Читать книгу Der unglückliche Glückspilz - Sören Prescher - Страница 5
SONNTAG 1
ОглавлениеSo wundervoll die Zeit mit einem Hund auch war, es gab weiß Gott Schöneres, als an einem nasskalten Februarvormittag durch den Wald zu stapfen. Vor allem, wenn der Vierbeiner mal wieder dermaßen energiegeladen war, dass Herrchen kaum hinterherkam. Über am Boden liegende Äste, durchs Gestrüpp, zwischen den Bäumen hindurch, selbst wenn der Abstand nicht mal einen halben Meter betrug. Dem Hund war das egal.
Zum Glück lag kein Schnee, und die Temperatur bewegte sich über dem Gefrierpunkt. Wenigstens etwas.
„Nicht so schnell, Rupert“, rief Gerold Trews seinem Beagle hinterher, doch die Fellnase ließ sich selbst davon nicht beeindrucken. Dass die Tiere viel Auslauf und Bewegung brauchten, wusste Gerold. Das hatte er bei der Abholung vom Züchter bereitwillig akzeptiert. Das Problem war nur, dass Gerold vor acht Jahren von der Kondition her noch ein ganz anderer Mensch gewesen war. So ein Herzinfarkt veränderte vieles, wenn nicht gar alles. Inzwischen war er pensioniert und sollte seinen Lebensabend eigentlich gemütlich und ohne Stress verbringen. Aber sag das mal einer dem Hund! Der Beagle preschte unaufhaltsam vorwärts, so als hätte er noch einen Termin, zu dem er nicht zu spät kommen durfte. Vielleicht ein Mittagessen mit einer hübschen Collie-Dame? Oder trainierte Rupert möglicherweise für einen Marathon, von dem Herrchen nichts mitbekommen hatte?
Plötzlich raschelte und knackte es nicht weit entfernt im Unterholz. Gerold drehte sich nach links und kniff die Augen zusammen. Zu sehen war zwischen den kahlen Baumstämmen nichts. Bloß ein Wildtier, sagte er sich. Dann erinnerte er sich daran, dass es Anfang Februar war und zu der Zeit die meisten Waldbewohner für gewöhnlich ihren Winterschlaf hielten. Zumindest hatten sie das getan, ehe die Erderwärmung ihren Biorhythmus komplett durcheinandergebracht hatte. Möglicherweise war es daher also doch ein aufgescheuchter Hase oder ein Reh. Von Wildschweinen wusste er im Erlenstegener Forst jedenfalls nichts.
„Rupert, nicht so schnell“, mahnte Gerold erneut.
Keine Reaktion. Selbst das Knacken und Rascheln schien den Beagle wenig zu beeindrucken. Er jagte weiter unaufhaltsam vorwärts, sodass Gerold es fast schon bereute, den Vierbeiner ohne Leine herumstromern lassen zu haben. Wenn ihm Rupert hier ausbüxte, könnte er ewig und drei Tage nach ihm suchen.
Da half nur, ihm hinterherzulaufen. So als wäre er ein Kommissar und der Hund ein flüchtiger Ganove. Wie in dem Fantomas-Film mit Louis de Funès und Jean Marais, den Gerold gestern Abend gesehen hatte. War es da nicht auch um eine Jagd durch den Wald gegangen? Allerdings hatten der Kommissar und seine Leute da Pferde gehabt. Damit wäre er jetzt eindeutig schneller unterwegs.
Bei der Vorstellung, er könnte wie der Kommissar im Film sein, begann Gerold zu schmunzeln. So gern er Louis de Funès auch mochte, so hektisch und nervös wie der kleine Franzose wollte er lieber nicht sein. Schon allein aus Rücksicht auf sein angeschlagenes Herz.
Es raschelte erneut im Geäst, diesmal näher. Gerold wurde langsamer und lauschte. Nichts zu hören außer den Geräuschen, die Rupert und er verursachten. Trotzdem wurde er allmählich nervös. Was, wenn sich außer ihnen noch jemand im Wald aufhielt?
Wahrscheinlich bloß ein Jogger oder einer dieser Nordic Walker mit den komischen Skistöcken. Aber was, wenn nicht?
Erneut dachte er an Fantomas. In den Krimis lauerten die Bösewichte überall. Doch was sollten sie am Waldrand zu tun haben? Zu klauen gab es hier nichts außer Holz, und auch solch ein Diebstahl machte im Spätwinter keinen Sinn.
Als das Rascheln nicht nachließ, blieb Gerold stehen und schaute sich nach allen Seiten um. Er versuchte, die Laute zu lokalisieren und zuzuordnen. Einige Sekunden verstrichen, dann glaubte er die Richtung der Geräusche entdeckt zu haben. Links von ihm bewegten sich einige Sträucher. Morsche Äste knackten. Zu sehen war nach wie vor niemand.
Halt, stopp!
Da hinten war was. Etwas Kleines, Braunes. Es kam näher und entblößte zwei lange, abstehende Ohren. Also doch bloß ein Hase. Und das im Februar.
Gerold atmete auf. Seine Unruhe verwandelte sich in Erleichterung. Einen Moment lang war ihm sogar, als würde er Fantomas’ spöttisches Lachen hören. Kaum zu glauben, dass er wegen eines Mümmelmanns dermaßen nervös geworden war.
Das Waldtier kam näher, und für einen Atemzug blickten sich Gerold und der Hase direkt in die Augen. Dann knackte es abermals im Unterholz – diesmal weiter vorne und sicherlich verursacht von Rupert –, und der Moment war vorüber. Meister Lampe verschwand abrupt im Unterholz, und Gerold machte mit dem weiter, was er vorher getan hatte: einen gewissen Beagle verfolgen.
Rupert schien einen ähnlichen Gedanken gehegt zu haben und bellte lautstark. Einmal. Zweimal. Nach kurzer Pause ein drittes Mal. Offenbar kam Herrchen nicht schnell genug in die Puschen.
„Bin ja schon unterwegs“, versicherte Gerold und erhöhte die Laufgeschwindigkeit. Wieder durch das Gestrüpp und zwischen den engen Bäumen hindurch, erneut mit einem Ohr auf die Geräusche achtend.
Der Hund bellte unablässig, jetzt stärker, lauter, energischer.
Das half Herrchen bei der Orientierung. Er eilte an einigen blattlosen Sträuchern vorbei und sprang beherzt über eine abgesägte Baumwurzel. Nicht nur das Bellen kam näher, auch Rupert kam auf ihn zu. Jedoch nicht, um Herrchen zu begrüßen, sondern anscheinend, um sicherzustellen, dass dieser ihm folgte. Denn kaum, dass Gerold ihn erblickt hatte, machte der Vierbeiner kehrt und verschwand aufgeregt bellend zwischen den Büschen.
Mit einem tiefen Seufzer folgte Gerold ihm dorthin und stockte dann unvermittelt. Auf dem mit braunen Nadeln bedeckten Erdboden lag jemand. Ein Mann. Er rührte sich nicht.
Die Erkenntnis traf ihn so unvermittelt, dass er rückwärts taumelte. Seine Schuhsohlen, die ohnehin kein gutes Profil besaßen, rutschten unter den feuchten Nadeln weg. Einen Moment lang verlor Gerold das Gleichgewicht und krallte sich im letzten Moment an einem der Sträucher fest.
Sein Herz raste. Sein Mund wurde trocken. Den Blick hielt er auf den Körper gerichtet.
„Hallo? Geht es Ihnen gut?“
Was für eine blöde Frage. Offensichtlich ging es dem Typen nicht gut. Ganz im Gegenteil sogar.
Gerold überlegte, auf ihn zuzugehen und nach Vitalzeichen zu suchen. Im Fernsehen taten sie das immer. Aber ebenfalls aus dem Fernsehen wusste er, dass er mit derartigen Aktionen den Tatort verunreinigen würde. In der Glotze regte ihn die Dummheit der Passanten jedes Mal auf. Deshalb blieb er, wo er war, und beugte sich lediglich nach links und rechts.
Das genügte, um Gewissheit zu erlangen. Er brauchte nicht mehr zu überprüfen, ob der Mann noch lebte. Die klaffende Wunde an seinem Hals war ein ziemlich triftiges Argument für das Gegenteil. Genauere Einzelheiten erkannte er nicht – und wollte es auch gar nicht. Zwar war es nicht der erste Tote, den er sah, dafür aber der erste Ermordete. Darauf hätte er gerne verzichtet.
Während er den toten Körper betrachtete, glaubte er von irgendwoher erneut das spöttische Lachen von Fantomas zu hören. Natürlich war das Quatsch, egal wie passend es jetzt gewesen wäre.
Gerold Trews atmete tief durch und sammelte seine Gedanken. Was war in so einem Fall zu tun? Am besten nichts anfassen und nirgends herumtrampeln, sondern dafür sorgen, dass niemand anderes vor dem Eintreffen der Polizei den Tatort betrat. Zum Glück hielt sich im Augenblick niemand in der Nähe auf.
Polizei.
Das war ein gutes Stichwort!
Er pfiff Rupert zu sich, und diesmal gehorchte der Hund aufs Wort. Gerold zog sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und betete, dass er hier draußen überhaupt Empfang haben würde. Er erblickte zwei Balken auf dem kleinen Bildschirm. Das war nicht viel, genügte jedoch. Mit zitternden Fingern wählte er die 110.