Читать книгу Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo - Страница 17

Über Nirvana

Оглавление

Was ich in der Zeitschrift Arya schrieb, war eine Erläuterung der Dinge, wie sie sich vom Bereich des Obermentals dem Mental darbieten, abgefasst in mentalen Darlegungen und daher unter Anwendung der Logik. Denn in einer derartigen Arbeit, die zwischen dem Intellekt und dem Überintellektuellen vermittelt, hat die Logik ihren Platz, obwohl natürlich keinen vorrangigen, wie etwa in den rein mentalen Philosophien. Selbst der Mayavadin versucht, seinen Standpunkt oder seine Erfahrung durch eine unerbittlich logische Beweisführung zu erhärten. Nur wenn er die Maya erklären soll, kann er ähnlich dem Naturwissenschaftler lediglich seine Vorstellung über den Ablauf dieser universalen Täuschung ordnen und gliedern; er kann nicht erklären, wie oder warum seine illusorische, trügerische Maya entstand. Er kann lediglich feststellen: Nun gut, sie ist eben vorhanden.

Natürlich ist sie vorhanden. Doch die Frage lautet zunächst, was ist sie? Ist sie wirklich eine täuschende Macht und nichts anderes, oder ist etwa des Mayavadins Vorstellung von ihr eine irrige, vorschnelle Auffassung, eine mentale, unvollständige Deutung oder gar selbst eine Illusion? Und als nächstes: Ist Illusion die einzige oder höchste Macht, die dem Göttlichen Bewusstsein oder Überbewusstsein innewohnt? Das Absolute ist absolute Wahrheit, frei von Maya, andernfalls wäre Befreiung nicht möglich. Besitzt also die höchste und absolute Wahrheit keine andere wirkende Macht als die der Falschheit und ohne Zweifel mit ihr – denn beide gehören zusammen – die Macht, diese Falschheit aufzulösen und zu entkräften, die aber dennoch ewig besteht? Ich finde, dass dies ein wenig seltsam klingt. Doch seltsam oder nicht, es mag so sein, – denn es kann, wie du ausführst, das Unsägliche nicht den Gesetzen der Logik unterworfen werden. Doch wer soll entscheiden, dass es so ist? Du wirst erwidern: „Jene, die dorthin gelangen“. Doch wohin gelangen? Zum Vollendeten und Höchsten, purnam param? Ist das eigenschaftslose Brahman des Mayavadins dieses Vollendete und Vollkommene, – ist es wirklich das Höchste? Gibt es nicht oder kann es nicht ein Höheres als jenes Höchste geben, paratparam? Das ist keine Frage der Logik, es ist die Frage einer spirituellen Tatsache, einer höchsten und vollständigen Erfahrung. Die Lösung dieser Frage sollte sich nicht auf der Logik gründen, sondern auf einer wachsenden, sich stets erhöhenden und weitenden spirituellen Erfahrung – einer Erfahrung, die natürlich Maya und nirvana miteinbezieht oder durch diese hindurchgegangen sein muss, denn andernfalls wäre sie nicht vollständig und hätte keinen entscheidenden Wert.

Nirvana zu erreichen war das erste radikale Ergebnis meines eigenen Yoga. Es versetzte mich plötzlich in einen Zustand jenseits des Denkens, ohne Denken, unberührt von jeglicher mentalen und vitalen Regung; es gab kein Ego, keine wirkliche Welt – nur wenn man durch die unbewegten Sinne blickte, erkannte man ein Etwas eine Welt leerer Formen, zu Materie gewordener Schatten ohne echte Substanz, oder trug diese auf seiner absoluten Stille. Es gab weder den Einen noch die Vielen, es gab nur Das, eigenschaftslos, beziehungslos, rein, unbeschreibbar, undenkbar, absolut und dennoch zuhöchst und allein wirklich. Dies war weder eine mentale Verwirklichung noch etwas, das man irgendwo undeutlich erschaut hatte, es war auch nichts Abstraktes – es war positiv, die einzig positive Wirklichkeit; und dennoch war es keine räumliche, stoffliche Welt, die diesen äußeren Anschein einer stofflichen Welt durchdrang und einnahm oder vielmehr sie überflutete und ertränkte und keinen Platz oder Raum für eine andere Wirklichkeit außer ihrer eigenen ließ und die nicht zugab, dass etwas anderes real, positiv oder substantiell erscheinen konnte. Ich kann nicht behaupten, dass etwas Erhebendes oder Begeisterndes in jener Erfahrung lag – (die Erfahrung des unsäglichen Ananda hatte ich Jahre später) –, doch sie brachte unbeschreiblichen Frieden, eine machtvolle Stille, unendliche Erlösung und Freiheit. Ich lebte in jenem nirvana-Zustand Tag und Nacht, bevor er andere Dinge in sich einzulassen begann oder sich veränderte; doch der innere Kern der Erfahrung, ein fortwährendes Erinnern sowie die Macht zurückzukehren blieben bestehen, bis er in einem größeren Überbewusstsein darüber sich aufzulösen begann. Doch bis dahin reihte sich Verwirklichung an Verwirklichung und verschmolz mit dieser ursprünglichen Erfahrung. Bereits in einem frühen Stadium wich der Aspekt einer illusorischen Welt einem anderen, in dem die Illusion2 lediglich ein kleines Oberflächen-Phänomen darstellte, mit einer ungeheuren Göttlichen Wirklichkeit dahinter und einer höchsten Göttlichen Wirklichkeit darüber und einer innigsten Göttlichen Wirklichkeit im Herzen von allem, das zu Beginn nur eine flüchtige Form, ein flüchtiger Schatten gewesen zu sein schien. Dies aber war keine Wieder-Einkerkerung in den Sinnen, keine Minderung der Höchsten Erfahrung oder ein Abgleiten, es war vielmehr eine ständige Erhöhung und Weitung der Wahrheit; es war der Spirit – nicht die Sinne –, der die Dinge sah; und immer blieben der Frieden, das Schweigen, die Freiheit in der Unendlichkeit erhalten, während die Welt oder alle Welten lediglich ein immerwährender Ablauf in der zeitlosen Ewigkeit des Göttlichen waren.

Nun, das ist die Schwierigkeit in meiner Annäherung an Mayavada. In meinem befreiten Bewusstsein erwies sich nirvana als der Anfang meiner Verwirklichung, ein erster Schritt zu etwas Vollkommenem, nicht aber als die einzig mögliche und wahre Erreichung oder gar als ein kulminierendes Finale. Es kam ungebeten und ohne dass ich danach suchte, doch war es sehr willkommen. Ich hatte zuvor nicht die geringste Vorstellung davon, keine Sehnsucht danach, und tatsächlich richtete sich mein Streben auf etwas ganz Gegenteiliges, nämlich spirituelle Macht zu erlangen, um der Welt zu helfen und meine Arbeit in ihr zu tun – und dennoch kam es, sogar ohne anzuklopfen. Es geschah ganz einfach und festigte sich wie für alle Ewigkeit oder als ob es tatsächlich immer dagewesen wäre. Und dann wuchs es langsam in etwas, das nicht geringer, sondern größer als seine erste Erscheinungsform war. Wie also könnte ich Mayavada akzeptieren oder versuchen, mich gegen die Wahrheit abzuschirmen, die mir von [einem Bereich] oberhalb Shankaras Logik auferlegt wurde?

Ich bestehe jedoch nicht darauf, dass jeder meine Erfahrung zu teilen hat oder der Wahrheit folgt, was sich daraus ergäbe. Ich habe gegen niemanden etwas einzuwenden, der Mayavada als die Wahrheit seiner Seele oder seines Mentals annimmt oder als einen Ausweg aus der kosmischen Schwierigkeit. Ich sträube mich lediglich dagegen, wenn jemand versucht, ihn mir oder der Welt als die einzig mögliche, befriedigende und allumfassende Erklärung der Dinge aufzuerlegen; er ist ganz und gar nicht befriedigend, denn letzten Endes erklärt er nichts; er schließt alles aus und ist keineswegs allumfassend- und er hat so zu sein, wenn er sich nicht von seiner eigenen Logik entfernen will. Doch das ist gut so. Eine Theorie mag zwar falsch oder zumindest einseitig und unvollständig sein, kann sich aber dennoch als äußerst praktisch und nützlich erweisen. Dies zeigt sich besonders in der Geschichte der Wissenschaft. Tatsächlich ist eine Theorie, ob philosophisch oder wissenschaftlich, nichts anderes als eine Stütze für das Mental, eine praktische Vorrichtung, ihm zu helfen, mit seinem Objekt umzugehen, ein Stab, um es zu stützen und mit mehr Vertrauen vorwärtsschreiten zu lassen, damit es auf seiner schwierigen Wanderung vorankomme. Gerade die Ausschließlichkeit und Einseitigkeit des Mayavada machen ihn zu einem festen Stab und kraftvollen Impuls für spirituelles Bemühen, dessen eigentlicher Sinn es ist, einseitig, radikal und ausschließlich zu sein. Er stützt die Bestrebungen des Mentals, sich von sich selbst und dem Leben mit Hilfe einer Abkürzung in das Überbewusste abzulösen. Oder vielmehr, es ist der Purusha im Mental, der aus den Begrenzungen des Mentals und Lebens in ein überbewusstes Unendliches zu entkommen trachtet. In der Theorie [des Mayavada] besteht der Weg für das Mental darin, seine Wahrnehmungen sowie alle Neigungen des Vitals zu leugnen, sie als Illusion zu betrachten und zu behandeln. In der Praxis tritt das Mental, sobald es sich von sich selbst zurückzieht, leicht in einen beziehungslosen Frieden ein, in dem nichts mehr zählt – denn in dieser Absolutheit gibt es keine mentalen oder vitalen Werte – und von dem aus es sich sehr rasch der großen Abkürzung zum Überbewussten nähern kann, zur „mentalfreien“ Trance, susupti. Im Verhältnis zur Vollständigkeit jener Bewegung wird alle Wahrnehmung, die es zuvor akzeptierte, unwirklich – Illusion, Maya. Es ist auf dem Weg des Eintauchens.

Mayavada in seiner ausschließlichen Betonung von nirvana dient, abgesehen von seinen Unzulänglichkeiten als mentale Theorie der Dinge, einem großen spirituellen Ziel und kann als Pfad sehr hoch und weit führen. Und wenn das Mental das letzte Wort wäre und es nichts mehr über ihm gäbe als den reinen Spirit, hätte ich nichts dagegen, es [Mayavada] als den einzigen Ausweg anzuerkennen. Denn was das Mental mit seinen Vorstellungen und das Vital mit seinen Begierden aus dem Leben dieser Welt gemacht haben, ist ein tieftrauriges Durcheinander, und wenn man auf nichts Besseres hoffen könnte, dann wäre der kürzeste Weg hinaus das Beste. Doch meine Erfahrung ist, dass es etwas jenseits des Mentals gibt; das Mental ist nicht das letzte Wort des Spirits. Das Mental ist ein Unwissenheits-Bewusstsein, und seine Vorstellungen können nur falsch, vermischt oder unvollkommen sein – und, selbst wenn sie wahr sind, nur eine teilweise Spiegelung der Wahrheit und nicht die eigentliche Substanz der Wahrheit selbst. Es gibt aber ein Wahrheits-Bewusstsein, das nicht nur statisch und nach innen gerichtet, sondern auch dynamisch und schöpferisch ist; ich ziehe es vor, zu diesem zu gelangen und zu erfahren, was es über die Dinge weiß und mit ihnen tut, statt die Abkürzung zu wählen, die von den Dingen wegführt und von der Unwissenheit als Ziel angeboten wird.

Und dennoch würde ich nichts einwenden, wenn dein Hang nach nirvana nicht nur eine Laune des Mentals und Vitals wäre, sondern auch Anzeichen für den wahren Pfad des Mentals und den Ausweg der Seele. Es sieht aber so aus, als würde sich nur dein Vital in äußerster Bitterkeit von seinen vereitelten Wünschen zurückziehen und nicht die Seele sich glücklich ihrem wahren Pfad zuwenden. Dieser Ekel vor der Welt, vairagya, ist als solcher eine vitale Regung; vitales vairagya ist die Kehrseite von vitalem Begehren – natürlich muss auch das Mental seine Begründung und Zustimmung erteilen. Doch selbst vairagya, sofern es einsinnig und ausschließlich ist, kann nirvana führen oder diese Richtung einschlagen. Es gibt jedoch viele Seiten in deiner Persönlichkeit oder besser gesagt viele Persönlichkeiten in dir; ihre unharmonischen Bewegungen, die einander behindern wenn das äußere Mental ihnen Ausdruck verleiht, stehen tatsächlich deiner Sadhana im Weg. Da ist zunächst die vitale Persönlichkeit, die dem Erfolg und Vergnügen zugewandt war und beides auch erhielt und die so weitermachen wollte, doch das übrige Wesen nicht dazu bewegen konnte, ihr zu folgen. Dann gibt es jene vitale Persönlichkeit, die eine Freude tieferer Art wollte und der anderen [Persönlichkeit] vorschlug, sie könnte diese unbefriedigenden Dinge sehr wohl aufgeben und durch ein Feenland höherer Freuden ersetzen. Weiterhin gibt es die seelisch-vitale Persönlichkeit, den Vaishnava in dir, die nach dem Göttlichen Krishna verlangt, nach bhakti und Ananda. Und es gibt die Persönlichkeit in dir, die der Dichter und Musiker ist und die Schönheit in den Dingen sucht; dann die mental-vitale Persönlichkeit, die, als sie sich durch das Vital behindert fand, auf einem verbissenen Ringen der tapasya bestand und die ohne Zweifel ebenfalls vairagya und nirvana will; und ferner die physisch-mentale Persönlichkeit in dir, den Russellianer3, den extrovertierten Zweifler. Und schließlich gibt es noch eine mental-emotionale Persönlichkeit, deren Vorstellungen sich ganz auf den Glauben an das Göttliche richten, auf Yoga, bhakti, Guruvada. Auch das seelische Wesen ist vorhanden, das dich auf den Weg der Sadhana trieb und auf seine Stunde des Hervortretens wartet.

Was also willst du mit all diesen Leuten tun? Wenn du nirvana erreichen willst, musst du sie entweder hinauswerfen oder unterdrücken oder in einen Dämmerzustand versetzen. All jene, die es wissen müssen, versichern uns, dass das ausschließliche nirvana äußerst schwer zu erreichen ist – duhkham dehavadbhih, sagt die Gita –, und dein eigener Versuch, sie [die Persönlichkeiten] zu unterdrücken, war nicht gerade ermutigend; deinem eigenen Bericht zufolge ließ es dich so trocken und dürr werden wie eine ausgepresste Orange, in der kein Saft zurückblieb. Wenn die Wüste dein Weg zum verheißenen Land ist, dann ist es in Ordnung. Doch ist dies nicht der Fall, nun, dann gibt es einen anderen Weg, und der besteht, wie wir es nennen, in der Integration, der Harmonisierung des Wesens. Diese aber kann nicht von außen erfolgen, sie kann nicht vom mentalen oder vitalen Wesen durchgeführt werden – denn man darf mit Sicherheit annehmen, dass es die Sache verpfuschen würde. Es kann allein von innen geschehen, durch die Seele, durch den Spirit, welcher der zentralisierende Faktor und selbst das Zentrum dieser Radien ist. Jede einzelne dieser Persönlichkeiten enthält eine Wahrheit, die mit der Wahrheit der anderen übereinstimmen kann. Denn in nirvana ist Wahrheit – und nirvana ist nichts anderes als der Friede und die Freiheit des Spirits, der in sich selbst zu bestehen vermag, ob es eine Welt gibt oder nicht, eine Weltordnung oder eine Weltunordnung. Bhakti und des Herzens Ruf nach dem Göttlichen enthalten eine Wahrheit – es ist die Wahrheit der göttlichen Liebe und des Anandas. Der Wille nach tapasya birgt eine Wahrheit – es ist die Wahrheit der Herrschaft des Spirits über seine Glieder. Der Musiker und der Dichter stehen für eine Wahrheit, der Wahrheit des Spirits, sich durch die Schönheit auszudrücken. Und es steht eine Wahrheit hinter dem geistig Bejahenden und sogar – wenn auch weit hinter ihm – eine Wahrheit hinter dem geistigen Zweifler, dem Russellianer, nämlich die Wahrheit, die falsche Form abzulehnen. Selbst hinter den beiden vitalen Persönlichkeiten steht eine Wahrheit, die Wahrheit der Besitzergreifung der inneren und äußeren Welten, nicht durch das Ego, sondern durch das Göttliche. Das ist die Harmonisierung, für die unser Yoga steht – doch kann sie nicht durch eine äußere Ordnung erreicht werden, sondern nur dadurch, dass man sich nach innen wendet und von der Seele, dem spirituellen Zentrum her sieht und will und handelt. Denn dort liegt die Wahrheit des Wesens und auch das Geheimnis der Harmonie.

*

Man kann sich des essentiellen statischen Selbstes bewusst sein, das ohne Beziehung zum Spiel des Kosmos ist. Man kann sich ebenfalls des universalen statischen Selbstes bewusst sein, das all-gegenwärtig in jedem Ding ist, ohne dabei fortschreitend für die Bewegung der dynamischen Weltnatur, visva-prakriti, offen zu sein. Die anfängliche Verwirklichung des Selbstes oder Brahman besteht häufig in einer Verwirklichung von etwas, das von aller Form verschieden ist, von Namen, Tätigkeit, Bewegung, das nur in sich selbst besteht und den Kosmos lediglich als eine Masse bewegter Umrisse sieht, ohne Substanz und bar der Wirklichkeit. So war meine eigene vollständige Verwirklichung von nirvana im Selbst. Das bedeutet keinen Wall zwischen dem Selbst und Brahman, sondern eine Trennung zwischen dem essentiellen Selbst-Bestehen und der manifestierten Welt.

*

Ich vermute, dass der Advaitin Gott lediglich als Spiegelung Brahmans in der Maya sieht, und so wie Brahman äußerlich als die Welt aufgefasst wird, die nur eine praktische, aber keine reale Wirklichkeit besitzt, so wird Brahman subjektiv als Gott gesehen, als Bhagavan, als Ishvara, doch wäre auch dies nur eine praktische und keine reale Wirklichkeit; diese kann einzig das beziehungslose Brahman sein, allein für sich in einer weltlosen Ewigkeit. Das wenigstens ist es, was ich gelesen habe – ich weiß nicht, ob es Shankara selbst gesagt hat. Man bekommt von den modernen Advaitins immer wieder gesagt, dass Shankara etwas anderes zum Ausdruck bringen wollte als das, was die Leute meinen, und man muss daher vorsichtig sein, ihm eine Meinung zu unterschieben.

*

Sie wollen beweisen, dass Shankara kein so wilder Illusionist war, wie er dargestellt wird – dass er der Welt eine gewisse zeitweilige Wirklichkeit zuschrieb, dass er die Shakti anerkannte, usw. Diese Zugeständnisse (vorausgesetzt, dass er sie überhaupt machte) stimmen mit der Logik seiner Philosophie jedoch nicht überein, welche besagt, dass allein Brahman besteht und alles übrige Unwissenheit und Illusion sei. Dieses Übrige besitzt nur eine zeitweilige und daher illusorische Wirklichkeit in der Maya. Er behauptete weiterhin, Brahman könne durch Werke nicht erreicht werden. Wenn dies nicht seine Philosophie war, möchte ich gern wissen, was seine Philosophie tatsächlich war. Auf jeden Fall wurde er so von den Leuten verstanden. Da sich nun die allgemeine Richtung vom strengen Illusionismus abwendet, wollen viele Advaitins sich nicht mehr festlegen und erklären, auch Shankara habe sich nicht festgelegt. Vivekananda nahm Shankaras Philosophie mit Abänderungen an; eine der wichtigsten ist das daridra narayana-seva, eine Art Mischung aus buddhistischen Mitleid und moderner Philanthropie.

*

Natürlich muss Shankara Mayavada gemeint haben. Es ist kaum möglich, dass jedermann seine Ideen so lange missverstanden haben sollte (die nicht im geringsten verschleiert oder rätselhaft waren), bis seine modernen Interpreten entdeckten, wie sie wirklich gemeint waren.

*

Shankara steht und fällt auf jeden Fall mit Mayavada. Selbst das Bahaja-Govindam-Gedicht ist seinem Gehalt nach Mayavada. Die anderen Schriften kenne ich nicht so gut – es ist daher schwierig für mich, über diese Seite der Frage etwas zu sagen.

*

Cittasuddhi, die Läuterung des allgemeinen mentalen Bewusstseins citta, gehört zum Raja-Yoga. Im reinen Advaita besteht die Methode eher darin, mit Hilfe von vicara und viveka zur Loslösung zu gelangen und jenes „Ich bin nicht das Mental, ich bin nicht das Leben, usw.“ zu verwirklichen. In diesem Falle wäre die Läuterung, suddhi, nicht notwendig – das Selbst würde sich von der Natur, ob gut oder schlecht, ablösen und diese als eine Art Mechanismus betrachten, der mit dem Körper von ihm abfiele, sobald dieser nicht mehr vom Atman gestützt würde. Natürlich kann man auch zu cittasuddhi seine Zuflucht nehmen, doch mit dem Ziel, dass die verschiedenen Tätigkeiten des Bewusstseins, cittavrtti, aufhören, doch nicht, um sie für eine bessere Dynamik als Instrument des Göttlichen einzusetzen. Shankara betont nachdrücklich, dass alles karma abfallen muss, bevor man befreit werden kann – die Seele muss sich als akarta, die Nicht-Handelnde, verwirklichen, und eine Lösung in den Werken oder durch die Werke gibt es im reinen Yoga des Wissens nicht. Wie also hätte Shankara eine Dynamik anerkennen können? Selbst wenn er cittasuddhi als notwendig erachtet, kann es nur als Vorbereitung sein, sich vom karma zu befreien, und für nichts anderes.

*

Der eigentliche „Ich“-Sinn schwindet, sobald eine feste Verwirklichung des einen universalen Selbstes in allen stattgefunden hat und dies in jedem Augenblick und unter allen Bedingungen und Umständen anhält. Meist geschieht es zuerst im Purusha-Bewusstsein ohne unmittelbare Auswirkung auf die Bewegungen der Prakriti. Doch selbst wenn „Ich“-Regungen in den Reaktionen der Prakriti vorhanden sind, betrachtet sie der innere Purusha als den noch andauernden Ablauf eines alten Mechanismus, der ihn nicht betrifft. Die meisten Anhänger des Vedanta machen hier halt, da sie der Meinung sind, dass diese Reaktionen beim Tod von einem abfallen und alles sich in dem Einen auflöst. Doch um die Natur zu verändern ist es notwendig, dass die Erfahrung und Schau des Purusha sich in allen Teilen ausbreiten, im Mental, im Vital, im Physischen, im Unterbewussten. Die Ego-Bewegungen der Prakriti werden dann ebenfalls allmählich aus einem Bereich nach dem anderen verschwinden bis keiner mehr übrig ist. Hierfür ist vollkommener Gleichmut, samata, notwendig, selbst in den Zellen des Körpers und in jeder Schwingung des Wesens – samam hi brahma. Dann wird man auch in den Werken weitgehend frei von den Ego-Regungen werden. Die Individualität bleibt bestehen, doch ist diese dann nicht das kleine, trennende Ego, sondern eine Form, eine Macht des Universalen, die sich mit allen Wesen eins fühlt und die ein wirkendes Zentrum und Instrument der Universalen Transzendenz ist, voller Ananda der Gegenwart und Tat, jedoch nicht eigenmächtig denkt oder sich bewegt oder um ihrer selbst willen handelt. Das kann nicht Egoismus genannt werden. Das Göttliche kann man nur dann als ein Ego bezeichnen, wenn es eine getrennte Person ist, die durch ihr Getrenntsein von Gott – wie in der christlichen Idee – begrenzt ist. (Das esoterische Christentum anerkennt diese Begrenzungen allerdings nicht.) Ein „Ich“, das auf diese Weise nicht getrennt ist, ist ganz und gar kein „Ich“.

*

Ich bezweifle, ob der erwähnte Zustand der eines Vedanta-Anhängers ist, der die Verwirklichung erreicht hat – ausgenommen natürlich der Verlust des Gefühls für die Personalität oder die Nicht-Identifikation mit dem Begehren und den Bewegungen der Prakriti. Doch vielleicht gleicht ihm der Zustand des jadavat paramhamsa. Die Theorie des parabdha karma geht darüber hinaus – sie nimmt an, dass es zwar vitale Regungen gibt, diese aber nur eine Fortsetzung des Mechanismus der Prakriti sind und beim Tod abfallen. Dies mag so sein – vielleicht. Ich gründe die Lehre der Umwandlung der Natur nicht auf der Unmöglichkeit, eine statische Erlösung als etwas Endgültiges hinzunehmen. Die statische Erlösung ist notwendig, doch ich glaube nicht, dass es das Ziel des Geborenwerdens im Welt-Dasein ist, diese als etwas Endgültiges anzusehen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass die statische Erlösung lediglich ein Anfang ist, ein erster Schritt im Göttlichen. Wenn jemand mit dem ersten Schritt als allem innerhalb seiner Möglichkeiten liegenden zufrieden ist, habe ich nichts dagegen einzuwenden, dass er die Sache so sieht.

*

Dein Einwand ist richtig. Das Bild von der Schlange und dem Seil kann nicht verwendet werden, um das Nicht-Sein der Welt zu veranschaulichen; es würde lediglich bedeuten, dass wir die Welt nicht so sehen, wie die Welt wirklich ist. Die Vorstellung der vollkommenen Illusion würde besser durch das Bild des Gauklers, der das Seil erklimmt, dargestellt, wobei es kein Seil gibt und keinen, der etwas erklimmt – und man dennoch überzeugt ist, sie seien vorhanden.

*

Die Metaphern des Illusionismus halten alle nicht stand, wenn du sie genau untersuchst – sie sind selbst Illusion. Die Identifizierung mit dem Körper ist ein Irrtum, keine Illusion. Wir sind nicht der Körper, dennoch ist der Körper ein Teil von uns. Mit der Verwirklichung schwindet diese irrige Identifizierung – in gewissen Erfahrungen wird das Dasein eines Körpers überhaupt nicht gefühlt. In der vollen Verwirklichung ist der Körper in uns und nicht wir in ihm, er wird zu einem instrumentalen Gebilde unseres weiter gewordenen Wesens – unser Bewusstsein überschreitet und durchdringt ihn – er kann aufgelöst werden, ohne dass wir aufhören, das Selbst zu sein. Das ist ungefähr alles.

*

Es ist die vedantische Advaita-Erfahrung von laya, der Auflösung. Sie ist nur ein Teil der Erfahrung, nicht die ganze oder höchste Wahrheit des Göttlichen.

*

Der Hang nach laya, der Auflösung, ist eine Schöpfung des Mentals und nicht die einzig mögliche Bestimmung der Seele. Wenn das Mental seine eigene Unwissenheit zunichte machen will, findet es keinen anderen Ausweg als laya; der Grund hierfür ist die Annahme, es gäbe kein höheres Prinzip kosmischen Seins jenseits seiner selbst – jenseits seiner selbst sei nur der reine Spirit, das absolute, unpersönliche Göttliche. Doch jene, die den Weg über das Herz wählen (Liebe, bhakti), akzeptieren laya nicht, sondern glauben an einen jenseitigen Zustand ewigen Verbundenseins mit dem Göttlichen oder an ein Verweilen im Göttlichen ohne laya. All dies hat nichts mit der Supramentalisierung zu tun. Was wird also aus deinem Argument, dass laya das unumgängliche Schicksal der Seele sei und dass allein die persönliche Herabkunft des Avatars diese vor dem unvermeidlichen laya, der Auflösung, rette?

*

Es gab zwei irrige Punkte in deinen Ausführungen: 1. Dass früher die einzige Möglichkeit der Seele, die einmal das Göttliche erreicht hatte, im laya, der Auflösung, bestand. – Es hätte andere Möglichkeiten gegeben, zum Beispiel das Eingehen in einer höhere Ebene, das Leben im Göttlichen oder in der Gegenwart des Göttlichen. Beides bedeutet die Abkehr vom Geborenwerden und das Verlassen des Spiels, der lila, auf Erden. 2. Dass die Seele laya nur deshalb aufgab, um mit dem inkarnierten Göttlichen zu leben, wenn dieses auf die Erde herabkam. – Der wichtigste Punkt ist die Supramentalisierung des menschlichen Wesens, der Göttliche Zweck der Evolution auf Erden, der unweigerlich erfüllt werden wird. Die Herabkunft oder Inkarnation des Göttlichen ist nur ein Hilfsmittel für diesen Zweck. Deine Äußerung erweist sich daher wegen ihrer Unvollständigkeit als falsch.

*

Sie [die Anhänger des Mayavada] hatten keine klare Wahrnehmung dieser Dinge [Obermental, Supramental], da sie bestenfalls im spiritualisierten höheren Mental lebten und im Übrigen von der Obermental-Ebene die Dinge empfingen – sie konnten aber diese, außer im tiefen samadhi-Zustand, susupti, nicht erreichen, und Prajna und der Ishvara waren für sie der Herr des susupti.

* * *

Briefe über den Yoga

Подняться наверх