anders als früher, als wir noch kleine unbekannte Musiker waren. Damals hat man sich auch schon mal blöd verhoben und musste dann den nächsten Tag mit verzerrtem Gesicht proben. Heute kommen die Veranstalter selbst auf uns zu und bieten uns Hilfe an. Wie schon gesagt, Star muss man sein.
Das Festival ist noch voll im Gang, gerade versucht ein Anheizer die Stimmung nochmal explizit hochzupushen. Diese Jungs scheinen immer extrem gut drauf zu sein, aber hinter der Bühne sieht man auch oft ein anderes Bild. Auf dem Weg zu unserem Bus kommen wir an einer Gruppe Jugendlicher vorbei, die sich etwas abseits im Kreis versammelt hat. Es sind neun, sechs Jungen und drei Mädchen, allesamt noch nicht oder gerade erst volljährig, würde ich schätzen. Kommen bestimmt aus der Gegend hier und wollten sich das Event der Älteren mal anschauen. Ein Mädchen scheint mich erkannt zu haben, zeigt mit dem Finger auf mich und macht sich direkt auf den Weg zu uns. Mit Sprung im Schritt und einem breiten Grinsen im Gesicht sagt sie, “Hi, hi Johnny! Ich bin echt ein großer Fan von dir, würdest du mein Cappy signieren? Hier, ich hab auch einen Stift.” Das Mädchen ist auf jeden Fall noch keine achtzehn, eher vierzehn, mit großen Augen, die mich hoffnungsvoll ansehen. “Hi”, ich warte. “Oh, ich heiße Christine.”, sagt sie freudig. “Hi, Christine. Das mache ich doch liebend gerne. Soll ich etwas Bestimmtes schreiben? Bist du aus der Gegend hier?” Sie schüttelt den Kopf, “Nein, schreib einfach was Schönes. Ja, bin ich, meine Freundinnen und die Jungs sind alle wegen mir hier, weil ich dich unbedingt live sehen wollte. Dein neuer Song ist mega cool!” Das nenne ich einen wahren Fan. Ich schreibe Für meinen jüngsten und mutigsten Fan Christine - dein Johnny. Sie würde mir am liebsten um den Hals springen, hält sich jedoch zurück und hüpft auf die Cappy lächelnd nur kurz auf der Stelle. Dann dreht sie sich um, schreit mir noch ein Danke hinterher und berichtet ihren Freundinnen und Freunden, was sie gerade erlebt hat.
Wir gehen weiter, der Klang der Musik aus den Lautsprechern ist selbst hier noch gut zu hören. Von Vogelgezwitscher oder anderen Naturgeräuschen ist nichts übrig. Trotz zahlreicher Mülltonnen sieht der Boden stark verdreckt aus. Abfälle zieren hier und dort die Wege und das Gestrüpp, sogar in einer der großen Fichten hängt Müll. Wie der da wohl hoch gekommen ist? Die Menschen und ihr Planet führen manchmal eine sehr merkwürdige Beziehung. In dem kleinen Waldstück westlich von unserer Position haben sich zwei lachende Männer versteckt. Sie scheinen bester Laune und rufen uns zu, “Hey Jungs, Bock auf ne kleine weiße Prise?” Die haben uns scheinbar nicht erkannt, so berühmt sind wir dann doch noch nicht. Widerliche Typen, wie kann man nur andere dazu anstiften, Drogen zu nehmen. “Ihr seid abartig und solltet euch was schämen, ihr Idioten!”, platzt es mir raus. Steven hält mich zurück, “Johnny, bleib ruhig, lass denen doch ihren Spaß.” Wegsperren sollte man diese Leute, ruinieren nicht nur ihr eigenes, sondern auch die Leben anderer und ihrer Familien. “Man sollte diesen Deppen einfach mal eine scheuern, würde bestimmt helfen.” Ich lasse mich von Steven mitziehen und nach und nach verschwinden die beiden Gestalten aus meinem Blickfeld. “Jetzt fahren wir erst einmal zurück ins Hotel, da vorne ist unser Bus. Hast du die Schlüssel?”, fragt Manuel. “Ja”, antwortet Steven, “Ich fahr uns schnell hin.” Was die beiden sonst noch bequatschen, bekomme ich nicht mit. Meine Gedanken sind bei den zwei Vollidioten hängen geblieben, meine Miene erstarrt. Ohne Worte nehme ich meinen Platz hinten im Bus ein, balle die Fäuste und schließe meine Augen.